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Folgen von K.o.-TropfenNichts passiert. Oder?

Die Comedian Joyce Ilg hat einen Witz über K.-o.-Tropfen gemacht. Gerade als Betroffene stellt sich die Frage, wieso jemand über so etwas lachen will.

Die Substanzen sind nicht lange nachzuweisen: Im Blut etwa sechs, im Urin etwa zwölf Stunden Foto: imago

Als ich aufwache, dröhnt mir der Kopf. Ich weiß nicht, wo ich bin. Dann erkenne ich den Bungalow, den meine Freundin und ich am Tag zuvor bezogen hatten. Wir sind auf Abireise in der Türkei. Ich liege in Klamotten auf ihrem Bett. Sie schläft in meinem Bett. Ich kann mich an nichts erinnern. Mir dreht sich der Magen um, ich taumle ins Bad. Auf dem Weg steige ich in Erbrochenes.

Ich kriege Angst. Im Bad suche ich meinen Körper ab, versuche die dröhnenden Kopfschmerzen auszublenden, um herauszufinden, ob mir sonst etwas wehtut. Mein Herz klopft schneller, Tränen rinnen mir über die Wangen, als ich meine Unterwäsche absuche und meine Oberschenkel nach blauen Flecken. Ich finde nichts. Ich mache mir Vorwürfe, dass ich einen Rock anhatte, als hätte das irgendwas zu Sache getan. Ich will nach Hause. Als ich aus dem Bad komme, ist meine Freundin wach.

„Du warst extrem betrunken gestern“, sagt sie. Ich schäme mich. Ich rufe meinen Vater an, er erschrickt, als er mich schluchzen hört, und es tut mir leid, weil mir ist ja nichts passiert. Oder? Ich erzähle, was los ist. Er hört zu und sagt: „Dir hat jemand Drogen ins Glas gekippt.“ Er hat jahrelang im Nachtclub gearbeitet. Ich weine noch mehr. Wir reden eine Weile, dann lege ich auf.

Was war passiert? Ich weiß noch, dass wir am Pool an der Bar standen und Cola-Rum getrunken haben, der vor allem nach Cola und Wasser geschmeckt hat. Ich kann mich nur ans erste Getränk erinnern. Danach wird es nebelig bis dunkel. Ich küsse jemanden am Strand, ich kann kein Gesicht erkennen. Ich will weg. Ich taumle durch den Sand.

Hilfe für Betroffene

von sexualisierter Gewalt gibt es unter anderem für Frauen beim Hilfetelefon 08000 116 016 oder unter weisser-ring.de

Schnitt.

Auf einem gepflasterten Weg umzingeln mich ein paar Jungs, ich erinnere mich an Oberkörper in Polo-Shirts. Sie reden mit mir, doch es ist, als wäre ich hinter einer Glaswand, ich verstehe kein Wort. Alles dreht sich, ich kann meinen Kopf nicht mehr heben. Ihre Füße kommen näher. Ein Hand mit einem Armband aus Holzperlen packt mich am Handgelenk. Ich reiße mich los und stoße mit der Kraft, die ich noch habe, ein Polo-Shirt weg.

Schnitt.

Mein Körper ist wie Blei. Ich gehe einen menschenleeren Kiesweg entlang, Palmen links und rechts. Der Boden wankt, ich falle hin, stehe wieder auf. Ich habe Angst. Ich suche einen kleinen weißen Bungalow in einer Anlage voller kleiner weißer Bungalows.

Meine Freun­d*in­nen werden mir später erzählen, dass sie auf unserer Terrasse saßen, als ich angetaumelt kam. Dass ich sie angeschrien habe. Dass sie mich ins Bett gebracht haben. Ich hatte nur noch einen Schuh an. Den anderen habe ich danach tagelang gesucht, aber er blieb verschwunden. Mit ihm das Wissen, wo ich an diesem Abend war.

Die Frage ist nicht, ob man diese Witze machen darf

Am nächsten Morgen habe ich den schlimmsten Kater. Alles tut weh, meine Augen sind so geschwollen, dass ich durchgehend Sonnenbrille trage. Es dauert drei Tage, bis ich anfange, mich wieder normal zu fühlen. Bis die Scham etwas von meiner Brust weicht. Ich beteuere allen, es ginge mir gut, doch es dauert Monate, bis ich nicht mehr jeden Tag daran denke, was passiert ist und was hätte passieren können. Es dauert Jahre, bis ich zum ersten Mal von dem Begriff K.-o.-Tropfen höre.

Aktuell denke ich wieder an diesen Morgen. Weil eine Comedian namens Joyce Ilg mit 1,6 Millionen Fol­lo­wer*­in­nen zu Ostern ein Foto mit dem Comedian Luke Mockridge bei Instagram gepostet hat. Darunter schrieb sie: „Hat hier irgendwer von euch Eier gefunden? Ich hab nur ein paar K.-o.-Tropfen bekommen.“ Nachträglich ergänzt sie, dass das kein Witz auf Kosten von Opfern von K.-o.-Tropfen gewesen sei, sondern „eine Anspielung darauf, dass Luke diesen K.-o-Tropfen-Gag ja damals in seinem Programm hatte und ihm das nachträglich als vermeintlicher ‚Beweis von Schuld‘ ausgelegt wurde“.

Mockridge wurde 2021 von seiner Ex-Freundin Ines Anioli öffentlich der versuchten Vergewaltigung beschuldigt, er stritt die Vorwürfe ab, die zuständige Staatsanwaltschaft hatte die Ermittlungen wegen mangelnder Beweise eingestellt.

Unter Ilgs Foto kommentierten Leute, dass das nicht lustig sei. Sie argumentiert mit ihrem grenzenlosen Humor. Dabei ist die Frage gar nicht, ob man solche Witze machen darf. Niemand hat um Erlaubnis gebeten. Ich frage mich vielmehr, wieso man solche Witze machen will. Vielleicht weil man denkt, so was passiert einem selbst niemals?

Meine Freun­d*in­nen haben sich damals bei mir entschuldigt, dass sie nicht besser auf mich aufgepasst haben. Doch sie konnten es nicht wissen. Wenn die Wirkung der K.-o.-Tropfen beginnt, wirkt die Person alkoholisiert. Wie viele Menschen in Deutschland pro Jahr ungewollt K.-o.-Tropfen verabreicht bekommen, weiß man nicht. Die Substanzen sind nicht lange nachzuweisen: Im Blut etwa sechs, im Urin etwa zwölf Stunden. Wenn man also begriffen hat, was passiert ist, ist es meist zu spät. In hoher Dosierung können sie zu Bewusstlosigkeit, Koma oder Tod führen.

Oft handelt es sich dabei um die sogenannten Partydrogen GHB (Gamma-Hydroxy­buttersäure) beziehungsweise GBL (Gam­ma-Buty­ro­lac­ton), bekannt als Liquid Ecstasy, Liquid X oder G. GBL wird im Körper zu GHB umgewandelt. Während GHB unter das Betäubungsmittelgesetz fällt, ist die Vorläufersubstanz GBL relativ leicht zu beziehen. Es wird unter anderem als Reinigungsmittel verwendet. Die heimliche Verabreichung ist dennoch strafbar.

Im Netz finden sich allerhand Verhaltenstipps für Betroffene: auf Getränke achten, nur beim Personal bestellen. Es gibt Nagellack oder Armbänder, die helfen sollen, die Substanzen zu erkennen. Doch was bleibt nach vielen Tipps und schlechten Gags ist das Gefühl, dass Tä­te­r*in­nen es viel zu einfach haben.

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9 Kommentare

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  • Tja, da will sich die taz mal wieder auf die Empörungswelle setzen und kontert moralische Entrüstung mit Betroffenheitsprosa.



    Warum machen Menschen solche Witze? Sehr einfach. Weil andere Menschen darüber lachen. Ilg bezieht sich in dem Witz vermutlich auf einen Spruch den Mockridge mal bei Raab gerissen hat - und auf all die Leute, die anlässlich der Vorwürfe gegen Mockridge nichts Besseres zu tun hatten, als vor Selbstgerechtigkeit sabbernd "kreuziget ihn!" zu kreischen.



    Kann man dann lustig finden, vielleicht sogar zu einem Anfall von Selbstkritik nutzen, so als taz (hey taz, ich erinnere mich da an noch so einen Typen. Verschwindet demnächst in einem amerikanischen Geheimknast. Aber das nur nebenbei).



    Oder man outet sich selbst als Opfer einer feigen und widerlichen Praxis von ein paar Arschlöchern. Schlimm.



    Der Spruch von Mockridge war übrigens „Ich war in der Disco und habe ein tolles Mädchen kennengelernt. Ich habe ihr einen Drink spendiert und sie hat den ihrem Freund gegeben. Da bin ich mal gespannt, wie der auf die K.O.-Tropfen reagiert.“



    Finde ich jetzt auch nicht übertrieben witzig, aber ist halt genau die Art spätpubertärer Humor, auf die eine bestimmte Altersgruppe abfährt. Und genau deswegen wird irgendjemand nächste Woche auf irgendeiner Bühne den nächsten KO-Tropfen-Gag reißen, und es werden wieder Leute drüber gröhlen.



    Vielleicht sind sogar welche dabei, die diesen taz-Artikel gelesen und sich gedacht haben, wie fies diese KO-Tropfen-Masche doch ist.



    Aber gröhlen werden sie trotzdem.

    • @Brobdignag:

      Das ist nur rein formal witzig: eine überraschende Wendung, eine unerwartete Pointe. Haha, das Zwerchfell zuckt instinktiv.

      Inhaltlich läuft das auf dem Niveau "man sollte dem Typ ein paar auf die F... geben" - also sehr sehr tief.

  • Ohne allgemeine Informationen schildert dieser Artikel ein Einzelschicksal, und wirft eine Frage auf, wieso Menschen solche Witze machen. Er fordert also Empathie, mehr nicht. Diese rhetorische Frage ernstgenommen, ist jedoch sehr spannend. Wieso machen Menschen denn solche Witze, wieso gibt es Täter-und Opfer-Witzkulturen und Warum ähneln sie sich so oft? Schaffen sie nicht auch Verständnis für beide Seiten? Und ist das gut, ein Täterverständnis? Ist es nicht das, was der deutschen Kultur fehlt und die aufstrebende Rechte so beflügelt? Es scheint doch in unseren Memen (also den kulturellen Genen) zu liegen Sachverhalte auch in Witzform zu thematisieren und zu konservieren! Warum eigentlich? Und gibt es in der Krassheit der Witzkultur und gerade in ihrer Geschmacklosigkeit eigentlich sexuelle Unterschiede? Neigen gerade Männer zu diesen Anstößigkeiten, weil sie Teil der Herschaftsstruktur sind? Die Antworten auf diese Fragen würde ich gerne in einem spannenden Artikel der Taz lesen. Können sie das recherchieren und veröffentlichen?

  • In den USA fällt GBL unter die list 1, d.h. nur wenige, ausgesuchte Händler dürfen mit dem Stoff Handel betreiben und nur, wenn sie 24h-Überwachung des Mittels sicherstellen. Wie auch in Kanada und Australien muss bei einem Erwerb jeder Kunde seine verifizierbaren Daten (Name, Adresse, Firma) hinterlegen und einen Grund für den Erwerb angeben. Viele Händler verweigern in dem Zusammenhang Bargeldgeschäfte, so dass auch die Kreditkarten- oder Kontodaten erfasst werden. Das wäre doch für Deutschland schon mal ein Anfang.

    • @Cerberus:

      Das stimmt. Aber wie ist denn ihre Position zur aufgeworfenen Frage? Warum machen Menschen solche Witze?

      • @Ernst Lusti:

        "Warum machen Menschen solche Witze?"



        Diese Frage ist sogar ziemlich einfach zu beantworten. Neben der anderswo schon aufgestellten These der Empathielosigkeit, die eher eine Minderheit betrifft, ist es ganz simpel Angst oder Unsicherheit mit dem Thema an sich. Diese werden verdrängt oder vermindert, indem das Thema kleingemacht wird - das geschieht durch Witze ziemlich erfolgreich.

      • @Ernst Lusti:

        Vielleicht ist es eine Form des Anstandes, die es einem verbieten könnte, solche Witze zu machen.

        So wie man in der Regel keine Witze über Vergewaltigung als Waffe im Krieg, sexuelle Gewalt gegen Kinder oder Folter macht.

        • @Jim Hawkins:

          Würden sie solche Witze machen? Ich kann mir das unter Umständen schon vorstellen und generell lässt sich ja feststellen, dass Menschen immer solche Witze machen werden.

          • @Ernst Lusti:

            Sicher.

            So wie es immer Leute geben wird, die sich nach dem Gang auf die Toilette nicht die Hände waschen.