SPD nach Angriff mit K.o.-Tropfen: Schweigen und weiterverweisen

Nach einer K.o.-Tropfen-Attacke bei einem SPD-Fraktionsfest sucht die Polizei weiter nach den Täter:innen. Die SPD zeigt sich entsetzt und hilflos.

Barregal mit Gläsern und geistigen Getränken

Die SPD fragt sich weiterhin, wer für die Attacke mit den K.o.-Tropfen verantwortlich ist Foto: Jens Kalaene/dpa

BERLIN taz | Die Substanzen sind geschmacklos, farblich nicht erkennbar. Die Stoffe sind quasi unsichtbar. Doch sobald sie im Getränk sind, sind Kon­su­men­t:in­nen der Wirkung ausgeliefert. Betroffene, die gegen ihren Willen Knockout-Tropfen, kurz K.o.-Tropfen, gereicht bekommen haben, berichten von Übelkeit, Schwindel und Erinnerungslücken.

Von solchen Erfahrungen berichten Betroffene, die an einem internen Hoffest der SPD-Bundestagsfraktion am 6. Juli teilgenommen haben. Eine 21-jährige Teilnehmerin spürte am Abend des Mittwochs gegen 21:30 Uhr Schwindel und Unwohlsein, am nächsten Morgen hatte sie Erinnerungslücken. Nachdem sie den Vorfall befremdlich fand, ließ sie sich im Krankenhaus toxikologisch untersuchen.

Eine andere junge Fraktionsmitarbeiterin erklärt, dass ihr eine halbe Stunde, in der sie „einen totalen Blackout“ hatte, fehlt. „Meine Kolleginnen haben mir berichtet, ich sei erst noch ansprechbar gewesen, und dass mir schwindelig war, aber ich kann mich daran nicht erinnern“, sagte sie der dpa.

An dem Hoffest im Tipi-Zelt am Kanzleramt nahmen nach Fraktionsangaben rund 1.200 Menschen teil – Abgeordnete, Mit­ar­bei­te­r:in­nen aus dem Bundestag und den Wahlkreisen. Der Fall wurde öffentlich, nachdem der Tagesspiegel davon am 8. Juli berichtet hatte. Die Zeitung hatte eigenen Angaben zufolge Informationen aus einem SPD-internen Chat.

In einem Schreiben an die SPD-Bundestagsabgeordneten teilte Fraktionsgeschäftsführer Mathias Martin mit: „Auf unserem Sommerfest gab es offenkundig Angriffe auf Kolleginnen mit K.o.-Tropfen. Dies ist ein ungeheuerlicher Vorgang, der unsererseits sofort bei der Bundestagspolizei gemeldet wurde.“

Auf Twitter zeigte sich die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast, „entsetzt über den Vorgang“ und wies Betroffene darauf hin, dass die gesamte Fraktionsgeschäftsführung ansprechbar sei. Der taz gegenüber äußerte Mast, dass „man ein verbessertes Sicherheits- und Präventionskonzept erarbeiten und sich dazu auch externen Sachverstand holen“ werde.

Katja Mast im Porträt, Frau mit Brille und kürzeren blonden Haaren

Normalerweise fühle man sich sicher auf privaten Feiern, sagt die SPD-Politikerin Katja Mast Foto: 360-berlin/Metodi Popow

Laut Polizei bisher 14 Betroffene

Den Angaben einer Sprecherin der Polizei Berlin zufolge haben bis zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses dieses Textes 14 Gäste von ähnlichen Symptomen berichtet, zwölf davon sind Frauen. Insgesamt wurden zehn Anzeigen erstattet wegen gefährlicher Körperverletzung mit Verdacht auf die Verwendung von K.o.-Tropfen. Weitere Straftaten wie Diebstahl oder sexuelle Übergriffe sind nicht bekannt. Die Polizeisprecherin erklärte, dass eine Ermittlungsgruppe eingerichtet wurde, um Foto- und Videomaterial auszuwerten und Personen zu befragen. Es wird weiterhin gegen eine unbekannte Person ermittelt.

Laut Katja Mast habe es einen solchen Fall zuvor noch nicht gegeben. „Man fühlt sich normalerweise sicher auf so einer Veranstaltung, zumal diesmal keine Gäste von außen eingeladen waren“, sagte die SPD-­Politikerin der taz. Es habe eine Gästeliste gegeben und man könne „mittlerweile präzisieren, dass rund 1.200 Gäste anwesend waren“, erklärt der stellvertretende Leiter der Pressestelle der SPD-Bundestagsfraktion, Dominik Dicken.

Abgesehen von medialer Aufmerksamkeit am darauffolgenden Wochenende blieb eine öffentliche und mediale Auseinandersetzung mit dem Fall jedoch weitestgehend aus. Fast alle von der taz Angefragten verwiesen auf die SPD-Pressestelle. Dabei beziehen sich die gestellten Fragen nicht ausschließlich auf das Hoffest, sondern auch um diese Fragen: Ob die Po­li­ti­ke­r:in­nen den Eindruck haben, dass sich die Fraktion ausreichend um eine Aufklärung bemüht, und was sie sich in Zukunft für Vorsorgemaßnahmen wünschen, damit ein zweiter Fall dieser Art vermieden werden kann.

Selbst die Jusos bleiben still

Auch die Jusos halten sich sowohl auf Twitter als auch auf Anfragen via E-Mail mit einem Statement zurück. Fragen wie die, warum die Jugendorganisation nicht öffentlich ihre Betroffenheit äußert oder wie der Fall intern diskutiert wird, blieben unbeantwortet. Eine Kritik nach dem Vorbild der ­Linksjugend Solid bleibt bisher aus. Letztere hatte sich nach Bekanntwerden von Vorwürfen sexualisierter Übergriffe innerhalb der Linkspartei vor wenigen Wochen lautstark auf Twitter geäußert und die Linke-­Parteivorsitzende ­Janine Wissler zur transparenten Aufklärung aufgefordert.

Anders als im sogenannten LinkeMeToo-Skandal sind bei den Vorfällen auf dem SPD-Hoffest jedoch kei­ne Tatverdächtigen bekannt. Die Ermittlungen der Polizei laufen derzeit noch. Doch gerade bei Aufklärung und Umgang mit K.o.-Tropfen ist ein schnelles Vorgehen entscheidend, da die Substanzen nicht für einen langen Zeitraum im Körper nachgewiesen werden können. „K.o.-Tropfen verflüchtigen sich schnell im Körper“, erklärt Kirsten Reinhard auf Anfrage der taz. „Bereits nach kurzer Zeit ist die Einnahme nicht mehr nachweisbar.“

Kirsten Reinhard ist stellvertretende Leiterin des Arbeitsstabs der Bundesdrogenbeauftragten. Ihr zufolge gäbe es mehrere Stoffe, die für einen Missbrauch zur Erleichterung von Straftaten mittels Betäubung in Frage kommen. Céline Sturm, Referentin für Kriminalprävention beim Verein Weißer Ring, ergänzt: „Es gibt tatsächlich über 100 Substanzen, die unter den Sammelbegriff K.o.-Tropfen fallen und berauschend, enthemmend oder einschläfernd und betäubend wirken. Dazu gehören Medikamente und Drogen.“

Die beiden bekanntesten Stoffe sind Gamma-Hydroxybuttersäure, bekannter unter der Abkürzung GHB, und Gamma-Butyrolacton (GBL). Im schlimmsten Fall kann die Einnahme der Substanzen zum Tod führen. 2021 verzeichnete der Arbeitsstab der Bundesdrogenbeauftragten 15 Fälle, die auf GHB und GBL zurückzuführen sind. Einzelne Opfer, die möglicherweise mit K.-o.-Tropfen vergiftet worden sind, berichten von völliger körperlicher Lähmung bei gleichzeitig vollem geistigen Verstand.

Keine Statistik zum Gebrauch von K.o.-Tropfen

Abgesehen von den verzeichneten Todesfällen wird in Deutschland bisher keine Statistik oder Forschung spezifisch zu K.o.-Tropfen und den Gebrauch der Stoffe für Missbrauchszwecke geführt. Ein Pressesprecher des Bundeskriminalamtes äußerte gegenüber der taz, dass keine verlässlichen, statistischen „Aussagen zur Verwendung von Substanzen“ zur Verfügung stünden. Auch die Sprecherin vom Bundesverband Frauen gegen Gewalt beklagt auf Anfrage, dass es „schlicht gar nichts“ gebe. Die Opferhilfsorganisation Weißer Ring geht deshalb von einer hohen Dunkelziffer aus.

In einem Forderungspapier kritisiert der Bundesverband Frauen gegen Gewalt, dass Betrof­fene für eine Analyse der Laboruntersuchungen für ­K.-o.-­Tropfen entweder an andere Stellen weiterverwiesen werden oder die Kosten selbst tragen müssen. Zusätzlich sind die aktuellen Tests nicht sicher: „Diese testen nur auf eine einzige Substanz und vermitteln potenziellen Betroffenen dadurch eine falsche Sicherheit“, ergänzt Céline Sturm vom Weißen Ring. „Der beste Schutz ist weiterhin, über die Thematik aufzuklären und dafür zu sensibilisieren.“

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Daniel Baldy findet, dass der Vorfall bei dem fraktionsinternen Sommerfest zeige, dass K.o.-Tropfen hierzulande noch ein Problemfeld seien. Der 27-jährige Politiker, der auch im Ausschuss für Frauen und Jugend ist, erklärt, dass er an dem Abend selbst an der Veranstaltung teilgenommen habe, aber keine Auffälligkeiten beobachten konnte. Von den Vorfällen habe er erst am nächsten Morgen durch eine Kollegin erfahren.

Baldy hat aufgrund der internen Gespräche den Eindruck, dass es der Fraktion „um eine echte Aufklärung geht“, um auch zukünftig ein Sicherheitsgefühl sicherstellen zu können. Die SPD-Fraktion arbeite weiterhin an der Verbesserung eines Sicherheitskonzeptes, bestätigte auch der stellvertretende Pressesprecher Dicken.

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