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Krankenhaus in GazaEin Raketenschlag und viele Fragen

Nach einer Explosion mit vielen Toten bei einem Krankenhaus ist weiterhin vieles unklar. Das ist bisher bekannt.

Am Boden zerstört: Ein Palästinenser betrauert Verwandte, die bei der Explosion umgekommen sind Foto: Mohammad Abu Elsebah/dpa/picture alliance

Nach einem mutmaßlichen Raketeneinschlag auf einem Krankenhaus-Gelände im Gazastreifen beschuldigen sich Israel und die Hamas gegenseitig. Nachdem das Gesundheitsministerium in Gaza am Dienstagabend einen israelischen Luftangriff mit hunderten Toten gemeldet hatte, veröffentlichte Israel am Mittwoch Video- und Audioaufnahmen, denen zufolge eine fehlgeleitete Rakete der mit der Hamas verbündeten palästinensischen Gruppe Islamischer Dschihad die Explosion auslöste.

Als gesichert gilt, dass es am Dienstagabend zu einer Explosion auf einem Parkplatz nahe dem Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza-Stadt kam. Das Gesundheitsministerium in Gaza meldete mindestens 500 Tote, der ebenfalls der Hamas unterstehende Zivilschutz sprach von 300. Medienberichten zufolge wurden zahlreiche Verletzte und Leichen ins nahe gelegene Al-Shifa-Krankenhaus gebracht.

Noch am Dienstagabend veröffentlichte die israelische Armee ein Video, auf dem zum Zeitpunkt der Explosion ein missglückter Raketenstart zu sehen sein soll. Am Mittwoch folgten Luftaufnahmen des Areals. Darauf zu sehen sind die Gebäude des Krankenhauses sowie ein Parkplatz mit mehreren ausgebrannten Autos. Erkennbar ist der Ort vor und nach dem Angriff. Die Armee wies darauf hin, dass kein Einschlagkrater sichtbar sei, wie er sonst bei israelischen Luftangriffen zurückbleibe. Auch wirken die umstehenden Häuser weitgehend intakt.

In einer ebenfalls von der Armee veröffentlichten Audiodatei eines mutmaßlich abgehörten Telefonats besprechen zwei als Hamas-Agenten gekennzeichnete Stimmen den Vorfall. Der Einschlag sei auf eine Rakete des Islamischen Dschihad zurückzuführen, sagt einer. Darauf würden Schrappnelstücke hinweisen. Die Rakete sei von einem Friedhof hinter dem Krankenhaus abgeschossen worden. Die Authentizität der Aufnahme ließ sich zunächst nicht verifizieren. Einschläge fehlgeleiteter Raketen hat es laut israelischer Armee immer wieder gegeben: Rund 450 palästinensische Raketen seien allein seit Beginn des aktuellen Krieges am 7. Oktober innerhalb des Gazastreifens eingeschlagen.

Das Gebäude selbst scheint nahezu unbeschädigt

Der Islamische Dschihad wies die Darstellung zurück. Arabische Medien kritisierten zudem widersprüchliche Angaben von israelischer Seite. So seien etwa zu anderen Zeitpunkten aufgenommene Videos von missglückten Raketenstarts geteilt worden. Ein offizielles X-Konto der israelischen Regierung hatte ein solches Video am Dienstagabend nach kurzer Zeit tatsächlich wieder gelöscht. Das Krankenhaus wurde nach eigenen Angaben zudem in den Tagen zuvor bereits von Israel angegriffen.

Die „Episkopale Kirche in Jerusalem und Nahost“, zu der das Krankenhaus gehört, veröffentlichte noch am Dienstag ein Statement, in dem sie eine eindeutige Schuldzuweisung umgeht. Sie sprach von „einem brutalen Angriff“ auf das Krankenhaus „während der dortigen israelischen Luftangriffe“. Die Zerstörung „berührt den Kern des menschlichen Anstands“, heißt es weiter. Das Al-Ahli-Krankenhaus wurde 1882 gegründet. Im Gazastreifen lebt eine winzige christliche Minderheit, insgesamt etwa 1.000 Gläubige, unter mehr als zwei Millionen Muslimen. Die meisten der palästinensischen Chris­t*in­nen sind griechisch-orthodox.

Während sich Israel bemühte, die Verantwortung von sich zu weisen, tauchte weiteres Foto- und Videomaterial auf, das von Experten analysiert wurde. Am Mittwochmorgen folgten auch Aufnahmen des Orts im Tageslicht, die in den sozialen Netzwerken geteilt wurden. Darauf zu sehen sind der offenbar verkohlte Boden des Parkplatzes sowie mehrere Autos, von denen viele ausgebrannt zu sein scheinen. Die Gebäude des Krankenhauses scheinen wie bereits in den von der israelischen Armee veröffentlichten Aufnahmen weitgehend unbeschädigt zu sein.

Elliot Higgins, Betreiber des Investigativ-Netzwerks Bellingcat, erklärte, dass fast alle Autos wahrscheinlich durch Feuer beschädigt wurden. Nur eines sei auf den Kopf geschleudert worden. Die Nachrichtenagentur Reuters veröffentlichte ein Bild, das – im Widerspruch zu den israelischen Angaben – einen Krater auf dem Parkplatz zeigt. Gemessen an der von der Hamas angegebenen sehr hohen Opferzahl, ist dieser allerdings recht klein. Er misst in etwa einen Quadratmeter.

Möglicherweise Flüchtlingslager auf Parkplatz getroffen

Der Analyst Tal Hagin, der in der Vergangenheit selbst in der israelischen Armee gedient hat, sich mittlerweile aber auf die Analyse von Krisen anhand von Online-Material spezialisiert, veröffentlichte eine ausführliche Analyse auf X. Diese stützt tendenziell die Darstellung der israelischen Armee.

Hagin analysiert einen Livestream von Al Jazeera zu einem Zeitpunkt, kurz bevor die Hamas die Verantwortung für den Start von Raketen für sich reklamierte. Darauf ist eine Rakete zu sehen, die offenbar zum Teil in der Luft explodiert. Anhand von „Geolocating“ – in diesem Fall mithilfe von sichtbaren Solarpanelen und einem Baum – schlussfolgert er, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit diese Rakete war, die auf dem Krankenhausgelände einschlug. Zu der Zeit sei kein israelischer Beschuss registriert worden.

Sein vorläufiges Fazit: „Eine Fehlzündung“ der Hamas oder des Islamischen Dschihads sei in einem Hof des Krankenhauses eingeschlagen, „der mit palästinensischen Flüchtlingen gefüllt war, was zu sekundären Explosionen von Fahrzeugen und einer großen Streuung von Splittern führte und schwere Verletzungen verursachte.“

Unbestritten ist: Seit vergangener Woche hatten sich tausende Menschen im Gazastreifen aus Angst vor israelischen Luftangriffen entweder in Schulen oder in Krankenhäuser begeben – in der Hoffnung, dass diese nicht Ziel von Angriffen werden. Dies, kombiniert mit Aufnahmen des Parkplatzes vom Mittwochmorgen, die herumliegende Pappteller und Essensreste zeigen, könnte eine Erklärung für eine hohe Opferzahl sein.

Ob die Opferzahl stimmt, ist nicht bewiesen

Dass die Explosion aber tatsächlich mindestens 471 Menschen tötete, wie die Hamas am Mittwoch spezifizierte, ist nicht bewiesen. Zweifel an der Darstellung weckt allein die Tatsache, dass die Hamas bereits kurz nach der Explosion die Zahl 500 nannte. Dass in solch kurzer Zeit so viele Leichen geborgen und gezählt werden können, ist kaum vorstellbar.

Unterdessen hat der Vorfall unabhängig davon, wer für die Explosion die Verantwortung trägt, längst Wirkmacht entfaltet. Für viele scheint kein Zweifel zu bestehen, wer hinter der Explosion steckt. Al Jazeera erwähnte am Mittwoch zwar, dass Israel den Islamischen Dschihad beschuldigt, berichtete aber ungeachtet dessen: „Die israelische Besatzungsarmee hat ein neues Massaker verübt, indem es das Krankenhaus bombardierte, was 500 Märtyrer und tausende Verletzte zur Folge hatte.“

Die Zeitung al-Sharq al-Awsat schrieb von „dem israelischen Angriff auf das Krankenhaus“ und titelte: „Das Krankenhaus-Massaker schockiert die Welt“. Auch die saudische Regierung, die in Bezug auf Israel eher gemäßigt ist, verurteilte „das abscheuliche Verbrechen der israelischen Besatzungstruppen“.

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18 Kommentare

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  • Dass der ÖRR in Deutschland und viele bekannte Medien wie die BBC und NYT nur wenige Minuten nach dem Ereignis das Narrativ der Hamas verbreitetet haben, ist nicht nur ein Skandal, weil es zu den weltweiten judenfeindlichen Ausschreitungen geführt hat, sondern es ist auch bezeichnend für die westlichen linken/grünen Medien, die seit Jahren Israel gegenüber - egal wer dort regiert - voreingenommen ist und jede Schweinerei zutraut. Juden in Deutschland fühlen sich dank dieser Berichterstattung nicht mehr sicher.

  • Es durfte ja nicht lange dauern, bis von Hamas-Seite ein Ereignis dazu genutzt wird, die Täter-Opfer-Umkehr zu betreiben. Alle Welt sprang ja reflexartig darauf an, viele ohne auch nur einen Zweifel an der Hamas-Darstellung zu haben - auch in DLand - sehr beschämend. Auf dieser Welle reiten nun viele der "Demonstranten" hierzulande weiter.

  • Die Hamas und die anderen radikal-islamistischen Terrororganisationen Schrecken vor nichts zurück. Opfer unter den Palästinensern sind diesen vom IRAN und anderen gesteuerten Wahnsinn absolut egal bzw. Willkommen, um „gute Bilder“ für Social Media zu haben.

  • Nach derzeitigen Stand ist, belegt durch israelisches und US Material, Berwertung durch Externe und US ParlamentarierInnen beider Parteien, Israel NICHT für den Raketeneinschlag verantwortlich.



    Es wäre schön, wenn dieser Tatsache Rechnung getragen würde.

  • Nur um einen Anhaltspunkt dafür zu geben wie verlässlich die Raketen Marke Eigenbau sind:

    Während der Eskalation im Mai 2021 wurden 4360 Raketen aus Gaza abgefeuert, davon fielen 680 in den Gazastreifen selbst: In etwa also jede 6-7. Rakete.

  • Israel wirft keine Fassbomben o.ä., die einfach ein Haus in Brand stecken, eine Fliegerbombe hingegen legt alles in Schutt und Asche, und die Anzahl der Toten ist viel zu hoch. Wenn Israel wirklich bombardiert hätte würde man auch eher sagen, man hätte Counterfire wegen Raketenstarts ausgeführt o.ä. und nicht so eine Story.



    Es ist halt leider Teil der Aufmerksamkeitsökonomie, dass jeder die Clicks will und braucht. Das hat die Wahrheit nicht verdient.

  • Danke für diesen Artikel.



    Zusätzlich hat Biden darauf hingewiesen, dass US Beobachter die israelische Darstellung bestätigen.

  • Natürlich ist vieles unklar, wir sind auf die Angaben eines Terrorregimes angewiesen, aber nicht jeden scheint das in gleicher Weise zu beeindrucken. Und man kann von Israel viel erwarten, das war auch nie anders, aber dass ein Land dessen Existenz nicht für alle selbstverständlich ist, jetzt unter Angriff, im Krieg, unter diesen Umständen noch mal eben so als allwissender, allesklärender Arbiter auftreten solle, ist hoffentlich nicht die Erwartung. Israel tut m.E. was es kann und leider eben auch muss, sie können sich sicher Besseres vorstellen, auch sie sind übrigens noch immer beim Einsammeln und Suchen ihrer Verluste. Und ja, wo es wirklich solche Zahlen gibt, dauert das eine ganze Weile, das ist so. Derweil offenbar auch nicht die sonst kaum verlegenen USA viel besser im Bild, zumindest angeblich, auch sie lassen sich beliefern, das wenigstens von vertrauenswürdiger Stelle. Verantwortlich demnach "the other team", oder wie Biden es halt unbeholfen ausdrückt. Immerhin nennt Jerusalem die Täter beim Namen, das muss heute schon stark sein. Und nur das finde ich stark. Wer Klarheit sucht sollte bei Gelegenheit mal hinhören. Bedrückend all die Beispiele für das was man falsche Neutralität nennt und wie sich auch Medien pseudokritisch einspannen lassen in die Propaganda von Terroristen, die Nadel im moralischen Kompass dreht frei und mir scheint mitunter auch schon bisschen durch. Aus der Ukraine nichts gelernt.

  • Hagins Analyse ist umfassend und bei der aktuellen Datenlage wasserdicht.

    Die Schäden an den Gebäuden betreffen - soweit erkennbar - allein die parkplatzseitigen Fassaden.

    Zudem konnte ich auf den Al-Jazeera-Videos keinerlei visuelle oder akustische Anzeichen israelischer Luftwaffenaktivität ausmachen. (An Vergleichsmaterial gibt es ja aus dem Ukrainekrieg mehr als genug.)

    Nur die Fallgeschwindigkeit der gefilmten Raketentrümmer lässt noch etwas Raum für Zweifel - die Explosion erfolgt etwas früher, als man es anhand der sichtbaren Trümmer erwarten würde. Aufgrund der Dunkelheit ist eine genaue Berechnung aber nicht möglich. Jedoch ist keine Alternative erkennbar, die eine solche Explosion auslösen könnte; es kommt also allenfalls eine Artilleriegranate oder etwas Ähnliches in Betracht - die würde man im Dunklen aus der Entfernung des Kamera weder sehen noch hören.

    Die israelische Luftwaffe ist also aus der Liste der Verdächtigen zu streichen, falls kein handfestes Belastungsmaterial auftaucht. (Ich rechne nicht damit.)



    Und das israelische Heer hat zwar in den letzten Tagen die Innenstadt von Gaza mit Artillerie beschossen (die vermutlichen Phosphorgranaten im Hafenbereich), aber nachts wäre das ungewöhnlich, weil die Zielauffassung und -korrektur dann sehr viel schwerer ist.

    Verdächtiger Nummer Eins ist also mit weitem Abstand eine der islamistischen Terrorgruppen des Gazastreifens.

  • "Rund 450 palästinensische Raketen "?

    Falsch, es sind Raketen der Hamas! Das ist ein wesentlicher Unterschied und adressiert korrekt, anstatt die ebenfalls dem Terror ausgelieferte Bevölkerung zu beschuldigen.

    • @Sonnenhaus:

      Die Hamas Leute haben Brüder, Eltern, Kinder, Klassenkameraden und üben seit Jahren das töten, unterstützt und eingebunden in die Bevölkerung und noch nie hat man von Massendemos gegen die Hamas und andere Terrorgruppen gehört. Eher von Jubelfeiern auf den Straßen nach 9/11 von Frauen und Männern jeden Alters.



      Essen und Unterkunft erarbeitet die Hamas wohl auf den Feldern und der Arbeit 40 Stunden die Woche.

    • @Sonnenhaus:

      Auch Raketen der Hamas sind palästinensische Raketen. Wenn „die Palästinenser“ das anders sehen, sollten sie die Hamas von ihrem Kampf ausschließen.

  • Das erste Opfer im Krieg ist immer die Wahrheit. Daher kann man sich im aktuellen Fall nicht auf die Aussage einer Kriegspartei verlassen, auch wenn ich Israel keine so kaltblütige Tat zutraue.

    • @Rudi Hamm:

      Und Israel hat Argumente vorgebracht nicht verantwortlich zu sein. Was hat die Hamas?

      • @FancyBeard:

        Israel kann noch so viele Argumente und Beweise hervorbringen, fuer die Hamas sowie ihre Anhaenger und Verbuendeten wird es immer Israel sein, das das Krankenhaus angegriffen hat - Aehnliches kennen wir von Trump-Fans, die bis an ihr Lebensende glauben werden, dass 2020 ihrem Idol die zweite Amtsperiode "gestohlen" worden sei oder auch von Corona-Verharmlosern.



        Es gibt da leider eine kollektive Realitaetsverweigerung, die verhindert, dass Hamas und Hisbollah als das gesehen werden, was sie ihrem ganzen Wesen nach eben sind: Luegner- und Moerderbanden.

      • @FancyBeard:

        Die Hamas hat gar nichts glaubhaftes vorgebracht, Israels Aussagen glaube ich eher. Trotzdem gilt: "Das erste Opfer im Krieg ist immer die Wahrheit."

  • Eine fehlgeleitete MK82 hinterlässt sehr deutlich mehr als einen 1mx1m Krater. In Verbindung mit den Abbrandspuren (des restlichen Raketentreibstoff der Hamas-Bastelraketen) ist sehr klar, was hier passiert ist. Interessant ist, wie die scheinbar unklare Lage zu propagandistischen Zwecken ausgenutzt wird. Israel hat übrigens noch nie ein Krankenhaus angegriffen - das sollte vielleicht noch zusätzlich erwähnt werden.