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Bundesinnenministerin Faeser zu Rassismus-VorfallOpfer mal wieder alleingelassen

Marie Frank
Kommentar von Marie Frank

Nancy Faeser sieht in der Äußerung eines Berliner Polizisten in einem Skandal-Video keinen Rassismus. Damit befeuert sie einen Korpsgeist, der solche Ausfälle erst ermöglicht.

Bundesministerin des Innern Nancy Faeser (SPD) Foto: M. Popow/imago

Das empfinde ich nicht als Rassismus“, sagt SPD-Bundesinnenministerin Nancy Faeser, als sie nach dem Satz eines Berliner Polizisten gefragt wird, der in einem Skandal-Video eine syrische Frau in ihrer Wohnung anschreit: „Das ist mein Land und du bist hier Gast!“. „Halt die Fresse“ und „Ich bringe dich ins Gefängnis“ brüllt der Beamte Jörg K., der zuvor bereits wegen anderer Verfehlungen strafversetzt wurde, die Frau mit ausgestrecktem Zeigefinger an.

Nun könnten uns die Empfindungen der Innenministerin normalerweise herzlich egal sein, wäre das Signal, das sie mit ihren Gefühlen aussendet – die dem Denken bekanntermaßen oft entgegenstehen –, nicht so fatal. Dass Faeser mit ihren Empfindungen ihren Par­tei­kol­le­g*in­nen in der Berliner Landesregierung in den Rücken fällt – geschenkt.

Das Problem ist auch nicht, dass sie eine eklatante Unkenntnis des Vorfalls beweist, indem sie die rassistische Äußerung damit rechtfertigt, dass Po­li­zis­t*in­nen „schwere Formen der Kriminalität auf der Straße erleben“. Der Vorfall hat sich weder auf der Straße abgespielt, noch handelte es sich um schwere Kriminalität, es sei denn, Schwarzfahren – es ging um eine nicht bezahlte Geldstrafe deswegen – ist neuerdings ein Kapitalverbrechen.

Viel schwerer wiegt, dass die Innenministerin mit ihrer Äußerung Rassismus in der Polizei legitimiert. Statt ­lückenloser Aufklärung jeglichen diskriminierenden Verhaltens durch Beamte betreibt sie Täter- statt Opferschutz und befeuert dadurch genau jenen Korpsgeist bei der Polizei, der ein solches Fehlverhalten überhaupt ermöglicht. Die Opfer stehen wieder einmal allein da und werden nicht nur mit einer Anzeige durch die Polizei eingeschüchtert, sondern müssen sich auch noch von Weißen belehren lassen, was als Rassismus gilt und was nicht.

Ob beim Festhalten an der verfassungswidrigen Vorratsdatenspeicherung oder beim Herunterspielen von strukturellem Rassismus: Auch die sozialdemokratische Innenministerin steht fest hinter dem in großen Teilen reaktionären Sicherheitsapparat und erteilt jeder Hoffnung auf progressive Veränderungen eine Absage. Da wünscht man sich fast schon ihren Amtsvorgänger Horst Seehofer zurück: Der war wenigstens offen rassistisch.

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Marie Frank
Leiterin taz.berlin
Leiterin taz Berlin und Redakteurin für soziale Bewegungen, Migration und soziale Gerechtigkeit. Hat politische Theorie studiert, ist aber mehr an der Praxis interessiert.
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25 Kommentare

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  • Schade, ich dachte, dass Nancy Faeser anders tickt.

    Immerhin hatte sie 2021 einen Text im "Antifa" geschrieben:

    antifa.vvn-bda.de/...u-2-0-aufgeklaert/

    Aber letztendlich sind Innenminister eben harte Hunde.

    • @Jim Hawkins:

      Die ist kein "harter Hund", sie hat sich einfach von ihren Juristen beraten lassen.

      Sie ist vorbereitet, wenn man ihn nicht aus der Polizei rausbekommt.

      Gegenüber Akmann ist sie klüger.

      Was er gesagt hat, erfüllt kaum einen Straftatbestand.

      "Halt die Fresse!" ist eine Billigbeleidigung.

      Der Recht ist strafrechtlich eher gar nichts.

      Ich bin gespannt, ob ein Richter beim Rausschmiss mitgeht.

      Solange man nicht in der Regierungsverantwortung ist, kann man Sprüche klopfen.

      Ist man erst mal Innensenatorin, sieht es anders aus.

      Die Linke und die Grünen wussten, warum sie das Innenressort nicht haben wollten.

      • @rero:

        Stat "Recht" mmüsste es "Rest" heißen.

  • "Opfer mal wieder alleingelassen"

    Interessant und was nicht in der taz zu lesen ist, ist diese Info aus dem Tagesspiegel zu den "Opfern":

    "Anlass für den Einsatz war neben dem vollstreckbaren Haftbefehl gegen den Mann eine sogenannte Gefährderansprache bei seiner 28-jährigen Frau. Dabei geht es um ein anderes Ermittlungsverfahren. Nach Tagesspiegel-Informationen wird ihr vorgeworfen, dass sie eine andere Frau mit freizügigen Fotos kompromittiert haben soll. Es geht um Nötigung, Beleidigung und anderes. Bei der Pressekonferenz äußerte sich die Frau trotz Nachfrage nicht zu den Gründen für die Gefährderansprache. (mit dpa)" ( www.tagesspiegel.d...isten-8653882.html )

    Mit Medien scheint sich die Frau auszukennen.

  • Frau Faeser gehört abgelöst. Und die Polizei in Berlin hat offensichtlich Probleme. Auch aktuell:

    "Obdachloser wird nach Polizeieinsatz in Berlin auf Intensivstation behandelt"

    www.tagesspiegel.d...ndelt-8675407.html

    Aber das mit der Polizeigewalt kennt man ja nicht nur aus Berlin. Man denke an den suizidgefährdeten minderjährigen Flüchtling, der in Dortmund mit einer Maschinenpistole erschossen wurde.

    Oder der aktuell Skandal in Mannheim:

    ""Der Mann sei nicht bei, sondern durch einen Polizeieinsatz ums Leben gekommen"

    www.sueddeutsche.d...1-220921-99-847339

  • Hmmmm.



    Die notorische Rechtsblindheit unserer Innenminister provoziert allmählich die Spekulationssynapsen.



    Die gegen links gedrehten Scheuklappen unseres Heimathorsts ließen sich ja durch Sozialisations- und Abstumpungseffekte einer CSU Karriere erklären, auch Sherriff Schily schien durch zu engen RAF-Idiotenkontakte eine Linksallergie entwickelt zu haben.



    Das nach all den Skandalen und Enthüllungen Nancy einen auf Reagan macht, läßt als einerseits mit Morbus Noske erklären - der kleinbürgerlichen Erbphobie von SPDlern in den Augen der Gutbürgerlichen nicht Ordnungsliebend genug zu sein.



    Andererseits könnte auch unterstellt werden, dass jeder Innenminister derart Einblick in die gesellschaftspolitische Realität unserer Ordnungskräfte bekommt, dass er aus Angst vor dem Korps mit Duckmäusertum und Verharmlosung reagiert. Horst zeigte ja mit seiner Mobbingattacke gegen die Hamburger Bamf-Cheffin, dass er ja sonst keine Skrupel hat gegen scheinbar unbotmäßige Subalterne brutalst möglich vorzugehen.

  • Danke @Piratenpunk, so finde ich es gut beschrieben.

  • Der Vergleich mit Herrn Seehofer, am Ende des Artikels, hinkt.



    Er wusste genau wie der Stammtisch funktioniert und bediente diesen, und somit seine Wählerschaft, virtuos.



    Frau Faeser erweckt hingegen eher den Eindruck völliger Inkompetenz.



    Darum könnte man auf den Gedanken kommen, dass sie diesen Weg beschreitet um sich bei ihren Untergebenen einzuschleimen.



    Die Parteilinie wird bedenkenlos geopfert.

  • Schade. Ich war so froh, dass Faser unsere Innenministerin war. Hatte mir eine andere Haltung gewünscht.

  • Ja, Frau Faeser: gerade weil Polizist*innen "schwere Formen der Kriminalität auf der Straße erleben", täglich. Gerade, weil sie einen harten Job haben.

    Gerade deshalb sollten sie [1] nicht damit alleingelassen werden. Gerade deshalb sollen sie nicht in Konflikte kommen zwischen ihrer inneren Überzeugung und blindem Korpsgeist einen offen rassistischen Kollegen, wie hier. Gerade deshalb brauchen sie Unterstützung.

    Und diese versagen Sie ihnen.

    Feige.

    [1] Die Mehrheit der Polizist*innen sind nicht rassistisch, vermutlich. Lassen wir sie nicht mit der Minderheit allein.

  • Leider, leider, leider steht der Korpsgeist der Verwaltung (Vorgabe) stets über der Affinität der behördlichen Mitarbeiter (Ausführung). Von einem schonenden Umgang mit der Materie "Staat" ist nicht auszugehen.



    Der "lückenlosen Aufklärung jeglichen diskriminierenden Verhaltens durch Beamte" steht übrigends ein Massenansturm nicht konformer Intruder gegenüber. Deshalb ist der Ausfall einer einzelnen Personalie eher mahnendes Beispiel, nicht gleich ein Verbrechen.

  • Liebe Frau Faeser,

    im Namen aller die von Diskriminierung, Polizeigewalt, Ausgrenzung und Rassismus Opfer wurden:



    „Denken Sie bitte über ihre Aussage ernsthaft nach, entschuldigen sich und treten bitte zurück!



    Anders sehe ich für die Polizisten, die sich genau gegen solch unmenschlichen Strukturen in der Exekutive einsetzen, für den Verrat ihrerseits keine Genugtuung.

    P.S.: Falls jemand Fancy-Nancy kennt: Bitte an sie weiterleiten.



    Dank im Voraus!

  • Ich bin immer wieder einer Meinung mit Nancy.



    Diesmal aber nicht.



    Die Situation ist Ausdruck einer Gesellschaft die kaum angefangen hat, drüber zu reflektieren wie Zusammenleben und Alltag ohne Rassismus sein könnte.



    Ich denke Nancy wird ihre Einschätzung bald revidieren.

    • @Nilsson Samuelsson:

      mir geht es genau so und hoffe das auch.

      • @CallmeIshmael:

        Klar - auch für blinde Hesse gilt:



        “Die Hoffnung stirbt zuletzt! Gelle.“

        kurz&knapp - “Hofffen&Harren.



        Machen manchen zum Narren!“



        Volkers 👄 oder “Kall! Mei Drobbe!“ •

  • „Das empfinde ich nicht als Rassismus“, sagt eine weiße. Ist angesichts der Geschehnisse nicht "schön", wenn das irgendjemand sagt. Wenn das alledings die Bundesinnenministerin sagt, hat das ein anderes Kaliber. Vielleicht vor öffentlichen Äußerungen erstmal von Rassimus Betroffene bzw. entsprechende Verbände hören, was diese zum Handeln der Polizei im besagten Fall zu sagen haben ... Abseits vom Bundesinnenministerium sollen sogar viele Polizist*innen aufgrund des Verhaltens von Jörg. K. beschämt sein. Inwieweit das tatsächlich so ist, sei mal dahingestellt. Zumindest scheint mensch im Berliner Polizeipräsidium die Situation anders zu bewerten bzw. mit ihr umgehen zu wollen.

  • Zutreffender Kommentar zum Tatbestand: Innenministerin als reaktionäre Brandbeschleunigerin.

  • Ich bin nicht oft einer Meinung mit Frau Faser, aber auch ich kann da keinen Rassismus entdecken.

    • @Dirk Osygus:

      Ich bin zwar hier nicht Ihrer Meinung, finde aber den Ton Ihnen gegenüber hier bei den Kommentatoren auch nicht angemessen.

    • @Dirk Osygus:

      Das ist tatsächlich einigermaßen einfach. "Das ist mein Land und du bist hier Gast!" lässt drei Interpretationen zu:



      - völkisches Gedankengut beim Polizisten



      - Denken in Etabliertenvorrechten



      - eine Kombination aus beidem

      Beide Formen des Denkens sind Ausdrücke gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, reduzieren Menschen auf ihre Herkunft, konstruieren Eigen- und Fremdgruppen (die eine wird überhöht, die andere abgewertet) und damit ist die ganze Angelegenheit dann doch ziemlich rassistisch.

      • @Piratenpunk:

        Falsch.

        Der Polizist hat ja nicht mal gesagt, dass er dagegen ist, dass die Syrerin hier ist.

        Von einer Pberhöhung der eigenen Gruppe hat er schon gar nicht gesprochen.

        Sie lesen was rein, was er nicht gesagt hat.

        Deshalb kommen Sie zu diesen falschen Schlüssen.

    • @Dirk Osygus:

      Ja schade, aber welcher Hahn kräht nach Ihrer Meinung? Ich kann in ihrem Kommentar keine ausreichende Kenntnis über Rassismus und Opferschutz erkennen. Interessiert Sie nicht? Gut so. Sie behalten Ihre traurige Ansicht für sich, dann muss ich meine Ansicht über Ihr fragwürdiges Verhalten und den Rückschluss auf Empathie und Sozialkompetenz auch nicht rauspulvern. Win-Win. [...]

      Dieser Kommentar wurde gekürzt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette. Die Moderation

    • @Dirk Osygus:

      Wie die feine Dame oder Sie - diesen unfaßbaren Vorgang zu nennen belieben! Woll.



      Is doch völlig Jacke. So einen Otto Schily light Verschnitt - braucht mit Verlaub kein Mensch & als Ministerin untragbar •

    • @Dirk Osygus:

      Was ist denn Ihrer Meinung nach?



      Korrektes Verhalten eines Polizisten?



      Normaler Umgangston?



      Oder was sonst?

  • Im Umkehrschuss bedeutet die Äusserung wohl, dass es sich um normales Polizeigebahren handelt.



    Ok. Das ist ja auch eine Aussage.