Strom, Gas und Öl teurer: Energiepreise alarmieren Europa
Verbraucher und Regierungen verunsichern die gestiegenen Energiepreise – dabei könnten diese auch helfen, die CO2-Emissionen zu senken.
Beinahe panisch reagierte der Strommarkt. Großhändler, die an diesem Donnerstag Strom auf dem Spotmarkt einkauften, mussten im Tagesmittel sagenhafte 303 Euro je Megawattstunde bezahlen. In vielen Nachbarländern war das Preisniveau ähnlich. Zuletzt hatten die Preise im Mittel bei etwa 40 Euro gelegen.
Was sind die Gründe? In den Sommermonaten waren es vor allem die auf über 60 Euro pro Tonne gestiegen CO2-Preise, die den Strompreis mitzogen. Da die EU die verfügbaren CO2-Budgets limitieren will, steckte hinter der Entwicklung schlicht Marktlogik.
Im September trieben dann globale Faktoren die Preise. Vor allem Asien kauft aktuell viel Erdgas ein – und verknappt damit das Angebot in Europa. Unklar ist zugleich die Rolle Russlands und dessen Gasversorgers Gazprom. Gazprom Germania ließ eine taz-Anfrage zu den Hintergründen des Preisanstiegs unbeantwortet.
Verbraucher in Sorge
Aus Zahlen, die Gazprom selbst veröffentlichte, geht allerdings hervor, dass die Lieferungen über Weißrussland in die EU seit Ende September um bis zu 70 Prozent gesunken sind. Das nährt Spekulationen, Russland wolle Druck machen bei der Genehmigung der umstrittenen Ostseepipeline Nord Stream 2.
Viele Verbraucher sind in Sorge. Zwar kommen die Gas- und Strompreise bei Privatkunden erst verzögert an, weil die Versorger sich meist langfristig mit Energie eindecken. Gleichwohl dürften deutliche Aufschläge unausweichlich sein, wenn Mitte November die Versorger ihre Konditionen für 2022 veröffentlichen.
Betroffen von den hohen Energiepreisen ist ganz Europa, die nationalen Regierungen sind verunsichert. Alle Länder stehen vor einer grundsätzlichen Entscheidung. Wollen sie den steigenden Energiepreisen hinterher subventionieren, was allen Bestrebungen zum Klimaschutz widerspräche?
Oder lassen sie den Energiepreisen freien Lauf, weil diese schlicht die Verknappung von CO2-Budgets und die Grenzen der Rohstoffverfügbarkeit widerspiegeln? Zur Vermeidung sozialer Härten könnte in diesem Fall ein anderweitiger Ausgleich greifen. Ein solches Konzept hatten in Deutschland vor der Wahl die Grünen vorgeschlagen mit ihrem „Energiegeld“, also einer Pro-Kopf-Rückgabe eingenommener CO2-Steuern. Es wird wohl in den anstehenden Koalitonsverhandlungen eine Rolle spielen.
Rütteln am europäischen Energiemarkt
Frankreich, Spanien, Griechenland, Tschechien und Rumänien zeigten sich inzwischen bereit, an den Grundfesten der europäischen Energiemärkte zu rütteln – und die Strompreise stärker an den nationalen Strommix zu koppeln. Vor allem jene Länder, die selbst wenig Erdgas verstromen, hoffen damit auf günstigere Preise. Dabei war ein möglichst einheitlicher Energiemarkt lange eines der Aushängeschilder europäischer Integration.
EU-Energiekommissarin Kadri Simson kündigte indes eine „neue Toolbox“ an – Leitlinien, die den Mitgliedstaaten helfen sollen, die Energiepreise in den Griff zu bekommen, „ohne den politischen Rahmen der EU zu verlassen und die gemeinsamen Klimaziele aus den Augen zu verlieren“. Als konkrete Schritte nennt die Kommissarin die Steuerpolitik.
Auch seien gezielte Maßnahmen für schutzbedürftige Verbraucher oder befristete Maßnahmen für Haushalte und kleine Firmen oder eine direkte Unterstützung von Bürgern möglich. Solche Eingriffe sollten aber nur kurzzeitig erfolgen. Langfristig brauche man „mehr erneuerbare Energien und mehr Energieeffizienz“.
Einige Länder haben bereits Kurzfristmaßnahmen beschlossen: Frankreich greift massiv in die Märkte ein und deckelt kurzerhand bis April – dann ist Präsidentschaftswahl – die Verbraucherpreise. Anbieter, die Gas unter Einkaufspreis abgeben müssen, werden vom Staat entschädigt, bedürftige Haushalte bekommen „Energieschecks“ über 100 Euro. Spanien senkte indes die Mehrwertsteuer auf Strom.
Gegen eine Senkung der Energiekosten durch Senkung der CO2-Preise hat sich indes der Lobbyverein CO2 Abgabe e.V. ausgesprochen: Interventionen „zur Senkung der Preise sind abzulehnen“, sagte Vorstand Jörg Lange. Am 21. und 22. Oktober wollen die Staats- und Regierungschefs der EU über das weitere Vorgehen beraten.
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