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Irina Scherbakowa über Putin„Donbass ist nicht gleich Krim“

Russland überfällt die Ukraine. Historikerin Irina Scherbakowa über Putins Lügen, die Stimmung in Moskau und die Blindheit des Westens.

Die Moskauer Historikerin und Menschenrechtlerin Irina Scherbakowa Foto: May/picture alliance
Andreas Fanizadeh
Interview von Andreas Fanizadeh

taz am wochenende: Frau Scherbakowa, seit wann gingen Sie davon aus, dass Putin den Angriffsbefehl auf die Ukraine tatsächlich erteilen würde?

Irina Scherbakowa: Die Gefahr wurde in den letzten Wochen immer deutlicher, als sich die Berichte über die hohe Konzentration russischer Truppen an der ukrainischen Grenze häuften. Etwa, dass dort schon Feldlazaretts aufgebaut werden. Aus verschieden Quellen sickerte dann die Information durch, dass der Angriff nach der Pekinger Olympiade erfolgen werde. Das wurde von offizieller russischer Seite stets revidiert, aber wir sind daran gewöhnt, dass die Sig­nale, die von der Macht ausgehen, irreführend sind. Dennoch wollte es der gesunde Menschenverstand einfach nicht glauben, dass so eine fürchterliche Sache, so ein Verbrechen wie der Überfall auf die Ukraine passieren kann. Doch das waren sich selbst Trost spendende Überlegungen. Spätestens mit der Sitzung des russischen Sicherheitsrats und Putins Rede – das Spektakel konnte man im Fernsehen beobachten –, wurde für alle deutlich, dass der Angriff auf die Ukraine beschlossene Sache ist.

Wie nehmen Sie die Stimmung in Moskau derzeit wahr? Was denkt die städtische Bevölkerung über den Krieg Putins?

Nicht leicht zu sagen. Wenn man in den Geschäften und auf den Straßen die Menschen sieht und hört, hat man schon das Gefühl, dass sie mitkriegen, dass Krieg ist. Doch scheinen die meisten gleichgültig. Sie sind mit den galoppierenden Preisen, der Inflation und den schweren Folgen der Pandemie beschäftigt. Es herrscht eine gewisse Trägheit, wie so oft in Russland ein gewisser Fatalismus: „Es kommt, wie es kommt …“ Doch auch das: Wer gehofft haben sollte, mit diesem Krieg würde sich der Krim-Effekt wiederholen, der sieht sich getäuscht. Die nationalistische Freude und Euphorie von 2014 bleibt dieses Mal aus.

Im Interview: Zur Person

Irina Scherbakowa ist eine der prominentesten Stimmen der russischen Zivilgesellschaft. Die 1949 in Moskau geborene Historikerin ist Mitbegründerin der Menschenrechtsorganisation Memorial. Die Organisation erforscht die Verbrechen der stalinistischen Gewaltherrschaft. Memorial ist seit Ende letzten Jahres in Russland verboten. In Deutschland wurde Scherbakowa u.a. mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet. Sie ist Autorin und Herausgeberin zahlreicher Schriften zu Gulag und Stalinismus. Zuletzt erschien von ihr auf Deutsch das Buch „Die Hände meines Vaters. Eine russische Familiengeschichte“.

Warum?

Donbass ist nicht gleich Krim. Die Krim beinhaltet im russischen Gefüge einen starken kulturellen ­Mythos, ein nostalgisches Gefühl. Der Donbass nicht. Viele Menschen glauben, dass man dort Russen – inzwischen sind dort Hundert­tausende mit russischen Pässen ausgestattet – schützen sollte. Man kann hier auch punkten, wenn man dem Westen militärisch seine „Stärke zeigt“. Doch Umfragen wie die des unabhängigen Levada-Zentrums zeigen, dass bei der Bevölkerung die Angst vor bewaffneten Konflikten hoch ist. Auch wenn die Ver­antwortung für die Bedrohungen eher auf die andere Seite verlagert wird – sehr wenige glauben, dass die Aggression von der Seite Russlands ausgeht.

Auch, wenn Putin angreift?

Ich denke, dass die Stimmung sich noch ändern wird. Dass die Menschen begreifen werden, dass es ein blutiger Krieg gegen ein Brudervolk ist. Es gibt ja kaum eine Familie in Russland ohne einen Bezug zu den Menschen in der Ukraine. In vielen Städten Russlands, auch in Moskau und in Sankt Petersburg, sind sofort Menschen gegen den Krieg auf die Straße gegangen, oft sehr junge, um zu protestierten. Das ist sehr mutig und sehr gefährlich. Viele werden brutal zusammengeschlagen, verhaftet, zu mehreren Tagen Haft verurteilt. Gerade werden viele Menschen, die ich kenne, die Nacht bei der Polizei verbracht haben. Und natürlich ist mein Social Media voll mit Antikriegsparolen.

Was erfährt man überhaupt über die Militäraktion?

Das Internet funktioniert noch. Es gibt unabhängige Medien in und außerhalb Russlands, die berichten. Zeitungen wie Nowaja Gazeta, Radio wie Echo Moskwi, den Fernsehkanal Doschd. Die staatlichen Kanäle betreiben aggressive Propaganda. Sie verbreiten Lügen und Fake News. Und viele Menschen glauben ihnen, leider.

Sie sprachen davon: Es gab zuletzt bemerkenswerte Inszenierungen Putins vor laufenden Kameras. Was geht in ihm vor, hat er sich überhaupt noch unter Kon­trol­le?

Ich glaube schon. Aber er folgt einer Logik, die mit einer normalen menschlichen nichts zu tun hat, die Aggression, Rache, Gewaltanwendung einschließt. Im Fernsehen inszenierte er die angeblich kollektive Entscheidung zum Überfall als eine gemeinsame seines engsten Kreises. Es sollte der Anschein einer Teilung der Verantwortung entstehen. Die Mitglieder des Sicherheitsrates sollten so tun, als wollten sie einer nach dem anderen Putin überzeugen, die Entscheidung über den Donbass zu treffen. Dabei wurde aber vor allem deutlich, wie wenig die anderen zu sagen haben. Wie ängstliche Schüler traten sie auf, mussten auswendig gelernte Texte vor ihrem strengen und missmutigen Lehrer Putin vortragen. Ihre Angst war greifbar und jeder sollte sie fühlen. Eine Warnung an alle, deren Loyalität plötzlich als unzureichend erscheinen sollte. Ein Signal an alle, die man im weiteren Sinne zur Elite zählen kann. Wehe dem, der die Signale der Macht nicht richtig versteht. Und wehe denen, die seine Kritiker sind.

Aber schadet ein dauerhafter Krieg in der Ukraine nicht auch den ökonomischen Interessen der Eliten der Russischen Föderation?

Das ist ganz sicher so, die Sanktionen tangieren viele ihrer Interessen. Aber es scheint, als ob ihre Meinung und Stimmung gerade keine Rolle spielt.

Putin sagt, ihm und der russischen Wirtschaftselite würden die verhängten Wirtschaftssanktionen gar nichts anhaben. Glauben Sie das?

Ich bin keine Wirtschaftsexpertin. Aber auch wenn es Putin verächtlich negiert, die Sanktionen dürften auf Dauer wirkungsvoll sein. Viele Menschen werden das bald spüren, gerade im Bankensystem. Die Prognosen sind sehr pessimistisch. Der Rubel, die russische Währung, hat binnen weniger Tage ein Drittel seines Wertes verloren. Die Inflation wird bald 15 Prozent erreichen. Russland wird faktisch von der Weltwirtschaft isoliert. Nicht mal Gas und Ölpreise werden die Situation retten können. Doch für die Unterstützung der Ukraine ist das jetzt auf keinen Fall ausreichend.

Stichwort: großrussische, imperiale Bewegung. Wie stark sind die innenpolitischen Motive für den Angriff auf die Ukraine?

Die großrussisch-imperialen Vorstellungen sind für Putin bedeutsam. Die Macht ist nicht in der Lage, die reale Situation im Lande zu verbessern. Weder im demokratischen, noch im wirtschaftlichen Sinn. Ein ideologischer Ersatz muss her. Und da ist die Erzählung von der Großmacht Russland im postsowjetischen Raum. Die Zustimmung der Bevölkerung sucht man durch das Beschwören äußerer Feinde. Man ins­zeniert künstlich Spannungen mit der EU, den USA. Und jetzt der Überfall auf die Ukraine.

Der Schriftsteller Sasha Filipenko spricht von einem Realitätsverlust bei Putin. Putin ignoriere, dass die Mehrheiten in der Ukraine oder Belarus nicht Teil Russlands sein wollten. Warum ist ihm die territoriale Ausdehnung seines Imperiums so wichtig?

Nach Putins Rede gibt es die Ukraine als unabhängigen und souveränen Staat gar nicht. Er leugnet die Geschichte und sagt, man hätte die Ukraine nach dem Zerfall der Sow­jetunion 1991 nicht gehen lassen sollen. Sie sei einzig ein Sprungbrett für Nato, Amerika, Neonazis und Nationalisten. Dieses völlig falsche Bild von der heutigen Ukraine war auch im Westen präsent. Ja, der Weg der Ukraine in Richtung Demokratie ist ein mühseliger. Seit 2014 und den Ereignissen auf der Krim unterliegt sie zudem einem kriegerischen Konflikt. Es gibt starke Probleme mit Korruption, die ein schwacher Staat nicht so leicht beseitigen kann. Aber es ist eine starke, sich entwickelnde Zivilgesellschaft entstanden, die ihre Meinung anders als im heutigen Russland offen äußern kann. Vor allem auch bei Wahlen. Und eben diese Entwicklung will die russische Führung stoppen. Das wurde auch am Beispiel von Belarus schon klar deutlich. Das Regime Lukaschenko wird gestützt, damit es in Belarus nicht in die demokratische Richtung gehen kann. Die Behauptung, beim Krieg gegen die Ukraine ginge es um eine „Entnazifizierung“, ist eine dreiste Lüge.

Sozial- und Christdemokraten propagierten im Umgang mit Russland lange den „Wandel durch Handel“. Durch die wechselseitige Verflechtung der Ökonomien sollten auch politische Annäherungen stattfinden. Warum ist das Ihrer Meinung nach gescheitert? Hätte es dazu eine Alternative gegeben?

Eine nachhaltige ökonomische Entwicklung kann ohne Rechtsstaat und Freiheit kaum existieren. Das wurde auf ziemlich zynische Weise ignoriert. Es gab stets süßsaure Erklärungen, es brauche noch Zeit, Russland sei noch nicht reif für die Demokratie. Putin selbst sei jedoch ein „lupenreiner Demokrat“. Man solle „auf Augenhöhe“ mit ihm reden, man setze auf für beide Seiten gewinnbringende Interessen. Das wurde von der russischen Seite missbraucht, als Zeichen von Schwäche und Käuflichkeit interpretiert. Eine Alternative hierzu? Die gab es genau in diesem Sinne.

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29 Kommentare

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  • "Die Behauptung, beim Krieg gegen die Ukraine ginge es um eine „Entnazifizierung“, ist eine dreiste Lüge."

    Und eine bewusst dreiste, mit der man die anderen Lügen relativiert und schützt. Man kann und wird sich dann daran abarbeiten und nicht mehr die Aufmerksamkeit für die vielen vielen kleineren Lügen haben.

  • Was hat der Westen vor etwas mehr als 10 Jahren über den sog. "Arabischen Frühling" gejubelt - und was ist am Ende draus geworden?



    Das hätte eigentlich Warnung genug sein müssen!

    • @Denkender_Buerger:

      Eine Warnung wofür? Die soziologischen Bedingungen sind in Russland komplett anders als in den arabischen Staaten. Für einen Regime Change in Russland "von unten" kann man deshalb genau 0 vom arabischen Frühling ableiten.

  • Guten Tag,



    ich habe das Interwiev mit Frau Irina Scherbakowa genau gelesen und habe dann auch die Kommentare dazu geneu gelesen. Letztere erschüttern mich schon. Ich bin ein großer Freund der unabhängigen Ukraine, weil ich dort mit Freude als Pfarrer seit 2013 in regelmäßigen Abständen tätig bin.

    Es ist sicherlich Vieles richt, was hier zum Thema Landeshistorie und Korruption auch in der Ukraine geschrieben wurde.

    Aber all das rechtfertigt nicht den völkerrechtswidrigen Krieg eines dementen Putin gegen die Ukraine oder seine Behauptung, die Ukraine sei ohnehin weiterhin ein Bestandteil des großrussischen Reiches.

    Wenn ich an seine Verbrechen auch der Krim oder im Donbass zurückdenke, kann ich nur wütend wedern über einen solchen ehemaligen KGB-Emporkömmling, der wohl die Schreckenszeit eines Stalins auch nicht zur Kenntnis nimmt. Gegenüber den millionen Stalinopfern und deren Familien gab es bis heute keine öffentliche Entschuldigung bzw. Rehabilitation. Aber solches kennen wir auch aus Canada und Australien gegenüber den Ureinwohnern. Völkermord hoch 10.

    Ich war auch schon in Russland, in der großen Stadt Tschelabinsk, wo es in den 50ger Jahren einen gewaltigen Atomkraftwerksunfall gab mit ebenfalls 100derten von Toten. Bis in die Anfang 90ger Jahre wurde das der Welt verheimlicht!!!

    Eigentlich bin ich auch ein Freund der russischen Bevölkerung, aber ein großer Feind des machtgierigen Establishments, das wie ZAR Putin und Lukaschenko wieder wie Stalin oder gar Hitler auftritt und das Volk ihnen verblendet zujubelt. Auch der Trump agierte größenwahnsinnig.

    Es ist schlimm, dass wir Menschen ofmals nichts oder kaum etwas aus der Geschichte lernen.

    Aber gut, es gäbe noch viel zu diesen Themen zu schreiben.



    Im Übrigen, jeder Staat auf Erden darf allein bestimmen, welchem Militärbündnis er sich anschließen will, so auch die Ukraine.

    Ich bete als Pfarrer ohne Unterlass dafür, dass die Ukrainer den Krieg haushoch gewinnen.

    • @Pfarrer Winkler:

      Solche Ereignisse zeigen, dass der Gott, egal wie wir ihn nennen, nicht existiert, ausser in unseren Hirnen. Beide Seiten beten zu ihm, lass uns gewinnen, Pfaffen segnen die Waffen, welcher Hohn, zum Gebot, du sollst nicht töten...es gibt keine gerechte Tötung.

      • @uwe baum:

        Sie scheinen über einen Kinderglauben nicht hinaus gekommen zu sein, sonnst wüssten Sie, dass Gott uns den freien Willen gegeben hat. Denn sein oberstes Gebot ist Liebe! Niemand kann aber zu Liebe gezwungen werden - nur zu Kadavergehorsam, wie ihn Putin einfordert.



        Ergo: entweder er gibt uns die Freiheit, dann DARF er nicht eingreifen, oder er greift immer ein, wenn etwas ihm nicht passt, dann verkommt die Menschheit zu Marionetten.



        Sorry, aber an diesem Krieg ist Gott genauso viel Schuld ich. Nämlich gar nicht. Das war die freie Entscheidung von Putin!

  • Danke, ein wirklich interessanter Artikel.

  • Ein weing sollte man schon die Kirche im Dorf lassen. Natürlich gibt es, besonders in der Westukraine, Nazi-Bewegungen, zumindest unter Poroschenko bis in die Regierung. Die werden sich nicht in Kürze aufgelöst haben. Ich erwähne nur das Stichwort "Asow-Bataillon" (vgl. Jüdische Allgemeine, 15.09.2014: "An ihrer Montur und ihren Helmen waren deutlich Hakenkreuze und SS-Runen zu sehen."). Ferner musste ich mit der Stirn runzeln, als ich die "Edelweiß-Abzeichen" und Patronenhülsen im Hintergrund beim Poroschenko-Interview, veröffentlicht bei n-tv und am 03.02.22 im Stern gesehen hatte (vgl. Unterm Edelweiss in der Ukraine: Eine Gebirgs-Division im Kampf gegen Sowjet-Russland, 1943, NSDAP-Verlag). Das sollte man wenigstens zur Kenntnis nehmen, auch wenn das aktuell dem gezeichneten Bild der Ukraine widerspricht. Naürlich muss man heute dazusagen, dass man den Krieg dort verurteilt und kein Putin-Versteher ist. Aber wenigstens zur Kenntis nehmen sollte man es.

    • @Zelter:

      Was wollen Sie damit sagen?



      Dass Putin doch ein bisschen Recht hat ?



      Haben wir hier nicht genug Nazis mit denen wir uns auseinandersetzten können.



      Die wären vielleicht auch was für einen Einmarsch???

    • @Zelter:

      Man sollte es genauso zur Kenntnis nehmen wie NSU, AFD, NSU2.0 und andere Rechtextreme in Deutschland! Ist das ein Freibrief für Putin, bei uns einzufallen?



      Nach Ihrer Argumentation hört sich das fast so an - schließlich leben bei uns auch russische Staatsbürger...

  • ""Novaya" überwacht weiterhin das Blutvergießen in dem Bruderland und präsentiert nur verifizierte Fakten über die Schrecken des Krieges."



    Nowaja Gaseta von heute.

  • Die Nato Osterweiterung war ein schwerer Fehler. Vor einer solchen Entwicklung haben deren Kritiker schon in den 90er Jahren gewarnt.

    • @Verboten:

      Nein, der schwere Fehler war, sich von Putin einlullen, sich einschüchtern zu lassen, auch natürlich im Hinblick auf Handelsinteressen der EU/USA. Die Ukraine wird derzeit angegriffen, weil sie NICHT in der NATO und EU ist. Hätte man den Beitritt ab 2014 und dem Angriff aauf die Krim forciert, hätten wir heute keinen Krieg in der Ukraine!

    • @Verboten:

      Das würden die baltischen Staaten und Polen aktuell ganz sicher nicht unterschreiben.

      Legitimiert im Übrigen auch keinen Angriffskrieg.

  • 0G
    05989 (Profil gelöscht)

    Auch bei diesem Interview scheint die Geschichte der Ukraine 2014 zu starten. Und gerade eine russische Historikerin müsste wissen, dass östlich der Oder und der Donau Geschichte sehr, sehr lange lebendig und wirksam bleibt.

    Deswegen sind normale Russen im Moment hin und her gerissen - zwischen Abscheu vor jedem Krieg und dem Ordnen der Verhältnisse, das Putin versprochen hat.

    Und deswegen muss der Donbas auch nicht die Krim sein..

    An der Stelle würde ich nochmal daran erinnern, wie es den Russen in den baltischen Republiken in den 90ern gegangen ist - und erst die EU von den Balten als Beitrittsgeschenk erwzingen musste, dass sie ihren russischen Minderheiten wenigstens die Staatsbürgerschaften der baltischen Republiken gewähren. Denn nur so konnten die russischen Flüchtlinge wieder zurüchgeführt werden.

    Das Minsker Abkommen, dass Ähnliches in der Ukraine bewirken sollte, wurde von der Ukraine von Anfang an hintertrieben.

    Die russische Seele hat das nicht so sehr gerne, wenn Russen in der Diaspora gequält werden. Und da verzeiht sie einer ordnenden und schützenden Hand durchaus, dass die auch daneben greift.

    Wer diese Aspekte wieder und wieder ignoriert, wird Putin, die Russen und die Ukraine nicht verstehen... und dann auf dem dummen Stammtischgesülze vom "Putler" hängenbleiben.

    Denn dann gibt es ja noch historische Dimensionen, wie natürlich Stalins Verachtung für die ukrainischen Bauern, aber eben auch die ukrainischen Faschisten, die sich den Deutschen bei der ersten Gelegenheit an den Hals warfen. Diese Kollaboration kam bei Russen nach dem Krieg dann auch nicht gut an...

    Und es hat nicht geholfen, dass die Ukraine eben jene heimischen Faschisten bei jeder Gelegenheit als Heimatverteidiger glorifiziert.

    Man muss nicht alles glauben, was Putin sagt - ist aber genauso gekniffen, wenn man Selenskyj und den ukrainischen Eliten glaubt.

    Die Wahrheit ist immer das erste Opfer des Krieges! In der Ukraine ist sie schon vor Jahrzehnten verreckt...

    • @05989 (Profil gelöscht):

      "Die russische Seele hat das nicht so sehr gerne, wenn Russen in der Diaspora gequält werden."



      Diese Aussage hat natürlich auch einen historischen Bezug der anderen Art.



      Hitler sah das auch so. Übersetzt heisst das: "Das deutsche Volk hat das nicht so sehr gerne, wenn Volksdeutsche ausserhalb des Deutschen Reiches gequält werden."



      Und damit war der Einmarsch in die Tschechoslowakei und der Überfall auf Polen gerechtfertigt. Man holte die gequälten Deutschen heim ins Reich.

      • 0G
        05989 (Profil gelöscht)
        @ecox lucius:

        Tatsächlich ließ man Hitler aus genau diesem Grunde lange gewähren - und letztendlich hat man die ethnischen Säuberungen in Ex-Jugoslawien aus der gleichen Perspektive betrachtet.

        Ich halte da sehr wenig davon - aber ich bin nicht so vermessen, meine Haltung zu völkischem Nationalismus den Russen aufzuzwingen.

        Solange wir Russland nicht militärisch bezwingen wollen, werden wir so eine Haltung aushalten müssen.

        Möchte man andererseits alle mit Krieg niederringen, die nicht unserer Meinung sind - ja, dann hat's Putin aber doch genau richtig gemacht!

    • @05989 (Profil gelöscht):

      Wenn Sie die historische Betrachtung der Ukraine ab 2014 so kritisch sehen, sollten Sie aber selbst weiter ausholen als die 90er und Stalin. Die 1000 Jahre zuvor sind nicht ganz unwichtig.

      Zur Glorifizierung der Heimatverteidiger: Würde es da nicht so einen Nachbarn geben, der selbst in faschistischer Manier Land raubt und Angriffskriege führt, würden diese dringend notwendigen Verteidiger - die der Sache geschuldet nun mal leider auch recht nationalistisch eingestellt sein können - keine Bedeutung erfahren.

    • @05989 (Profil gelöscht):

      "Die russische Seele hat das nicht so sehr gerne, wenn Russen in der Diaspora gequält werden."



      Und das rechtfertigt ein solches Eingreifen? Übrigens, und da stimme ich Sascha Hennig zu, habe ich eine solche Geschichte auch schon mal gehört. Nämlich in der jüngeren deutschen Geschichte, Stichworte: Sudetenland, Anschluss Österreichs an NS-Deutschland. Mit haargenau den gleichen Begründungen.

      Und wir können schon den Countdown ansetzen: Denn bald schon wird Belarus nur noch eine Provinz in Putins Neo-Zarenreich sein. Und ich mache ich mir defintiv Sorgen um Nicht-NATO-Anrainer wie Finnland oder Georgien.

    • @05989 (Profil gelöscht):

      "Stalins Verachtung fuer die ukrainischen Bauern"? So kann man es nonchalant in einem Nebensatz natürlich auch ausdruecken. Nur soll man dann nicht denken, dass man mit seinen ellenlangen Posts besonders glaubwürdig rueberkommt...

    • @05989 (Profil gelöscht):

      Also, "die Russen" wollen den Krieg, weil sie von "dem Westen" historisch gedemütigt wurden? Die verletzte Volksseele als rechtfertigung für einen Krieg? Wo habe ich das schon mal gehört?

  • Danke, ein informatives Interview! Interessante Lektüre zur Ergänzung, über das schwierige Verhältnis beider Länder und ihren Sprachen und der Dynamik der letzten 2 Jahrzehnte:



    „(…) When I started to frequent Ukraine and Russia around 2000, their differences seemed irrelevant, almost as those between the various Hispanic Latin American countries, for example. Ukrainian colleagues were invited to Russia, and vice versa. At all cultural or scientific events, the only language spoken, even in Ukraine, was Russian. All Ukrainians speak and read Russian, while not all Ukrainians understand Ukrainian well. In fact, many Ukrainians — especially in the east, which includes Kyiv – have always spoken Russian. Ukrainian and Russian, both written in Cyrillic, are close languages, more or less as Italian and Spanish are.(…)

    www.journal-psycho...aine-and-russia-2/

  • Putin scheint mental nicht mehr fit.

    Schon am zweiten Tag war absehbar das dieser Krieg nicht zu gewinnen ist. Selbst wenn er die Ukraine erobert, er kann sie nicht halten,. Die Operation frisst Russland ökonomisch auf.



    Der Russische Präsident hat sich in eine Sackgasse gelenkt und kommt nun nicht mehr da raus. Insofern muss man sich bei dem US Präsidenten entschuldigen, aber wer kann schon ahnen das der Mann im Kreml wahnsinnig geworden ist?



    Das Ziel muss sein, der Mann im Kreml muss weg. In einer Sackgasse gelandet, könnte er zum Atomarsenal greifen wollen.



    Die Situation wird sehr gefährlich. Deshalb sollte dem Umfeld um Putin klar gemacht werden, es wird auch ihr Untergang wenn sie den Mann nicht stürzen!



    Das der Kanzler die rote Linie gezogen hat, gerade mit Swift, kam zwar spät, aber lieber spät als gar nicht. Jetzt sollte aber "geballert" und verstärkt hochwertige Waffen in die Ukraine geliefert werden. Dem Wahnsinnigen im Kreml muss die rote Linie aufgezeigt werden und das Risiko für sein Umfeld.

    Die EU Bürger wollen nicht jahrelangen Krieg und die Kosten dafür. Die erwarten auch, das der Aggressor die Kosten für seine Aggressionen bezahlt. Das Ziel kann also nicht sein den Aggressor zu Verhandlungen zu bringen, sondern ein Regime Change und die Begleichung der verursachten Kosten.

  • was im interview nicht berücksichtigt ist ...

    der fehler hinter dem fehler.

    die separatistenbewegungen ab 2014 in donezk und luhansk.



    ihre ursprünge, ihre gewaltbereitschaft.



    der schleichende beginn der eskalationsspirale.

  • Ob Putin sich schon vor Beginn der Manöver mit der Frage beschäftigte, ob er einmarschiert und er es schon vor Wochen entschied, ist nicht erwiesen.

    • @Namenloser:

      Bravo, Bruder: Volle Zustimmung! Mehr noch, es ist nicht einmal erwiesen, dass es überhaupt russisches Militär gibt. Vielmehr erobert Väterchen Wladimir Wladimirowitsch mit seiner aktuellen Friedenskampagne gerade die Herzen seiner ostslawischen Brüder und Schwestern in der sogenannten Ukraine im Sturm. Der große Donald und mutmaßliche zukünftige POTUS aus Mar-a-Lago hat seinem ihm an historischer Größe eher noch überlegenen Bruder im Geiste, Wladimir, dem Mehrer des großrussischen Imperiums, bereits seinen Respekt bekundet. Endlich ist Schluß mit dem dekadenten Westen usw. usf.

    • @Namenloser:

      Das liegt aber auf der Hand und es wird mal Zeit diese Naivität hinter sich zu lassen - im Übrigen hat er genau das auch schon öfter angedroht - so wie so manche Drohung noch offen steht....

      • @Martin Haindl:

        Es spielt an sich keine Rolle.

        Aber ein Angriff auf das nach Russland zweitgrößte Land Europas muss natürlich länger vorbereitet werden.

        Insofern liegt eine Entscheidung von vor ein paar Wochen auf der Hand.

  • Danke für das interessante Interview.