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Umfrage unter Schwarzen MenschenDer tägliche Rassismus

Der Afrozensus zeigt, wie häufig Schwarze Menschen in Deutschland diskriminiert werden – und wie nötig unabhängige Beschwerdestellen sind.

Awet Tesfaiesus (Grüne), erste Schwarze Bundestagsabgeordnete Foto: Lena Mucha/NYT/Redux/laif

Berlin taz | Schwarze Menschen in Deutschland fühlen sich aufgrund ihrer Hautfarbe oder Herkunft diskriminiert, kriminalisiert und exotisiert. Zu diesem Ergebnis kommt der sogenannte Afrozensus, der am Dienstag in Berlin vorgestellt worden ist. „Nie zuvor wurde so tiefgehend untersucht und herausgearbeitet, welche spezielle Formen antischwarzer Rassismus annehmen kann“, würdigte der kommissarische Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Bernhard Franke, die Ergebnisse.

Awet Tesfaiesus, die erste Schwarze Bundestagsabgeordnete (Grüne) sagte der taz: „Um Diskriminierungserfahrungen herauszuholen aus dem Nebel einer angeblichen Subjektivität, braucht es belastbare Zahlen und Fakten. Der Afrozensus ist daher ein Meilenstein im Kampf gegen Diskriminierung in Deutschland“.

Insgesamt leben in Deutschland rund 1 Million Menschen afrikanischer Herkunft. Statistisch ist über diese Gruppe wenig bekannt. Deutsche Behörden fassen ihre Daten allein unter dem Merkmal „Migrationshintergrund“ zusammen, kritisiert Daniel Gyamerah von der Organisation Each One Teach One (Eoto). Das aber werde der Lebensrealität Schwarzer, afrikanischer und afrodiasporischer Menschen im Land nicht gerecht.

Für den Afrozensus hat Eoto zusammen mit der Organisation Citizens For Europe (CFE) deshalb erstmals eine größere Anzahl Schwarzer Personen zu ihren Alltagserfahrungen befragt. Fast 6.000 Personen nahmen an der Onlinebefragung zwischen Juli und September 2020 teil. Ihre Antworten legen nahe, dass antischwarzer Rassismus in der deutschen Gesellschaft weit verbreitet ist.

Doppelte Diskriminierung trifft noch härter

So gab mehr als die Hälfte der Befragten an, schon mal ohne Grund von der Polizei kontrolliert worden zu sein. Eine ebenso große Gruppe gab an, schon für einen Dealer gehalten worden zu sein.

Fast 80 Prozent sagten, beim Onlinedating sexualisierte Kommentare zu ihrem Aussehen oder ihrer vermeintlichen Herkunft erhalten zu haben. Und mehr als 90 Prozent erlebten, dass ihnen jemand ungefragt durch die Haare gewuschelt hat. „Das Problem ist strukturell“, so Gyamerah.

In allen 14 abgefragten Lebensbereichen sind Schwarze Menschen von Diskriminierung oder Rassismus betroffen, heißt es in dem Bericht. So gaben beispielsweise zwei von drei Befragten an, in Schule oder an der Uni wegen ihrer Herkunft schlechtere Noten bekommen zu haben. Ebenso viele berichteten, dass Ärz­t:in­nen ihre Beschwerden nicht ernst nehmen. Diskriminierende Erfahrungen machen Schwarze Menschen auch in den anderen Bereichen: der Wohnungssuche, auf Ämtern und Behörden, im Job, in der Freizeit und so weiter.

Die Au­to­r:in­nen betonen, dass Diskriminierung wahrscheinlicher werde, wenn die Betroffenen gleichzeitig noch zu anderen unterprivilegierten Gruppen gehörten. Dazu zählen ein niedriger Bildungsgrad, die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft, die fehlende deutsche Staatsangehörigkeit oder eine bestimmte geschlechtliche Identität.

So gaben beispielsweise rund 70 Prozent der Befragten an, bei der Wohnungssuche schon diskriminiert worden sein. Bei Schwarzen, die gleichzeitig Muslime sind, waren es rund 90 Prozent. „Wir haben über alle Lebensbereiche hinweg festgestellt, dass die eher deprivilegierten Teilgruppen häufiger Diskriminiserungserfahrungen machen“, so Projektleiterin Teresa Bremberger von Citizens For Europe.

Eoto und CFE fordern die Bundesregierung auf, das Empowerment der Schwarzen Community zu fördern und Beratungsstellen für Betroffene einzurichten. Auch Bernhard Franke von der Antidiskriminierungsstelle hält dies für dringend notwendig – und lobt, dass die Ampelkoalition hier tätig werden will.

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9 Kommentare

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  • Was für ein grauenhafter Artikel! Ich musste mir mehrmals ungläubig an den Kopf fassen, zum Beispiel bei folgender Stelle: "mehr als 90 Prozent erlebten, dass ihnen jemand ungefragt durch die Haare gewuschelt hat. „Das Problem ist strukturell“, so Gyamerah."

    Ja, Rassismus exisitert und ist ein Problem. Solche Rassismus ins lächerliche ziehende Berichte und Artikel werden das aber mit Sicherheit nicht ändern. Denn überhebliche Nörgeleien wie über schlechte Noten, routinemäßige Polizeikontrollen, oder "Haare wuscheln" haben wenig mit Rassismus zu tun. Wie viele der Befragten wurden eigentlich schon mal rassistisch Beleidigt? Wie viele haben Gewalt erlebt? Wurden belästigt oder gemobbt? Unwichtig, Haare-wuscheln ist laut unserer Jungpolitikerin ja eher "ein strukturelles" Problem. Da merkt man schon woher der Wind weht...

    • @Feuerwehrmänner:innen:

      Ist aber kein Wunder wenn in Reportagen jemand behauptet Pocohantas, Mulan, Jasmin wären weiße Prinzessinen. und das unerwidert übernommen wird.

  • Das ist alles noch sehr dezent formuliert! Weiße Schulkinder bleiben im Schulbus lieber stehen als sich neben einem schwarzen Schüler zu setzen. In der Apotheke ist nicht das gewünschte Medikament zu haben. Freie Wohnungen sind bereits vergeben, sobald die Hautfarbe für den Vermieter sichtbar wird. Natürlich ist eine Fußballmannschaft mit einem exzellenten schwarzen Goalgetter ein Kanakkenverein. Man braucht als Schwarzafrikaner eine ordentliche Portion Leidensfähigkeit, um den oft schwer nachweisbaren Alltagsrassismus jahrelang ertragen zu können.

  • @TERRAFORMER

    Ich weiss nicht genau, was Sie mit "Anhang" meinen. Wenn Sie den Report in PDF-Form meinen, dann hier [1].

    Ja, Webseiten sind immer schwieriger. Muss an den agilen Methoden liegen oder was :-(

    [1] afrozensus.de/repo...frozensus-2020.pdf

  • Also ich finde es sogar besser, dass deutsche Behörden keine rassebezogenen Daten über die Bürger erfassen. Damit wurden hierzulande keine guten Erfahrungen gemacht (in den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts). Man weiß nie, in welche Richtung unser Staat vielleicht mal abdriftet und was dann mit solchen Daten passiert.

    Und überhaupt: Wer würde denn bitte beurteilen, wer schwarz, weiß, rot, gelb oder Mischling ist? Bei mehr und mehr Menschen lässt sich da heutzutage überhaupt keine klare Trennlinie ziehen. Und wozu auch?

  • Die Diskriminierung ist da, keine Frage.

    Doch solche subjektiven Befragungen geben keine objektiven Daten. Das haben auch andere Befragungen in der letzten Zeit gezeigt.

    "zwei von drei Befragten an, in Schule oder an der Uni wegen ihrer Herkunft schlechtere Noten bekommen zu haben"

    Haben das die Notengebenden wirklich mit Herkunft begründet? Oder haben da weitere Faktoren - wenn es denn objektivbar ist - eine Rolle gespielt? Ansonsten: sofort Einspruch erheben. Zumindest alle Unis sind da sensibel.

    • @fly:

      Ich verstehe Ihre Kritik. Den Aspekt kann man aber auch vor dem Hintergrund der Frage sehen "Was soll der Bericht aufzeigen?".



      Ungeachtet "objektiver" Daten lernt man ja auch etwas daraus, wenn Menschen subjektiv berichten, dass sie sich diskriminiert fühlen.



      Wenn ich an so manchen 80-jährigen Senior denke, was der für Wörter verwendet, läuft mir regelmäßig ein Schauer den Rücken herunter. Darauf angesprochen schauen die mich aber irritiert an und verstehen nicht, wo das Problem liegt. Ich vermute mal, dass die Intention bei diesen Menschen eine andere ist, als wenn ein AfD-ler dieselbe Wortwahl an den Tag legt.



      Ich kann aber verstehen, wenn sich Betroffene in beiden Fälle beleidigt fühlen.

  • Und hier mal der Link [1] (hey, liebe taz: ...)

    [1] afrozensus.de/

    • @tomás zerolo:

      Sie haben nicht zufällig auch einen Link zum Anhang? Es wird zwar oft darauf verwiesen, aber er ist weder Teil des Berichts noch konnte ich ihn auf der Webseite finden.