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Forscher über Hamburger Demo-Streit„Wir sollten einander zuhören“

Der Geschlechterforscher Till Amelung wirbt nach dem Konflikt beim Dy­ke*­M­arch für Verständigung zwischen trans Aktivisten und Radikalfeministinnen.

Bedrohung oder legitimes Statement? Radikalfeministischer Protest beim Hamburger Dy­ke*­M­arch Foto: @steppenwelpe/Twitter
Kaija Kutter
Interview von Kaija Kutter

taz: Herr Amelung, auf dem jüngsten Dy­ke*­M­arch von Lesben in Hamburg kam es zum Konflikt. Radikalfeministinnen standen am Rand. Der Block für trans Menschen sah sich provoziert. Haben Sie davon gelesen?

Till Amelung: Ja. Ich fand, dass in der taz die Stellungnahme der anderen Seite fehlte. Also im Grunde hielt ein kleines Grüppchen von zwölf Frauen mehrere Banner hoch. Das war es dann aber auch.

Wissen Sie, was für welche?

Da stand zum Beispiel, Frauen sind erwachsene, weibliche, menschliche Wesen. Oder es ging darum, dass man als Lesbe das Recht hat, Nein zu Penissen zu sagen.

Da stand „You never need to apologize for not liking dick“.

Genau. Das führte zu der Wahrnehmung, dass dieses Grüppchen zu einem politischen Lager gehört. Und das veranlasste den trans Block dazu, sich auf den Boden zu legen und die Demo aufzuhalten. Letztlich holte die Polizei auf Betreiben der Veranstalterinnen dieses Grüppchen aus der Demo.

Wie finden Sie das Schild?

Jeder hat das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Man ist niemandem Rechenschaft schuldig, wenn man Nein sagt.

Wieso ist das ein Thema?

Es geht um trans Frauen, die versuchen, den Penis für sich umzudeuten und als weiblich anzunehmen. Jeder hat das Recht, dieses Körperteil auf diese Weise für sich anzunehmen. Was die Gemüter erregt, ist, dass erwartet wird, dass auch andere diese Sichtweise bruchlos bestätigen.

Sie haben ein Buch geschrieben, „Transaktivismus gegen Radikalfeminismus“. Wann entstand dieser Konflikt?

Ungefähr in den 1970ern in den USA. Da formierten sich radikale feministisch-lesbische Bewegungen. Und es gab auch schon trans Frauen, die eben Frauen begehren und sich nach der Transition als lesbisch begreifen. Die waren auch in Frauenprojekten dabei. Das hat einigen feministischen Gruppen sehr missfallen, weil es für sie undenkbar ist, dass es so was wie Geschlechtsangleichungen gibt. Für sie waren es biologische Männer. Es gab zeitweise heftigen Streit. Zum Beispiel gab es ein bekanntes Festival, das nur für Frauen und Lesben war. Dort gab es dann aus Protest daneben auch ein trans Camp. Und irgendwann gab es das Festival dann einfach nicht mehr.

Joanna Nottebrock
Im Interview: Till Randolf Amelung

38, Geschlechterforscher und Trans-Mann, hat das Buch „Transaktivismus gegen Radikalfeminismus“ (Querverlag) geschrieben.

Wann kam der Streit hierher?

In den Achtzigern. Obwohl Alice Schwarzer zum Beispiel eine ganz andere Haltung einnahm und sagte, trans Frauen gehören auch dazu.

Und wieso kocht das im Jahr 2022 hoch?

Ich denke, dass das an einem größeren Anspruch liegt, ein bestimmtes Verständnis von Geschlecht etablieren zu wollen.

Dass es viele Geschlechter gibt und nicht nur zwei?

Genau. Und dass man sagt: Wer sich als Frau fühlt, ist eine Frau. Diese Haltung führt auch zu Konflikten, weil sie die Grundlagen radikal-feministischer Gesellschaftsanalysen angreift.

Die da wären?

Dass Frauen wegen ihrer biologischen Eigenschaften auch sozial einen bestimmten Platz im Patriarchat zugewiesen bekommen haben. Das kann nicht mehr analysiert werden, wenn wir tun, als wüssten wir gar nicht mehr, was biologisch eine Frau ausmacht.

Wie ist Ihre Haltung?

Die biologische Zweigeschlechtlichkeit ist längst nicht obsolet. Der Ansatz der biologischen Mehrgeschlechtlichkeit ist eher politisch motiviert, weil man damit insbesondere trans Personen, aber auch intersexuelle Personen aufwerten wollte.

Kommt der Streit jetzt auch wegen des geplanten Gesetzes zur Selbstbestimmung?

Das hat die Mobilisierungskraft verschärft. Ich kenne seit 2016 die Konflikte, auch zwischen Radikalfeministinnen, Lesben und trans Personen.

Ihr Buch liest sich, als hätten Sie Verständnis für beide Seiten.

Ich verstehe bei beiden Seiten, warum die in bestimmte Richtungen gegangen sind. Aber wir müssen bestimmte Dinge wieder vom Kopf auf die Füße stellen. Wir kommen nicht drum herum, dass es biologisch zwei Geschlechter gibt und die Biologie auch bestimmte soziale Auswirkungen hat. Gleichwohl muss man eben auch sehen, dass sich diese biologischen zwei Geschlechter in einer unglaublichen Varianz und Vielfalt zeigen. Und das schließt eben auch trans und inter mit ein.

Wie lässt sich der Konflikt lösen? Haben Sie Ideen?

Wir sollten zuerst einmal einander zuhören. Das heißt, dass trans Personen darlegen können sollten, warum ihnen bestimmte Sachen wichtig sind oder was sie verletzt. Es sollte aber auch lesbischen Frauen und Radikalfeministinnen möglich sein, ihre Position zu erläutern.

Die Betroffenen auf der Demo sagten ja auch, sie sähen sich in ihrer Existenz bedroht.

Da gibt es Übertreibungen, die einen konstruktiven Diskurs erschweren. Bei den Transparenten, die ich sah, hatte ich nicht den Eindruck, dass es um Auslöschung ging. Die trans Seite muss gucken, ob sie verhältnismäßig reagiert.

Die politische Linke übt Solidarität mit dem trans Block. Radikalfeministinnen werden oft in die rechte Ecke gestellt.

Das passiert mit einer großen Lust, weil, wenn man jemanden als rechts oder gar Nazi etikettiert hat, gilt die Person als nicht mehr satisfaktionsfähig. Dass es so einfach ist, hängt damit zusammen, dass diese Thematik um Geschlecht und trans tatsächlich Mobilisierungspotenzial in der Rechten bekommen hat. In den USA sind die Republikaner dabei, sich mit restriktiven Gesetzen zu überbieten.

Gibt es die Gefahr hier auch?

Ja, wenn schlecht gemachte Gesetze kein Vertrauen in den Rechtsvorgang schaffen. Deshalb sehe ich das Selbstbestimmungsgesetz kritisch, das jedem formlos erlaubt, seinen Geschlechtseintrag zu ändern. Das weckt in der Bevölkerung Zweifel.

Sie sind diesen Weg selbst gegangen. Was ist Ihr Vorschlag?

Es sollte schon ein paar Prüfsteine geben, in Form von Attesten und oder Wartezeiten, da gibt es Möglichkeiten.

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12 Kommentare

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  • Ich kann nicht verstehen, warum Frauen ostentatives Misgendern als aktivistisches Mittel einsetzen, die selbst doch aus Erfahrung wissen sollten, wie es ist, wenn andere einem die Identität absprechen.



    twitter.com/Berlin...558553590133817344



    Ausgewogenheit im Artikel hin oder her, die tatsächlichen politischen Debatten und Entscheidungen finden zum Glück nicht zwischen radikalen Aktivisten statt, sondern zwischen differenzierten und gemäßigten Gruppen und Parteien.

  • Der Artikel verschweigt, dass es neben den hier aufgeführten noch absolut beschissene andere Schilder gab. Es gab gleich mehrere Schilder mit der Nachricht "Lesben haben keinen Penis". Damit sollte trans Frauen komplett abgesprochen werden, Teil der lesbischen Community sein zu können. Das ist ein transfeindlicher Angriff und keine Lappalie, und deswegen gab es von den anwesenden Lesben auch ein deutliches "Nein" gegen diese Gruppe.

    Auch die zitierte Aussage hat aber eine hassvolle Message, denn sie impliziert ja, dass irgendwer mit einer Person mit Penis schlafen muss - und dies trans Frauen einfach mal zu unterstellen, soll sie als sexuell übergriffig markieren.

    Fakt ist doch, dass keine einzige trans Person ein Interesse daran haben kann, mit einer Person Sex zu haben, die sie körperlich ablehnt. Trans Menschen sind dahingehend ja auch von Dysphorie betroffen und suchen sich ihre Sexualpartner*innen daher gut aus.

    Dass Amelung das herunterspielt, ist bezeichnend. Der Angriff war gezielt orchestriert. Die Radfems standen auch nicht am Straßenrand, sondern haben sich gezielt in den trans Block gedrängt.

  • Es ist völlig in Ordnung, nicht mit einer mehrgewichtigen oder körperlich herausgeforderten, einer Schwarzen oder eben trans Person zu schlafen. Wenn ich das jedoch für mich pauschal ausschließe und nicht auf den individuellen Menschen schauen kann, dann sollte ich mich schon ehrlich fragen, ob ich nicht vielleicht doch ableistisch, rassistisch oder transfeindlich bin. Zum Sex gedrängt oder gar gezwungen zu werden, geht natürlich überhaupt nicht - muss diese Selbstverständlichkeit noch extra erwähnt werden?

  • Eine wohltuend vernünftige Stimme. Sachliche Information ohne einseitige Parteinahme. Es geht doch, liebe TAZ.

  • Es mag richtig sein, das die Gruppe der Radikalfeministinnen auf dieser Demo sehr klein war. Aber wo ist der Hinweis das es andersrum ebenfalls so ist?



    Im Interview wird nicht darauf hingeweisen, dass die Position das biologische Geschlecht umzudeuten auch eine Minderheitshaltung unter Transmenschen ist. Eigentlich geht es um eine Neubewertung des sozialen Geschlechts (also wer als Frau/Mann und was als weiblich und männlich wahrgenommen wird).



    Auch widerspricht es sich doch, die Gruppe der Rad.fem. als klein ab zu tun, aber dann darauf hinzuweisen das es massive Versuche gibt Anti-Trans-Gesetze in vielen Ländern einzuführen. Zudem hat diese Gruppe doch einflussreiche Untersützer wie J.K.Rowling (die dann noch Zuspruch von Präsident Putin dafür bekommt) und eben viele Politiker (die eben irgendwie alle nach rechts zu verorten sind, schon komisch).



    Außerdem wird hier ein "Problem" angeprangert das eine Minderheit der Minderheit Transmenschen betrifft. Dafür das man die Häufigtkeit solcher Fälle noch an den Fingern abzählen kann, wird irgendwie doch ein ganz schön großes Thema draus gemacht. Ein Schelm wer da Böses denkt. Sowas wurde ja noch instrumentalisiert in der Geschichte.



    Übrigens ist auch die implizite Forderung amd Trans-Aktivisten nur nicht zu weit zu gehen und sich ruhiger zu verhalten, widersprüchlich mit historischen Erfahrungen. Queere Themen haben sich teils nur mit radikalen Maßnahmen durchsetzen lassen, selbst der jährlich gefeierte Christopher Street Day, bezieht sich auf den wehrhaften Widerstand von Queeren Menschen auf einen gewaltsamen Überfall von Polizei und Mafia auf Gaybars etc. in der Christopher Street in New York.



    Wer fordert das man sich ruhig verhält und vorsichtig ist, will die Transmenschen zumindest indirekt aufhalten, ob absichtlich oder nicht.

    • @Rahl:

      Wieso kriege ich bei der Lektüre solcher Leserbriefe immer Kopfweh?

    • @Rahl:

      @Rahl



      "Übrigens ist auch die implizite Forderung amd Trans-Aktivisten nur nicht zu weit zu gehen und sich ruhiger zu verhalten, widersprüchlich mit historischen Erfahrungen. Queere Themen haben sich teils nur mit radikalen Maßnahmen durchsetzen lassen"

      Die Menschen, gegen die sich hier durchgesetzt werden soll, sind Frauen, und in diesem Fall Lesben. Das ist ein bisschen was anderes als gegen den priveligierten hetero-Mainstream.

      Transmenschen brauchen besseren Schutz, mehr gesamtgesellschaftliche Akzeptanz, mehr Hilfe, wenn sich im Laufe Deiner Bewegung für Geschlechterbefreiung heraustellt, daß einer der bekanntesten Kampfsprüche Deiner Bewegung Feministinnen mit körperlicher Gewalt bedroht, ist irgendetwas schiefgelaufen.

      dubisthalle.de/ter...-dornrosa-in-halle

      Oder auch wenn Dein Aktivismus dazu führt, daß Anlaufstellen für vergewaltigte Frauen die Gelder entzogen werden und ihnen Morddrohungen an die Tür geschmiert werden.

      www.nationalreview...d-then-vandalized/

    • @Rahl:

      Der Einschätzung und Analyse von Rahl kann ich nur zustimmen.

      Ich bin ein weißer, cishet Mann und gehöre absolut nicht zur Gruppe der Betroffenen, aber ich beobachte die Diskussion schon eine Weile.

      Es ist wichtig zu betonen, dass kein*e Transaktivist*in, die*den ich kenne je behauptet hat, es gäbe keine biologischen Unterschiede zwischen Menschen, oder biologische Geschlechtsmerkmale, die sich bimodal (eher weiblich/ eher männlich) verteilen. Auch hat keine*r von denen je behauptet, dass eine hormonelle oder operative Geschlechtsanpassung diese Unterschiede vollständig ausgleichen kann.

      Es geht den meisten von ihnen allein um das soziale Geschlecht (Gender - gegenüber Sex als biologisches Geschlecht), das eben ein soziales Konstrukt ist, das mit den Worten Mann oder Frau erfasst wird.

      Dass Trans-Menschen glauben würden, es gäbe keine biologischen Geschlechter ist ein rechtes Scheinargument, dass eine Position konstruiert, um sich dagegen empören zu können. Jede*r die*der es wiederholt sollte sich im Klaren sein, dass er*sie damit Unwahrheiten reproduziert, die Trans-Menschen schaden.

      Eine moderate Postion ist in diesem Diskurs fehl am Platz. Es gibt hier eine richtige und eine falsche Meinung. Auch wenn Transaktivist*innen unterstellt werden könnte auf Provokationen manchmal überzureagieren (Hohn, wenn man daran denkt, dass es darum geht, ihnen ihre sexuelle Identität abzusprechen), ändert das nichts daran, dass sie sich nach allen linken und progressiven Kriterien moralisch auf der richtigen Seite befinden.

  • Eine abwägende und ruhige Stimme in der Debatte, die Verständnis versucht.



    Sehr erholsam.

    • @Encantado:

      Ich denke nicht, dass es zu einer ausgewogenen und sachlichen Debatte gehört, wenn man pauschal lesbischen trans Frauen ohne geschlechtsangleichende Operation unterstellt andere Lesben zum Sex zu zwingen.

      Das sind unbegründete transfeindliche Vorurteile.

    • @Encantado:

      Finde ich auch.

      • @Jim Hawkins:

        Absolut