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Krise der Demokratie„Wir stehen vor einem Rätsel“

Sorgenvoll blickt der israelische Philosoph Yuval Kremnitzer auf das weltweite Erstarken des Autoritarismus. Schnelle Antworten gebe es nicht.

Die Sehnsucht nach dem „starken Mann“ ist groß: An­hän­ge­­r:innen von Benjamin Netanjahu Foto: Amir Cohen/reuters
Judith Poppe
Interview von Judith Poppe

taz am wochenende: Herr Kremnitzer, der Wahlsieg der rechtsextremen Fratelli d’Italia macht vielen Angst. Am 1. November wird in Israel gewählt, hier sind die Sorgen groß, dass Benjamin Netanjahu an die Macht zurückkehrt. Ist der Rechtsruck ein globales Phänomen?

Yuval Kremnitzer: Natürlich muss man den lokalen Kontext berücksichtigen. Israel kann man in vielerlei Hinsicht nicht mit Europa vergleichen – der palästinensisch-israelische Konflikt ist nur das offensichtlichste Beispiel. Doch gerade deshalb ist es so verblüffend, dass es an so vielen Orten der Welt so starke Ähnlichkeiten gibt: Der Antiliberalismus breitet sich aus. Es handelt sich – etwa in den USA, in Ungarn, in Russland – um antiliberale Demokratien, denen allerdings eine einheitliche Ideologie fehlt. Donald Trump, Viktor Orbán, Wladimir Putin sind sich ideologisch im eigentlichen Sinne nicht nahe. Aber was ihr leeres politisches Programm aussagt, ist, dass diese „formalistische Verfahrensdemokratie“, in der wir leben, elitär, ungerecht und irgendwie einschränkend sei. Sie verletzen ungeschriebene Regeln jenes Systems und sie sind gerade aufgrund dieser Regelverletzungen attraktiv für so viele Wähler:innen. Das Gleiche gilt für Giorgia Meloni in Italien. Und ebenso für Benjamin Netanjahu.

Sie begannen rund um die US-Wahlen, bei denen Donald Trump zum Präsident wurde, das Thema „Neuer Autoritarismus“ zu erforschen.

Ja, ich hatte beobachtet, wie Trump an die Macht kam, und sah, dass viele progressive Liberale und radikale Linke nicht besorgt waren. Sie hielten ihn für einen Clown und dachten, er habe keine Chance. Aber ich fühlte mich sofort an Netanjahu erinnert. Bevor Netanjahu zu „König Bibi“ wurde, wurde er von seinen An­hän­ge­r:in­nen liebevoll „Magier“ genannt. Im Grunde genommen sagt man damit: Ich unterstütze dich, weil du ein Lügner bist, weil du alle zum Narren hältst.

In Israel fragt sich nun das ganze Land, Bibi-Gegner:innen wie -Befürworter:innen: Was wird passieren, wenn Netanjahu wieder Ministerpräsident wird?

Das ist wirklich schwer zu sagen. Gerade weil ich glaube, dass diese neuen Rechten, zu denen Netanjahu genauso zählt wie Trump, Orbán und Meloni, keine substanzielle Vision einer Gesellschaft haben. Sie sind ein bisschen wie der Schläger, der seinen Freunden zuruft: „Haltet mich besser fest!“ Die Basisbotschaft des neuen Autoritarismus ist: „Wenn unsere Hände nur frei wären, so könnten wir all die albernen Dinge wie Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit loswerden. Wir hätten weniger Begrenzungen.“ Sie werden alles tun, um die Justiz zu schwächen. Aber was passiert danach? Das ist nicht klar.

Netanjahu verfolgt keine eindeutigen politischen Ziele?

Netanjahu bedient für gewöhnlich die Themen, die ihm Popularität verschaffen können. Was eint die 61 Mandate, die er haben könnte? In seinem Bündnis gibt es die Ultraorthodoxen, die noch nie zionistisch waren. Dann gibt es die ultrazionistischen Siedler, die am offensten rassistische Hetze betreiben. Und diejenigen, die für Netanjahu sind, weil die sogenannten Eliten gegen ihn zu sein scheinen. Das Einzige, was all diese Leute gemeinsam haben, ist, dass sie die liberale Demokratie aushöhlen wollen. Aber keiner lenkt das Boot in eine bestimmte Richtung.

Man sollte meinen, je klarer Netanjahu als Kleinkrimineller auffliegt – er steht ja in drei Bestechungsfällen vor Gericht –, desto mehr Wäh­le­r:in­nen wenden sich von ihm ab.

Ja, aber das Gegenteil ist der Fall. Viele nehmen ihn dabei umso mehr als „einen von uns“ wahr – als einen, der von den „Eliten“ verfolgt wird.

Wie kann das sein?

Der neue Autoritarismus verkleidet sich als antiautoritär. Das Establishment wird als korrupt dargestellt, als würde es nur der höchsten Ebene der Gesellschaft dienen. So werden die Autoritären zu vermeintlichen Re­prä­sen­tan­t:in­nen der einfachen Leute.

Itamar Ben-Gvir, dem wohl rassistischsten Politiker in Netanjahus rechtsreligiösem Block, wurde für den Fall eines Wahlsiegs schon ein Ministerposten zugesagt. Würde der das Boot nicht doch in eine ganz bestimmte Richtung lenken?

Würde Ben-Gvir Justizminister werden, wäre das eine Katastrophe. Wir könnten mit einer immer aggressiveren Rhetorik rechnen und der kontinuierlichen „Normalisierung“ von Ideen, die bis vor Kurzem noch außerhalb der gesellschaftlichen und politischen Norm standen. Ben-Gvir fordert zum Beispiel den Entzug der Staatsbürgerschaft für jeden, der irgendwie mit Terrorismus in Verbindung gebracht wird. Verfolgt er das Projekt eines faschistischen Israels? Hat er überhaupt ein neues Modell für die Gesellschaft? Nicht dass ich ihn dazu verleiten will, aber es sieht einfach nicht so aus.

Was unterscheidet ihn von einem Faschisten des 20. Jahrhunderts?

Ein Hardcore-Nazi hat eine Vision von der Welt, in der die Anwesenheit der Juden nicht funktionieren würde. Das ist der Grund, warum die Nazis, auch als sie im Begriff waren, den Krieg zu verlieren, Ressourcen einsetzten, um Juden zu vernichten. Ben-Gvir nun ist nah dran, die vollkommene rassistische Theorie gegenüber Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen offen auszusprechen, aber er sagt es immer in Bezug auf Sicherheit und den inneren Feind. Natürlich, seine Hetze kann in gewisser Weise völkermörderische Politiken rechtfertigen. Aber eine große Vision wie bei den Nazis im 20. Jahrhundert, diese Idee, dass wir einen „neuen Menschen“ erschaffen werden, das sehen wir bei ihm nicht.

Ist das nicht fast erleichternd?

Ein Teil unseres Unvermögens zu verstehen, was gerade vor sich geht, besteht gerade darin, dass wir immer wieder dieses seltsame Déjà-vu aus dem 20. Jahrhundert haben. Die Leute sagen: Der Faschismus ist wieder da. Und dann schauen wir uns um: Wo sind die Braunhemden? Wo ist die Schließung des Parlaments? Diese Vergleiche greifen aber nicht. Die Tatsache, dass Meloni jetzt an der Spitze Italiens steht, bedeutet nicht Mussolini.

In Deutschland gibt es einige Kommentatoren, die sagen, es wird in Italien schon nicht so schlimm werden.

Ja, und das scheint mir fatal. In gewissem Sinne sind wir Zeugen der Wiederkehr vieler alarmierender Merkmale des politischen Schreckens des 20. Jahrhunderts, die von Ana­ly­ti­ke­r:in­nen wie Hannah Arendt und Theodor W. Adorno beobachtet wurden. Allerdings eben ohne die „große Vision“ der Geschichte. Dies gibt einigen von uns leider ein gutes Gefühl.

Was sollte uns – stattdessen – eher beunruhigen?

Ich würde sagen: Die Dinge können schlimmer werden, auf eine Art und Weise, die aus der Vergangenheit bekannt ist und sie können auf eine neue, unvorhergesehene Art und Weise schlimmer werden. Wir leben bereits in einer Welt, in der viele Demokratien auf die eine oder andere Art den Ausnahmezustand als normale Sache eingeführt haben, nicht um die Verfassung abzuschaffen, sondern um sie zu umgehen, wann immer es nötig erscheint. Die klassische Idee, dass man eine Genehmigung braucht, um in den Ausnahmezustand zu kommen, ist vorbei. Wir warten in unseren Köpfen auf den Moment, in dem irgendeine führerähnliche Figur sagt: „Okay, keine liberale Demokratie mehr, jetzt habe ich das Sagen.“ So wie wir es in Russland sehen, das sich von einer Form von Autoritarismus gerade zu etwas entwickelt, das dem Totalitarismus näherkommt.

Wir müssen also nicht mit einer Neuauflage des Faschismus nach Bauart des 20. Jahrhunderts rechnen?

Selbst wenn es nur weiter um eine Erodierung der liberalen Demokratie geht, ist das immer noch eine Gefahr. Wir würden mehr und mehr faschistoide Dinge in unserer Gesellschaft haben, ohne dass wir unbedingt unsere minimalen Grundfreiheiten aufgeben müssten. Wir hier in Israel etwa könnten uns weiterhin, wie jetzt, in einem Café unterhalten, während die liberale Demokratie zerlegt wird während, wie vor einigen Monaten geschehen, sechs palästinensische NGOs kriminalisiert werden oder während ein Nationalstaatsgesetz wie das von 2018 erlassen wird, das die Diskriminierung palästinensischer Israelis legalisiert. Es fällt uns bislang schwer, uns die neue Form vorzustellen, in der die Grenzen zwischen Gesetzlosigkeit und Rechtsstaatlichkeit vor unseren Augen verschwimmen.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Die Linke scheint dem machtlos gegenüberzustehen, weltweit genauso wie in Israel.

Die Linke ist ja in ihrer Essenz universalistisch: Alle Menschen sollten gleich sein. Mit dem Kommunismus hatten wir eine universalistische Idee. Aber als der eiserne Vorhang fiel, wurde es schwer, sich noch mit dem politischen Programm des Kommunismus zu identifizieren. Wir waren auf einen Woody-Allen-Witz zurückgeworfen. Da sagt eine alte jüdische Frau in einem Restaurant zu einer anderen: „Oh, das Essen hier ist so schlecht.“ Und die andere sagt: „Ja, und es gibt so wenig davon.“ Das ist seit Jahren die Haltung der Linken gegenüber der liberalen Demokratie: Die liberale Demokratie ist so schlecht – und es gibt so wenig davon. Wenn man kein anderes Gericht anbietet, keine Alternative, bleibt nur diese widersprüchliche Einstellung übrig. Davon ist die Linke schon seit Langem gelähmt.

Kein Ausweg?

Antiliberale Demokratien funk­tionieren so, dass sie uns an allem ­zweifeln lassen: „Vertraue nicht auf das, was die Behörden dir sagen. Stell deine eigenen Nachforschungen an.“ Wir, die Linken, sind der Aufklärung ver­pflichtet und der Maxime: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.“ Wie also gehen wir mit dieser Situation um? Wie erklären wir uns, warum die eigene Skepsis plötzlich problematisch ist? Oder so formuliert: Die Linke hat lange die Position des Kindes übernommen, das den König für nackt erklärt. Wir Linken erwarten, dass so kritisches Denken funktioniert, dass es die Macht entlarvt und sie ohnmächtig macht. Aber was tun wir, wenn der König selbst erklärt, er sei nackt, und jeder ihn dafür zu mögen scheint?

Ja, was kann die Linke da tun?

In erster Linie müssen wir ehrlich damit umgehen, dass wir vor diesem großen Rätsel stehen: Wie gehen wir mit dieser veränderten Situation um? Wir leben in einer Zeit, in der sich dramatische Veränderungen abspielen, Klimawandel, Digitalisierung. Die Linke ist es gewohnt, die Antworten zu haben. Aber wir haben sie gerade nicht. Vielleicht haben wir die Fragen. Und das ist nicht wenig.

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27 Kommentare

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  • Das Interview ist wichtig und interessant - allerdings geht mir die Analyse der linken Haltungen zu aktuellen Realitäten lang nicht weit genug.

    Linke Menschen müssen die Geschichte der Linken, des Kommunismus, der linken Bewegungen ehrlich, genau und darin schonungslos analysieren.

    Ich gehöre zu einer Linken, die sich immer als Alternative zum Kommunismus begriffen hat - was ist dort alles falsch gelaufen, was waren die riesigen Denkfehler, was davon ist in linke "DNA" übergegangen, ohne dass wir uns darüber Gedanken machen?

    Das Schweigen über diese Zeit ist extrem weit verbreitet - in der "undogmatischen" außerparlamentarischen Linken sind es wenige, einzelne ohne große Stimme, die sich da heranwgen. In der Partei die Linke hat niemals eine echte Aufarbeitung gewollt, gefördert oder durchgezogen. Die "Belohung" ist eine Wagenknecht-Fraktion, die hintenherum bei Rechtsaußen wieder ankommt - und eine "Restlinke", die nicht überzeugen kann, nichts zu bieten hat und keine Analyseinstrumente mehr für die aktuelle Wirklichkeit hat (siehe Interview).

    Es ist auch kein Zufall, dass es in ganz Osteuropa und der DDR mehr oder weniger große Gesellschaftsteile gibt, die nationalistisch-chauvenistisch abgeholt werden können, die antisemitisch funktionieren, die anti-demokratische Einstellungen haben.

    Ja, ja, die gibt es auch hier, die gibt es noch mehr in den USA etc. - aber nicht aus den gleichen Gründen, nicht auf die gleiche Weise, mit den gleihen Möglichkeiten für rechte Parteien.

    Die Wahrheit ist, alle Großkonzepte der Linken funktionieren nicht:



    "Der" Kapitalismus, "die" Rechten, die "unterdrückten Völker" - die "Befreiungsbewegungen", "Sozialismus oder Barberei" und alle möglichen anderen...

    Der Mangel an Einsicht und an Selbstkritik angesichts des großen Scheiterns, der Verbrechen in Linkem Namen - das macht die Linke kraftlos und immer weniger Überzeugend. Denn nur durch so eine Analyse kann überhaupt mutig neu gedacht werden!

  • Gerade hat Israel gewählt: Bibi wird's schon richten. Nicht Bibi ist das Problem, sondern die Wähler. Sicherlich auch seine Fans, die sich jetzt auf ihre Schenkel klopfen. Sie fühlen sich auf der richtigen Seite. Projektion erster Ordnung. Die zweite ist die gegenseitige Spiegelung und Selbstbestätigung. Aber auf der anderen Ebene: viele Parteien mit unterschiedlichen Perspektiven oder Projektionen. Sie sind zur Genüge bekannt.

  • Die Stärke der Rechten ist die Schwäche der Linken.



    Und wer meint, dass es die Idee vom autoritären Staat nur auf der ultrarechten Seite des Spektrums geben würde, der sieht sich getäuscht. Mein Eindruck ist der, dass jakobinisch geprägten Mächten ebenfalls gerne eine derartige Macht in ihren Händen hätten.

    Das, was fehlt, ist die Achtung der Werte, die uns die Aufklärung brachte. Das Bemühen um Wahrheit und Gerechtigkeit - selbst wenn es der eigenen Klientel nicht in die Hände spielt. Die Achtung vor dem Anderen - selbst wenn der meine Position oder gar mich als Person verachtet. Das Bemühen um Ausgleich und um aufrichtiges Suchen nach dem besten Weg. Das Anhören der Argumente des Anderen ohne gleich vorzuverurteilen oder pauschal abzulehnen.

    All das ist uns abhandengekommen. Da, wo das Argument nicht mehr zählt sondern der "Stall", dem jemand entsprungen ist zum Maßstab für gut oder böse wird, ist die politische Kultur, die Grundlage für eine Demokratie ist, hinüber.

    Dabei bin ich mir sicher, dass es sehr viele Menschen gibt, die eben diese Haltung der Achtung und Aufrichtigkeit, der Achtung des Anderen und der Bereitschaft offen und basierend auf Argumenten gemeinsamen einen guten Weg zu finden, für den besten Weg halten.

    Solange diese aber ihren hohen Werte nicht so sehr lieben wie die Extremisten Macht und Terror, werden wir erleben, wie eine Bastion des Anstands und aufgeklärter Offenheit nach der anderen fällt.

    Für die Menschheit ist dies der Niedergang - denn autoritäre Systeme funktioniern keinesfalls effizienter, sauberer oder irgendwie besser. Und letztendlich werden diejenigen, die sich von solchen Systemen Vorteile versprachen, erleben, wie ihre Lügen und ihr Betrug ihnen um die Ohren fliegt. Systembedingt halten solche Konstruktionen höchstens ein paar Jahren - es sei denn, sie schaffen perfekte Isolation und haben einen großen Bruder, der sie durchträgt (siehe Nordkorea).

  • Es geht ja nicht um das Simulieren von Demokratie, sondern um Teilhabe und Interessenausgleich. Und da ist es nun einfach so, daß in der Parteiendemokratie keine Teilhabe existiert. Der Einfluß eines DDR-Bürgers war via Eingaben (bis hin zur Ministerratseingabe) größer als das eines heutigen Wählers.



    Riesige Gruppen der Bevölkerung sind überhaupt nicht representiert; das sitzen fast nur Beamte und Juristen. Weiterhin ist unsere Demokratie käuflich (vom Abgeordnetenmandat bis zur Meinungskampagne) - und so ist es auch gewollt: So bleibt Corporate Money immer die Möglichkeit, sich die passende Politik zu kaufen.



    Anders ausgedrückt: Abgesehen von den kümmerlichen Resten in Sachen Bürgerrechte ist von unserer "marktkonformen" Demokratie nichts mehr übrig. Und da nun die Ausleseverfahren ebenfalls in der Krise sind und Reihenweise Typen wie Truss oder Barbock ohne den Schimmer von Intelligenz oder Bildung nach oben spülen, kann auch nix mehr wachsen.

    Muß man sich also nicht groß wundern; das Rätsel ist nur eines für den, der die Fakten ignoriert. Oder glaubt, daß das hübsch klingende demokratische Präambelzeugs tatsächlich ernst gemeint wäre.

  • Einer der Trump wählt oder Orban suppi findet der liest derlei Interviews inklusive der Kommentare nicht.



    Für den ist das alles verkopftes abgehobenes Gelaber was an seinen Themen vorbeigeht. Letztlich Grund genug gegen dieses System zu sein und im übertragenen Sinne nicht zu wählen. Ich, der im Gedankenbeispiel das Interview verunglimpfen würde und die Kommentatoren als selbsternannte Oberschlaue beschimpfen würde. Ich hätte am ehesten deren Sympathie.



    Warum ist das so?



    Aus meiner Überzeugung liegt es daran, dass bei denen nicht das positive ankommt was aber offensichtlich da ist. Eine Demokratie lebt nicht vom demokratischen Geist allein, sondern davon, dass jeder durch die Demokratie individuelle täglich spürbare (auch wirtschaftliche) Vorteile hat als wenn er in einer anderen Gesellschaftsform leben würde.



    Dieser Vorteil, der wird von vielen nicht mehr gesehen oder erkannt. Es fehlt eine Prägnanz in Politik und täglicher Entscheidung im Sinne dieser Wähler. Egal ob Corona, Klima, monetäre Zukunft, Rente, Pflege... nur Unsicherheiten. Trump und Konsorten bedienen diese Unsicherheiten nicht. Sie nutzen diese vielnehr um sie in Schuld anderer umzudrehen und das in kurzen Slogans.



    Das verfängt, denn die Kakophonie innerhalb der Parteien, Fraktionen, Regierung und streiten um Details sowie einer vollständig falschen Fehlerkultur gehören zum aktuellen demokratischen Diskurs.



    Übrigens: ich bin überzeugt, mit Neoliberalsmus oder sonst welchen -ismen hat das alles nix zu tun. Die Leute werden falsch zu den falschen Themen besprochen.

    • @Tom Farmer:

      Die hier beschriebene Problematik .. " Das verfängt, denn die Kakophonie innerhalb der Parteien, Fraktionen, Regierung und streiten um Details sowie einer vollständig falschen Fehlerkultur gehören zum aktuellen demokratischen Diskurs. " wird ja von den Lobbyisten der Wirtschaft immer noch befeuert, da greift man mit viel Geld und Beziehungen ein um sinnvolle Gesetze und Regeln im Keim zu ersticken oder zu konterkarieren, wenn sie die eigenen Geschäfte oder die Macht bedrohen. Nicht umsonst finden die Trumps dieser Welt immer Unterstützer aus der Wirtschaft. Eine der Gegenleistungen ist ja dann auch, dass von den radikalen Anhängern auf kommunaler Ebene engagierte lösungsorientiert arbeitende demokartische Politiker bedrängt werden und aufgeben und somit auch deren Aufstieg in den Parteien verhindert wird. Was dann wieder dafür sorgt, dass sich am Einfluss der Wirtschaft in den Parteien kaum was ändert.



      Mit Populisten an der Spitze wird sicher nie an der Problemlösung gearbeitet, höchstens an Selbstbeweihräucherung und an der Suche nach Sündenböcken.

    • @Tom Farmer:

      Naja, sehe ich ja prinzipiell ähnlich - trotzdem muss man sich die Frage gefallen lassen, ob man diese Unsicherheiten nicht selbst mit verursacht hat. Einem Trump vorzuwerfen, dass er was gegen diese Unsicherheiten unternimmt löst ja die Grundprobleme nicht.

      • @Mir doch egal:

        Das würde ich psychologisch sehen. Nein, Trump kann die Unsicherheit nicht auflösen aber er schafft eine Atmosphäre der erlaubten Frustabfuhr. In einer Gruppe das zu sagen was einen frustriert und die anderen applaudieren. Das bringt eben die (vermeintliche) Sicherheit und stärkt die Meinung.



        Ganz simpel zu beobachten im Fanblock des Fußballstadiums. Wenn man verliert, dann war der Schiri schuld, Pech, ein bestimmter Gegenspielerdrecksack.... rumgrölen, alles was man Dummes sagt wird gutiert, solange es nicht gegen die eigene Mannschaft gerichtet ist. Trumpunfairness in Reinstform. Bringt jedem der Gruppe Bestätigung... selbst wenn es einem selbst immer schlechter geht.

  • Die Linke hat derzeit keine Antworten? Ich glaube schon, dass wir die Antworten haben. Blickt man in die USA, so sind die Forderungen der Linken sehr populär: Löhne zum Leben, Gesundheitsversorgung für alle, grüner New Deal. Wir haben die Antworten, nur wehren sich die Rechten dagegen, indem sie den Fokus auf bedeutungslose Themen des "Kulturkriegs" lenken - Cancelculture, die grauslichen Homos, der Krieg gegen Gott, die bösen "Eliten" (eigentlich bloß Codewort für die Judenfrage).

    • @Ein Typ:

      Ich sehe es auch so, dass die Analysen der Linken richtig sind. Das Problem ist aber, dass die linke Sozialpolitik nicht nur als von oben herab und entmündigend erlebt wird sondern dies vielmehr ist. Darüber sind sich die Speckgürtel- tonangebenden linken Kreise überhaupt nicht bewusst.



      Ich liebte das Buch von Rafia Zakaria "Against White Feminism", weil sie dort so gut beschreibt, wie herablassend, wie entwertend, wie entmündigend sich weisse Feministinnen gegenüber Menschen verhalten, die in finanziell schlechteren und sozial niedrigeren Verhältnissen leben.



      Diesen Menschen wollen sie helfen - aber nicht auf Augenhöhe. Als Hilfsempfängerin oder -empfänger soll man in dieser Beziehung diese Deklassierung und Entmündigung akzeptieren.



      Menschen wollen sich aber nicht als wertlos und deklassiert erleben. Ohnmacht und soziale Entwertung sind krass schmerzliche und stressige Situationen, und sind nur extrem schwer auszuhalten. Daher der Zulauf zur aggressiven, hetzerischen Rechten. Der Zorn lässt einen stark fühlen.

  • "Das Establishment wird als korrupt dargestellt, als würde es nur der höchsten Ebene der Gesellschaft dienen."



    Da muss man nicht viel darstellen, das tun die selbsternannten "Eliten" ganz alleine. Stichworte Maskendeals, Cum-Ex, Sexismus... Da machen alle von ganz rechts bis ganz links mit. Und dann der unsägliche Herr Merz aus der "Mittelschicht". Wenn die Menschen lieber das ehrliche A....loch wählen anstatt das heuchlerische, kann ich das gut verstehen.



    Und wenn Wahlen etwas verändern könnten, wären sie verboten.



    Ich hatte Grün gewählt, wegen des Pazifismus und des Umwelt- und Klimaschutzes. Nun reibe ich mir verdutzt die Augen: ohne Abstriche könnte das grün-rote Personal gegen Gelb/Schwarz ausgetauscht werden. Da kann ich gleich das Original wählen oder gar nicht.

    • @Schnetzelschwester:

      Den "neuen Menschen" gibt es nicht, das zu allererst sollten sich Linke eingestehen.

      Eine Demokratie ist keine Rundumversicherung gegen die Übel der Welt oder gegen Einzelne, die sich bereichern wollen.

      Sie bietet allerdings Checks und Balances, sie hat von Wahlniederlage über schlechte Berichterstattung bis Strafrecht eine ganze Palette von Möglichkeiten, mit Leuten umzugehen, die ihre Grundlagen verletzen.



      Cum-Ex ist durch Presse herausgekommen, es wurden Leute verurteilt, Gesetze geändert. Sexismus thematisiert.

      Wollen Sie etwa, dass Maskendeals, Cum-Ex oder Sexismus OHNE ordentliches Verfahren, ohne hieb- und stichfeste Beweise geahndet werden? Dann haben Sie nichts mehr zu bieten, als jeder X-beliebige Diktator, der in Schauprozessen demonstrativ gegen Gegner "hart durchgreift".

      Die Welt ist noch weniger als die Einzelmenschen einfach ein Hort des Guten.

      Es gibt schlicht keinen Kommunismus wie aus dem Poesiealbum und wird ihn auch nicht geben - alle Versuche sind daran gescheitert, dass sich Linke den Menschen in Schwarz-Weiß eingeteilt gedacht haben.

      Und zu ihrem angeblichen Pazifimus: Die Grünen tun, was man tun muss, wenn ein brutaler Angreifer sich ein ganzes Land unter Ermordung von Zivilisten und faschistischen Parolen zusammentrampelt, weil es sich nicht seinen Wünschen fügt:

      Sie unterstützen den Widerstand gegen diesen Verbrecher!

      Was haben Sie denn zu bieten außer Greinen und Meckern?

      Worin unterscheidet sich ihre "Position" vom "Eliten"-Gewäsch der Rechten?

      Wer, welche Ziele, stecken hinter der billigen Verächtlichmachung von realer Demokratie?

      Wer betreibt systematische Vermischung linker Parolen mit rechten Denkweisen?

      Wo sind die "Linken" geblieben, die andere denunziert, als Stasi-Angehörige Leben zerstört und mit ihrer Ideologie gescheitert sind?



      Alle weg? Nein.

  • Ich denke, die meisten Menschen machen sich keine derartigen Gedanken über die theoretischen Grundlagen von Populisten oder anderen rechten Bauernfängern. Es geht pragmatisch um das hier und jetzt und da gibt es Frust, viel Frust. Viele Menschen sind unzufrieden und das hängt ursächlich mit unserer Wirtschaftsordnung zusammen (nur ist der Masse nicht klar, woran es liegt). So lange, wie von links dazu nur Appelle kommen, doch an die Demokratie zu denken und die Rechten zu meiden, rein auf der Metaebene geantwortet wird, wird sich das nicht ändern.



    Ein Unzufrieden mit staatstheoretischen Überlegungen zu versuchen zu kitten, wird nicht funktionieren. Und weil links die realen Probleme dieser Wirtschaftsordnung nicht thematisiert , das Hamsterrad in dem viele stecken und unterbewußt merken, dass sie Gefahr laufen aus dem Hamsterrad zu fliegen, wenn sie nicht schnell genug mitlaufen. Solange werden die Bauernfänger Konjunktur haben.



    Da braucht es keine Ideologie, keinen großen Plan, es geht nur um die Ventilfunktion.



    Wenn ein 9Euro-ticket von links als Förderung der Spaßreisen verstanden wird, wenn auch von links die Befürchtung kommt, das Bürgergeld würde die Menschen vom arbeiten abhalten, anstatt zu thematisieren, dass die Löhne zu niedrig sind und nicht das Bürgergeld zu hoch.... solange Menschen die (zwar viel haben, aber auch viel verlieren können) auf ihre Krisensorgen mit Verzichtsappellen geantwortet wird, solange braucht sich rechts nur zurückzulehnen, das läuft auch so....

    • 6G
      652134 (Profil gelöscht)
      @nutzer:

      Ja der Volkszorn kocht innerlich - von der Angestellten in der Bäckerei über den Manager und Handwerker bis zum Bauunternehmer, weil sich diese Menschen existentiell bedroht fühlen und es nun einmal das erste Bedürfnis ist, die Existenz zu sichern. Viel zu viele Menschen lesen/hören keine Nachrichten mehr, um ihre psychische Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu erhalten (die existenzielle Bedrohung nicht noch mehr zu steigern). Ich bin in vielen Themen recht weit links oder auch nur sehr sozial eingestellt (links ist mE auf jeden Fall sehr wichtig) aber trotzdem muss ich sagen, dass meines Erachtens die Linken die Wirtschaft nicht ansatzweise begreifen. Es läuft so viel schief (Bildungsmissstand, Bürokratieüberforderung, mangelnde Anreize, sozialer Schutz, der das Gegenteil erreicht) und da sind sich fast alle Menschen in der freien Wirtschaft einig -und man hat das oft genug artikuliert- so dass die Leute dort auch schon fatalistisch geworden sind. Dann geht eben die mittelständische Wirtschaft kaputt und damit kippen auch die Sozialsysteme. Die CDU nimmt diese Themen auch nicht mehr auf oder hat nicht mehr die Schlagkraft und dann -aus der Hilflosigkeit heraus wählen manche Menschen populistisch- nur als eine Art aversiver Hilfeschrei aus der Ohnmacht heraus ohne dass sie sich etwas Positives davon versprechen. Ich versuche die Menschen zur Besonnenheit anzuhalten und sie geben mir voll und ganz recht aber sie sind sehr, sehr oft verzweifelt bis hin zur völligen psychischen Zerrüttung. So ist das wenn man sehr viel leisten muss und dabei trotzdem allgegenwärtig mit der Existenzvernichtung konfrontiert ist- es zerreißt einen.

  • @GRETCHEN F, @DIETMAR ROSENTHAL

    Spannende Ansätze. Auch ich meine, dass diese Monster eine mehr oder weniger direkte Folge des freidrehenden Neoliberalismus sind.

    • 6G
      652134 (Profil gelöscht)
      @tomás zerolo:

      @ Tomás Zerelo



      Der Neoliberalismus fußt meines Erachtens auf dem Materialismus. Für mich sind Neoliberalismus und (totalitärer) Sozialismus daher zwei Seiten ein und derselben materialistischen Medaille. Neoliberalismus wird unterschiedlich definiert. Ich würde darunter ein Gesellschaftssystem verstehen, das bereit ist alle gewachsenen Strukturen (u.a. Verbände, Sicherungssysteme, Ehe, Familie, Freiheiten der Individuen und deren Würde) zu zerschlagen, um mehr Profit für eher große Marktteilnehmer zu ermöglichen. Liberalismus dagegen will die Freiheit des Einzelnen -auch des ganz unten stehenden Individuums erhöhen (ob dies immer gelingt ist eine andere Frage)- ist dem Neoliberalismus also teilweise entgegen gesetzt. Liberalismus duldet und schützt gewachsene Strukturen, solange eine ausreichende Mehrheit diese noch haben möchte, während diese im Neoliberalismus immer zur Disposition stehen. Im Neoliberalismus wie im Sozialismus ist das Individuum der Gesellschaft ausgeliefert und sein Eigenwert steht entweder immer zur Disposition (was auch eine Negation) oder wird gleich von vornherein negiert, weil es -das Individuum- nur Teil eines Kollektivs ist.

  • @RERO

    Die Frage können Sie sich gerne wünschen. Die Antwort heisst "das hängt davon ab".

  • 6G
    652134 (Profil gelöscht)

    Folgende Fragen, die mich bewegen, möchte ich einmal formulieren:

    Liegt unseren Gesellschaften nicht weltweit mittlerweile ein fast vollständig materialistisches Menschen- Gesellschafts- und Weltbild zugrunde (Materialismus im philosophischen Sinn also dass es nur die Materie gibt und geistige Prozesse durch diese determiniert sind, Mensch=Bioroboter mit gesellschaftlicher Funktion- mal mehr mal weniger nützlich)?

    Ist die Demokratie nicht eine Vergesellschaftung des Idealismus/Humanismus/der Idee der Menschenwürde?

    Bedeutet Menschenwürde nicht, dass der Mensch einen Eigenwert hat, der über seine biologische und gesellschaftliche Funktion hinausgeht und lässt sich dieser Eigenwert anders als metaphysisch begründen?

    Kann aus dem Materialismus, der keine höheren Ideen, nur die mechanistisch reagierende Materie kennt und der die Metaphysik als Quelle höherer Ideen kategorisch ablehnt eine Menschenwürde hergeleitet werden?

    Inwieweit könnte zunehmend materialistisches Denken (in einem philosophischen Sinn) zu einer Gefahr für die Demokratie werden auch weil von dort aus die Demokratie als Vergesellschaftung des Idealismus (s.o.) ggf. nicht begriffen werden kann?

    Sind autoritäre Systeme (Faschismus, Sozialismus, etc.) ggf. Versuche, die Demokratie trotz eines vom geistigen Zustand des Idealismus zum Materialismus geschrumpften (der Geist wird absuggeriert) Weltbildes mit Gewalt/Autorität zusammen zu halten?

    Kann die Demokratie nur von einem idealistischen/humanistischen Denken aus am Leben gehalten werden und könnten/sollten wir dahin zurück kehren, wenn dies so ist?

    Könnten wir alternativ durch ein tieferes Denken und Leben der Menschenwürde (Eigenwert, der aber metaphysisch begründet werden muss) auf der Basis neuer Philosophien die Demokratie am Leben erhalten?

    • @652134 (Profil gelöscht):

      @Gretchen F: Ich meine, die strikte Trennung in die Kategorien Meterialismus/Idealismus führt im realen Leben nicht weiter. Es handelt sich hier m.E. um philosphische Abstraktionen, wofür sie auch geeignet durchaus geeignet sind. Die Wirklichkeit in der Welt wird m.E. in erster Linie durch den Menschen, d.h durch dessen Wesen, bestimmt. Insofern wirken in der realen Welt immer sowohl meterialistisch, wie auch idealistisch beeinflusste Faktoren, eine strikte Trennung lässt sich da nicht ziehen. Was das bestimmende dabei ist, kann allerdings sehr variieren. Brecht hatte dazu eine eindeutige Meinung, als er formuluierte: "Denn erst kommt das Fressen und dann die Moral". Ob man dem zustimmen kann, oder eher nicht, hängt sehr vom Rezipienten ab.

      • 6G
        652134 (Profil gelöscht)
        @Chimney Sweep:

        Vollkommen richtig was Sie sagen, aber es gibt ja durchaus Vergesellschaftungen von Philosophien.

        Eine Vergesellschaftung des Materialismus wäre m.E. der Sozialismus oder auch der Neoliberalismus. Wir haben -und das verträgt die Demokratie wohl auch- durchaus sozialistische als auch neoliberale Einflüsse in unserer Gesellschaft. Allerdings führe ich die Spaltungen in der Gesellschaft und den spaltenden Populismus auch darauf zurück, dass es eine einheitliche, tragende Philosophie die zu unseren Rahmenbedingungen (Demokratie) passt, zunehmend nicht mehr gibt. Die wirtschaftlichen Verteilungskämpfe sind ggf. auch ein Produkt dieser geistigen Auseinandersetzungen, denn zB braucht der Mittelstand Freiheit und Stabilität, die eigentlich auch von der Verfassung direkt oder indirekt garantiert werden aber ein anderer Teil der Gesellschaft möchte Freiheiten (philosophisch gesehen materialistisch gedacht) stark einschränken, was besonders den Mittelstand bedroht. Die Spaltung beginnt somit in der Denkweise, der Philosophie aus der immer auch eine bestimmte Gesellschaftsform folgt, die die einen begünstigt und die anderen benachteiligt.

  • 0G
    04405 (Profil gelöscht)

    Die autoritären Gorillas - Trump, Bolsonaro, Netanjahu usw. - erscheinen in den Kommentaren derzeit wie Satan der katholischen Kirche. Die Verführer, Versucher, die alles korrumpieren und die Menschheit ins Unglück stürzen. Das ist ein ausgezeichneter Moment, sich daran zu erinnern, dass der Liberalismus - unter der Bezeichnung "Neoliberalismus" bzw. "Neoliberal" - schon seit längerem als die verachtenswerte Fratze des Kapitalismus in linken Kreisen gehandelt wird.

    Meine These dazu: Die üblichen Verdächtigen treten vielleicht als Brandbeschleuniger auf, die liberalen Demokratien sind schon viel länger in einer existenziellen Krisen. Populisten brauchen vielleicht nicht mehr als ein Körnchen Wahrheit als Arbeitsgrundlage, das elitäre und daher ungerechte im Liberalismus und den liberalen Demokratien ist aber durchaus real.

    Ein Vorschlag zur Güte: Sich weniger mit den schmuddeligen Populistenkindern prügeln, davon leben die nämlich - lieber Lösungen für die Probleme der (Neo-)liberalen Demokratien finden.

  • Sehr spannendes Interview.

    Ich hätte mir die Frage gewünscht, ob nicht auch Linke immer mehr zum Autoritarismus und Antiliberalen tendieren.

  • So rätselhaft ist das gar nicht mit dem Nachlassen an der Anteilnahme an den demokratischen Prozessen ! Schließlich ändern sich die Existenzbedingungen, auf die 'die Politik' scheinbar keinen Einfluß zu haben scheint: So zuletzt bei der Inflation (die ja in anderen Ländern, von denen wir erwarten, dass es den Menschen gut gehen sollte, wie etwa Argentinien, Chile oder der Türkei, viel Armut hervorruft) , die ja die Lebensbedingungen mehr einschränken, als dass es sich unmittelbar in Wahlen ausdrücken ließe. Eher im Gegenteil: Treten Probleme auf wie die Generationengerechtigkeit, die das Rentensystem sprengt und Staaten in die Verschuldung treibt, Ähnliches im Bildungs- und Gesundheitssystem, so wird das mit immer weiterer Verschuldung und damit eben nicht gelöst. Ein scheinbar ohnmächtiger Staat mit scheinbar ratlosen gewählten Handlungsbevollmächtigten bei einer ständigen geradezu Gebetsmühlen-artig behaupteten 'Überlegenheit' freiheitlicher Systeme (die Freiheit des Kapitals und der Autofahrer...) macht es für Rechte leichter, Zweifel an der Wirksamkeit dieses 'Systems' zu schüren. Und beweist sich nicht gerade am Ende des Kapitalismus, der so viele segensreiche (?) Errungenschaften wie die so klimaschädliche Mobilität hervorgebracht hat, die Vergändlichkeit eines Wirtschaftssystem, die Arbeitende zugunsten von Energiereinsatz und höherer Produktivität quasi überflüssig zu machen scheint? Unser Freiheits- und Demokratiebegriff ist stark mit den Errungenschaften eines kapitalistischen Wirtschaftsmodells verknüpft und auf wichtige Axiome wie (scheinbare?) gesellschaftliche Teilhabe, Meinungsfreiheit, Wahlen etc. möchte ich auch in einem neuen Gesellschaftsmodell nur ungern verzichten und das ohne Trump, Putin oder chinesische Einpeitscher. Da müssen wir schon tiefer in die Ursachenforschung in Bezug auf die Schwächen parlamentarischer Ordnungen gehen und das auch dringend (!), um chaotische Verhältnisse zu vermeiden, die uns zurückwerfen und Kriege provozieren.

  • Selbstbetrug muss in die Krise führen.

  • Dem Interview ist nichts hinzu zufügen. Vielleicht ist es so, dass wir feststellen:oh, wir sind ja selbst nackt. Wir erliegen unserer eigenen Projektion oder gar vielen. Aber welcher denn?

  • So rätselhaft ist das dich gar nicht. Der neoliberal-globalistische Kapitalismus hat in den letzten Jahrzehnten überall zu einer Korrosion von sozialer Sicherheit, wenigstens minimalen Umverteilungssystemen, Solidaritätsgefühl und Gemeinschaftlichket und sinnstiftenden Institutionen und Zusammenhängen geführt. In den Industrieländern demontiert er die gutverdiendende Facharbeiterschicht, in den Schwellenländern erzeugte er eine neue egozentrische Mittelklasse und gleichzeitig noch mehr Armut unter den Abgehängten, überall wuchs die Armutsschere gefühlt wie real ins Unermessliche. Und gleichzeitig spüren wie verdrängen die Menschen, dass wir mit dem Klimawandel vor einem zivilisatorischen Kataklysmus stehen. Da scheinen mir autoritäre Ausgrenzungsbewegungen ohne echtes Ziel psychologisch geradezu folgerichtig. Im übrigen, der Faschismus des 20 Jhds. mag Ziele formuliert haben, de facto geht es ihm aber letzten Endes doch nur um (Selbst)Zerstörung. Ein auch nur halbwegs tragfähiges/stabiles System kann der Faschismus als Kriegs- Hass- und Todeskult nie gebieren.

  • Ein super interessantes Interview und intelligente Menschen im Gespräch. Aber eigentlich ist die Sache gar nicht so schwer zu verstehen: es handelt sich doch aktuell Bonaparteismus wie ein Buche steht. Nach Jahrzehnten wirtschaftlicher Entwicklung und dem Aufstieg Bevölkerungsteile in den Mittelstand kam nun doch das Internet dazu, und Route sogar die niederen Schichten zu informieren. Jeder wollte seinen Anteil. Und was machen die alten Eliten? Sie müssen diese Ansprüche wieder loswerden. Und wie macht man das? In dem man sich einen Volkstribunen holt. Genau wie im 19. Jahrhundert. Und genau wie es auch schon im alten Rom immer wieder versucht wurde. Die Entwicklung ist wahrlich nicht neu. Kaum steigen die kleinen Bürger auf in den Mittelstand, vergessen Sie ihre Herkunft und zählen sich zur Oberschicht. Und dort sind sie sich halt von Menschen vertreten, die ihre Sprache sprechen, aber nicht ihre Sache vertreten. Das glauben die Menschen nur.