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Bürgermeister in Halberstadt bedrohtImpf­geg­ne­r:in­nen vor der Tür

In Halberstadt ziehen Hunderte Corona-Gegner:innen und Nazis mit Fackeln vor das Haus des Bürgermeisters. Po­li­ti­ke­r:in­nen sind entsetzt.

Halberstadts Oberbürgermeister Daniel Szarata Foto: Matthias Bein/dpa

Leipzig taz | Hunderte Geg­ne­r:in­nen der Corona-Maßnahmen sind am Montagabend in Halberstadt in Sachsen-Anhalt vor das Wohnhaus des Oberbürgermeisters Daniel Szarata (CDU) gezogen – mit Fackeln, Trommeln, Trillerpfeifen und Bengalos. Das teilte die Polizeiinspektion Magdeburg am Dienstag mit.

Der Aufzug mit bis zu 700 Menschen habe sich zunächst durch die Innenstadt bewegt und dann durch angrenzende Wohn- und Gewerbegebiete, wie es in der Mitteilung der Polizei heißt. Gegen 20 Uhr habe die Gruppe Szaratas Wohnhaus erreicht. Die Po­li­zis­t*in­nen führten „sofortige Objektschutzmaßnahmen an der Grundstücksgrenze bis zum vollständigen Verlassen der Personengruppe durch“.

Die Polizei leitete den Angaben zufolge Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz, wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz, Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte und tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte ein. Zudem habe es Identitätsfeststellungen gegeben. Angeführt wurde die unangemeldete Demo von der neonazistischen Gruppe „Harzrevolte“, die am Montag um 20 Uhr auch ein Video des Protests in ihrem Telegram-Kanal gepostet hat. Auf ihrem Banner stand in Großbuchstaben: „Die Regierung ist das Virus.“ Darunter die Selbstbeschreibung der Neonazis: „deutsch – stabil – ungeimpft“.

„Die ‚Harzrevolte‘ gehört zu den aktivsten Neonazi-Gruppen in Sachsen-Anhalt“, sagte David Begrich, Rechtsextremismusexperte beim Magdeburger Verein Miteinander, der taz. Die Gruppe beteiligt sich seit Ende November an den Corona-Protesten im Harz.

Taschenlampen und Fackeln

In dem knapp vier Minuten langen Video der Aktion ist zu sehen, wie mehrere hundert De­mons­tran­t:in­nen lautstark vor dem Grundstück des Oberbürgermeisters Daniel Szarata protestieren. Immer wieder rufen sie „Wir sind das Volk, wir sind das Volk“, trommeln, pfeifen, grölen. Manche Teil­neh­me­r:in­nen halten Fackeln in der Hand, andere Taschenlampen, mit denen sie das Wohnhaus des CDU-Politikers anleuchten. Der Mann, der das Video aufgenommen hat, sagt: „Hier sind wir, Herr Bürgermeister.“ Währenddessen stehen Po­li­zei­be­am­t*in­nen Schulter an Schulter vor dem Grundstück, um es vor den De­mons­tran­t:in­nen zu beschützen.

Ob Daniel Szarata zu dem Zeitpunkt zu Hause war, blieb zunächst offen. Der 39 Jahre alte Oberbürgermeister hat sich in den vergangenen Wochen intensiv darum bemüht, mit Geg­ne­r*in­nen der Corona-Politik über deren Sorgen und Ängste zu sprechen. Im Januar zum Beispiel hatte Szarata zusammen mit Me­di­zi­ne­r*in­nen und anderen Po­li­ti­ke­r*in­nen Impf­skep­ti­ke­r:in­nen z­um Gespräch auf dem Domplatz in Halberstadt eingeladen. Das Motto: „Dialog statt Demo.“

Zahlreiche Landespo­li­ti­ke­r:in­nen zeigten sich am Mittwoch entsetzt über den Aufzug vor dem Wohnhaus des Oberbürgermeisters. „Einen solchen Angriff auf die eigene Familie und Privatsphäre steckt man nicht einfach weg. Ich wünsche Kraft. Und erwarte, dass die Polizei umfassend Schutz gewährleistet“, schrieb der Landtagsabgeordnete Sebastian Striegel (Grüne) auf Twitter.

Seitens der FDP-Fraktion hieß es: „Solche Aufmärsche vor den Privathäusern sind ein Missbrauch der Versammlungsfreiheit und eine nicht hinnehmbare Grenzüberschreitung, die uns zutiefst empört und die wir aufs Schärfste verurteilen.“ Auch die CDU-Landtagsfraktion verurteilt den Protest. Der innenpolitischer Sprecher, Chris Schulenburg, erklärte: „Einschüchterungen durch Menschenmassen sind nicht vom Versammlungsrecht gedeckt. Die Versammlungsbehörde muss reagieren und sensible Orte, wie das Privathaus, zur Bannmeile erklären.“

Immer wieder Aufmärsche vor Wohnsitzen

Katja Pähle, Fraktionsvorsitzende der SPD-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt, sagte: „Dass die Bewegung sich radikalisiert, obwohl wesentliche Öffnungsschritte vor der Tür stehen, zeigt auch: Für die rechtsextremistischen Querdenker ist und bleibt der Protest gegen Corona-Auflagen nur Mittel zum Zweck.“

Die Fraktionsvorsitzende der Linken im Landtag, Eva von Angern, forderte Sachsen-Anhalts Innenministerium dazu auf, „endlich“ tätig zu werden und strafrechtlich relevante Handlungen von Corona-Demonstrierenden konsequent zu verfolgen. „Das staatliche Versagen im Umgang mit Corona-Protesten muss beendet werden.“

Die Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) wiederum kündigte an, „dass Versammlungsbehörden und Polizei „einem solchen Missbrauch des Versammlungsrechts entschieden entgegentreten werden“. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) warnte vor einer Radikalisierung der Proteste und vor einer zunehmenden Instrumentalisierung durch rechtsextreme Kräfte.

Auch in den Nachbarbundesländern Thüringen und Sachsen waren wiederholt private Wohnsitze von Po­li­ti­ke­r*in­nen Ziel von Corona-Demos. Im Januar zogen Teil­neh­me­r:in­nen eines unangemeldeten Protests am Haus von Geras Oberbürgermeister Julian Vonarb (parteilos) vorbei. Im Dezember 2021 hatte ein Fackelaufzug vor dem Wohnhaus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) in Grimma bei Leipzig für Empörung gesorgt.

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39 Kommentare

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  • Die Party ist bald vorbei, dann können sie sich wieder an Zuwanderung, Europa und anderen Verschwörungsthemen abarbeiten.

    • 0G
      05989 (Profil gelöscht)
      @Phineas:

      Das wäre eine optimistische Perspektive...

      Aber die Chancen stehen leider gut, dass nach Sars-CoV1 und Sars-CoV2 auch Sars-CoV3 und Sars-CoV4 kommen. Wenn nicht diese, dann die Reh- oder Fuchsgrippe - oder der Hundetripper, der als Zoonose... Jeder fehlgeleitete Waldi kann eine Todesurteil sein! ;)

      Das ist nicht vorbei, weil Omikron gerade etwas gemütlicher ausfällt...

    • @Phineas:

      Na klar. Nach dem Untergang des Euro, dem Untergang Ds durch die GR-Hilfen, dem Untergang Ds durch Draghi, dem Untergang Ds durch die Flüchtlinge, und natürlich zwischendurch noch durch Ausländer, Muslime, etc. pp.



      Irgendwas ist bekanntlich immer.

  • "Immer wieder rufen sie „Wir sind das Volk, wir sind das Volk“, trommeln, pfeifen, grölen."



    Eins vorweg, dass seid Ihr nicht!

    Letztens gab es in den Leserkommentaren zu einem ähnlichan Artikel im Tagesspiegel tatsächlich welche, die die Meinung vertraten, dass müsse ein Politiker aushalten können. Und leider findet sich auch hier einer, der in einem ellenlangen, absatzlosen Beitrag seinem Frust entsprechend Luft verschafft.

    • @AusBerlin:

      "Das müsse ein Politiker ausarten können".

      Siehe mein Kommentar unten. Diese Leute glauben, Demokratie bedeute, dass Politiker aus echter Angst vor "dem" Volk tun, was dieses verlangt. Und dass dieses jedes Recht habe, Politiker einzuschüchtern und zu terrorisieren, ja, dass gerade das dieses Volk wirklich demokratisch mache, Dabei wäre das eine Ochlokratie, die Herrschaft des Pöbels.

      • 0G
        05989 (Profil gelöscht)
        @Suryo:

        Heißt das nicht @rschlochkratie?

        • @05989 (Profil gelöscht):

          Als Archlochokratie würde ich eher bezeichnen, dass in den letzten paar Jahren solche Leute wie Trump, Bolsonaro, Orbán, Putin und wer auch immer gerade Polen regiert, Wahlen gewinnen und Macht ausüben.

          • @Suryo:

            zu Trump



            Im Nachhinein neige ich fast dazu anzunehmen, dass Biden sich nach außen hin einfach nur besser verkauft und diplomatischer auftritt. Allein schon, wie er deutlich macht, dass ohne seine Zustimmung (die der USA) kein NS2 möglich wäre, obwohl die USA selbst z.B. Öl aus Russland importiert, zeigt, dass er aus dem selben Holz geschnitzt ist.

  • Zum wiederholten Male zeigt sich, dass es nichts bringt, sich mit überzeugten Impfgegnern, rechten Spinnern und Faschos an einen Tisch zu setzen. Im Gegenteil, es bewirkt nur eine Aufwertung dieser Idioten. Und wann endlich hört dieses Gefasel von einer 'zu befürchtenden Radikalisierung der Impfgegner' und deren 'Vereinnamung durch Rechte' eigentlich auf. Wie blind muss man sein, um nicht zu erkennen, dass dies alles doch schon längst eingetreten ist. Es ist höchste Zeit, dass Judikative und Executive dagegen endlich vehement vorgehen. Es heißt längst nicht mehr 'wehret den Anfängen, sondern muss heissen 'verhindert deren Fortschreiten'.

    • 0G
      05989 (Profil gelöscht)
      @Klaus Waldhans:

      Ich würde dem zustimmen, wenn ich nicht genau wüsste, dass die Instrumente, mit denen man den Querdenkern den Saft abdreht, umgehend gegen Attac, FFF und die DUH gewendet wird.

      Wobei: Gerade gegen Attac ist ja das Instrument der Aberkennung der Gemeinnützigkeit schon erfolgreich genutzt worden, wohingehen dutzendweise Nazi-Butzen immer noch als gemeinnützig gelten.

      Es fehlt dem Deutschen an wichtigen Genen - als Gesamtheit kann er besser Polen überfallen als Demokratie!

  • Tja, und wenn der Polizei dann nichts anderes bleibt als den Mob zusammenzuknüppeln eskaliert die Lage noch weiter.

    Aber das Problem ist: Es wird immer Dumme geben die sich von den Gevieften vor den Karren spannen lassen ...

    • @Bolzkopf:

      Ich wüsste nicht, wie, durch Nazis bedrohte Menschen sonst, vor deren gewalttätigen Übergriffen geschützt werden könnten.

      • @Quastenflosser:

        Ich auch nicht.



        Gegen Dummheit ist kein Kraut gewachsen [also zumindest kein legales ...]

        Und so ist das mit der Nazi-ideologie: Schnell im Kopf und nur schlecht wieder loszuwerden ...

  • 4G
    49272 (Profil gelöscht)

    Der Kommentar wurde entfernt.

    Unsere Netiquette können Sie hier nachlesen: taz.de/netiquette

    Die Moderation

    • @49272 (Profil gelöscht):

      Mein Gott müssen Sie angespannt sein.



      Alles läuft doch jetzt eh aus, der Sommer kommt. Mal tief durchatmen und entspannen.

    • @49272 (Profil gelöscht):

      Ui, da sickert neben Egoismus, Fatalismus, auch ein wenig Behindertenfeindlichkeit und Altersdiskriminierung durch mh? Gehören dann Ihrer Ansicht nach 60+ und chronisch Kranke nicht zur Allgemeinheit?



      Sie gehören wohl nicht zu den Menschen 60+ oder zu den chronisch Kranken und haben auch keine Freund*innen oder Verwandte, die dazu gehören, was? Was hielten Sie eigentlich davon, wenn mensch Sie so ignorierte, wie Sie es sich gegenüber Anderen wünschen?



      Apropos, "Durchschnittsbürger ticken aus" - Haben Sie eigentlich im Artikel gelesen, dass hier Nazis versuchen mit ihrer menschenfeindlichen Politik Fuß zu fassen, Anti-Corona-Maßnahmenposition instrumentalisieren um nach Anhänger*innen zu "fischen"? Neonazistische Gruppe „Harzrevolte“ wären "Durschnittsbürger*innen", achso, na dann ... ;-(

  • Na klar sind "Politiker entsetzt"



    Gegen sie richtet sich ja auch die antimoderne Ursprünglichkeitsphantasie - gegen das neue sanitäre Regime = NWO, = schöne Neue Welt.



    Realitätsprinzip abschaffen.

  • "deutsch - stabil - ungeimpft". Putzig. Worauf sich das "stabil" beziehen mag? Die Leibesfülle? Die selbstattestierte geisitige Gesundheit? Das Gleichgewichtsempfinden ists wohl eher nicht....

    • @Nifty_Monkey:

      🤣👍

    • @Nifty_Monkey:

      ...stabil dämlich? Stabil rechtsradikal? Stabil unbelehrbar? Die Auswahl ist groß.

    • @Nifty_Monkey:

      Vermutlich die Übersetzung des amerikanischen Slang Wortes "based". Wird so in deutschen online Communities benutzt.

      • @Kolya:

        Scheint mir schlecht übersetzt. "Geerdet" finde ich naheliegender. Ich treibe mich aber auch nicht auf derlei Communities herum.

  • Oh, jetzt empören sich die Konservativen also wieder. Passieren wird allerdings - wie immer - nichts Relevantes. Seit Monaten marschieren diese Leute in aller Regel ohne Anmeldung einer Demo, bedrohen Leute, greifen Leute an, etc.



    Passiert ist - so gut wie - nichts.



    OT:



    Und wir erinnern uns - nur mal so als Vergleich - an den Mann, der abseits der Vorgänge rund um den G7 in HH festgenommen wurde, und - "schändlicherweise" eine Tauchermaske mit sich führte. Der wurde zu 6 Monaten auf Bewährung verurteilt. Damals übrigens war Springer nicht ganz so verständnisvoll für die Teilnehmer ...

  • Hier liegt ein Verständnis von Demokratie vor, dass leider - wirklich, leider! - ziemlich typisch ostdeutsch ist (nein, nicht alle Ostdeutschen usw.). Demokratie ist nach dieser Vorstellung, dass "die Politiker" tun, was ich sage, und zwar, weil sie Angst vor mir haben. Tun sie es nicht, dann ist es legitim, ihnen noch mehr Angst zu machen.



    Gemäß dieser Vorstellung ist auch schon das bloße Vorhandensein einer Demo etwas, was "die" Politiker in Schrecken versetzen sollte - schließlich war das in der DDR ja auch so. Dass sich Politiker in einer Demokratie nicht von einer Demo unter Zugzwang setzen lassen, ist für diese Leute völlig unverständlich; es beweist ihrer Ansicht nach, dass wir in einer zweiten DDR, ja, in einer noch schlimmeren Diktatur leben. Haben denn die Montagsdemos damals nicht den Zusammenbruch des Systems geführt? Warum klappt es denn jetzt nicht? Es muss daran liegen, dass die da oben noch nicht genug Angst vor einem haben. Also ist es nur folgerichtig, sie noch mehr einzuschüchtern, zur Not eben mit Fackelaufmärschen vor ihren Wohnungen.

    Dabei wird völlig verkannt, dass eine Demokratie weder auf Angst basiert, noch, dass schon die Tatsache, dass Menschen demonstrieren, irgendwen in Panik versetzt. Und dass es eben nicht legitim und schon gar kein Ausweis demokratischer Gesinnung ist, Menschen einzuschüchtern.

    • 0G
      05989 (Profil gelöscht)
      @Suryo:

      Ich würde dem entgegensetzen, dass dieses Politikverständnis auch in Frankreich eine treibende Kraft ist - und im Übrigen auch im waffenstrotzenden Amerika.

      Inwieweit das jetzt da besser funktioniert, lassen wir mal dahingestellt - aber mindestens Frankreich gilt immer noch als moderne Wiege der Demokratie.

      Vielleicht ist Angst vor dem Volk gar kein so schlechter Ratgeber... wobei ich auch sagen würde, es reicht die Angst vor Bedeutungsverlust. Wenn man allerdings ein Parlament von Millionären hat - vor allem die USA, aber unsere sind auch gut dabei - dann haben die vor gar nichts Respekt. Das ist kein optimaler Zustand.

      Das Problem scheint mir aber auch zu sein, dass das Volk eben doch mehrere Völker sind - und einige von denen echten Mist verzapfen.

      Selbst wenn Bildung die Lösung ist, dann dauert das halt auch mindestens eine Generation... und das hat bei den Babyboomern hüben wie drüben nicht gut geklappt...

    • @Suryo:

      Naja, hier sind es ja nicht irgendwelche Ostdeutsche sondern Nazis.

      • 0G
        05989 (Profil gelöscht)
        @Uranus:

        Mein Vater war - bis zur Flucht Anfang der 60er - Ostdeutscher und im Westen Sozialdemokrat, sozial engagiert, Gewerkschafter, sah sich selbst als Arbeiter - was aber Koketterie war, weil er einer bürgerlichen Familie von Gewerbetreibenden mit guter Bildung entstammte. Man sagt, die wären nicht mal Nazis gewesen...

        Je älter er wurde, desto mehr fiel er rassistischen Theorien anheim, wählte die AfD und benahm sich auch sonst ganz schön ostdeutsch. Qanon interessiert ihn nicht, aber er ist überzeugt davon, dass 9/11 ganz anders gedeutet werden muss...

        Mit dieser persönlichen Erfahrung fehlt mir der trennscharfe Blick um ostdeutsch und Nazi zu unterscheiden. Mal abgesehen davon, dass das eine ein Adjektiv ist und das andere ein Substantiv... ;)

        Ich nehme an, dass das Problem ist, dass die Leute weder das Eine noch das Andere aus Überzeugung sind - sondern gruppendynamisch, zufällig, wohnortnah mal grün wählen, mal CSU-Mitglied werden oder eben Schwarze im Park verprügeln. Und die Nicht-Überzeugung kann man dann auch leicht wechseln...

        Und wenn die Eltern nur ihre Nicht-Überzeugungen tradieren, wäre es gut, wenn Kinder in Schulen eine Charakterbildung erhalten würden und nicht nur Bulimie-Lernen praktiziern würden/müssten.

        Aber genau das hat im Deutschen Schulsystem des Kaiserreichs noch nie geklappt - im Westen nicht und erst recht nicht im Osten.

        Aber das ist natürlich nur eine anekdotisch gefärbte, persönliche Theorie eines Theoretikers, der letztendlich auch keine bessere Bildung genossen hat. Immerhin habe ich das früh schon abgelehnt! ;)

        • @05989 (Profil gelöscht):

          Mein Beileid für die politische Einstellung Ihres Vaters. ;-| Es mag aus Frust kommen, jedoch finde ich, tut mensch den Menschen in Ostdeutschland Unrecht, die nicht den Nazis oder dem Mob angehören sondern sich teils ja auch gegen sie engagieren. Die sollten nicht vergessen werden.



          Also schwierig finde ich es auch, einen Weg aufzuzeigen, der aus dem Teufelskreislauf - das sich reproduzierende System (wozu auch das Schulsystem beiträgt) - hinausführt. Wo zudem der "Populismus" der BILD und Desinformation von Akteur*innen mittels neuer Medien offenbar gut andocken kann. Womit ich jene aber nicht von ihrer Verantwortung freisprechen will.

          • @Uranus:

            Das Schulsystem? Sprechen Sie die "antifaschistische" Erziehung und Schulbildung der DDR damit an? Jene die Rassismus und faschistische Einstellungen in der Gesellschaft der DDR stumpf nur ignorierte, so dass nach der Wende dieser Schmodder wie eine Eiterblase platzte und wir bis heute noch damit zu tun haben?

            In punkto Populismus stimme ich ihnen zu, verstehe aber nicht wieso Sie den gerade auch in Ostdeutschland verbreiteten Linkspopulismus (Linkspartei) mit seinem ganzen armes Volksgedöns ausblenden. Nich umsonst kamen relativ viele neue Wähler der AfD von der Linkspartei.

      • @Uranus:

        Die allerdings offenkundig sehr starken regionalen Rückhalt genießen und ihre Hetze ein Mäntelchen von urdemokratischem Engagement umhängen, was offenbar sehr gut verfängt in der Region. Die regionalen Telegram-Kanäle dieser Nazis haben bedrohlich viele Mitglieder.

        • @Suryo:

          Ja, leider sind die Nazis recht geschickt darin, von ihrer antidemokratischen Position abzulenken und Demokratiemangel bei den Gegner*innen fest zu machen. Und sicherlich mögen viele dumm und/oder ideologiesiert genug sein, sich ihnen anzuschließen bzw. applaudierend am Rand zu stehen. Zu meinem Eindruck kommt hinzu, dass den Bürgis ihr jahrzehntelanges Weggucken gegenüber Nazis - auch denen in staatlichen Stellen - nun auf die Füße fällt und sie immer noch zögern, konsequent gegen die Rechten vorzugehen. So kann mensch eine kleine, laute, gewalttätige Minderheit groß machen. Ein Trauerspiel.

    • @Suryo:

      Ob ostdeutsch, altdeutsch, neudeutsch oder gar nicht deutsch, solche Aktionen markieren jedenfalls den Übergang vom Populismus zum Faschismus: Marsch auf Rom!

      • @Günter Picart:

        Richtig. Aber die meisten der Marschierer betrachten sich als gute, wenn nicht gar als einzig richtige Demokraten. Das Problem ist, dass ihre Vorstellung von Demokratie völlig falsch ist - und auch ihre Vorstellung von Diktatur. Demokratie ist nun mal weder die Diktatur der Mehrheit, noch ist es gleich eine Diktatur, wenn man selbst mal in der Minderheit ist.

        • @Suryo:

          Das ist Ihre Definition von Demokratie. Demokratie bedeutet zunächst einmal "Herrschaft des Volkes". In welcher Form diese ausgeprägt sein soll oder darf, darüber kann man streiten. Das unsere Form der repräsentativen Demokratie der allein seligmachende Weg ist, stimmt global gesehen jedenfalls nicht.

          • @Tom Tailor:

            Welche Wege gab es den noch, die in die Realität umgesetzt wurden und die ebenfalls selig machend sind oder waren? Die Schweiz? 🤓

            • @Rudolf Fissner:

              Ich denke die Schweizer sind im Allgemeinen mit ihrer Form der Demokratie.

          • @Tom Tailor:

            Pöbelherrschaft und Strassenterror haben jedenfalls nichts mit Demokratie gemeinsam ... es war nur ein fataler Fehler der bürgerlichen Kreise in der Weimarer Republik, dem Nazi-Terror naserümpfend und verachtend zu begegnen, ihn in seiner Gefährlichkeit jedoch zu unterschätzen.



            Die gleiche Gefahr sehe ich heute im Umgang mit den Querdenkern ... auch alle Dialogangebote werden von denen nur als Aufwertung ihrer Positionen interpretiert. Autoritären Persönlichkeiten können Sie nicht mit Verständnis, Toleranz und Dialog begegnen ... das interpretieren sie als Schwäche, da sie diese Sprache nicht verstehen.

          • @Tom Tailor:

            Was diese Menschen unter Demokratie verstehen, ist aber nichts anderes als Ochlokratie, die Herrschaft des Pöbels. Aus Angst vor dem Mob springen die Politiker.

            Im übrigen gibt es für Demokratie und demokratischen Diskurs durchaus wissenschaftliche Kriterien. Ein Aufmarsch mit Fackeln vor dem Haus eines Politikers ist mit absoluter Sicherheit nicht Teil des demokratischen Diskurses.

            • @Suryo:

              "Was diese Menschen unter Demokratie verstehen, ist aber nichts anderes als Ochlokratie, die Herrschaft des Pöbels. Aus Angst vor dem Mob springen die Politiker."



              Das Problem ist, das es nicht allein "diese" Menschen sind, die von sich meinen für das ganze Volk zu sprechen. Diverse Gruppen, Aktivisten, Querdenker & Co. nehmen diese Auffassung für sich in Anspruch, und sie alle pochen auf die Demokratie. Es müssen also entweder all diese Gruppen mit eingebunden werden, oder keiner.

              "Im übrigen gibt es für Demokratie und demokratischen Diskurs durchaus wissenschaftliche Kriterien. Ein Aufmarsch mit Fackeln vor dem Haus eines Politikers ist mit absoluter Sicherheit nicht Teil des demokratischen Diskurses."



              Da haben sie recht.