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Deutschland will Kampfpanzer liefernFehlender Zweifel ist gefährlich

Pascal Beucker
Kommentar von Pascal Beucker

Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich entschieden, Leopard-2-Panzer an die Ukraine zu liefern. Das ist eine schwierige, aber richtige Entscheidung.

Wird wohl demnächst auch in der Ukraine durch den Schlamm rollen: der deutsche Leopard-2-Kampfpanzer Foto: Philipp Schulze/dpa

D eutsche Panzer rollen für den Sieg? Wenn das nur so einfach wäre. Nein, die Lieferung von ein paar Leopard-2-Panzern wird der Ukraine nicht den Sieg gegen Russland bescheren. Das zu behaupten, beruht entweder auf Unkenntnis über die schlechte militärische Lage oder Scharlatanerie. Tatsächlich ist die Ukraine in einer Situation, in der sie neues militärisches Material dringend braucht, um den Krieg gegen Russland nicht zu verlieren. Das ist ein wesentlicher Unterschied.

Dass es sich Bundeskanzler Olaf Scholz – anders als die gelb-grün-schwarze Salonfeldherr:innen-Fraktion um Agnes Strack-Zimmermann, Anton Hofreiter und Friedrich Merz – nicht so leicht mit seiner Entscheidung gemacht hat, war angemessen. Sehr genau abzuwägen, was dem jeweiligen Kriegsverlauf entsprechend an Unterstützung der Ukraine notwendig, sinnvoll und verantwortbar ist, ist genau das, was die Bürgerinnen und Bürger von ihrem Regierungschef verlangen können.

Waffenlieferungen sind nichts, über das öffentlich auf einem Basar gefeilscht werden sollte, sondern sie bedürfen sehr sorgsamer politischer und militärischer Abwägung. Jetzt hat Scholz seine Entscheidung in Abstimmung mit den USA getroffen. Und die ist – auch wenn dieses Zugeständnis jemandem, der in der Friedensbewegung sozialisiert wurde, äußerst schwerfällt – unter den gegebenen Verhältnissen wohl richtig. Denn die Lieferung bedeutet keine Eskalation des Krieges, sondern sie steigert die Chance, dass die Ukraine nicht von Russland okkupiert wird. Der Kampf bleibt auch so noch schwer genug, der Ausgang des Krieges ist völlig offen.

Gleichwohl werden die Panzerlieferungen des Westens die bittere Folge haben, dass Russland den Krieg weiter eskalieren wird. Denn das entspricht der russischen Militärstrategie. Das muss jedem und jeder bewusst sein. Die Konsequenz daraus kann allerdings nur sein, zum Schutz der Menschen in der Ukraine so viele Flugabwehrsysteme wie möglich zu liefern. Auch wenn es sekundär in der öffentlichen Diskussion erscheint, ist das für die Menschen in der Ukraine noch wesentlich wichtiger als die Lieferung von irgendwelchen Panzern.

Putins „rote Linie“

Wenn die USA und die Staaten der Europäischen Union ihre militärische Unterstützung nicht ausweiten, ist die Ukraine verloren. So einfach ist das. Leider. Zu behaupten, mit der Lieferung von Kampfpanzern westlicher Bauart würde eine „rote Linie“ überschritten, ist dabei eine lächerlich formalistische Argumentation, die einerseits die bisherigen umfangreichen deutschen Lieferungen an die Ukraine ausblendet, zum anderen unangemessen überheblich ist, weil es die Kampfkraft der zahlreichen Kampfpanzer sowjetischer Provenienz im ukrainischen Einsatz unterschätzt. Das Problem ist nur, dass in dem gegenwärtigen Abnutzungskrieg deren Einsatzfähigkeit zur Neige geht.

Wie auch immer: Putin definiert seine „rote Linie“ rein nach Gutdünken. Die Entscheidung, Kampfpanzer aus deutscher Produktion in eine Kriegsregion zu liefern, darf nie eine einfache sein, schon gar nicht, wenn es um ein Gebiet geht, in dem einst die deutsche Wehrmacht gewütet hat. Vor dem Hintergrund der deutschen Vergangenheit ist es auch völlig legitim, wenn die Linkspartei lautstark Waffenlieferungen gänzlich ablehnt.

Wobei jeder und jede, der oder die für immer mehr und immer schwerere Waffenlieferungen eintritt, sich ohnehin bewusst sein sollte, dass er oder sie auf Kosten vieler ukrainischer Menschenleben falsch liegen kann. Fehlender Zweifel ist in Kriegszeiten höchst gefährlich. Und immerhin entspricht die Ablehnung immer weitergehender Waffenlieferungen der Auffassung eines großen Teils der deutschen Bevölkerung, die ernst zu nehmen ist. Das beruht vor allem auf der Angst, Deutschland könnte in den Krieg gezogen zu werden.

Zur Wahrheit gehört: Niemand im Westen weiß, was und wo Putins „rote Linie“ ist. Russland hat die Kapazitäten, mit seinen Atomwaffen die Welt zu zerstören. Dass der Kampf um die Ukraine Putin zur Vernichtung der Menschheit treiben könnte, ist allerdings mehr als unwahrscheinlich – aber gleichwohl leider nicht undenkbar. Gerade diejenigen, die ihn zu einem „Irren“ erklären, mit dem nicht mehr verhandelt werden könnte, sollten ein solch irrationales Handeln nicht von vorneherein ausschließen. So unbefriedigend es ist, es bleibt nichts anderes, als Wahrscheinlichkeiten abzuwägen.

Auch Atommächte können verlieren

Dazu zählt, dass die Argumentation der Linkssfraktionsvorsitzenden Amira Mohamed Ali im Gleichklang mit Sahra Wagenknecht mehr als fragwürdig ist, eine Atommacht könne generell keinen Krieg verlieren. Das erscheint schon arg putinpropagandistisch. Denn, und das müssten beide wissen, es ist historisch schlicht falsch: Die Niederlagen der USA in Vietnam und der Sowjetunion sowie der USA in Afghanistan sind schlagende Gegenbeispiele.

Gut und richtig ist das Insistieren der Linkspartei auf ein stärkeres deutsches Engagement für eine Verhandlungslösung. Aber dabei darf nicht ignoriert werden, dass es zuvorderst Russland ist, das keinerlei ernsthafte Verhandlungsbereitschaft erkennen lässt. Stattdessen propagiert das Putin-Regime unverdrossen, an seinen imperialistischen Kriegszielen ohne Abstriche festzuhalten, also an der Unterwerfung der Ukraine.

Einer größeren Glaubwürdigkeit der Linkspartei würde es zudem dienen, wenn sie sich unabhängig von der Frage der Waffenlieferungen unzweideutig auf die Seite der Überfallenen stellen würde und stets zuvorderst den vollständigen Rückzug Russlands aus der Ukraine fordern würde. Unabhängig davon, ob man es für realistisch hält. Es geht schlicht um eine klare Haltung. Und daran mangelt es Wagenknecht & Co.

Wer meint, wie unlängst die Linkspartei-Abgeordnete und Wagenknecht-Getreue Sevim Dagdelen, die Befürwortung deutscher Waffenlieferungen sei vergleichbar mit der Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten 1914, steht jedenfalls zumindest ideologisch im Sold des faschistoiden Putin-Regimes.

Ja, es stimmt, dass an jedem Tag, an dem dieser Krieg noch andauert, zahlreiche Menschen ihr Leben verlieren. Aber was ist die Konsequenz daraus? Dass die Ukraine schnellstmöglich kapitulieren soll? Zu keinem Zeitpunkt wären Linke auf die Idee gekommen, vom Vietkong zu fordern, sich den USA zu unterwerfen. Obwohl bis zu vier Millionen Menschen letztlich im Vietnamkrieg ihr Leben verloren haben. Davon sind wir im Ukraine-Krieg noch weit entfernt.

Bittere Ambivalenz

Um noch weiter zurückgehend die Geschichte zu bemühen: Wie wäre der Kampf um die Freiheit in Spanien ausgegangen, wenn nicht nur Ernest Hemingway, George Orwell und André Malraux die spanische Republik im Kampf gegen Franco unterstützt hätten, sondern auch militärisch ihre Regierungen in den USA, Großbritannien und Frankreich?

Und deutsche Kom­mu­nis­t:in­nen wären nie auf die Idee gekommen, die demokratischen Kräfte zur Aufgabe aufzufordern, weil der Widerstand gegen den spanischen Faschismus zu viele Tote kosten würde. Stattdessen kämpften sie in den Interbrigaden. Selbst dann noch, als es bereits aussichtslos war.

Jeder Mensch, der im Ukraine-Krieg sein Leben verliert, ist einer zu viel. Deswegen sollte, ja muss die Bundesregierung alles unternehmen, damit dieser Krieg so schnell wie möglich endet. Ohne dabei jedoch der Ukraine in den Rücken zu fallen. Denn das ist die bittere Ambivalenz: Es kann keine linke Position sein, die Überfallenen einfach aufzugeben, auch wenn das ihr Leben kosten kann.

Die Menschen in der Ukraine haben das Recht, für ihre Freiheit zu kämpfen. Nur sie können darüber entscheiden, zu welchen Opfern sie bereit sind. So bitter das ist, rechtfertigt das auch jetzt die Lieferung von deutschen Kampfpanzern. Das ersetzt selbstverständlich in keiner Weise diplomatische Bemühungen. So wenig aussichtsreich es auch derzeit erscheinen mag, muss darauf der Schwerpunkt liegen. Russland muss zur Einsicht gebracht werden, dass es diesen Krieg beendet und die Vorkriegsgrenzen akzeptiert.

Aber auch das gehört leider zur Wahrheit: Dieser Krieg kann noch lange dauern und viele Menschenleben kosten. Nur: Nichts wäre gewonnen, wenn Russland ihn gewinnen würde. Das bedeutet auch: Eine Friedensbewegung, die diesen Namen verdient, muss ihre Forderung „Stoppt den Krieg!“ an den richten, der ihn angefangen hat und ihn unerbittlich weiterführt. Wer dazu nicht bereit ist, ist Kriegspartei. Auf der Seite Putins. Da gibt es kein Vertun.

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Pascal Beucker
Inlandsredakteur
Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft. Sein neues Buch "Pazifismus - ein Irrweg?" ist gerade im Kohlhammer Verlag erschienen.
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16 Kommentare

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  • Vielen Dank für Eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion geschlossen.   

  • Ich wünschte mir, alle Artikel zur Ukraine wären so klug und differenziert. Imer wieder bestürzend dagegen, wie sich die Grünen entwickelt haben, "The 'Leopard's freed(!)", twittert Katrin Göring-Eckardt. Da gibt es wirklich keine roten Linien mehr. Dagegen sieht selbst die Linkspartei mit all ihren Widersprüchen noch gut aus.

  • Na dann sind jetzt alle zufrieden, zumindest unsere Medien.



    Keiner weiß wie alles endet, ich auch nicht, aber ich weiß dass bei gutem Willen dieser Krieg hätte verhindert werden können.

  • Guter Kommentar, auch was die Abwägung des Herrn Scholz angeht, aber dieser müßte auch seine Beweggründe erklären. Die Abwägung muß ja eine Entscheidungsgrundlage gehabt haben. Im Sinne der Mitnahme der Bevölkerung, muß dies erklärt werden. Das kommentarlose Entscheiden und das Ignorieren der Öffentlichkeit, lässt alle Interpretationen zu und auch die Interpretation der Schwäche, der Unentschlossenheit des Herrn Scholz... da ist fatal.



    Was immer die Gründe waren, es braucht Öffentlichkeit, da smuß ja nicht bis ins Detail gehen, aber eien Logik sollte erkennbar sein.

    • @nutzer:

      "… lässt alle Interpretationen zu"



      Ich hab schon eine Interpretation aus den USA gehört, daß da wohl hinter den Kulissen um den Anteil der deutschen Industrie an Polens Aufrüstungsplänen gefeilscht worden sei … sowas füllt zwangsläufig das Vakuum, wenn man keine klaren offenen Argumente darlegt.

  • Man muß auch mal darüber reden, daß eine Verhandlungslösung nicht ohne westliche Sicherheitsgarantien für die Ukraine denkbar ist. Das heißt in letzter Konsequenz - so wir für so eine Lösung auch ernsthaft einstehen - beim nächsten Mal dann Bundeswehr in Charkiw. Und wer will sich darauf verlassen, daß ein putinistisches Russland solche Garantien nicht früher oder später austesten wird …

    • @O-Weh:

      Das ist richtig, jede Verhandlungslösung ohne Garantie seitens der NATO wäre das Papier nicht wert.

      Eine Verhandlungslösung, die Putin dauerhaft an der Macht halten kann, ist ohnehin mittlerweile extrem unwahrscheinlich geworden. Dafür hat Putin seine Grenzen zu weit über das offensichtlich Unannehmbare hinaus verschoben.

      Und alles, was nicht über die Krim plus den bereits vor dem Krieg faktisch kontrollierten Bereich im Donbass hinausgeht, macht wiederum offensichtlich, dass der Krieg für Russland umsonst war und den Toten, der weitgehenden Isolation und den dauerhaften Sanktionen und Verlusten durch Konfiszierungen bei den Oligarchen so gar nichts gegenübersteht.

      Frieden und Putin schließen sich daher quasi gegenseitig aus.

      Was allerdings dann (irgendwann) passiert, das weiß keiner so recht und bei einem Land mit 5000 Atomsprengköpfen ist das einfach beunruhigend.

    • @O-Weh:

      Und das wird teuer, echte Sicherheitsgarantien von Deutschland hieße mehrere Divisionen die vollausgerüstet und bereit sind.

  • Dem ist nichts hinzuzufügen.

  • Danke für diesen wohltuenden, sachlichen und differenzierten Kommentar.

  • Ich halte die Entscheidung nicht für richtig. Weil sie das Kriegsrisiko erhöht. Und wie sich zeigt kommen schon die nächsten Forderungen. Die Ukraine will ihren Krieg mit NATO-Waffen führen. Man sollte sie zu Friedensgesprächen zwingen!

  • Ich sag‘s mal so: laut einer Umfrage befürworten 26% der Deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine, 25% lehnen sie ab. 41% der Befragten finden sie angemessen auf dem bisherigen Niveau (hab‘s gerade noch mal gegoogelt):

    www.tagesschau.de/...andtrend-3255.html

    Wahrscheinlich würden diese Zeitgenossen es auch noch „angemessen“ finden, wenn Deutschland die Atombombe bauen und diese an die Ukraine liefern würde.



    Merke: das Problem sind nicht die Entschiedenen - welche Position sie auch immer in dieser Debatte vertreten mögen - , sondern die Indifferenten.



    War das nicht schon immer so?

  • Für mich ist da die Grenze überschritten.



    Ich war dafür, Waffen zu liefern, in Kombination mit echter Diplomatie, u.a. Anbieten die NATO-Osterweiterung zu beenden (die Ukraine hat da ja als Nicht-Mitglied kein Mitspracherecht), auch de facto. Autonomie für den Donbas, wo eine angestammte Minderheit lebt, ist auch etwas, was man schon im Kosovo wollte.



    Das spielt für mich keine Rolle mehr, Panzer dienen nicht zur Verteidigung, schon gar nicht ohne Diplomatie. Das ist für mich unvereinbar mit dem Friedensgebot unseres Grundgesetzes.



    Daher: Euer Krieg, nicht mein Krieg

  • Sehr guter Kommentar, der all das beinhaltet, was seit Kriegsbeginn rauf und runter diskutiert wurde und diejenigen argumentativ widerlegt, die aus ihrer antiwestlicher Ideologie heraus der Ukraine als Opfer argumentativ in den Rücken gefallen sind und wissentlich oder unwissentlich das Spiel Putins betrieben haben.

  • Nein. Die Scholz'sche Abwägerei war sowohl sinnlos als auch selber gefährlich. Sinnlos, weil es nichts zu überlegen gibt. Es gab keine Alternatuven. Nicht im Sinne von "alternativlos", sondern im Sinne einer Rechnung mit mehreren Unbekannten. Putin mag eine rote Linie haben, eine ukrainische Niederlage oder ein sogenannter Kompromiss würde aber nichts verbessern. Deutschland hat klare eigene Interessen, die sind klar, denen muss es folgen. Der russische Angriff muss abgewiesen werden, sonst kann es für Jahrzehnte keine Normalität geben. Das Scholz'sche "Abwägen", das ja in Wirklichkeit nur ein Gezögere ist, ist dazu auch noch selber gefährlich, es ist unklar, erscheint beeinflussbar, zerstört Vertrauen, verunsichert Verbündete, ermutigt Putin. Das ist unnötig und daran ist nichts Gutes.