Angriffskrieg auf die Ukraine: Korruption und Kolonialismus
Es fehlt an Kritik, Profit und die Gasversorgung stehen im Fokus. Reden wir noch über die deutsche Verantwortung für den Krieg in der Ukraine?
Doch, man hätte es wissen können. Das Wichtige über das Russland unter Putin. Man hätte es lange vor dem Überfall dieses Russlands auf die Ukraine am 24. Februar wissen können. Vielleicht schon im Jahre 2001, dem Jahr der Säuberungsaktionen gegen „Terroristen“ in Tschetschenien, und 2008 nach dem Kaukasuskrieg gegen Georgien oder spätestens 2014, als russische Soldaten nur sehr dürftig maskiert mit Lügen aus Moskau erst die ukrainische Halbinsel Krim annektierten und dann dabei halfen, einen Krieg im Osten der Ukraine vom Zaun zu brechen.
Man hätte von Folter an Schwulen, Lesben und trans Menschen im Reich des Mörders Ramsan Achmatowitsch Kadyrow wissen können. Von seiner persönlichen Armee, die an keine Gesetze gebunden ist und ganze Familien ermordet hat. Von den Krimtatar:innen, die während der russischen Besetzung reihenweise in den Gefängnissen gelandet sind, weil sie sich mit der Besetzung nicht zufriedengeben wollten. Vom russischen Fernsehen voller Feind- und Vernichtungsfantasien.
Gerade von Politiker:innen, die für sich in Anspruch nehmen, mit und über Russland zu sprechen, kann man erwarten, dass sie wissen, worüber sie reden. Das sind Menschen, die andere Menschen unter sich haben, die für sie recherchieren und die Informationen gewichten können, und die Russisch sprechen und verstehen können oder die dann wenigstens Mitarbeiter:innen haben sollten, die das tun. Die großen Russlandversteher:innen unserer Zeit wie Gerhard Schröder (SPD), Matthias Platzeck (SPD), Manuela Schwesig (SPD) oder Michael Kretschmer sitzen nicht allein und überfordert vor dem Computer beim Googeln. Es ist ganz sicher nicht so, dass diese Menschen getäuscht wurden, wie einige von ihnen jetzt behaupten.
Sie tragen eine Mitverantwortung dafür, die Politik von Wladimir Putin in Deutschland gedeckt zu haben. Sie haben dabei geholfen, andere Menschen zu täuschen, die über weniger Ressourcen verfügen als sie.
Wir wurden getäuscht – und nun?
Was machen „wir“ denn nun so als Deutsche, als Bewohner:innen dieses Landes mit dieser Erfahrung, getäuscht worden zu sein? Jetzt wo es einen unverhüllten Angriffskrieg gibt, in dem Russland Millionenstädte wie Kiew und Charkiw mit Raketen beschießt und mit Bomben bewirft? In dem russische Truppen das Atomkraftwerk von Saporischschja angreifen? Was machen wir mit den mächtigen Menschen, die hier im gaswarmen Deutschland mit dafür verantwortlich sind, diesen Krieg erst ermöglicht zu haben?
Reden „wir“ beispielsweise nochmal so wirklich ehrlich über Geld? Über Korruption oder „Vitamin B“, wie „wir“ hier gerne sagen, denn so richtige Korruption gibt es natürlich nur beim Italiener oder weit im Osten. Dass die gute Bezahlung für seine Jobs bei Rosneft und Nord Stream 2 dem früheren sozialdemokratischen Bundeskanzler Gerhard Schröder den Weg in ein Leben ohne Selbstachtung gepflastert hat, gut, darüber lacht das halbe Land schon länger. Ebenfalls ein Brüller in diesem zynischen Universum sind aber Aufrufe wie der von SPD-Parteichefin Saskia Esken. Sie schrieb auf Twitter, Schröder schade mit seinen Posten in russischen Konzernen „dem Ansehen Deutschlands und der Sozialdemokratie. Geschäfte mit einem Kriegstreiber sind mit der Rolle eines Altkanzlers unvereinbar.“
Ansehen. Deutschland. Sozialdemokratie. Esken schrieb das am dritten Tag des Krieges, am 26. Februar. Da hatten russische Flugzeuge schon Millionenstädte wie Kiew und Charkiw bombardiert und russische Raketen schlugen auf ukrainischen Flughäfen ein. So viel Ignoranz muss man hinkriegen. Für Manuela Schwesig, die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, gab es bislang nicht einmal diesen Wischiwaschi-Tadel. Dabei hat ihre Regierung außergewöhnlich hart daran gearbeitet, Nord Stream 2 möglich zu machen. Der Bau dieser Pipeline und ihr standhaftes politisches Verteidigen hat Putin über Jahre signalisiert, dass er in seinem Land und in Ländern, die er de facto als seine betrachtet (Georgien, Ukraine etc.) so willkürlich und mörderisch handeln konnte, wie es ihm gefiel, Deutschland wollte sich dennoch von seinem Gas abhängig machen.
Unter Manuela Schwesig rief Mecklenburg-Vorpommern zu diesem Zweck sogar extra eine Stiftung ins Leben, die, so schrieb es die Anti-Korruptions-Organisation Transparency Deutschland am 16. Februar, acht Tage vor dem russischen Angriff, „gegen das Geldwäschegesetz“ verstößt. Die Landesregierung in Schwerin verschleiere „Putins und Gazproms Einfluss“.
Die EU und ihre „Partner“
Zum Krieg in der Ukraine verfasste Transparency vor zwei Tagen auch noch eine Mitteilung, die so gar nichts von dem verwaschenen Ach-du-meine-Nase-Duktus Saskia Eskens hat: „Deutschland und seine Partner tragen dahingehend eine Mitverantwortung, dass der bisher äußerst lasche Umgang mit schmutzigem Geld aus autokratisch regierten Staaten dazu beiträgt, Korruption und Machtmissbrauch weltweit zu ermöglichen.“ Und: „Es ist an der Zeit, dass Deutschland und seine Partner konsequent gegen Geldwäsche sowie intransparente Eigentumsverhältnisse und Geldflüsse vorgehen.“
Das Wort „Partner“ zeigt an, dass nicht nur Deutschland ein Problem mit Korruption hat, sondern die Europäische Union als Ganzes. Googeln Sie mal Schlagwörter wie „Russian Laundromat“ und klicken Sie dann noch ein bisschen nach links und rechts. Googeln Sie „taz“, „Dialyse“ und „Oleg Kolodjuk“. Ohne westeuropäische, als Nachlässigkeit getarnte, Profitinteressen könnte osteuropäisches Oligarchen- und Diktatorengeld gar nicht so locker-lässig gewaschen werden. Lenorweich fiel auch die Kritik an den Inhabern gut gefüllter Bankkonten aus.
Angela Merkel übrigens mag als Person nie korrupt gewesen sein. Sie hat sich solchen schmutzigen Geschäften aber auch nicht entschlossen entgegengestellt.
Ihre volle Wirkungskraft entfaltet die westeuropäische Lust am Geldverdienen erst in Kombination mit einem imperialen und kolonialistischen Weltbild. Mit Russland reden, hieß es oft, mit Russland sollte immer geredet werden, nur eben nicht mit jenen, die die Politik dieses Landes am meisten betraf: kleinere Nachbarstaaten zum Beispiel. Wie oft wurden Politiker:innen in den drei baltischen Ländern in den letzten Jahrzehnten dafür verspottet, dass sie öffentlich sagten, sie sähen ihre Sicherheit durch Russland bedroht.
Auch „wir“ haben profitiert
Ausgerechnet den Menschen, die das russische Fernsehen, das russische Militär, die russischen Eliten am besten kannten, denen, die ihre Sprache verstanden, wurde am wenigsten zugehört. Es schien bisweilen fast so als hoffte man in Deutschland darauf, künftig nur noch mit einem starken Mann in Moskau reden zu können statt mit lauter nervigen Kleinvölkern, deren Namen sich keiner merken mochte.
Wie gehen „wir“ also damit um? Mit der Verantwortung unserer eigenen Eliten für diesen Krieg? Damit, dass auch „wir“ von ihrem Handeln profitiert haben, uns Debatten um erneuerbare Energien erspart haben, auf Jobs gehofft und sie bekommen haben, sorglos unsere Heizungen aufgedreht haben, unsere engen und rassistischen Vorstellungen auf die Figur Wladimir Putin projiziert haben, in denen er der Mann war, der ohne Schuld und Sühne die Welt in männlich und weiblich, oben und unten, stark und schwach einteilen konnte.
Derzeit sieht es nach Überkompensation aus. Vor Putins Überfall auf die ganze Ukraine demonstrierten vor der russischen Botschaft in Berlin maximal ein paar hundert Leute. Inzwischen schwenkt das halbe Land blau-gelbe Fahnen und die Geflüchteten aus Kramatorsk und Melitopol werden an den Grenzen begrüßt wie verloren geglaubte Geschwister. Das Desinteresse und das rassistische Framing sind weiter sichtbar, nur unter umgekehrten Vorzeichen: Medien aus Europa und den USA zeichnen Ukrainer:innen als christlich-kämpferische männliche und weiße Avantgarde. Das Harte, Militärische der Soldat:innen wird als europäischer Wert gefeiert und alles Revolutionäre, Anarchische, Multireligiöse, aber auch alles Korrupte, Neofaschistische ausgeblendet. Dieser Rausch wird nicht ewig anhalten.
Werden „wir“ uns dann damit befassen, was unser Beitrag war zu diesem Krieg?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Etgar Keret über Boykotte und Literatur
„Wir erleben gerade Dummheit, durch die Bank“
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Telefonat mit Putin
Falsche Nummer
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen