Gewerkschaften und Klimapolitik: Klima contra Arbeit
Klimapolitik kann Arbeitsplätze kosten. Aufgabe der Gewerkschaften ist, bei ökologischen Lösungskonzepten an die sozialen Folgen zu erinnern.
D ie Entscheidung sei „politisch unklug, unüberlegt und populistisch“, wetterte Betriebsratschef Alois Schwarz 1992 in den Produktionshallen von Messerschmidt-Bölkow-Blohm. 8.000 hochqualifizierte Stellen sah der bayerische Metallgewerkschafter in Gefahr, als die Bundesregierung den Auftrag zum Bau des Kampffliegers Jäger 90 bei der Mutterfirma Deutsche Aerospace (heute Teil der Airbus-Gruppe) stornieren wollte.
Nach dem Ende des Kalten Krieges schien Rüstungskonversion das Gebot der Stunde, zudem belastete die deutsche Vereinigung die öffentlichen Etats. Der massive Druck von Konzernleitung und Arbeitnehmerorganisationen hatte dennoch Erfolg. Das in Eurofighter umbenannte und gemeinsam mit Partnerländern in Serie gebaute Flugzeug kostete in den folgenden Jahrzehnten rund hundert Milliarden Euro.
Betriebsräte als Militärlobbyisten, weil ihnen die Angst vor Werksschließungen im Nacken sitzt: Dieses Muster wiederholte sich 2014. Die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen befürwortete nach anfänglichem Zögern die Entwicklung bewaffneter Drohnen. Auf ihre Zusage reagierten neben Rüstungsmanagern auch Gewerkschafter begeistert: Das sichere Tausende von Jobs in der Branche, jubelte Bernhard Stiedl von der IG Metall Ingolstadt. Hauptsache Arbeitsplatz:
Ist es den Interessenvertretungen egal, womit Beschäftigte ihr Geld verdienen? Wenn es um die Existenz von Unternehmen geht, zählen in den Arbeitnehmerverbänden moralische Bedenken relativ wenig. Das gilt für den Umgang mit Waffenherstellern und erst recht im Kampf gegen die Erderwärmung. Die konservative Industriegewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie warnt regelmäßig vor einem frühen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung, den Klimaktivist:innen eindringlich anmahnen.
ist promovierter Politikwissenschaftler und Autor für Radio und Printmedien in Köln.
Der private PKW bleibt tabu
Auto-Betriebsräte versuchen das Verbot des Verbrennungsmotors auszubremsen, im ersten Corona-Lockdown verlangten sie wie in der Finanzkrise staatliche Abwrackprämien beim Kauf von Neuwagen. Als die schwarz-rote Koalition dies verweigerte und selbst die gewerkschaftsnahe Sozialdemokratie nicht mitzog, kamen scharfe Reaktionen aus der IG Metall und vom DGB-Bundesvorstand.
Unter den Metallern gibt es aber auch Gegenstimmen. Seit Jahren wird intern über die ökologische „Transformation“ diskutiert. Man will das Thema mit positiven Vorschlägen besetzen. Die Funktionäre hoffen dabei vor allem auf den Bau von Elektrofahrzeugen. Mobilitätskonzepte, bei denen nicht der private Besitz von Autos im Mittelpunkt steht, gehen den meisten allerdings zu weit.
Denn eine fundamentale Verkehrswende auf der Basis der Sharing-Ökonomie und öffentlicher Transportmittel könnte zahlreiche Jobs in der deutschen Leitbranche kosten. Der schwierige Balanceakt zwischen Arbeitsplatzinteressen und ethischen Grundsätzen ist eine historische Endlosschleife. Schon in den 1970er Jahren gingen Werftarbeiter für den Export von Unterseebooten in das von einer Militärdiktatur beherrschte Chile auf die Straße.
Beschäftigte der Energiewirtschaft demonstrierten nicht gegen, sondern für den Bau von Atomkraftwerken. Doch blinde Flecken gibt es nicht nur auf der Seite der Arbeitnehmer, wie die Klimadebatte zeigt. Die Fridays-for-Future-Aktivist:innen, oft aufgewachsen in saturierten bürgerlichen Familien, sind nicht gerade für ihre sozialpolitische Sensibilität bekannt.
Die eigene privilegierte Situation reflektieren sie meist wenig, die Perspektiven der Kumpel im rheinischen Revier oder in der Lausitz sind ihnen weitgehend gleichgültig. Der Jenaer Soziologe Klaus Dörre fordert angesichts der ökonomisch-ökologischen „Zangenkrise“ einen Labour turn bei den Klimabewegten und einen Climate turn bei den Gewerkschaften. Ermutigt hat ihn die Stimmung im überfüllten Audimax der Universität Leipzig im Mai 2019, bei der Gründung der Students for Future.
Mangelndes Sozialempfinden
Auf die Frage, ob eine Nachhaltigkeitsrevolution innerhalb kapitalistischer Verhältnisse möglich sei, habe er vom Publikum ein vielstimmiges „Nein!“ zu hören bekommen. Und der Vorschlag, große Konzerne bei einer Blockadehaltung gegenüber Klimazielen zu sozialisieren, erhielt tosenden Applaus. Der Wissenschaftler propagiert seither den „Ökosozialismus“. Auf euphorische Reden folgten in Leipzig Taten.
Ökologisch engagierte Studierende unterstützten den Streik von Ver.di im Nahverkehr für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne. In 25 Städten bildeten sich während der „Klima-Tarifrunde“ Solidaritätskomitees. Solche Allianzen sind im Kontext des industriellen Umbaus aber keineswegs die Regel. Von einem Labour turn unter Baumhausbewohner:innen im Hambacher Forst war wenig zu spüren, eher wurden Tagebauarbeiter beschimpft oder gar körperlich attackiert.
„Einige Akteure des militanten Flügels vom Bündnis Ende Gelände, die jede Art von Wirtschaftswachstum ablehnen, betrachten selbst die Besatzungen der Förderbrücken als feindliche Gruppierungen, die symbolischen Besetzungsaktionen im Wege stehen und mit ihrer Berufstätigkeit gezielt am Ruin des Planeten arbeiten“, berichtet Dörre über seine Erfahrungen bei einem Forschungsprojekt im Brandenburger Revier.
Gewerkschaften und Linke haben das Klimaproblem lange unterschätzt. Im Vergleich zum Erhalt von Jobs galt es als nachrangig. Neben inhaltlicher Differenzen beruhen die Spaltungen zwischen den Milieus auch auf der Art der Vermittlung, des öffentlichen Auftritts. Der Absolutheitsanspruch von Greta Thunbergs „I want you to panic“ erinnert an die Allmachtsfantasien ideologisch eingemauerter linker Kader von einst.
Den Gewerkschaften könnte hier die Rolle eines mäßigenden Korrektivs zukommen: Sie sollten immer wieder auf die sozialen und verteilungspolitischen Folgen von rein ökologisch orientierten Lösungskonzepten hinweisen.
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