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Gespräche mit den TalibanKeine Verhandlungen mit Terroristen

Gastkommentar von Mortaza Rahimi

Wer mit den Taliban reden will, verkennt, welche Bedrohung von ihnen ausgeht. Nötig ist massiver internationaler Druck.

Kabul am 19.08.: Taliban patrouillieren nach ihrer Machtübernahme durch die Straßen Foto: Rahmat Gul/ap

E U-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich für Verhandlungen mit den Taliban ausgesprochen und sagt, es bedeute keine Anerkennung. Sie verkennt diese Terrorgruppe. Die Taliban wurden in Pakistan mit Härte und einem versteinerten Glauben in allen Lebensbereichen erzogen.

In der politischen Kultur gilt schon als Blasphemie, sich gegen etwas zu stellen, was die Taliban-Führung richtig findet. Wer rebelliert, kann bestraft, auch getötet werden. Ein Dialog, überhaupt ein Für und Wider, ist den Taliban fremd. Gespräche mit ihnen sind deshalb zwecklos und sogar schädlich. Die Taliban werden nur mehr Zugeständnisse erzwingen, ohne selbst ihre Zusagen einzuhalten.

Fakt ist, dass die Bundesregierung ihren Mitarbeitern in Afghanistan gegenüber fahrlässig gehandelt hat. Der Vormarsch der Taliban ist seit Monaten klar, auch dass sie die Tore Kabuls erreichen können. Ohne diese Fahrlässigkeit hätte die Evakuierung der Ortskräfte schon vor Monaten begonnen. Dies ist nicht passiert und hat die derzeitige dramatische Situation erst geschaffen.

Selbst wenn es gelingen sollte, auf diese Weise besonders gefährdete Menschen außer Landes zu bringen, darf man nicht vergessen, dass es Millionen anderer Menschen in Afghanistan gibt, die weder einen ausländischen Pass besitzen, noch zu den Ortskräften gehören. Sie müssen unter der tyrannischen Herrschaft der Taliban leben.

Mortaza Rahimi

Jahrgang 1991, musste seine Heimat Afghanistan Ende 2011 wegen Todesdrohungen der Taliban verlassen und lebt heute in Berlin. Er ist Journalist, Student und Aktivist.Er arbeitet als persischer Redakteur für das mehrsprachige Magazin kulturTür http://www.kulturtuer.net.

Eine nach wie vor gefährliche Gruppe

Ihre einzige Hoffnung besteht nun in der internationalen Gemeinschaft. Dafür müssen die Taliban international massiv unter Druck gesetzt werden, denn sie gefährden nicht nur das afghanische Volk, sondern auch die globale Sicherheit. Allein dass Khalil-­ur-­Reh­man Haq­qa­ni, einer der meistgesuchten Terroristen der USA, in der zukünftigen Taliban-Regierung sein wird, zeigt, wie gefährlich die Gruppe nach wie vor ist. Entgegen ihren Behauptungen kooperieren sie weiterhin mit internationalen Terroristen.

Pakistan hat die Taliban geschaffen. Saudi-Arabien stützt sie ideologisch und politisch. Statt mit den Taliban zu sprechen, muss mit diesen Ländern verhandelt werden, dass die Taliban die Menschenrechte respektieren, insbesondere die Rechte der Frauen. Sie müssen mit der Unterdrückung der ethnischen Minderheiten, insbesondere der schiitischen Hazara, aufhören. Vielen scheint noch nicht klar zu sein, dass ihnen ein Völkermord drohen könnte, weil sie von den Taliban nicht als Muslime angesehen werden.

In Afghanistan droht noch viel größeres Leid als das, was wir derzeit sehen. Und es nicht abwegig zu befürchten, dass die Welt nicht mehr hinschaut, wenn die westlichen Ausländer und die Ortskräfte ausgereist sind.

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15 Kommentare

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  • Warum müssen insbesondere die schiitischen Hazara vor der Unterdrückung geschützt werden? Was ist mit Christen, Juden, Buddhisten, Hindus ...?

    • @Ber.lin.er:

      Weil in fast jeder Religion die "Ketzer" und "Häretiker" die dem selben Glauben angehören ,aber eine manchmal nur in Details abweichende Meinung haben,das "größte Gräuel in Gottes Auge" sind,schlimmer als alle Ungläubigen.



      Der Hauptunterschied zwischen Schiiten und Sunniten dreht sich nicht um grundlegende theosophisch-philosophische Fragen ,sondern um die Frage wer der berechtigte Nachfolger des Propheten ist. Also ein hierarchisch-administratives Problem,dessen praktische Bedeutung in den darauf folgendem 1400 Jahren immer mehr abgenommen hat.

  • Die Sprache und Perspektive in dem Artikel, bedarf etwas mehr Differenzierung.

    1. Was genau sind Terroristen?



    Nicht alle Terroristen/Taliban sind gleich. Mit einigen kann man verhandeln mit anderen sollte man es lieber lassen. Dennoch muss man beide Seiten berücksichtigen in der Planung & immer offen sein, falls eine Annäherung möglich wird.



    Pakistan hat die Taliban nicht ohne Grund geschaffen. Für Pakistan unterscheidet sich ihr und der Kampf der Taliban kaum von dem Kampf den manche US, RUS Unternehmen oder IND und CHI Regierungen führen.



    Verhandeln tut man immer, nur wie genau ist die frage. Auch Krieg ist eine Art der Verhandlung, wenn man es genau nimmt.



    Es ist also sehr relevant, wer hier mit wem genau verhandelt und wozu!

    2. Internationaler Druck ist ja so eine art der Verhandlung. Alternative ist nur Krieg oder es zu ignorieren - was beides eher schlecht wäre und zu noch weniger führt. Jedenfalls Krieg allein - wie man sieht.

    3. Die einzige Hoffnung ist nicht nur die internationale (Zivil)Gemeinschaft, sondern auch das eigene Volk, das sich zwangsweise gegen seine Unterdrücker auflehnen muss. Sei es demokratisch oder eben anders - und ja, auch mit jeder hilfe die es bekommen kann.

    4. USA, EU und Russland verkennen eher nicht die anderen Gruppen. Sie verkennen die Relevanz bestimmter Infos, Werte und Methoden für politische und soziale Orgas. Im Gegenteil, sie sind doch Teil der ganzen Kette und des Komplexes an Gewalt, Ausbeutung, Lügen und Ineffizienz.



    Besonders Russland und USA aber auch Europa.



    Es werden Infos zurückgehalten, es werden nicht alle Meinungen und Ansprüche berücksichtigt und so läuft das dann im schlimmsten fall ....



    So lange man Geschäfte halbwegs machen kann, is alles andere egal. Man verhandelt also schon laaaange - und leider mit den falschen Leuten und den falschen Prioritäten auf beiden Seiten.



    Leider ein sehr tragische Angelegenheit, die man nur mit viel Reflektion & REorganisation auf beiden Seiten hinbekommt.

  • Zitat: „Ihre einzige Hoffnung besteht nun in der internationalen Gemeinschaft. Dafür müssen die Taliban international massiv unter Druck gesetzt werden, denn sie gefährden nicht nur das afghanische Volk, sondern auch die globale Sicherheit.“

    Ach? Und was war das, was „der Westen“ in den letzten 20 Jahren gemacht hat mit den Taliban? Knuddeln und kuscheln?

    Wer sich auf Leute verlässt, die sich ausschließlich um den Erhalt ihres auf der Angst anderer basierenden „Respekts“ kümmern, der ist im Ernstfall ziemlich verlassen. Und nach Gewalt rufen fast immer nur die, die ihren Hintern rechtzeitig in Sicherheit gebracht haben davor - und die deswegen ihr schlechtes Gewissen plagt.

    Dass Druck (das verharmlosende Wort für Gewalt) ihre „einzige Hoffnung“ ist, wurde „den Afghanen“ jetzt lange genug erzählt, finde ich. Wenn sich die Erzählungen des Westens (who the fuck…?) nicht sehr bald ändern, wird „den Afghanen“ (sofern sie nicht das Glück hatten ausgeflogen zu werden und dauerhaft außerhalb Afghanistans bleiben zu dürfen) bald gar nichts anderes mehr übrig bleiben, als ihre Hoffnungen auf „die Chinesen“ und „die Russen“ zu setzen. Und die werden ihre Tür ganz sicher nicht zusperren. Die werden ihre Chance nutzen. Schon, weil auch sie von Leuten regiert werden, die ideologisch ähnlich verbohrt und (fast) so kritik- und kompromissunfähig sind wie die Taliban, nur etwas moderner angestrichen.

    „Den Afghanen“ ist nicht geholfen, wenn sie auf „die Chinesen“ oder „die Russen“ hoffen. Den Anführern Chinas und Russlands aber allemal. Seine Soldaten haben „dem Westen“ jetzt 20 Jahre Zeit verschafft, den Afghanen zuzuhören und bei der Lösung der Probleme zu helfen, die die selbst bewältigen wollten. Die teuer erkaufte Zeit wurde vertan mit Selbstbeweihräucherung und dem Versuch, ein Marionettensysthem zu etablieren, von dem man zu profitieren gedachte. Funktioniert hat dieser Plan nicht. Es bleibt die Schuldfrage. Und die war beantwortet, bevor sie überhaupt gestellt war.

  • Nein, da kann man leider nicht viel machen. Die Handlungsoptionen sind verbraucht. Afghanistan war nach 20 Jahren Besatzung durch den Westen nicht in der Lage sich selbst zu verteidigen. Der Rachefeldzug, die Vergeltung für den Terroranschlag vom 11. September ist vorbei. Was sich grossmäulig enduring freedom, andauernde Freiheit nannte konnte sein Versprechen nicht einlösen. Dafür hat der Orient in der Zwischenzeit mindestens vier größere Kriege erlebt, der Krieg in Lybien, der Krieg im Irak, der Krieg in Syrien und der Krieg im Jemen, neben der Invasion in Armenien, in den syrisch kurdischen Gebieten und der Radikalisierung der Türkei. Die muslimische Welt destabilisiert sich immer mehr. Erfolgreiche Verhandlungen mit den Taliban könnten diesbezüglich sogar eine Trendwende einleiten. Wenn sie weiterhin im Westen die militärische Protektion der afghanischen Zivilgesellschaft fordern, hilft das den konservativen Kräften hier. Hätten wir im vergangenen Jahrzehnt eher linke Regierungen gehabt, wären auch mehr Flüchtlinge anerkannt worden als es geschehen ist. Jedoch verschiebt starker Zuzug die Bevölkerung hin zu national und konservativ und die fragen dann nicht, die schieben ab und machen die Grenzen richtig dicht, von den anderen Übeln reaktionärer sich selbst als freiheitlich feiernder Politik einmal abgesehen. Ähnliches gilt auch für Iran und mittlerweile wieder Kuba. Wirtschaftssanktionen dienen dazu die Versorgungslage der Bevölkerung zu verschlechtern, damit diese unzufrieden gegen die Obrigkeit rebelliert oder sogar in einen gewaltsamen Konflikt eintritt. Ein anderer Weg wäre die Etablierung sozialdemokratischer Politik in den jeweiligen Ländern, wobei durch umsichtige und kluge politische Entscheidungen ein neues die Gesellschaft veränderndes Bewusstsein die Möglichkeit hat sich zu entwickeln.

  • „In Afghanistan droht noch viel größeres Leid als das, was wir derzeit sehen. Und es nicht abwegig zu befürchten, dass die Welt nicht mehr hinschaut, wenn die westlichen Ausländer und die Ortskräfte ausgereist sind“



    Es ist immer noch der mit den Taliban verfeindete IS vorhanden, der leider in den Medienberichten kaum erwähnt wird. Was ist, wenn nun zwischen beiden Organisationen Kämpfe ausbrechen? Genauer gesagt, Kämpfe um die Macht im Staate Afghanistan? Wieder wird es das afghanische Volk sein, das die Kriegslasten tragen und Opfer bringen muss. Hilfe aus dem Westen wird diesmal nicht kommen, man hat (hoffentlich) gelernt!

  • Nicht so hastig. Wir handeln ja auch mit Saudi-Arabien, dessen Rechtssprechung auf dem 7. Jahrhundert basiert. Die afghanische Taliban-Gesellschaft sollte schon anerkannt werden, unser Engagement sollte sich aber in Grenzen halten. Das wünsche ich mir auch in Bezug auf Saudi-Arabien.

  • Es ist wenigstens noch im realistischen Rahmen die ganz besonders gefährdeten afghanischen Mitarbeiter evakuieren zu versuchen. Da muß man nun mal mit denjenigen reden ,die vor den Ton angeben.



    Wie soll denn der Druck der internationalen Gemeinschaft auf die Taliban aussehen? Etwa die ultimative Waffe Sanktionen anwenden,die bisher noch jedes undemokratische Regime in die Knie gezwungen hat? (Achtung Sarkasmus)Und was soll es bringen Länder wie Pakistan und Saudi-Arabien zwischenzuschalten ,die es mit Menschenrechten und Minderheiten auch nicht so genau nehmen (hüstel) und die Taliban aufgebaut haben?



    Tatsache ist das die eine internationale Gemeinschaft eh nicht gibt.Es gibt verschiedene Interessengruppen.China steht doch schon bereit oder hat sogar schon ersten Verhandlungen aufgenommen.



    Wenn es der "westlichen Gemeinschaft" tatsächlich um Menschenrechte etc. gehen würde,hätte man doch schon längst Saudi-Arabien "befreit" und eine demokratische Regierung eingesetzt,auch in Pakistan "aufgeräumt" und und und. Stattdessen arbeitet man nicht nur wie weiterhin mit diesen Ländern zusammen ,man unterstützt auch demokratisch sehr fragwürdige Regierungen in Afrika mit Militäreinsätzen.



    Kurz und knapp:Die "internationale Gemeinschaft" hat sich nach zwei Jahrzehnten Intervention und Investition von Billionen aus Afghanistan zurück gezogen und möchte das ganze Abenteuer am liebsten vergessen und nicht mehr darüber reden. Wer in Afghanistan lebt und nicht mit den Verhältnissen unter den Taliban zurecht kommt,hat einfach die Arschkarte gezogen: Es gibt erstmal keine Hilfe von außen!

  • Taliban unter Druck setzen?

    China und Russland gehören auch zur internationalen Gemeinschaft und die werden ihre schützende Hand über die Taliban legen, da kann der "Westen" machen was er will. Alles andere sind Traumvorstellungen.

    • @V M:

      "Die Taliban werden nur mehr Zugeständnisse erzwingen, ohne selbst ihre Zusagen einzuhalten."

      Man gibt Leistungen nur "Zug um Zug" gegen Gegenleistung, bzw. lässt die Taliban zuerst "liefern", bevor es Konzessionen gibt, die im Grunde in der Finanzierung von Teilen des normalen Lebens in Afghanistan bestehen würden. Verhandeln kann man nur, wenn man auch bereit ist, die eigenen Leistungen einzustellen.

  • Afghanistan stehen schwere Zeiten ins Haus, das Land ist zerstört, die Ernte wird mager ausfallen und die Taliban werden Probleme bekommen, das Land ohne Hilfe von aussen zu regieren. Eine gute Ausgangslage, um Druck und Einfluss aus zu üben. Allerdings über Gespräche und Verhandlungen.

    Die letzten zwanzig Jahre sollten uns eine Lehre sein. Eine Lehre, dass Gewalt und Sanktionen und massiver Druck nicht unbedingt der beste Weg sind, andere von unseren Werten zu überzeugen.

  • 3G
    30208 (Profil gelöscht)

    Mit wem soll man denn verhandeln, wenn nicht mit dem "Gegner "? Auch wenn dabei wenig herauskommt, heißt die unterschwellig angedeutete Alternative Krieg - gab es ja dort schon lange nicht mehr.

    • 9G
      97627 (Profil gelöscht)
      @30208 (Profil gelöscht):

      Wer sagt denn, dass auf Pakistan kein Druck ausgeübt wurde? Und wer glaubt denn, dass Druck auf die Politik dort die Geheimdienste und das Militär juckt?

    • 9G
      97627 (Profil gelöscht)
      @30208 (Profil gelöscht):

      Richtig, mal abgesehen davon dürfte man mit den USA (Dronenkrieg, Entführungen, Folter, Todeslisten) dann auch nicht verhandeln.

  • Massiven internationalen Druck gab es ja die letzten 20 Jahre - das der letztendlich Erfolg hatte kann man ja jetzt nicht behaupten...