piwik no script img

Kampagne für Tä­te­r*in­nenTropft niemanden k. o.!

Aktuell wurde viel über K.-o.-Tropfen geschrieben. Doch anstatt potenzielle Opfer zu warnen, sollten wir an die Tä­te­r*in­nen appellieren.

Feiern ohne Gender-Fun-Gap! Foto: Denis Meyer/imago images

I n den vergangenen Wochen dachten sich viele Redaktionen: Wir sollten mal wieder was zum Thema K.-o.-Tropfen machen. Anlass waren danebene Sprüche der Comedians Joyce Ilg und Faisal Kawusi. In zahlreichen Texten wurde erklärt, was K.-o.-Tropfen sind, wie sie wirken, wie man sich schützen kann. Diese Artikel haben ihre Daseinsberechtigung, dennoch ist im medialen Diskurs erneut der Eindruck entstanden, Frauen sollten einfach besser aufpassen, wenn sie nicht zu Opfern von K.-o.-Tropfen werden wollen.

Das ist ein uralter und ziemlich bescheuerter Move und zwar aus mindestens drei Gründen. Erstens: Es ist Victimblaming. Wir als Gesellschaft schieben Betroffenen die Verantwortung für das Geschehene und die damit verbundenen Schuld- und Schamgefühle zu. Und da gehören sie nicht hin. Sie gehören ganz allein den Täter*innen.

Zweitens: Alle Geschlechter haben das gleiche Recht, ausgelassen zu feiern, ohne sich ständig Gedanken darüber machen zu müssen, was alles Schlimmes passieren könnte. Kampf dem Gender-Fun-Gap!

Drittens: Wir können nie zu hundert Prozent ausschließen, Opfer zu werden. Egal, wie sehr wir auf uns, unser Getränk, unsere Freun­d*in­nen aufpassen. Eine Freundin von mir war auf einer kleinen privaten Hausparty, als ein Freund ihr heimlich Drogen ins Getränk mischte, mit der Absicht, sie sexuell gefügig zu machen.

Wir schafften es gerade noch nach Hause

Ich war mit meiner damaligen Partnerin tanzen, wir passten aufeinander auf, wir tranken nicht zu viel. Irgendwann wollte sie gehen. „Alles klar, noch zwei Lieder“, schlug ich vor. „Nein. Ich möchte jetzt nach Hause“, sagte sie. Ihre Aussage war klar und bestimmt, doch ihre Stimme war schwächer und leiser als sonst. Sie hatte kein Fahrrad, ich bot an, sie auf meinem Gepäckträger nach Hause zu bringen. Nein, sie wollte ein Taxi. Wir schafften es gerade noch zu ihr nach Hause, dann brach sie auf dem Badezimmerfußboden bewusstlos zusammen. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte ihr jemand K.-o.-Tropfen ins Glas gekippt.

Das Einzige, worauf wir zu hundert Prozent Einfluss haben, ist die Entscheidung, Tä­te­r*in zu werden oder nicht. Wenn wir den Einsatz von K.-o.-Tropfen und die oft damit verbundene sexualisierte Gewalt wirklich verhindern wollen, sollten wir als Gesellschaft viel mehr auf potenzielle Tä­te­r*in­nen einwirken als auf potenzielle Opfer. Das wäre nicht nur gerechter, es wäre auch effektiver.

Die Kampagne des Opferverbands Weißer Ring heißt: „Lass dich nicht k.-o.-tropfen“. Niemand lässt sich k. o. tropfen. Wieso heißt sie nicht: „Tropf niemanden k. o.“? Medien könnten die nächste Aufmerksamkeitswelle nutzen, den Männern zu erklären, wie sie ihre Söhne davon abhalten können, übergriffig zu werden. Und ich wünsche mir endlich einen Erziehungsratgeber zum Thema: „So bringe ich meinen Söhnen bei, Frauen als Menschen zu behandeln.“

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Lou Zucker
Lou Zucker ist Journalistin und Autorin. Als Redakteurin arbeitete sie für neues deutschland, Supernova, bento und Der Spiegel, derzeit ist sie Chefin vom Dienst bei taz nord in Hamburg. Ihr Buch „Clara Zetkin. Eine rote Feministin“ erschien in der Eulenspiegel Verlagsgruppe.
Mehr zum Thema

18 Kommentare

 / 
  • Ich glaube, wer anderen k.o. Tropfen ins Getränk kippt, weiss, was er tut.



    Der ist nicht mehr zu erreichen. Wer kein Gefühl dafür hat, dass man Frauen nicht wehrlos macht und dann missbraucht wie irgendein Objekt, dem wird es schwerlich anzuerziehen sein.

  • Lou Zucker hat durchaus recht. Und als Eltern(-teil) hat man es wohl auch gern bequem. Allerdings können Eltern auch von ihren Kindern in jeder Hinsicht getäuscht werden.

  • Die Forderung: "Tropft niemanden k. o.!" ist natürlich vollkommen richtig. Wer würde da widersprechen?



    Diese Forderung ist aber genau so sinnvoll wie die Forderung: "Vergewaltigt niemanden!" oder "Beraubt niemanden!" oder "Brecht nirgendwo ein!" oder "Begeht keinen Taschendiebstahl!" oder ähnliches.

    Kurz gesagt: Dass man lieber potenzielle Straftäter zum Unterlassen der Straftat auffordern anstatt deren potenzielle Opfer zur Vorsicht mahnen sollte, ist ebenso gut gemeint wie naiv.

  • Na endlich sagts mal jemand!



    Anstatt dass sich Opferverbände ständig die falschen Adressaten (nämlich Opfer) für ihre Prävention suchen, anstatt dass die Polizei sich permanent rassistisch und gewaltvoll betätigt, kann man den (potenziellen) Tätern auch einfach sagen, DASS SIE ES BLEIBEN LASSEN SOLLEN!!!



    Dahinter steckt bei genauerem Nachdenken noch mehr Genialität als sich im ersten Moment des Lesens sowieso schon aufdrängt: Diese Tatik lässt sich quasi unverändert auf jedes Verbrechen anwenden, dass vorstellbar ist. Anstatt den Leuten zu sagen, dass sie ihre Wohnung abschließen sollen, kann man die Einbrecher auch auffordern, NICHT EINZUBRECHEN! Anstatt für Politiker oder gefährdete Menschen einen Personenschutz zu organsieren kann man auch ganz einfach potenziellen Mördern sagen, dass ihr handeln nicht ok ist.



    Aber auch im Privatbereich lässt sich dieser intellektuelle Stein der Weisen trefflich nutzen: Anstatt Mieter zu beraten, wie sie gegen unberechtigte Mieterhöhung vorgehen, kann man natürlich auch den Vermieter einfach auffordern, die Miete nicht zu erhöhen. Und ohne jede Gerichtsbarkeit lassen sich Unterhaltsstreitigkeiten dadurch beilegen, indem man den säumigen Elternteil auffordert, nun endlich seinen Beitrag zu leisten. Die Liste der Möglichkeiten ist nahezu unendlich und eine völlig Gewalt- und Staatsfreie Form des Zusammenlebens in greifbarer Nähe!

  • Netter Versuch.



    Aber ein Appell braucht Mitwirkungsbereitschaft.



    Und das ist bei gleich gerichteten Zielen wahrscheinlichere als bei gegenläufigen Zielen.



    Also erreicht man viel mehr Leute, wenn die potentiellen Opfer adressiert werden...

  • Ich finde die Idee gut, denn sie schließt beides nicht aus: Eine Umkehr der Ansprache der Täter*innen schließt keine Inhalte über Strategien des Schutzes aus, leistet aber beides, nämlich die Verantwortlichen klar zu adressieren und potenziellen Betroffenen Tipps zu geben, wie sie sich schützen können.



    Allerdings sehe ich gerade die Umkehr der Adressierung als wichtigen Aspekt, da sie die Verantwortlichen benennt und die Verantwortung nicht auf die Betroffenen verschiebt. Zwar glaube ich nicht, dass dies kurzfristig etwas an der grundlegenden Situation verändert, aber längerfristig verschiebt es möglicherweise die Perspektive mit der auf solche Phänomene geblickt wird.

  • Ich finde, diesen Text als super naiv, blauäugig, usw zu bezeichnen, hat nichts mit "victim blaming" zu tun.



    Niemand, der noch alle fundamentalen moralischen Grundsätze so einigermassen verinnerlicht hat, käme je auf den Gedanken irgendwen k.o. zu tropfen und wird sich wohl nicht per "Ansprache" davon abhalten lassen. Absurde Idee..

    • @hermanator:

      Das mag schon sein, ist aber auch nicht der grundlegende Punkt hinter der Argumentation. Es geht vielmehr darum, die Perspektive zu wechseln, denn nach der aktuellen Logik sind die k.o.-getropften Personen häufig diejenigen, die indirekt zu Schuldigen werden, weil sie nicht genug aufgepasst haben, zu viel getrunken haben etc.pp. Durch die herrschende Logik fällt immer mindestens eine Teilschuld auf diese. Das zeigen ja auch die getroffenen Maßnahmen, die erklären, wie jemand sich 'richtig' schützen könne, und wenn das dann nicht klappt oder nicht getan wurde, ist man 'selbst schuld' bzw. mitschuld daran, dass einem so etwas passiert ist.

      Die vorgeschlagene Logik versucht hier eben den Spieß umzudrehen und diejenigen explizit zu adressieren, die solche Taten begehen könnten oder deren Freund*innen dies tun könnten etc. Es geht auch um eine Sensibilisierung diverser Personen, nicht nur potenzieller Täter*innen. Gleichzeitig kann potenziellen Opfern aber auch Tipps gegeben werden, wie man Risiken vermeidet. Aber es ist immer klar, wer hier Täter*in und wer Opfer ist. Im umgekehrten Fall nicht (unbedingt).

      • @White_Chocobo:

        "(...) nach der aktuellen Logik sind die k.o.-getropften Personen häufig diejenigen, die indirekt zu Schuldigen werden, weil sie nicht genug aufgepasst haben, zu viel getrunken haben etc.pp. (...)" (White Chocobo)

        Sorry, aber das ist weder alte noch "aktuelle Logik". Das ist nicht ansatzweise logisch. Derart hochneurotischen Quark habe ich noch nie gehört.



        Bei einem derartigen Drogen-Anschlag ist sonnenklar wer Täter und Opfer sind. Da gibt es nichts zu deuteln.

  • Eine direkte Täteransprache ist sicher sinnvoll.



    Da es um Leute handelt, deren Empathiefähigkeit meist das eigene Ego, den Hund und das Auto nicht überschreitet, ist statt einem Appell potenzielle Beute als Mensch wahrzunehmen weniger zielführend als Aufklärung über die persönlichen sozialen, finanziellen und Strafrechtlichen Konsequenzen.



    Es ist zwar en richtig die Verantwortung nur dem Täter zuzulasten, aber das es en vogue ist zu Verbreiten ruhig auf der Straße zu tanzen, schließlich wäre der Fahrer schuld,wenn er einen plättet ist traumtänzerische Realitätsverleugnung.



    Ich wurde mal im Park abgerippt. Schuld waren die Räuber, klar, aber geärgert habe ich mich über meinen Geiz kein Taxi bezahlt zu haben und nachts um 2 mit Koffer und Kohle durch die übelste Pariser Gegend gerumpelt zu sein. Quasi mit Hinweisschild "Touridepp will abgezogen werden".



    Nicht jeder Hund will nur spielen und die Narben trägt man selbst, nicht die juristisch Verantwortlichen.

  • @FLIPMAR

    Nein, ich finde den Text genau richtig. Wir müssen alle aufpassen. Auf uns selbst, aber auch aufeinander.

    Auch potenzielle Täter werden es vielleicht nicht, wenn sie nur einen Funken mehr Empathie aufbringen, in diesem kleinen, entscheidenden Moment. Dazu gehört eben auch, die Täter nicht als "jene dunkle Masse", "ich bestimmt doch nicht" zu verdrängen.

    Geben wir den Tätern die Chance, es nicht zu werden. Könnte auch ich sein.

  • Alles richtig, aber leider etwas naiv. Die Täter wissen ja, was sie tun und dass das gefährlich, verboten und verwerflich ist. Ich glaube ja auch nicht Aufrufe, dass Einbrecher nicht mehr in meine Wohnung / mein Auto einbrechen sollten oder mein Rad nicht mehr stehlen sollten: Ich schließe das ab bzw. an.



    Das ist leider die Realität. Und wenn jemand sein neues Ebike 2 Wochen unabgeschlossen vor dem Bahnhof stehen lässt und es dann weg ist: Ist die Frage, ob das sinnvoll war, dann auch victim blaming?

    • @flipmar:

      Ich hoffe Sie haben inzwischen selbst bemerkt, wie nah Ihr Beispiel mit dem E-Bike an: "Wenn sie sich so offenherzig kleidet, muss sie sich nicht wundern...." ist.



      Victim-Blaming kann man ganz einfach und sicher vermeiden, indem man klar macht, dass sowohl E-Bike Klauen als auch Frauen Missbrauchen gar nicht geht!

      • @Life is Life:

        Schuld ist in erster Linie natürlich immer der Taeter - nur sollte man eben, wenn man Schäden vermeiden will, sich an gewisse Vorsichtsmassnahmen halten, EUROMEYER hat das oben sehr gut illustriert. Und wer so verkommen und skrupellos ist, anderen KO-Tropfen ins Glas zu schuetten, der ist gegenueber moralischen Appellen wohl resistent.

      • @Life is Life:

        Das muss man gar nicht machen, weil das weiß schon jeder.

        Es geht darum, ob es etwas bringt, mit denjenigen ein Stuhlkreis zu machen, denen die übliche Moral eh schnurz ist...

      • @Life is Life:

        Es hilft nichts, bei Risiken die Augen zu verschließen, denn es geht hier um die Wahscheinlichkeit, dass etwas passiert, nicht um die Schuld des Täters. Wenn jemand mein Fahrrad stielt ist es von der Schuld des Täters egal, unter welchen Umständen. Ich kann aber Umstände erzeugen, die eine Gefahr erhöhen:



        - iPhone, Laptop und Bargeld sichtbar im Auto lassen



        - Rad unangeschlossen lassen



        - Fenster in der Ferienzeit offen lassen



        - usw.



        Warum trage ich beim Radfahren im Winter oder bei Regen einen Neonweste? Eben damit ich nicht Opfer werde.



        Es mindert nicht die Schuld des Täters, aber ob ich Opfer werde, kann ich in gewisser Weise selbst beeinflussen.

    • @flipmar:

      Ich denke schon, dass es wichtig, noch stärker als bisher den Fokus auf die Täter zu legen und durch solche "Aufrufe" und Kampagnen Aufmerksamkeit zu generieren. Das es noch stärker von allen verinnerlicht wird, dass so ein Verhalten falsch ist und keine Lappalie und nicht toleriert wird

      Was gleichzeitig ja nicht bedeutet, dass der Einzelne nicht in bestimmten Situationen vorsichtig sein muss (Fahrrad abschließen).

      • @gyakusou:

        Da stimme ich Dir vollständig zu. Es braucht Infos der Betreiber der Clubs, Infos der pot. Opfer, schnelle Hilfe und Spurensicherung bei den Frauen, die dann Opfer geworden sind, und Strafen der Täter, die auch abschreckend wirken. Es wäre schön, auch auf pot. Täter einwirken zu können, aber ich glaube nicht, dass der Artikel hier in dieser Zeitung hilft.