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Diskussion um FahrtüchtigkeitWir werden alle mal alt

Kaija Kutter
Kommentar von Kaija Kutter

Auch wenn es zur „Mobilitätswende“ passt – Alten den Führerschein zu nehmen, muss gut begründet sein. Sonst kann es Passivität und Einsamkeit fördern.

Sollte weiter fahren dürfen: Eine Rentnerin bei einem Fahrtraining für Senioren Foto: Patrick Pleul/dpa

E s gibt in Hamburg-Altona ein Mysterium: Immer wieder krachen Autos in Schaufenster der Waitzstraße. Zuletzt passierte dies einem 77-Jährigen vier Tage vor Weihnachten. Das nahm Altonas Bezirkschefin Stefanie von Berg zum Anlass, als Privatperson die „Fahrtüchtigkeitsprüfung“ für Senioren zu fordern.

Sie solle doch gleich politisch die Initiative ergreifen, sagte kurz darauf Rechtsmediziner Klaus Püschel im Hamburger Abendblatt. Er fordert Richtlinien zur Überprüfung der „Verkehrseignung“ ab 70 oder 75 Jahren. Denn jenseits der 75 verursachten Menschen häufiger Unfälle.

„Ein pauschaler Test diskriminiert Ältere“, warnt nun Klaus Wicher vom Hamburger Sozial­verbad SoVD, der sich für die Benachteiligten einsetzt. Denn spektakuläre Einzelbeispiele wie die „Schaufensterunfälle“ rechtfertigten nicht, alle Menschen dieses Alters in Haftung zu nehmen.

„Keiner verlangt von allen Jüngeren einen Test, weil sich einige dieses Alters auf der Wandsbeker Chaussee Autorennen lieferten“, sagt er. Und kaum ein Medium berichte über Unfälle mit Handy am Steuer. Denn das werde „individuell bestraft, nicht kollektiv“.

Verkehrsstatistik hilft weiter

Wicher hat in die Hamburger Verkehrsstatistik geguckt und kommt zu dem Fazit, dass Unfälle seit Jahren zurückgehen. Zudem dominierten bei den Hauptbeteiligten die jüngeren Jahrgänge. In der Tat: War in 2021 die Altersgruppe von 25 bis 30 Jahren an 660 Unfällen mit Personenschaden beteiligt, die Gruppe der Senioren ab 75 dagegen mit 406. Bei diesen wenigeren Unfällen waren sie allerdings überdurchschnittlich oft Unfallverursacher.

Nun gehen die „Boomer“ in Rente, wir haben also mehr Senioren mit Führerschein. Doch während sie 2020 über ein Fünftel der Bevölkerung stellten, waren sie nur an jedem siebten Unfall beteiligt. Der ADAC schrieb 2017, Senioren seien erfahrene Autofahrer und zeichneten sich oft durch besonnenen Fahrstil aus und führen aus Vorsicht selten im Dunkeln.

Fahrtests, die Geschwindigkeitskomponenten in den Vordergrund stellen, benachteiligten die Alten. Die Tests könnten Menschen ausschließen, die noch fahrtüchtig sind, und Ungeeigneten die Fahrtüchtigkeit attestieren.

Laut der „Deutschen Verkehrswacht“ verunglücken Senioren seltener als Jüngere, dominierten jedoch bei den Unfalltoten, weil sie weniger Widerstandskraft haben. Gemäß einer Studie hätten jene alten Autofahrer ein erhöhtes Unfallrisiko, die einen aktiven Lebensstil haben und Abwechslung und Spaß suchen.

Nahversorgung ist der Schlüssel

Wollen wir ihnen das nicht austreiben, brauchen wir einerseits eine gründliche Faktenanalyse, wie sie Klaus Wicher anregt, und andererseits ein gutes Mobilitätsangebot für Alte. Dazu gehört eine zu Fuß erreichbare Nahversorgung mit Bücherhalle, Kulturtreff und Supermarkt. Denn das Fahrrad ist für Alte zu gefährlich.

Und wir brauchen ein feines Netz mit Kleinbussen und Straßenbahnen. Denn auch wenn es gut zur „Mobilitätswende“ passt – den Alten den Führerschein zu nehmen, kann Passivität und Einsamkeit, die krank macht, erzeugen. Und das will keiner. Schließlich werden wir alle mal alt.

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Kaija Kutter
Redakteurin taz-Hamburg
Jahrgang 1964, seit 1992 Redakteurin der taz am Standort Hamburg für Bildung und Soziales. Schwerpunkte Schulpolitik, Jugendhilfe, Familienpolitik und Alltagsthemen.
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21 Kommentare

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  • Das Fahrrad ist nicht nur "für Alte zu gefährlich". Wo es "zu gefährlich" ist, ist es vor allem für Kinder zu gefährlich. Denen fehlt nämlich die Erfahrung der Alten.



    SUVs sind in Großstädten IMMER völlig fehl am Platze. Nicht nur für "Alte".



    Die aktiven Alten habe vermutlich deshalb ein erhöhtes Unfallrisiko, weil sie mehr Kilometer zurücklegen.



    Regelmäßige Seh- und Reaktionstest für alle sind keine Diskriminierung und bringen mehr Sicherheit.

  • Nehmen wir doch Japan, ein Land das bekanntlich überhaupt keinen Respekt für alte Leute übrig hat (Achtung Sarkasmus).

    Dort geht man in regelmäßigen Abständen zur Führerscheinstelle (am Anfang alle 5 oder 10 Jahre, mit höherem Alter werden die Abstände geringer), macht einen kleinen Sehtest, Reaktionstest, kriegt paar kurze Fragen zu Verkehrsregeln und dann wird ein neues Foto gemacht und man kriegt seinen neuen Führerschein ausgehändigt. Oder auch nicht. Ist eine Sache von ner halben Stunde. Vllt fährt man auch noch eine kurze Runde über den Übungsparkour, bin ich mir nicht sicher. Jedenfalls eine himmelschreiende Diskriminierung. ;)

  • Die Gründe für die Unfälle sind halt grundsätzlich verschieden.



    1. Junge Unfallfahrer gehen mehr oder weniger wissentlich unnötig hohe Risiken ein, z.B. riskante Überholversuche. In Testsituationen können sie sich jedoch an Regeln halten sowie schnell und angemessen auf gefährliche Verkehrssituationen reagieren.



    2. Alten Unfallfahrern fehlt die Reaktionsfähigkeit in allen Situationen, was sie im echten Verkehr durch "umsichtiges" Verhalten (meist langsames Fahren) kompensieren. In Testsituationen können sie es aber kaum besser.

    Ein Blick in die Normen der einschlägigen verkehrspsychologischen Tests gibt Auskunft über den Abbau der Leistungsfähigkeit.



    Inwiefern Assistenzsysteme das kompensieren können, sollte weiter diskutiert werden. So wie Brille etc. in den Führerschein eingetragen werden kann, könnten auch Assistenzsysteme eingetragen werden.

  • Naja, ab 75 Jahren hat mensch nicht automatisch eine Gehbehinderung. Der Verkehr und Siedlungen müsste wesentlich fahrradfreundlicher werden und der ÖPNV müsste ausgebaut werden. Diejenigen, die sich Fahrradfahren nicht mehr zutrauen, müssen die Chance haben, auf den ÖPNV umzusteigen - auch auf dem Land. Dann würde ein ursächlicher Faktor für Vereinsamung wegfallen. Außerdem muss die Autozahl aus ökologischen Gründen sowieso massiv reduziert werden. Dies hätte bessere Stadtluft und weniger Unfälle zur Folge.

  • Dass die Autorin hier Daten des ADAC anführen muss, zeigt, auf was für dünnem Eis ihre These steht.

    Wie Alte noch mit fortgeschrittener Demenz über lange Zeit Auto fahren - kenne ich aus der eigenen Familie: natürlich langsam und sehr "besonnen"..., denn anders findet der Fahrer die Hebel gar nicht, wenn er sie denn findet... (Ich habe es entsetzt mit ansehen müssen, und bin selber auch nicht mehr der Jüngste.)

    Darüber wird öffentlich nicht geredet. Das freiwillige Abgeben des Führerscheins ist mit großer Scham besetzt. Wenn schon die Autorin so herumdrucksen muss, wie geht das dann erst den Alten am Ende ihres Lebens!

    Deshalb ganz klar: Führerschein ab einem bestimmten Alter befristen!



    Die Prüfung der Verlängerung sollte Teil der kostenlosen Gesundheitsvorsorge werden. Wenn Deutschland schon die Geschwindigkeit der Motoren nicht zivilisieren kann (fast als einziges Land weltweit), dann soll es wenigstens die Demenz der Autofahrer wahrhaben!

  • Die Assistenzsysteme werden immer besser, das autonome fahren immer realistischer. So hoffe ich, dass sich dieses Problem bis in 10 Jahren von alleine löst, weil dann nur noch das Auto fährt und nicht mehr der Mensch.



    Bereits heute erreicht ein autonomer Tesla schon weit weniger Unfälle pro 1 Million km als ein normaler PKW, auch wenn das wegen der wenigen von der Presse aufgebauschten Fälle anders zu scheinen erscheint.

    • @Rudi Hamm:

      ... "von alleine" löst sich bekanntlich wenig - und Lösungen durch blinden Technikglauben machen es nach aller Erfahrung eher noch schlimmer!

  • Gerade pauschale Tests diskriminieren doch nicht. Der LKW Führerschein gilt auch nur bis 50. Ein Lastwagen kann zwar größeren Schaden anrichten. Ist aber im Prinzip dasselbe. Alles andere ist whatsaboutism.

  • Ich bin Jahrgang 1953 und somit jemand, der von verpflichtenden Untersuchungen betroffen wäre. Trotzdem halte ich diese für dringend geboten. Allerdings nicht nur für Senioren, sondern generell. Ich habe selbst schon mit 30 viel zu spät bemerkt, dass meine Sehkraft stark nachgelassen hatte und ich unbedingt eine Brille brauchte. Das wurde mir erst klar, als ich Probleme bekam, Wegweiser zu lesen.



    Wer Auto fährt, hat eine hohe Verantwortung. Und sollte dazu zu 100 % gesundheitlich in der Lage sein. Dazu braucht es regelmäßige Untersuchungen auf den Gesundheitszustand, wie dies für LKW- und Taxifahrer üblich ist.



    Es steuern viel zu viele Menschen noch ein Fahrzeug, die dies längst nicht mehr tun sollten.



    Das muss sich ändern, wenn wir die erschreckend hohen Opferzahlen im Straßenverkehr senken wollen.



    Und dazu müssten auch viel häufiger Führerscheine entzogen werden, wenn sich Leute nicht an die Regeln halten. Wer Höchstgeschwindigkeiten um mehr als 30 km/h überschreitet, hat nichts mehr am Lenkrad zu suchen.

  • Meine Hypothese: Sehr alte Fahrer stellen eine gleiche Risikogruppe wie sehr junge Fahrerin dar. Leider wird immer auf die absolute Unfallzahl geschaut und nicht auf die Anzahl Unfälle je gefahrene Millionen Kilometer.

    Grundsätzlich sollte es für alle Altersgruppen alle fünf Jahre einen verpflichtenden Test (Sehkraft, Hören, Blickfeld und Reaktion) geben wo ggf. Defizite durch andere Kompensiert werden können. Fair, Transparent und für alle Gleich. Punkt!

  • Der Gedankengang passt ja sehr gut zum hier allgegenwärtigen Ductus der Benachteiligung der weniger Leistungsstarken unserer Gesellschaft.

    Das beginnt mit der eher nicht vorhandenen und in jedem Fall disfunktionalen Förderung leistungsschwacher Schüler aus gesellschaftlichen Randgruppen.

    Geht über die fehlende (und von der EU WIEDERHOLT gerügte) Integration von Menschen mit Behinderung.

    Und endet lange nicht bei unserem wahrhaft senorenfeindlichen ÖPNV.

  • Nein, eine Überprüfung alle 5 Jahre nur für Menschen ab 70 ist nur diskriminierend. - Allerdings fände ich eine Überprüfung für _alle_ AutofahrerInnen alle 5 Jahre sehr sinnvoll. Die meisten hören nach der Fahrschule nämlich nie wieder was von (geänderten) Verkehrsregeln.

  • "Ein pauschaler Test diskriminiert?" - was ist das mal wieder für ein Blödsinn!

    Es ist einfach so, dass ab einem gewissen Alter der Körper abbaut, und das ist bei jedem unterschiedlich. Und ich kenne einige 70jährige, die schon wirklich sehr, sehr gebrechlich sind und nicht mehr hinter das Steuer gehören.

    Genau deswegen führen ja auch Fluggesellschaften regelmäßig Tauglichkeitsuntersuchungen an ihren Piloten durch, um festzustellen, ob sie noch für den Dienst in der Maschine geeignet sind.

    Von daher: ja für eine jährliche Überprüfung ab 70 Jahren.

  • Das Problem wird verstärkt durch die zu großen Autos. Schauen sie sich mal die Riesenkarren an mit denen Rentner in der Waitzstraße Unfälle verursacht haben - groß wie ein Kleinlaster, passen kaum durch die schmale Straße. Und jeder kleiner Fehler ist halt sofort ein Unfall.

  • Fahrtüchtigskeitsprüfung ab einem gewissen Alter ist in anderen Ländern nicht unüblich.

    Dennoch: wenn's diskriminierend wirkt (nicht ganz abwegig): warum nicht einfach grundsätzlich Fahrtüchtigkeitsprüfung?

    Ansonsten volle Übereinstimmung: Nahversorgung, Öffis und... Fahrrad wäre nicht so gefährlich, wenn nicht so viele SUVs unterwegs wären, zudem mit Leuten drin, die sie nicht ganz im Griff haben.

  • Was den Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs angeht, gebe ich der Autorin recht. Die Überprüfung der Fahrtauglichkeit halte ich dennoch dringend für geboten und keineswegs für diskriminierend. Dänemark macht es seit Jahren.

    • @Kanuka:

      Um nicht diskriminierend zu sein, muss sie einfach unabhängig vom Alter bei jedem Führerscheininhaber regelmäßig getestet werden. Dann werden nämlich alle gleich behandelt.



      Und es ist auch sinnvoll, denn auch in jungen Jahren kann unerkannt ein gesundheitliches Problem die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen.

      • @Herma Huhn:

        In den USA gelten die Führerscheine je nach Staat unterschiedlich lang. Z.B. ist in Washington State nach 5 Jahren ein neuer Seh- und Reaktionstest fällig. Ich verstehe nicht, warum das in Deutschland nicht möglich sein soll, und zwar für alle.

        • @resto:

          Nur dort kostet ein Führerschein, bzw. eine Verlängerung in den USA 30-60$, je nach Bundesstaat. Bei uns würde es wohl wieder derart teuer, dass sich viele eine Verlängerung gar nicht leisten könnten.



          Trotzdem, du hast recht.

    • @Kanuka:

      Ausserdem wird, ähnlich wie bei der Geschwindigkeitsbegrenzungsdiskussion der bereits erreichte und avisierte Technische Fortschritt ignoriert: Die diversen Assistenzsysteme bis hin zum fast autonomen elektrischen Fahren werden sicheres Fahren Personen ermöglichen, die dies körperlich selbst nicht mehr oder noch nicht schaffen. Entsprechend bin ich auch für Fahrtauglichkeitsprüfungen und ähnlich wie beim Brillenträgervermerk im Führerschein gäbe es halt Restriktionen für Senioren oder Jugendliche nur best. Fahrzeuge nutzen zu dürfen. Wenn ich die entsprechenden Funktionen in meinem Firmengolf aktiviere könnte sogar meiner Tochter Hund sicher bis zur nächsten Kreuzung kommen - abbiegen geht noch nicht automatisch :)

  • Völlig unabhängig vom Alter vereinsamt in der Großstadt niemand, weil er kein Auto hat. Othmarschen hat nun wirklich viele Nahversorgungseinrichtungen und Nahverkehrsmitteln, die Waitzstraße liegt unmittelbar an der S-Bahn, auch etliche Busse halten dort. Wer in den Läden dort einkauft, kann sich wahrscheinlich auch Moia leisten.