Ermittlungen gegen Lindemann eingestellt: Einschüchterung vorerst gelungen

Die Berliner Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann eingestellt. Wie groß ist der Schaden für die #MeToo-Bewegung?

Till Lindemann in der Altstadt von Tallin mit Basecap auf dem Cock steht

Im Zweifel für den Angeklagten: Till Lindemann mit Statement-Cap Foto: IMAGO/Madis Veltman

Ich stehe mit meinem Fahrrad an einer roten Ampel in Berlin-Mitte als ein Pärchen über die Straße läuft. Sie sehen sympathisch aus, wir lächeln uns kurz an. Erst auf den zweiten Blick sehe ich, dass sie beide ein Rammstein-Shirt tragen, auf seiner Wade prangt eine Tätowierung des Band-Logos. Ich werde wütend, mir fallen lauter Dinge ein, die ich ihnen hinterherschreien oder -werfen möchte. Stattdessen tue ich gar nichts und überlege, ob sie die Vorwürfe gegen den Rammstein-Sänger Till Lindemann nicht glauben, ob sie ihnen egal sind oder ob sie sogar gut finden, was Lindemann getan hat?

Die Begegnung fand an einem Wochenende Mitte Juli statt, an dem Rammstein drei ausverkaufte Konzerte im Berliner Olympiastadion spielte. Zu der Zeit liefen die Ermittlungen der Berliner Staatsanwaltschaft gegen Frontsänger Till Lindemann wegen eines Anfangsverdachts auf Sexual- und Drogendelikte schon seit ein paar Wochen. Zuvor hatte es verschiedene Medienberichte gegeben, in denen Frauen anonym Vorwürfe gegen den Musiker erhoben hatten.

Seit dieser Woche ist bekannt, dass die Ermittlungen eingestellt wurden. Lindemanns Anwälte kommentierten dies wie folgt: „Die rasche Einstellung des gegen meinen Mandanten geführten Ermittlungsverfahrens belegt, dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft keine Beweise bzw. Indizien zutage gefördert haben, um meinen Mandanten wegen der Begehung von Sexualstraftaten anklagen zu können. An den Anschuldigungen war schlichtweg nichts dran.“

Kein Hinweis auf unwahre Anschuldigungen

Während der erste Teil der Aussage stimmt, ist der zweite Teil nicht wahr. Die Einstellung des Verfahren ist in keiner Weise ein Hinweis darauf, dass die Frauen gelogen haben, dass ihre Anschuldigungen falsch waren.

Die Staatsanwaltschaft begründete das Ende der Ermittlungen in ihrer Pressemitteilung mit einem „fehlenden hinreichenden Tatverdacht“ nach der „Auswertung der verfügbaren Beweismittel“. Und diese verfügbaren Beweismittel, so viel ist klar, waren nicht zahlreich. Denn keine der Frauen, die strafrechtlich relevante Vorwürfe erhoben haben, hat mit der Staatsantwaltschaft gesprochen. Ihre Vorwürfe waren durch Medienberichte bekannt geworden und die Medien haben aus gutem Grund die Kontakte nicht weitergegeben. Denn es muss den Frauen selbst überlassen sein, ob sie sich mit ihren Vorwürfen an die Behörden wenden oder nicht.

Eine der wenigen Frauen, mit denen die Staatsanwaltschaft sprechen konnte, ist die YouTuberin Kayla Shyx. Sie habe „kein eigenes Erleben strafrechtlich relevanter Vorfälle schildern“ können. Das ist nicht verwunderlich, denn in dem Video, mit dem sie bekannt wurde, schilderte sie das Castingsystem im Umfeld von Rammstein-Konzerten. Und so unangenehm man das auch finden mag, verboten ist es nicht.

Dass das Verfahren eingestellt wurde, ist also weder überraschend noch skandalös. Es beweist lediglich, dass Lindemann keine Schuld nachgewiesen und deswegen keine Anklage erhoben werden konnte. So funktio­niert das deutsche Rechtssystem: Im Zweifel für den Angeklagten. Und solange niemand Anzeige gegen Lindemann erstattet oder neue Beweise auftauchen, wird es keine weiteren Ermittlungen geben.

Ein Bärendienst für die #MeToo-Bewegung

Ein standardmäßiges Vor­gehen also, das trotz allem einen negativen Beigeschmack hat und der #MeToo-Bewegung einen Bärendienst erweist. Denn Rammstein-Fans sehen sich bestätigt und verbreiten munter das Narrativ der lügenden Frau, die sich wichtig machen möchte. Statt diesem Narrativ Raum zu geben, sollten wir uns fragen, wieso die mutmaßlich Betroffenen bereit sind, sich an die Presse, aber nicht an die Behörden zu wenden.

Im Fall von Till Lindemann kommt hinzu, dass die mutmaßlich Betroffenen, seit die Vorwürfe bekannt sind, juristisch, im Netz und in der Öffentlichkeit angegeriffen werden

Dahinter steckt die grundsätzliche Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird. Sie fürchten, dass ihre Erfahrungen und Beweise nicht ausreichen. Es ist hinreichend durch Statistiken bekannt, dass nur ein Bruchteil der verübten Sexualstraftaten zu einer Verurteilung führt. Im Fall von Vergewaltigung spricht man von einer Verurteilungsquote von einem Prozent. Denn im Regelfall finden solche Straftaten im Verborgenen statt, Zeu­g*in­nen und Beweise gibt es selten.

Im Fall von Till Lindemann kommt hinzu, dass die mutmaßlich Betroffenen, seit die Vorwürfe bekannt sind, juristisch, im Netz und in der Öffentlichkeit angegeriffen werden. Die Anwält*innen, die Lindemann beauftragt hat, haben schon früh verkündet, nicht nur gegen Medien, sondern auch gegen­ einzelne Frauen vorzugehen. So befinden sich seit Monaten der Spiegel, die Süddeutsche und Co in juristischen Auseinandersetzungen wieder, auch der YouTuberin Kayla Shyx wurden bestimmte Aussagen juristisch untersagt.

Aggressive Rammstein-Fans

Und auch die Fans haben mit ihren teils aggressiven Auftritten vor den Konzerten zu verstehen gegeben: Es ist ihnen egal, was mit den Frauen passiert. Dabei sollten selbst Vorwürfe wie eine Beziehung zu einer Minderjährigen oder das Castingsystem, die weder strafrechtlich relevant sind noch von Lindemann abgestritten werden, ihnen zu denken geben, ob sie diesen Typen so unverfroren weiter feiern wollen.

Wen wundert es bei alldem noch, dass Betroffene nicht genügend Mut, Geld und Kraft aufbringen, um sich bei den Behörden zu melden und sich vermutlich jahrelangen Prozessen auszusetzen, die sie letztlich doch nur als Verliererinnen verlassen? Sie sehen ja, wohin das führt.

Das Ganze ist ein systematisches Problem, das keinen fairen Prozess ermöglicht.

Am Fall Lindemann den Untergang von #MeToo ablesen zu wollen ist trotz allem falsch. Allein, dass Frauen trotzdem bereit sind zu sprechen und Medien sich der schwierigen Verdachtsberichterstattung widmen, die fast immer juristische Auseinandersetzungen mit sich bringt, zeigt, dass die Tür in Richtung Geschlechtergerechtigkeit sich einen Spalt breit geöffnet hat: Zeit, dass wir sie gemeinsam mit voller Kraft eintreten.

Meine Begegnung Mitte Juli war nicht die letzte dieser Art. Erst kürzlich fuhr ein älterer Mann mit seinem Fahrrad in Kreuzberg an mir vorbei. Aus seiner Boombox, die an seinem Rad befestigt war, lief laut Musik von Rammstein. Mein Blick verriet wohl, was ich davon hielt, denn eine Fußgängerin lächelte mich aufmunternd an. Rammstein-Fans zeigen jeden Tag mit Musik und Fan-Shirts, auf welcher Seite sie stehen: auf der der Band. Die Mehrheit der Gesellschaft entscheidet sich hoffentlich für die andere Seite.

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