Schmutzkampagnen im Wahlkampf: „Herr Brandt alias Frahm“
„Negative Campaigning“ gab es in Bundestagswahlkämpfen schon, als der Begriff noch völlig unbekannt war. Bereits Adenauer war ein Meister darin.
Doch der Satz stammt aus einem ganz anderen Bundestagswahlkampf. Er steht in einem kaum minder überdrehten „Rotbuch“, das die CSU-Landesleitung 1972 zur „Entlarvung“ der SPD herausgegeben hat. Und der Lebenslauf, um den es hier geht, ist der des damaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner.
Vorgeblicher Zweck der 52-seitigen CSU-Broschüre war es, über das vermeintlich dunkle Vorleben und die noch dunkleren Absichten von Wehner sowie des aus ihrer Sicht nicht minder gefährlichen SPD-Vorsitzenden Willy Brandt aufzuklären: „Der deutsche Wähler hat das Recht, die Wahrheit über die SPD und ihre politischen Führer zu kennen“, heißt es im Vorwort.
So wird dem Ex-KPD-Mitglied Wehner unter anderem vorgeworfen, in seinem im Bundestagshandbuch veröffentlichen Lebenslauf verschwiegen zu haben, dass er als kaufmännischer Angestellter 1927 „nach wenigen Monaten wegen kommunistischer Agitation entlassen wurde“. Die Botschaft des „Rotbuchs“: Wehner und Brandt – für die CSU nur ein „angeblich Verfolgter des Dritten Reiches“ – seien eigentlich tiefrote Vaterlandsverräter, die ihre wahre Gesinnung und Absichten verbergen würden.
Adenauers schmutzige Wahlkampftricks
Das „Rotbuch“ ist ein Beispiel dafür, dass Schmutzkampagnen im Wahlkampf keineswegs ein neues Phänomen sind. Negative Campaigning war als Begriff noch gänzlich unbekannt, da wurde es bereits in Deutschland praktiziert. Vor allem die Unionsparteien verstanden sich seit den Anfängen der Bundesrepublik bestens darauf. Schon Konrad Adenauer war geradezu ein Meister darin.
Auf dem Höhepunkt des Bundestagswahlkampfs 1953 behauptete Adenauer öffentlich, SPD-Politiker ließen sich von der DDR bezahlen. Zwei nordrhein-westfälische Genossen hätten „je 10.000 DM West aus der Sowjetzone erhalten“. Das Geld stamme aus einem Fonds der SED für Wahlkampfzwecke. Einen Beweis blieb der damalige CDU-Vorsitzende und Bundeskanzler schuldig. Aber er beharrte auf seinen Anschuldigungen – bis zum Wahltag.
Nach seinem Wahlsieg ließ Adenauer Anfang 1954 das Bonner Landgericht lapidar wissen, seine Informationen seien leider falsch gewesen: „Ich nehme deshalb mit dem Ausdruck des Bedauerns meine Behauptung zurück“, teilte er in einer Erklärung mit. Damit war der Fall für ihn juristisch erledigt. „Ein Journalist, der die gleiche Behauptung verbreitet hätte, wäre nach § 187 a StGB wegen ‚politischer übler Nachrede‘ mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft worden“, kommentierte seinerzeit der Spiegel.
Nur wenige Wochen nach seinem schriftlichen Bedauern der Wahlkampflüge spottete der auch ansonsten nicht gerade zimperliche Adenauer im Bundestag in Richtung der zutiefst empörten Sozialdemokraten: „Wenn Sie dieses Auftreten und Reden einige Millionen Stimmen gekostet hat, dann bin ich sehr froh darüber.“
Im Bundestagswahlkampf 1961 richtete Adenauer dann seine Giftpfeile direkt auf den jungen SPD-Kanzlerkandidaten Willy Brandt, „der so vornehm tut“. Auf einer Wahlveranstaltung vor 20.000 Menschen im bayrischen Regensburg sagte Adenauer: „Wenn einer mit der größten Rücksicht behandelt worden ist von seinen politischen Gegnern, dann ist das der Herr Brandt alias Frahm.“
„Wie weiland Adolf Hitler“
Das war ein perfider Satz, mit dem der greise CDU-Vorsitzende auf Brandts Geburtsnamen Herbert Frahm und dessen Herkunft als unehelicher Sohn einer Verkäuferin anspielte. Mit diesem Ausspruch, „der sich wie eine Wendung im Polizeijargon für Hochstapler las“ (Spiegel), zielte Adenauer auf die moralische Integrität seines sozialdemokratischen Herausforderers.
Damit war Adenauer nicht alleine. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Richard Jaeger stellte den Antifaschisten Brandt gleich in eine Reihe mit Hitler: „Wenn es ihn, wie weiland Adolf Hitler, dessen Familienname eigentlich Schicklgruber war, danach gelüstet, unter einem fremden Namen in die Weltgeschichte einzugehen, so ist dies das Geringste, was uns an seinem Vorhaben stören könnte.“
Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Kai-Uwe von Hassel nahm sich Brandts Zeit im norwegischen Exil vor: „Ich verleugne nicht meine Volks- und Staatsangehörigkeit persönlicher oder sonstiger Vorteile wegen“, giftete er in Richtung des 1933 aus Deutschland geflohenen und 1938 von den Nazis ausgebürgerten Brandt. Und CSU-Verteidigungsminister Franz Josef Strauß formulierte spitz: „Eines wird man doch aber Herrn Brandt fragen dürfen: Was haben Sie zwölf Jahre lang draußen gemacht? Wir wissen, was wir drinnen gemacht haben.“
Flankiert wurden die verbalen Injurien führender Unionspolitiker von zwei Büchern eines dubiosen in München ansässigen Verlags, wovon eines Brandts Emigrationszeit ins Zwielicht zu rücken suchte und das andere sich mit seinem angeblich ausschweifenden Liebesleben beschäftigte. Gegen beide Schmähschriften ging Brandt erfolgreich juristisch vor – was jedoch nur begrenzt nutzte, berichteten doch die unionsnahen Zeitungen geradezu mit Wollust über die vermeintlichen „Enthüllungen“. Und etwas bleibt halt immer hängen.
Diffamierungsopfer Willy Brandt
Von 1961 über 1965 und 1969 bis 1972: Verunglimpfungen und Verleumdungen des SPD-Frontmanns ziehen sich wie ein roter Faden durch die Bundestagswahlkämpfe der Union – Mal für Mal mit abnehmendem Erfolg, die SPD-Wahlergebnisse zum Maßstab genommen.
1969 schickte eine Koalition der SPD mit der FDP die CDU und die CSU erstmals in die Opposition, Willy Brandt wurde Bundeskanzler – ein demokratischer Regierungswechsel, den die CSU in ihrem „Rotbuch“ von 1972 als „Machtergreifung“ bezeichnet. Das Pamphlet steht in der unrühmlichen Kontinuität der Diffamierung des politischen Gegners.
Gleichwohl behaupteten die Verfasser der Kampfschrift, es sei nur eine Reaktion auf Angriffe aus dem sozialliberalen Lager gewesen: „Das vorliegende ‚Rotbuch‘ wäre nicht entstanden, wenn nicht das ‚Schwarzbuch‘ vorhergegangen wäre“, heißt es im Vorwort. Das war ein platter Versuch, fakenewsartige Propaganda mit legitimer Aufklärung gleichzusetzen.
Das erwähnte „Schwarzbuch“ war im September 1972, also einen Monat vor dem „Rotbuch“, im renommierten Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen. Herausgegeben hatten es die Bundesvorsitzenden der Jusos, der Falken, der damaligen FDP-Jugendorganisation Jungdemokraten sowie der Bundesjugendsekretär des DGB. Auf 120 Seiten wurden darin akribisch die diversen Affären, Skandale und verbalen Fehltritte von Franz Josef Strauß aufgelistet.
Die CSU attestierte hingegen selbstverständlich ihrem seinerzeitigen Vorsitzenden eine „einwandfreie persönliche und politische Vergangenheit“. Dabei hätte es nicht erst eines „Schwarzbuchs“ bedurft, um daran gehörige Zweifel zu haben.
„Volksverhetzer und Brunnenvergifter“
Für die Christsozialen war das „Schwarzbuch“ eine unerträgliche Majestätsbeleidigung, gegen die sie sich mit deftigen Worten verwahrten: Hier würde versucht, Strauß „nach echter Dr.-Josef-Goebbels-Manier zum Volksfeind zu stempeln“, ist im Vorwort des „Rotbuchs“ zu lesen.
Und nicht nur das: „Diese Volksverhetzer und Brunnenvergifter wenden gegen CDU/CSU-Politiker dieselben Methoden an, wie die Nazipresse à la ‚Stürmer‘ gegen die Juden, als man ihnen den Davidstern zur Brandmarkung angeheftet hat – alles zu dem Zweck, Hass zu erzeugen und aufzuwiegeln.“
Damals nahm niemand in der Union – und auch nicht in den zahlreichen ihr nahestehenden Medien – Anstoß an dieser unsäglichen Relativierung des Holocaust, die noch eine zusätzliche zynische Note durch die Tatsache bekommt, dass Strauß während der NS-Zeit dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund und dem Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps angehörte sowie Oberleutnant der Wehrmacht war.
Heute hat die CDU einen Generalsekretär, der über sich sagt, er sei „immer besonders sensibel, wenn ich Vergleiche mit Juden höre“. Auch wenn Paul Ziemiak schon mal eine „geschichtsvergessene Entgleisung“ wittert, wo gar keine ist, wie bei der Rede der Publizistin Carolin Emcke auf dem Grünen-Parteitag, ist das doch ein gesellschaftlicher Fortschritt.
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