piwik no script img

Arbeitsminister Heil zum Bürgergeld„Wege aus dem System eröffnen“

Ab 2023 kommt das neue Bürgergeld. Arbeitsminister Hubertus Heil erklärt, warum das Modell für ihn eine Abkehr von Hartz IV bedeutet.

Landet mit dem Bürgergeld wieder mehr im Einkaufswagen?
Stefan Reinecke
Interview von Stefan Reinecke

taz: Herr Heil, das Bürgergeld soll ab Januar 2023 bei 500 Euro liegen – 50 Euro höher als jetzt. Wie hoch genau?

Hubertus Heil: Das werden wir in den nächsten Tagen klären. Aber es wird diese Dimension haben. Damit wird es der größte Sprung sein, seitdem es die Grundsicherung gibt.

Hannibal Hanschke/reuters
Im Interview: Hubertus Heil

(SPD), 49, stammt aus dem niedersächsischen Hildesheim. Er ist seit 2018 Bundesminister für Arbeit und Soziales. Seit 1988 ist Heil Mitglied der SPD, 1998 wurde er erstmals in den Bundestag gewählt.

50 Euro gleicht nur die Inflation aus. Wenn Bürgergeld mehr als ein schöner Name sein soll – muss es dann nicht höher liegen?

Wir verändern den Anpassungsmechanismus dauerhaft. Das Bürgergeld wird der Inflation nicht mehr hinterherhinken, sondern vorab angepasst. Ab 2023 werden die Regelsätze damit die aktuellen Preissteigerungen abbilden. Und wir machen mit dem Bürgergeld eine umfassende Sozialreform. Wir nehmen den Menschen die Angst vor dem Verlust des Wohnraums, indem wir bei der Nutzung des Wohneigentums großzügiger werden. Zudem wird, wer Bürgergeld bekommt, mehr von seinem Ersparten behalten können. Damit ­respektieren wir die Lebensleistung.

Die Sozialverbände kritisieren trotzdem, dass 500 Euro zu wenig sind. Und Sie sagen, das reicht?

Der Regelsatz im Bürgergeld deckt mit etwa 500 Euro das Existenzminimum ab. Hinzu kommen Wohn- und Heizkosten. Aber das Bürgergeld ist zusätzlich besser und großzügiger als das alte Hartz-IV-System. Wir schaffen starke finanzielle Anreize für Weiterbildung und das Nachholen eines Berufsabschlusses. Es gibt Weiterbildungsprämien bis zu 150 Euro pro Monat. Dieser Anreiz ist wichtig, weil zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen keine abgeschlossene Berufsausbildung haben und nur durch Qualifizierung der Weg aus der Bedürftigkeit in Arbeit eröffnet werden kann.

Wir zahlen außerdem seit dem Sommer einen Kindersofortzuschlag von 20 Euro pro Kind, um bedürftige Familien zu entlasten, und wir haben Einmalzahlungen durchgesetzt. Hinzu wird die Kindergrundsicherung kommen. Aber die Qualität des Sozialstaats bemisst sich nicht allein an der Höhe des sozialen Transfers. Der Sozialstaat muss, wo immer es geht, ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Mein Ziel ist es nicht, Bedürftigkeit zu verwalten, sondern wo immer es geht Wege aus dem System zu eröffnen.

Die Sozialverbände fordern, die Bemessungsgrundlage des Regelsatzes zu erweitern…

Es ist kein Geheimnis, dass ich mir das hätte vorstellen können. Aber wichtig bleibt, das wir einen Weg für eine deutliche Regelsatzerhöhung gefunden haben. Das hilft Menschen konkret.

Warum werden die Stromkosten, wie jetzt schon die Heizkosten, nicht automatisch übernommen?

Bei den Stromkosten hätte das bedeutet, diese Summe künftig vom Regelsatz abzuziehen. Der wäre somit gekürzt worden. Das fand ich keine gute Idee. Durch den neuen Anpassungsmechanismus werden aber auch steigende Strompreise berücksichtigt.

Viele Frauen beziehen Grundsicherung. Warum heißt das Bürgergeld nicht Bür­ger:innen­geld?

Man kann es auch Bür­ge­r:in­nen­geld nennen. Das ist nicht entscheidend.

Auch wenn es nicht entscheidend ist, könnten Sie es doch offiziell so nennen, oder?

Meine Priorität ist, dass wir Hartz IV überwinden und zum 1. Januar 2023 für eine grundlegende Veränderung sorgen. Der Sozialstaat wird damit für alle Bürgerinnen und Bürger fairer und unbürokratischer. Ich hätte auch nichts gegen eine geschlechtergerechtere Sprache in Gesetzen. Juristinnen und Juristen weisen aber darauf hin, dass wir derzeit an das sogenannte Handbuch der Rechtsförmlichkeit für die Benennung von Gesetzen gebunden sind. Konkret beim Bürgergeld heißt das: Sparschreibungen wie großes I oder Genderstern entsprechen derzeit nicht den Anforderungen an die Rechtsförmlichkeit. Das kann man doof finden und vielleicht auch eines Tages ändern.

CSU-Mann Markus Söder kritisiert, dass wer nicht arbeiten wolle, gar „nicht mehr gefragt werde, ob er arbeiten kann“. Was antworten Sie Herrn Söder?

Das ist falsch. Ich glaube auch, dass er den Gesetzentwurf gar nicht kennt und auch wenig Ahnung von der Lebensrealität von Menschen in der Grundsicherung hat. Das ist der Versuch, mit dumpfen Gefühlen Bedürftige gegen Geringverdiener auszuspielen und an niedere Instinkte zu appellieren. Gerade in Zeiten von Putins Angriffskrieg müssen wir unsere Gesellschaft insgesamt zusammenhalten und nicht mit solchen Sprüchen spalten.

Dieses Jahr werden Arbeitskräfte gesucht, es gibt genug Jobs. Nimmt damit der Druck auf Bürgergeldempfänger zu – siehe Söder?

Das Bürgergeld eröffnet vor allen Dingen neue Chancen, um Langzeitarbeitslose dauerhaft in Arbeit zu bringen. Das Hartz-IV-System führt dazu, Menschen ohne Berufsabschluss in Hilfsjobs zu bringen, und das Jobcenter sieht viele davon nach kurzer Zeit wieder. Mit dem Bürgergeld entfällt diese Regelung, sodass Menschen die Möglichkeit haben, durch Qualifizierung dauerhaft aus der Bedürftigkeit zu kommen. Das leistet auch einen Beitrag gegen den Fachkräftemangel.

Das Entlastungspaket enthält sehr viele Einzelmaßnahmen. Wieso keine große Maßnahme – etwa 100 Euro im Monat für alle, bis zu einer bestimmten Einkommensgrenze?

Wir helfen Bedürftigen und entlasten gezielt auch die Beschäftigten mit normalen und kleinen Einkommen. Das reformierte Wohngeld wird zwei Millionen Menschen helfen, dreimal so vielen wir bisher. Der Mindestlohn von 12 Euro, der am 1. Oktober kommt, ist eine Lohnerhöhung von 22 Prozent…

…die zum Teil von der Inflation aufgefressen wird. Und die Inflation trifft Niedrigverdiener viel härter als Besserverdiener.

Deshalb entlasten wir zusätzlich zum Mindestlohn von 12 Euro alle, die weniger als 2.000 Euro verdienen bei Sozialversicherungsbeiträgen, ohne dass sie sozialen Schutz verlieren. Wir erhöhen das Kindergeld und den Kinderzuschlag und zahlen eine Energiepauschale von 300 Euro nicht nur an Arbeitnehmer und Selbständige, sondern auch an Rentner, Fachschüler und Studierende. Und wir schaffen die Möglichkeit für steuer- und sozialversicherungsfreie Einmalzahlungen von bis zu 3.000 Euro von Unternehmen an Beschäftigte.

Eine vierköpfige Familie zahlt, Hilfen der Regierung eingerechnet, im Schnitt fast 300 Euro mehr für Gas im Monat. Warum keine Entlastung beim Gaspreis?

Angesichts der Tatsache, dass Putin Gaslieferungen als Waffe einsetzt, hat die Bundesregierung erhebliche Anstrengungen unternommen, um die Gasversorgung in diesem Winter für Verbraucher und Wirtschaft zu sichern. Ohne, dass es zu Rationierungen kommt. Die Entlastungen helfen, gestiegene Kosten abzufedern, gleichzeitig wird an Maßnahmen gearbeitet, auch den Gaspreis zu senken und durch eine neue Marktordnung den Anstieg der Stromkosten zu bremsen.

Eine Rezession steht bevor. Um die zu mildern, braucht es kräftige, klare, kurzfristige Maßnahmen. Jetzt müssen die Leute erst mal Tabellen studieren, um zu verstehen, was sich ändert.

Das Signal ist klar: Wir bringen unser Land wirtschaftlich und sozial durch schwierige Zeiten. Neben den Entlastungspaketen von insgesamt fast 100 Milliarden Euro ergreifen wir auch wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen. Robert Habeck hat einen Schutzschirm für mittelständische Unternehmen angekündigt. Und ich sorge dafür, dass sich Beschäftigte und Unternehmen in diesen unsicheren Zeiten weiter auf das bewährte System der Kurzarbeit verlassen können.

Rentner bekommen einmalig 300 Euro. Warum nicht nur Ärmere, die es brauchen?

Das administrativ auszudifferenzieren, hätte gedauert. Wir wollten aber schnell helfen. Und es gibt ja eine Verteilungskomponente. Wohlhabendere müssen auf diese 300 Euro Steuern zahlen. Ärmere nicht.

Wie tief ist diese Krise?

Ich habe einige Krisen in meinem politischen Leben erlebt. Diese Krise ist größer und länger. Die gesellschaftliche Gesamtstimmung ist angespannt, viele Menschen haben existenzielle Sorgen. Das sind verdammt harte Zeiten.

Sie wollen ein neues Einwanderungsgesetz mit einer Chancenkarte für Arbeitsmigration schaffen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Ein Handwerker aus dem Libanon lebt in Deutschland und will seinen Cousin aus Beirut holen. Der kann kein Deutsch, arbeitet als Tischler und hat eine im Libanon anerkannte Ausbildung. Kann der künftig kommen?

Wir haben vier Kriterien entwickelt, von denen drei erfüllt sein müssen. Er muss eine im Ausland anerkannte Ausbildung haben, Berufserfahrung, deutsch können und jünger als 35 Jahr sein. Wenn dieser Cousin drei davon erfüllt, kann er in Deutschland arbeiten. Aber der alleinige Fokus auf Einwanderung ist falsch.

Warum?

Weil wir Fachkräftesicherung auch im Inland brauchen. Die Erwerbsbeteiligung von Frauen muss höher werden. Wir ergreifen zusätzliche Maßnahmen bei Aus- und Weiterbildung. Wenn wir all diese Register im Inland gezogen haben, brauchen wir trotzdem ergänzend qualifizierte Zuwanderung.

Inland first, Migration second?

Nein, wir brauchen beides gleichzeitig. Wir werden eines der modernsten Einwanderungsgesetze der Welt schaffen, unbürokratisch und mit schneller Berufsanerkennung. Aber auch das wird nur funktionieren, wenn zügig genug Visa erteilt werden. Wir brauchen eine andere Haltung zur Einwanderung. Wir müssen sie wollen, nicht nur hinnehmen. Ich bestehe bei Arbeitsmigration allerdings auf einer Bedingung: Zuwanderung darf nicht zu Lohndrückerei führen. Das würde die Akzeptanz zerstören für die notwendige qualifizierte Zuwanderung in Deutschland. Und das werden wir nicht zulassen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

31 Kommentare

 / 
  • ...werden denn nun auch endlich die Eingliederungshilfen für Arbeitgeber, bei Beschäftigung von Arbeitslosen angehoben ?

  • Vor ca. 5 Jahren habe ich erst- und einmalig ein Umzugsunternehmen engagiert. Die drei Möbelpacker gehörten sicher nicht zu den Hochverdienern, für diesen Job muss man kräftig, Gesund und etwas handwerklich geschickt sein, aber ein Ausbildung braucht man wohl eher nicht. Die 3 hatten an dem Tag ein Thema: ein 4. Kollege, offensichtlich jemand der nur einen Mini-Job hatte, war nicht gekommen. Die 3 schimpften dann auch lautstark über die Hartz-IVer, die mit ein paar Stunden Zuverdienst mehr auf die Hand hätten, als sie selbst mit ihrer täglichen Arbeit. Ich kann nicht sagen, ob die Rechnung, die die 3 aufmachten, richtig war, aber es war auf jeden Fall des Volkes Stimme. Diese Bedingungslosigkeit des Bürgergeldes ist m.E. ein "Schlag ins Gesicht" der mindestlohnbezahlten arbeitenden Schicht, die sich natürlich fragt, warum sie denn morgens früh aufstehen soll, um die einfachen aber harten Jobs in diesem Land zu machen.

    • @Taztui:

      Wie sehr Sie die Hartz IV Empfänger in Ihr Herz geschlossen haben, ist hinreichend bekannt. Und auch diese Geschichte, die Sie hier erzählen, zeigt wieder einmal, wie leicht es doch seit der Arbeitsmarktreform in diesem Land geworden ist, der einfachen Bevölkerung ein "Hartz-IV-Märchen" zu erzählen, damit sie nicht über die wirklichen Verursacher der sozialen Ungerechtigkeiten nachdenken. Der Lohnempfänger wird seit Jahren gegen den Niedriglohnempfänger aufgehetzt und der Niedriglohnempfänger gegen den Hartz IV Empfänger. Derweil bereichern sich die Mächtigen weiterhin am 'naiven Bürgerlein', denn der darf mit seinen Steuergeldern die nicht existenzsichernden Löhne aufstocken. Wir haben seit Jahren ca. 10 Millionen Niedriglohnempfänger in Deutschland, die nicht von ihrem "Lohn" leben können. Viele Milliarden Euro werden deshalb jährlich aus Steuermitteln aufgewendet, um nicht existenzsichernde Arbeit aufzustocken. Die Gesellschaft subventioniert also schon seit vielen Jahren Arbeitgeber, die ihren Angestellten nur Niedriglöhne zahlen. Dass in Deutschland 'jährlich' auch noch Steuern im Umfang von 125 Milliarden Euro von Wirtschaftskriminellen hinterzogen werden, wie aus einer Untersuchung der University of London im Auftrag der sozialdemokratischen S&D-Fraktion im EU-Parlament hervorgeht, davon möchte der naive Bürger natürlich auch nichts wissen.

      Jahrelang wurden von bestimmten Medien die "arbeitsamen" Bürger gegen die Hartz IV Empfänger aufgehetzt, und jetzt hat man es wohl endlich geschafft; denn alle prügeln auf die Hartz IV Empfänger ein - während die Reichen sich gerade die neueste klimaschädliche Luxuslimousine bestellen und über den niedrigen Spitzensteuersatz für Reiche lachen, den sie der "sozialen Arbeiterpartei" SPD verdanken, die sich immer noch nicht dafür schämt, aus Deutschland ein Niedriglohnland mit "Hartz-IV-Leibeigenen" gemacht zu haben.

  • Immerhin hat ja Herr Heil festgestellt, die SPD hat mit Umstellung des Sozialstaates unter Kanzler Schröder mit großer Unterstützung der CDU, Millionen Menschen " den Weg versperrt "... dann macht den Weg auch mal wieder frei...Arbeitsschuz, gerechte höhere Löhne ordentliche Altersversorgung , gute qualitative Schulbildung - Politik für die Wähler also und nicht nur immer Angst vor Industrie und Wirtschaft zeigen....

  • Leider gibt es immer noch zuviele Herdprämien die verhindern das Frauen berufsttätig sind.



    Neben dem Ehegattensplitting ist dies vor allem die beitragsfreie Mitversicherung von nicht berufstätigen Frauen und von Kindern in der gesetzlichen Krankenkasse.



    Warum nicht von den Ehepartnern und den Kindern die Beitragssätze erheben die z.B. schon jetzt bei freiwillig versicherten verwendet werden?

  • taz: "Ab 2023 kommt das neue Bürgergeld. Arbeitsminister Hubertus Heil erklärt, warum das Modell für ihn eine Abkehr von Hartz IV bedeutet."

    Das ist keine Abkehr von Hartz IV. Das 'Sanktionssystem' bekommt ab 2023 nur einen neuen Namen.

    Hubertus Heil (SPD): "Der Regelsatz im Bürgergeld deckt mit etwa 500 Euro das Existenzminimum ab."

    Nein der 500-€-Regelsatz "deckt" nichts ab, weil der Regelsatz mit dem "spitzen Bleistift "wieder so berechnet wurde, dass man den Freibetrag für die Einkommenssteuerzahler nicht sonderlich erhöhen muss, denn so spart man auch an den Einkommenssteuerzahlern viele Milliarden Euro. Prof. Dr. Sell (Professor für Volkswirtschaftslehre) sagt schon vor Jahren: "Das scheint der zentrale Grund zu sein, warum die Politik eine Anhebung der Hartz IV Sätze scheut wie der Teufel das Weihwasser".

    Heil (SPD): "Der Sozialstaat muss, wo immer es geht, ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Mein Ziel ist es nicht, Bedürftigkeit zu verwalten, sondern wo immer es geht Wege aus dem System zu eröffnen."

    Da muss sich der Arbeitsminister ja keine Sorgen machen, denn für seine "Bedürftigkeit" zahlt der Steuerzahler ihm jeden Monat ein Gehalt von 15.000 Euro. Hat Herr Heil sich schon einmal mit der Realität auf dem Arbeitsmarkt auseinandergesetzt? Es gibt kaum noch vernünftige Jobs von denen die Bürger existieren können, auch weil Gerhard Schröder (SPD) den Arbeitsmarkt "liberalisiert" hat. "Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt", sagte Schröder 2005 vor dem Weltwirtschaftsforum.

    Weiß übrigens jemand warum Jobcenter "Jobcenter" heißen? - Weil BA- und JC-Angestellte einen Job haben. Diese "Behörde", die mit einem unglaublichen Bürokratismus und ca. 100.000 Mitarbeitern einen egozentrischen Aufwand betreibt, der in gar keinem Verhältnis zu den Vermittlungserfolgen steht, kostet dem Bürger jährlich ein paar Milliarden Euro an Steuergeldern. Geld was man besser in neue Schulen oder in Klimaschutz stecken sollte.

  • Also kurz zusammen gefasst: es gibt etwas mehr Geld aber der entwürdigende "Geist von H4" bleibt im Wesentlichen erhalten..

    ... das einzige was die "eiternde Wunde H4" wirklich heilen könnte, wäre ein ein neuer "Spirit", der die Menschen konsequent als mündige, eigenständige und selbstverantwortliche Bürger behandelt. Das geht aber nur in Form eines Bedingungslosen Grundeinkommens...

  • Da hat der Herr Heil aber in Mathe nicht so richtig aufgepasst... Der Grundbetrag von H4 ist Anfang des Jahres um 3.00 EUR (in Worten: Drei!) erhöht worden, das waren um den Daumen gepeilt 07% - die Inflation war zu diesem Zeitpunkt aber schon bei durchschnittlich 5.00 % angelangt und ist seitdem stetig gestiegen, und zwar nicht gleichmäßig sondern vor allem auch bei Lebensmitteln. Das stimmt also schon jetzt hinten und vorne nicht mehr. Wenn Herr Heil jetzt sagt, dass der Grundsatz um ca. 50.00 EUR steigen soll und dass das der größte Zuschlag jemals wäre, hat er formal gesehen recht, praktisch gesehen werden die zusätzlichen 50.00 EUR vom steigenden Abschlag auf Strom aufgefressen - und mit Inflationsausgleich ist mal wieder ... NIX!



    Oder anders ausgedrückt: Wenn Herr Heil jetzt behauptet, dass es in Zukunft keine Verzögerung mehr beim Inflationsausgleich geben wird, verschweigt er, dass schon wieder von einem zu niedrigem Grundwert ausgegangen wird.



    Im Übrigen war auch mal die Rede davon, die Zuverdienstmöglichkeiten zu erweitern. Lese ich jetzt nix mehr von...



    Statt dessen schlägt man sich auf die Schulter, weil keine Kürzungen mehr vorgenommen werden dürfen bei Nichterscheinen zu Terminen oder wenn ein Job abgelehnt wird, was die Opposition prompt zur Hochform auflaufen lässt und viel böses Blut macht. Was dabei niemand erwähnt: Das betrifft mal gerade 2% aller Bezieher von Grundsicherung. Es wird also ein Riesenbohei um 2% der Betroffenen gemacht - anstatt sich mal um die Belange der restlichen 98% angemessen zu kümmern.

    • @Puck:

      "Im Übrigen war auch mal die Rede davon, die Zuverdienstmöglichkeiten zu erweitern. Lese ich jetzt nix mehr von..."

      Vorweg: Finde ich auch ganz richtig und notwendig, hier auf die "Relation" hinzuweisen, die zwischen der Erhöhung des Regelsatzes der Grundsicherung und der Entwicklung der Inflation hinzuweisen. Man wird sehen, ob die von Hubertus Heil geplante Veränderung der Berechnungsgrundlage des Regelsatzes da entlastende Auswirkung haben wird. Vorgehensweise dabei: Nicht mehr zwanzig sondern dreißig Prozent der niedrigstens Einkommen in der Gesellschaft bei der Berechnung des Regelsatzes zu Grunde zu legen.

      Die Erhöhung der Hinzuverdienstmöglichkeiten zur Grundsicherung wird kommen. Hier nicht erwähnt aber im Gesetzesentwurf vorgesehen, soweit mir bekannt.

      Persönlich begrüße ich das. Aber da ist schon auch ein kritischer Blick darauf angebracht. Die Initiative dafür kam von der FDP. Denn diese "Grenzanhebung" ermöglicht es eben auch, "prekäre" Geschäftsmodelle für "Kleinunternehmen" (Kioske vielleicht u. ä.) leichter fortzusetzen. An sich "nicht schlecht". Doch die sogenannte Zone der Prekarität in der Gesellschaft kann dadurch gestärkt/stabilisiert werden. Sie beruht für die Beschäftigten auf unsicheren Beschäftigungsverhältnissen mit nicht existenzsichernden Einkommen, welche der Ergänzung durch die Grundsicerung bedürfen, bzw. auf sie geradezu bauen, als zweites Standbein, das unverzichtbar ist.

      Prekäre Beschäftigung dieser Art bleibt wie gesagt unsicher (Kündigung). Sie bedeutet auch ein Leben "zwischen Baum und Borke". Allerdings bieten sich hier Möglichkeiten für mehr sozioökonomische Stabilität in legalem Rahmen. Armut zwingt eben auch manchmal zu "Schwarzarbeit", zu Arbeit im Graubereich legal/illegal. Gefördert durchaus auch durch zwielichtige Arbeitgeber. Das sollte nicht sein. Deshalb auch meine Befürwortung.

  • Das Bürgergeld sollte nicht Bürger:innengeld sondern Bedürftigengeld heißen. Die meisten Bürger haben davon nämlich nix. Die dürfen sich ihr Geld selbst erarbeiten und dann bei den Energieversorgern abgeben. Dass die Prüfung der Bedürftigkeit abgeschafft wird, ist kurzfristig für die Bezieher toll, aber langfristig der soziale Sprengsatz in diesem Gesetz. So bereitet man einem deutschen Donald Trump das Bett. Die arbeitende Mittelschicht wird das nicht mehr mitmachen, sobald das eigene Geld nicht mehr für den kleinen Wohlstand reicht.

    • @Taztui:

      Klar, wir können es statt "Bürger*innengeld auch "Armenspeisung" oder "Christliches Almosen" nennen, das klingt vielleicht noch ein kleines bisschen demütigender.



      Oder, da es ja für Leute ist, die "sich ihr Geld nicht selbst erarbeiten" vielleicht auch "Asozialen-Alimentierung". Würde Ihnen das besser gefallen?



      Vielleicht ist es Ihnen nicht bekannt, aber ein großer Teil der Bezieher von Hartz IV sind nicht "arbeitslos", das Geld reicht nur nicht zum Lebensunterhalt und muss "aufgestockt" werden. Ein sehr großer Teil von Hartz IV Beziehern sind Alleinerziehende, die in Teilzeit arbeiten - oder erst gar keinen Job bekommen, weil Menschen mit Kindern - besonders Frauen! - nicht besonders beliebt sind bei Arbeitgebern. Sie könnten Freitage beanspruchen, weil das Kind krank ist...



      Die Prüfung der Bedürftigkeit ist übrigens keinesfalls abgeschafft, man darf lediglich mehr von dem im Arbeitsleben angesparten Geld behalten, dass versteuert wurde und das man auch für, sagen wir mal, All-inclusive-Urlaube in der DomRep hätte ausgeben können. Es wird auch nicht mehr so pingelig darauf geachtet, dass eine (abbezahlte!) Eigentumswohnung nicht die "Bedürftigkeit" ausschließt (für Singles sind das 45 qm) und man die eigene Wohnung, vielleicht angeschafft als Absicherung der Altersversorgung, verkaufen und im wahrsten Sinne des Wortes "aufessen" muss.



      Vielleicht dämpft das Ihren "Gerechtigkeits"furor etwas.

    • @Taztui:

      Ich interpretiere die von Ihnen geschilderten Gedanken doch anders. Ich stimme aber zuerst zu, wenn sie vor einem wachsenden Einfluss von Populisten die nur demokratiefeindliches im Schilde führen in diesem Zusammenhang warnen. Doch wie denen entgegentreten vor dem Hintergrund der von Ihnen angeführten Gedanken? Dazu meine Gedanken:



      Ja, gerade die einkommensschwachen Menschen in Arbeit können sich um ihr Steuergeld „geprellt“ sehen, wenn sie auf die Steuersumme blicken, welche für die auf dem GG beruhenden Grundsicherung aufgewandt werden muss.



      Zuerst: Ja, Steuern entziehen den arbeitenden Bürgerinnen und Bürgern Einkommen, dass ihnen zur Lebensführung/für Konsum selbst nicht mehr zu Verfügung steht. Auch wird es vom Staat nicht in z. B. bürgernahe Infrastruktur investiert (Parks, öfftl. Büchereien). Es kommt aber denen zu Gute, die (zeitweilig) kein Einkommen erzielen können. Die müssen es fast „eins zu eins“ verkonsumieren. Volkswirtschaftlich geht deshalb keine Kaufkraft verloren. Kein Geld wird „verbrannt“. Es bleibt im Wirtschaftskreislauf – wichtig für das Funktionieren der Volkswirtschaft. Und: Auch Grundsicherungsbezieherinnen/-bezieher zahlen die Mehrwertsteuer.



      Die Grundsicherung ist also eine Solidarleistung – ja. Aber sie ist keine Verschwendung.



      In diesem Zusammenhang zeigen für mich die Coronakrise und die durch den Ukrainekrieg verschärfte Energiekrise die eigentliche Crux auf, die hinter der von Ihnen angeführten „Bedürftigkeitsprüfung“ steht. Die einkommensschwachen Schichten der Bevölkerung können solche Krisen nicht durch „Eigenmittel“ aus Arbeit bewältigen. Sie sind auf die Solidarsysteme des Sozialstaates angewiesen, auf die sie wie eben gezeigt, zuvor skeptisch geblickt haben. Für sie werden aktuell neue Hilfsmöglichkeiten entworfen, geplant. Doch stehen ihnen nun auch die bereits vorhandenen offen (egal wie man die beurteilt). Nicht nur das Kurzarbeitergeld hat „in Corona“ vor Arbeitsplatzverlust geschützt.

    • @Taztui:

      Auch dass die Grundsicherung für z. B. die Soloselbstständigen mit erleichternden Bedingungen geöffnet wurde. Dass sie dabei nur einer großzügigen Bedürftigkeitsprüfung unterlagen, war aus meiner Sicht richtig. Denn so konnten sie Erspartes bewahren, welches ihnen die Wideraufnahme ihrer Tätigkeit erleichterte und ihnen zuvor eine finanzielle Überbrückungsmöglichkeit schuf. So skeptisch die Soloselbstständigen nicht ohne Grund auch auf die „verrufene“ Grundsicherung sahen, die sie für andere zuvor vielleicht befürworteten, so deutlich wurde ihre Hilfewirkung nun.



      Die Anhebung der Grenze des sog. Schonvermögens für die Alg. 2-Beziehenden erleichtert deren Lebensführung ähnlich. Die Grundsicherung bleibt nach wie vor knapp. Eigentlich kann man sagen, dass das erhöhte Schonvermögen den Gedanken des bisherigen „Hartz IV“, Eigenverantwortung einzufordern immer noch entspricht. Es geht um den verantwortungsbewussten Einsatz von Eigenmitteln. Doch können die Betroffenen der jetzt besser nachkommen. Und stürzen wenigstens nicht sofort in die völlige Mittellosigkeit, die sie bei Wiederaufnahme von Arbeit dann belastet.



      Das unterstreicht für mich die Bedeutsamkeit eines solidarischen Hilfesystems. Letztendlich zahlt es sich buchstäblich für alle aus.



      Außerdem hat sich in der Coronakrise gezeigt: Der kleine Wohlstand der kleinen Leute ist durch unser Lohnsystem gefährdet. Nicht durch den Abstand zwischen Lohn und Grundsicherung. Man hat es am Pflegepersonal gesehen: Plötzlich wurde klar: Die Arbeit der kleinen Leute ist (ich meine samt und sonders) System relevant – und unterbezahlt.

    • @Taztui:

      " Die meisten Bürger haben davon nämlich nix. Die dürfen sich ihr Geld selbst erarbeiten..". Sind "Bedürftige" keine Bürger? Mal wieder ein bisschen Sozialdarwinismus zu besten geben um sich abzugrenzen? Jeder Bürger der in Schwierigkeiten gerät hat darauf Anspruch ohne Abwertend etikettiert zu werden.

      • @Andreas J:

        Sind "Bedürftige" keine Bürger?



        Ich meine ebenfalls: „Bedürftige“ sind Bürgerinnen und Bürger. Sie stellen genau die richtige Frage – und die ist überhaupt nicht „rhetorisch“ zu verstehen. Es geht nämlich auch um Identität, wenn nun Erwerbslose nicht mehr länger unter ein irgendwie nummerierend wirkendes Label subsummiert werden – sondern auffällig wie aus dem Nichts heraus plötzlich von einem Gesetzestext als Bürgerinnen und Bürger benannt werden sollen. Waren die also unter dem „Nummerierungslabel“ keine Bürgerinnen und Bürger? Eben. Jedenfalls waren sie Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse, die via Aktivierung erst wieder in den Stand der Arbeitenden und somit des ganzen, das meint des vollwertigen Bürgers zu versetzt werden mussten. Eben. Wer sich da verstockt zeigte, bekam das via

      • @Andreas J:

        Sanktion zu spüren, dass ihm die „bürgerlichen Rechte“ nicht so ohne weiteres zustanden, die für „die anderen“ galten. Selbst wenn die am Hungertuch des Niedriglohns nagen mussten.



        Wird das jetzt anders, vielleicht sogar besser? Ich gebe da die Hoffnung nicht auf, dass es jetzt etwas anders und etwas besser werden könnte. Ich begründe das damit, dass das Bürgergeld „emanzipatorische Ansätze“ enthält, weil es in die den Erwerbslosen per Gesetz strukturell zugewiesene Rolle Möglichkeiten der Emanzipation hinein nimmt, die es dem Individuum erleichtern, diese Rolle nicht als gänzlich fremdbestimmte mehr wahrzunehmen, weil es ihm mehr der individuellen Identität entsprechende Handlungsmöglichkeiten zugesteht. Ihnen mehr individuelle Identität zu wahren ermöglicht, weil ihnen endlich wieder mehr „bürgerliche Identität“ zugestanden wird. Die Identität der Bürgerinn und des Bürgers. Die nicht erst dann wieder erlangt wird, wenn der einzelne Arbeitslose wieder in Arbeit ist. Eine bürgerliche Identität, die er auch als nicht lohnarbeitender Mensch nicht verloren hat.

        • @Moon:

          Die Vertragsfreiheit z. B., wesentliches Recht des „bürgerlichen Individuums“ (das findet sich zuerst im Bürgerlichen Gesetzbuch, nicht erst im Handelsgestzbuch) galt für den Arbeitslosen so ohne Weiteres ja nicht. Die bekannte „Eingliederungsvereinbarung“ konnte zwar theoretisch verweigert werden, wurde dann aber per „Erlass“ für gültig erklärt. Die galt dann sanktionsbewehrt genauso. Dem vom GG als Abwehrrecht der Bürgerinn, des Bürgers auf freie Berufswahl (was nicht das Recht bedeutet, dass sich eine solcher Wunsch auf erfüllen MUSS), stand der sanktionsbewehrte Zwang gegenüber, jede gesetzlich noch zu vertretende Arbeit annehmen zu müssen, die angeboten wurde. Die gesetzliche Rahmung der Familie als Bedarfsgemeinschaft tat ihr übriges.

      • @Andreas J:

        Nun soll der Vorrang der Qualifikation vor der Vermittlung gesetzlich geregelt im administrativen Handeln der Jobcenter Eingang finden. Der Qualifikationswunsch soll, soweit ich den Koalitionsvertrag da verstanden habe, nicht mehr oder zumindest nicht mehr von irgendwelchen Eignungstest abhängig sein, sondern ernst genommen werden. Qualifikationsbemühungen sollen finanziell unterstützt werden. Die Kindergrundsicherung wird neues, hoffentlich besseres für die Bedarfsgemeinschaften bringen. Die zu gewährende Unterstützung wird als Familien, nicht als Bittstellergemeinschaft gezahlt werden.



        Das alles ist nur skizierend beschrieben. Und es ist „unvollkommen“. Demgegenüber steht die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen, welches die genannte „bürgerliche Identität“ der Erwerbslosen vollständig würde herstellen. Die Diskussion kann hier nicht geführt werden.



        Es geht mir um das Herausstellen von kleinen aber wie ich es sehe sehr wichtigen Schritten, hin oder besser zurück zur „bürgerlichen Identität“ der Erwerbslosen. Denn letztendlich wird es nur diese Rolle ermöglichen, zu wirklichen Fortschritten in der Bewältigung von Arbeitslosigkeit zu gelangen. Und ebenso zur Anerkennung von erwerbslosen Menschen als gleichwertige Bürgerinnen und Bürger.

      • @Andreas J:

        Dazu ein Buchtipp: Wolfgang Engler: „Bürger, ohne Arbeit. Für eine radikale Neugestaltung der Gesellschaft“, Berlin 2005.

        Zwei Artikel der Taz dazu:



        Robert Musik: „Frei und Spaß dabei. Warum arbeiten, wenn man auch gut leben kann? In einer großen Studie will uns Wolfgang Engler vom Arbeitsglauben heilen. Zeit dafür wär’s ja“ Taz, 2005 taz.de/!634502/

        Robert Musik: Interview mit Wolfgang Engler: „Das ist totes Denken - Nach drei Jahrzehnten Massenarbeitslosigkeit sollten wir den Glauben an die Lohnarbeitsgesellschaft aufgeben, meint der Berliner Kulturphilosoph Wolfgang Engler. Die Gleichung Arbeit = Leben geht nicht mehr auf“. Taz 2005 taz.de/Das-ist-totes-Denken/!360644/

        Mir geht es wie gesagt um die Erwerbslosen als Bürgerinnen und Bürger. Weniger um die Frage eines bedingungslosen Grundeinkommens, welches natürlich auch zu Diskussion steht.

      • @Andreas J:

        Es ist eben kein Grundeinkommen für alle (wie der Name suggeriert), sondern ein bürokratiearmes Sozialgeld für alle, die kein ausreichendes anderes Einkommen beziehen. Vermögen, Herkunft, Historie ... alles egal. Nur versicherungspflichtiges Arbeiten geht nicht. Sehen Sie das Problem nicht?

        • @Taztui:

          Ja meinetwegen Sozialgeld. Aber nicht Bedürftigengeld. Das klingt herablassen nach einem gnadenvoll gewährten Almosen. Das ist eine Abwertung von Menschen in Not.

      • @Andreas J:

        Selbstverständliche sind auch bedürftige Menschen Bürger, aber darum ging es TAZTUI nicht. Er schrieb "die meißten Bürger haben davon nichts..." Dazu ein Beispiel. Ich bin in meinem Bekanntenkreis nicht der Einzige, der seit drei Jahrzehnten arbeitet und einzahlt, aber bis auf 3 Monate Arbeitslosengeld beim Jobübergang nie etwas in Anspruch genommen hat. Dazu kommt noch, dass ich aus finanziell einfachen Verhältnissen komme, aber trotzdem keine Schwierigkeiten hatte, in Deutschland den Weg in die finanzielle Mittelschicht zu finden. Der Weg den ich gegangen bin, steht auch heute noch jedem in Deutschland offen, sogar einfacher als früher. Wenn man Leuten wie mir oder TAZTUI Sozialdarwinismus vorwirft, dann fühlt man sich entweder verhöhnt oder für dumm verkauft. Und genau da steckt der soziale Sprengstoff. Man verliert die Solidarität der Leistungsträger, wenn man den Bogen überspannt oder ein Totschlagsargument wie Sozialdarwinismus gegenüber verwendet.

        • @Nachtsonne:

          Es geht um den Ton. Insbesondere der Formulierungen "Bedürftigengeld" und "die meisten Bürger haben davon nichts". Bürgergeld in Bedürftigengeld umzubenennen wie es TAZTUI vorschlug, ist für mich Sozialdarwinismus. Den Bürger in Not zum Bedürftigen degradieren. Sozialer abstieg. Aus Anspruch wird Almosen. Klassengesellschaft.



          Ich bin auch aus einer armen Familie und Leistungsträger. Aber ich sage keinen, wenn ich es schaffe dann schafft es jeder, gerade jetzt wo es doch einfacher als früher ist. Die wenigsten haben keine Lust zu Arbeiten und dafür werden oft psychische Probleme die Ursache sein. Die meisten die länger Sozialleistungen beziehen sind Alleinerziehende, Kranke oder Ältere. Denen mit dem kapitalistischen Leistungsprinzip zu kommen wen es um ihre finanziellen Lebensverhältnisse geht, ist ein Schlag ins Gesicht. Mit Demütigung erreicht man meist auch nur das Gegenteil. Das aktiviert nicht sondern lähmt, macht mutlos und zerstört das Selbstbewusstsein.



          Übrigens, "Totschlagsargument" ist ein reiner unreflektierter Abwehrbegriff, wie Cancel Culture. Der soziale Sprengstoff ist der heutige ausbeuterische Kapitalismus und die daraus resultierende Ungleichheit auf die die Mittelschicht aus Angst mit Besitzstandswahrung reagiert. Querdenker und jene die hinter den rechten auf den Straßen hinterherlaufen sind keine Harz4-Empfänger.

        • @Nachtsonne:

          Danke. Ich zahle seit fast 3 Jahrzehnten auf mein Arbeitseinkommen Steuern. Dabei erlebe ich viele ALG2-Empfänger, die sich beklagen, dass sie im Falle von Arbeit so viel abgeben müssten und deshalb lieber gleich nicht arbeiten. Das mag stimmen und ärgerlich sein, aber das muss ich auch.

          Mir wäre ein anderer Weg lieber: wie in Skandinavien sollte das Sozialgeld mit einer Tätigkeit (was nicht Arbeit im engeren Sinne sein muss) einhergehen, die dem Allgemeinwohl dient. Money for nothing ist meines Erachtens nicht der richtige Weg, weder (ganz) oben noch unten.

          • @Taztui:

            Mir geht es ähnlich. Ich kenne ein paar Menschen in meinem Umfeld, die sich mit Hartz4 plus Zuverdienst regelrecht eingerichtet haben. Darauf angesprochen war die Antwort, man wäre ja blöd, arbeiten zu gehen (auch werden sie ja nicht von den enormen Heizkosten belästigt). Als lebenslange Sozialbeitragszahlerin kommt man sich dann selbst blöd vor. Langer Rede, kurzer Sinn: Hartz4-Empfänger:innen sind nicht alle arme Opfer; manche spielen mit dem System.

  • Klingt alles ganz gut. Wir sind gespannt. Ich schliesse mich @NINA NANOVICH bzgl. der Einwanderung an und möchte noch draufpacken: ja, die Höhe der Grundsicherung ist wichtig, viel wichtiger ist, dass unsere Gesellschaft Bedürftige nicht wie Dreck behandelt.

    Das nämlich ist das grösste Verbrechen des Hartz-IV-Systems.

  • Natürlich sehen die einsamen Sozis, was auf sie zukommt, besonders im Osten, wo die Abhängigkeit von den zur Wende geschmierten Unternehmen besonders groß ist und eine Gewerkschaftsbewegung, mit der sie SPD ja so gut wie gar nichts mehr zu tun hat, keine Chance, jede/r war sich selbst die/der Nächste und wer übrig blieb hatte halt Pech gehabt. Die für den Staat teuren Almosen mal um 10% nzu erhöhen und die teuren Überwachungskosten zu sparen, ist in ihrer abschreckenden Wirkung bei den hilflosen 'Sozialpolitikern' noch nicht angekommen zu sein, besonders in Zeiten, wo die vom kapitalistischen Markt übrig gelassenen Krümel noch einmal kleiner werden. Zukunftspolitik heißt für mich, in der Notlage, von unten Tafeln für alle und die Einrichtungen von Wärmestuben zur Begegnung und Aubau alternativer Kulturzentren zu planen. Angesichts der Tatsache, dass das alte System insbesondere für Alte und um ihre Existenz beklaute Mitmenschen nichts mehr bieten kann, müssen wir uns schon gemeinsam warm anziehen.

  • "Wir brauchen eine andere Haltung zur Einwanderung. Wir müssen sie wollen, nicht nur hinnehmen." Das ist auch ein ganz klarer Auftrag an die SPD selbst. Sie hat Jahrzehntelang mitgemacht bei der hetzerischen Stammtisch-Polemik gegen "Wirtschaftsflüchtlinge", die man in Abgrenzung zu "berechtigten" Asylbewerber:innen, deren Anerkennungskriterien immer weiter zusammengestrichen wurden, kriminalisierte und wo immer es ging wieder abschob. Es gibt in Deutschland viele Familien und auch besonders viele junge Menschen, die nicht in die Asylkriterien passen, aber hochmotiviert sind, schnell deutsch zu lernen und eine Ausbildung und auskömmliche Arbeit zu finden. Doch statt sie dabei zu unterstützen erhalten Menschen deren Migrationsgründe nicht ins restriktive Asylsystem passen nur kurzfristige Duldungen und werden in unmenschlicher Weise Jahrelang in Angst vor Abschiebung gehalten bis man sie endlich abschieben kann. Auch wegen der SPD haben wir insgesamt immer noch ein abschreckendes Ablehnungssystem und noch lange kein Aufnahme- und Willkommenssystem. Es wäre auch an der Zeit dass der Wirtschaftsminister endlich mal öffentlich die enorme Leistung aller Menschen die bisher nach Deutschland migrierten a) selbstverständlich Teil der deutschen Gesellschaft sind und b) hier nach ihrer Ankunft mit ihrer Arbeit in Industrie, akademischen Berufen, im Handwerk, in Dienstleistungsberufen oder als Selbtsständige zum wirtschaftlichen und sozialen Wohl aller enorm beitrugen.

    • @Nina Janovich:

      Sie sind in erster Linie deshalb gekommen, weil es in ihrer Heimat keine Arbeit gab oder Gewalt und Armut herrschten. Sie sind nicht gekommen damit es den Deutschen besser geht, sondern in der Hoffnung, dass es Ihnen besser geht. Alle die freiwillig kamen hatten die Hoffnung zurück zu gehen und mit dem Ersparten sich eine Existenz aufzubauen. Das Deutsche Sozialsystem, Krankenversicherung, all das gab es in den Heimatländern nicht oder hat schlecht funktioniert. Die Migration erfolgte nicht um den Deutschen zu helfen sondern um dem Elend in der Heimat zu entkommen.

    • @Nina Janovich:

      Ds ist die Crux bei der Einwanderung. Nicht zu verwechseln mit dem Asylrecht. Einwanderung ist für Menschen die gebraucht werden und ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. Warum sind deshalb 700 Tsd.geflüchtete Syrer in Harz 4 ?

  • Danke für das Interview, Herr Heil und seine Ministeriumsmitarbeiter scheinen zu arbeiten und Herr Heil überzeugt in seinen Antworten. Er und Svenja Schulze sind für mich die überraschenden Lichtblicke im Kabinett. In der Art und Weise der Kommunikation können sich lindner, wissing, baerbock und habeck und natürlich lauterbach einiges abschauen.