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Gas, Klima und der KanzlerScholz walkt in Richtung Winter

Die Rhetorik von Kanzler Scholz erinnert an „Der Pate“. Unsere Autorin ist trotzdem wütend: Entlastungspakete sind dringend nötig.

Olaf, du musst mehr Empathie zeigen: Der Kanzler bei der Sommer-Pressekonferenz

O laf, du musst mehr Empathie zeigen, müssen seine Berater dem Kanzler vor dem Auftritt bei der Bundespressekonferenz am Donnerstag eingeschärft haben. Schließlich wird es bald, auch wenn das angesichts der Außentemperaturen kaum zu glauben ist, recht kalt werden in Deutschland. Und teuer – zumindest für diejenigen, die nicht zufällig 200.000 Euro in bar für exorbitant steigende Energiekosten zu Hause rumliegen haben, wie SPD-Genosse Johannes Kahrs. Oder über ein sattes Ruhegehalt und beste Drähte nach Moskau verfügen, wie Noch-Genosse Gerhard Schröder. Für alle Nor­mal­bür­ge­r:in­nen ohne Extrapolster hatte Olaf Scholz jedenfalls eine tröstliche Botschaft parat: „You’ll never walk alone!“

Ich weiß nicht, wie es Ihnen ging, aber mir hat diese in hanseatischem Pathos vorgetragene Fußballweisheit (Scholz hat sich bei der Stadionhymne des FC Liverpool bedient, das Original ist eine Broadway-Schmonzette aus den 1950ern) den Blutdruck in die Höhe getrieben. Was, bitte soll das heißen: Du wirst niemals alleine gehen? Der Weg, lieber Olaf (ich duze jetzt einfach mal zurück), den Du, Deine Partei und Deine langjährige „große“ Koalitionspartnerin vor längerer Zeit eingeschlagen habt, der uns in die energiepolitische Abhängigkeit von einem expansionsgierigen Autokraten geführt hat, auf dem willst du mich jetzt freundlich begleiten? Das hat, mit Verlaub, etwas von „Der Pate“: Du machst mir ein Angebot, das ich nicht ablehnen kann – denn ich hänge ja mit drin: Als Steuerzahlerin, Mieterin und Mutter werde ich sie brauchen, Deine Entlastungspakete.

Was aber nicht heißt, dass ich nicht wütend bin. Wütend auf den FDP-Finanzminister, der heldenhaft die „kalte Progression“ bekämpft, als ob das den vielen etwas helfen würde, die gar nicht erst eine Gehaltserhöhung bekommen, die von der Inflation gefressen wird.

Aber vor allem bin ich wütend auf diese Rhetorik, die schon darauf vorbereitet, dass vor lauter Krisenauffangleistungen wieder zu wenig Geld für Klimaschutz und Mobilitätswende da sein wird. Schließlich müssen wir ja ums Verrecken, trotz Ukraine­krieg und Inflation, die Schuldenbremse einhalten, weil sonst die FDP ihr Gesicht verliert. Dabei müssen wir doch dringend runter von unserem Energieverbrauch, doch ohne politische Lenkung und massive Investitionen wird das nix. Selbst wenn Du, Olaf, der Du bei deinem Auftritt so viel von Paketen und vom Liefern gesprochen hast, dass man sich auf der Pressekonferenz eines Logistikunternehmens wähnte, jeder Bürgerin einen Sparduschkopf zuschicken würdest und einen Nahverkehrsgutschein obendrauf, es würde nicht reichen.

Ich bin gerade zurück aus Bayern, dem noch schönsten Bundesland der Welt, wo gerade die Isar verlandet und der Pegelstand der Seen gefährlich sinkt. Wo man allerorten die in Beton gegossenen Denkmäler dreier CSU-Verkehrsminister in der Landschaft besichtigen kann: Mächtige Betontrassen, die zur Not auch durch sensibles Moorgebiet getrieben werden, überdimensionierte Umgehungsstraßen. Und kaputtgesparte Regionalbahnnetze, die erst nach einem Unglück mit fünf Toten nach und nach instand gesetzt werden. Was bedeutet: wochen- bis monatelang gesperrte Streckenabschnitte, katastrophaler Schienenersatzverkehr. Was, zusammen mit dem baldigen Auslaufen des 9-Euro-Tickets, dazu führen dürfte, dass sich viele doch wieder lieber ins Auto setzen – wenn schon teuer fahren, dann wenigstens mit funktionierender Infrastruktur.

Vor lauter Krisenauffangleistungen wird wieder zu wenig Geld für Klimaschutz und Mobilitätswende da sein

Gut, dass ich beizeiten aus Bayern weggezogen bin, sonst wäre ich mittlerweile bestimmt Vollzeitwutbürgerin. Oder Kabarettistin.

Denn was gibt es Absurderes, als durchs Zugfenster auf die von Straßen, Einfamilien­haus­siedlungen und Gewerbegebieten (aber kaum von Strom­trassen oder Windrädern) durchzogene Landschaft zu schauen und dabei diese Nachricht zu lesen: Ministerpräsident Markus Söder regt an, die Potenziale von Fracking zu untersuchen – natürlich erst mal in Norddeutschland.

Mal sehen, wer zuerst „alone walkt“ nach diesem Winter.

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18 Kommentare

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  • Zunächst wäre ja mal zu klären ob die Energieknappheit und die damit verbundene Kostenexplosion sich überhaupt mit Zuschüssen und Entlastungspaketen beheben lässt. Ein absehbar deutlich zu knappes Angebot steht einer zu großen Nachfrage gegenüber. Wenn man nun allen die von den daraus resultierenden Preissteigerungen betroffen sind wird das eben nicht dazu führen, dass die Angebotsmenge steigt, sondern zu neuen, höheren Marktpreisen bei gleicher Allokation.

    • @Ingo Bernable:

      Die Ampel verweigert sich sich einem Gaspreisdeckel, wie ihn DGB und LINKE fordern.



      Lediglich der SPD-Arbeitnehmerflügel ist auch dafür.



      Mittlweile fordert die LINKE auch einen Strompreisdeckel.



      www.berliner-zeitu...isdeckel-li.254393

      • @Brot&Rosen:

        Ja, natürlich, wenn doch nur die LINKE regieren würde, dann würden hier Milch und Honig fließen. Wobei man ja eigentlich gar nicht so sicher sein kann ob sie das mit dem Regieren denn überhaupt wollte, wenn sie denn könnte.



        Ok, also Gaspreisdeckel, die entstehende Differenz zwischen Marktpreis und Deckel ließe sich ja locker über zB eine Vermögenssteuer, höhere Spitzensteuersätze etc. begleichen. Und dann? Können dann alle jede beliebige Menge Gas beziehen oder stünde dann immer noch eine zu kleine Menge einer zu großen Nachfrage - bei einer nun etwas zahlungskräftigeren Kundschaft - gegenüber. Ich würde mal davon ausgehen, dass das wohl dazu führen wird, dass die Kosten dann weiter steigen werden bis sich eine neues Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage eingestellt hat. Die Probleme sind nicht durch einen Mangel an Geld, sondern durch einen Mangel an Gas verursacht.

        • @Ingo Bernable:

          Und der DGB ist auf das Milch-und Honig-Versprechen der LINKEn reingefallen?

          Die Gasumlage hat erstmal nichts mit Mangel zu tun, sondern:

          "Die Gasumlage soll Gasversorgern zugutekommen, die zu hohen Preisen Ersatz für ausbleibende, günstigere Gasmengen aus Russland kaufen müssen."



          www.t-online.de/na...tere-medizin-.html

          • @Brot&Rosen:

            Demnach gibt es ja, jenseits der Frage wer die höheren Preise bezahlt, überhaupt kein Problem mit der Versorgung und die ganzen Debatten um kalte Duschen, kalte Wohnungen und abgeschaltete Industriebetriebe werden eigentlich völlig grundlos geführt?

  • Das spricht mir aus dem Herzen

  • Deutschland, seine Wirtschaft und somit seine ArbeitnehmerInnen, wie auch Privatleute mit Gasheizung, von denen es ja offensichtlich viele gibt, haben in den letzten Jahrzehnten vom günstigen Gas aus Russland profitiert.



    Ich kann mich an keinen nennenswerten "Aufruhr" in der Bevölkerung erinnern, die hier etwas Anderes wollten.



    Es ist einfach falsch nun den Kanzler oder einzelne Andere für die jetzige Situation verantwortlich zu machen.



    Das ist einfach unseriös.



    "Nachher ist man/frau immer schlauer".



    Was im "Freistaat Bayern", passiert, oder besser gesagt, in den letzten Jahren nicht passiert ist, sind die BayernInnen selber schuld,



    oder aber:



    die Franken/Fränkinnen!

    • @Philippo1000:

      Man kann viele einzelne andere (sic!) dafür verntwortlich machen. Die Kurzsichtigkeit früherer Regierungen war schon offen erkennbar aber es haben nur wenige vor möglichen Konsequenzen gewarnt und wurden kaum gehört oder als Schwarzseher betitelt.

    • 9G
      99397 (Profil gelöscht)
      @Philippo1000:

      Zustimmung. Daher ist es in meinen Augen auch billigster Populismus der SPD, Herrn Schröder (wieviele Kanzler stellten sie denn so?) schassen zu wollen. Heute mag eben einiges in einem anderen Licht erscheinen als damals, aber wer kann sich ernsthaft über die Mehrheit erheben und so tun, als habe er es besser gewusst ?

      • @99397 (Profil gelöscht):

        Ist es das? Meinen Sie ernsthaft, dass ein Gerhard Schröder mit all seinen gemachten Fehlern und der Nibelungentreue zu seinem Freund aus dem Kremel noch in irgendeine demokratische Partei gehört?

  • RS
    Ria Sauter

    So ist es leider.



    Wird sich aber nichts ändern, wenn wir uns nicht alle, die es betrifft, in Berlin versammeln.

    • @Ria Sauter:

      Hier haben Sie Gelegenheit, sich solidarisch zu zeigen:

      "Ulrich Schneider hat retweetet

      Tafel Deutschland e.V.

      @Tafel_DE

      🍽️ Die Tafel Jugend wird sich am 21. August mit leeren Tellern vor den #Bundestag stellen und fordern: Armutsfeste Regelsätze und volle Teller für alle Menschen!

      Wir laden alle Menschen aus #Berlin und Umgebung, die #ArmutAbschaffen wollen, herzlich zur Kundgebung ein.""



      twitter.com/Tafel_...wWgoC-3ZTvrp8rAAAA

  • Guter Kommentar. Der Protest muss auf die Straße und er muss sich grundsätzlich zu Kaper-Versuchen der Rechten/Querfrontler inkompatibel machen.



    Bin deswegen eher ratlos und sehe eher, the idiots are winning.

    • RS
      Ria Sauter
      @Kabelbrand Höllenfeuer:

      Deshalb muss man es trotzdem tun.



      Wenn die Demo in die braune Richtung abkippt, rausdrängen Mikro wegnehmen.



      Funktioniert, wenn viele zusammenhalten.



      Habe das schon so erlebt.

  • Solange die Menschen nicht auf die Straße gehen, wird nichts passieren. Diese medialen Lamenti werden die Regierenden kalt lassen.

    • @Elena Levi:

      Derzeit sind Menschen in Norddeutschland auf der Straße bzw. auf Gleisen. Und der Protest geht weiter:

      28.08.2022 Großdemo Köln, rwe-enteignen.de

      Anti-AKW Fahrraddemo, s. ausgestrahlt.de

      "Smartmobs" von #IchBinArmutsbetroffen (s. auch Paritätischer Gesamtverband

      Keine Zeit für Demos?

      Dann hier unterschreiben:

      "Wir wollen in Würde leben -schafft Armut ab!"



      weact.campact.de/p...n-schafft-armut-ab

  • Aber Bayern funktioniert viel besser als Berlin! Auch im nächsten Winter..,

  • Danke für diese Worte. Spricht mir vollends aus der Seele.