Selektive Aufnahme von Geflüchteten: Zwei-Klassen-Asyl

Die Luftbrücke aus Kabul ist richtig. Umso größer ist der Hohn für die Schutzsuchenden, die nicht für ausländische Regierungen gearbeitet haben.

Junge Frau trägt ihren Sohn Asrah auf dem Arm

Welcome to Europe: Aliah aus Afghanistan im September 2020, im Flüchtlingslager Moria gestrandet Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

Es gibt neuerdings zwei Klassen von Fliehenden aus Afghanistan. Die einen haben in der Vergangenheit für ihr europäisches Gastland gearbeitet und sich dadurch in der afghanischen Heimat in Gefahr gebracht, seit dort wieder die Taliban an der Macht sind. Sie bekommen jetzt Einreisevisa und Aufenthaltsrecht und werden mit dem Flugzeug abgeholt – jedenfalls sofern sie die richtigen Papiere haben und überhaupt zum Flughafen von Kabul gelangen, was vielen verwehrt wird mittels Bürokratie und Waffengewalt oder einfach deswegen, weil sie gar nicht bis in die Stadt kommen.

Die anderen Flüchtenden aus Afghanistan werden einfach nur verfolgt und fürchten um ihr Leben, weil ihre bisherige Vita nicht den Moralvorstellungen der Taliban entspricht. Sie können jetzt sehen, wo sie bleiben. Entweder werden sie gleich an den Toren des Flughafens von Kabul zurückgewiesen und erschossen, oder sie landen in von Spitzeln durchsetzten Lagern in der Islamistenhochburg Pakistan, oder sie sterben auf dem Weg nach Europa: auf der lebensgefährlichen Odyssee durch Iran und die Türkei, in der Hölle der griechischen Insellager oder irgendwo in einem der vielen rechtsfreien Räume Europas zwischen Bosnien und Calais, in denen „Illegale“ gejagt werden wie Ungeziefer.

Diesen Flüchtlingen wird Europa nicht die Hand reichen, denn „2015 darf sich nicht wiederholen“, wie es derzeit fast täglich irgendein deutscher Politiker sagt. Man wird vielleicht noch ein paar medienwirksame Sonderevakuierungen veranstalten – für „Verteidiger der Menschenrechte, Künstler, Journalisten“, wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verspricht – und vielleicht kommen sogar einige Zehntausend in den Genuss eines Resettlement-Programms. Aber auch das heißt: Europa wählt einzelne Personen aus, der Rest wird ignoriert.

Das ist neu: Europa sucht sich seine Afghanistanflüchtlinge selbst aus. Über Einreise und Aufnahme entscheidet nicht das Ausmaß der Gefährdung, sondern der Grad der Loyalität beziehungsweise das europäische Interesse. „Die Menschen, die für uns gearbeitet haben, denen gegenüber haben wir eine Verpflichtung – aber das muss ­exakt begrenzt sein auf diese Menschen“: Wer hätte gedacht, dass die Maxime von AfD-Fraktionschef Alexander Gauland zu Afghanistanflüchtlingen ziemlich genau die Position der EU und ihrer Regierungen wiedergibt.

Die westliche Luftbrücke aus Kabul ist gut und richtig. Sie zeigt, was möglich ist, wenn man nur will. Umso größer ist der Hohn für die große Mehrheit der Afghanen, die Schutz brauchen, ohne für ausländische Regierungen gearbeitet zu haben.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.