Vor 50 Jahren – Brandt wird Kanzler: Mehr Demokratie wagen
Die CDU triumphierte zu früh und reagierte zu spät: Wie die SPD 1969 an die Macht gelangte und warum das der Beginn eines Epochenwechsels war.
Berlin taz | Es geschah am 28. September 1969, dem Wahlabend, eine knappe halbe Stunde vor Mitternacht: Der SPD-Vorsitzende Willy Brandt trat vor die Fernsehkameras und sprach, er habe „die FDP wissen lassen, dass wir zu Gesprächen bereit sind. SPD und FDP haben mehr als CDU und CSU.“ Das war der Startschuss für die Regierungsübernahme einer sozialliberalen Koalition und die Kanzlerschaft von Willy Brandt. An diesem Montag vor 50 Jahren wurde Brandt zum Bundeskanzler gewählt.
Für die Union war diese Entwicklung ein Donnerschlag. 20 Jahre lang hatte nur sie den Kanzler gestellt. Ihre Protagonisten waren zu der Überzeugung gekommen, dass alles andere als ein CDU-Regierungschef geradezu widernatürlich und unvorstellbar sei. Als „einzige politische Gemeinschaft, die sich unter Gottes Wort stellt“ (CDU/CSU-Fraktionschef Rainer Barzel im Wahlkampf 1969) glaubte man die Macht gepachtet zu haben – erst recht gegen den als Emigranten in der NS-Zeit geschmähten Brandt: „Eines wird man doch aber Herrn Brandt fragen dürfen: Was haben Sie zwölf Jahre lang draußen gemacht? Wir wissen, was wir drinnen gemacht haben“, so beschwor Franz Josef Strauß (CSU) 1961 den Konsens der ehemaligen Frontkämpfer gegen alle äußeren Feinde.
Dabei hatte es sich die Union zu einem guten Teil selbst zuzuschreiben, dass es 1969 zur Koalition zwischen SPD und FDP kam. Vor der vorgezogenen Bundestagswahl hatte Kanzler Kurt-Georg Kiesinger (CDU) mit der Einführung eines Mehrheitswahlrechts nach britischem Vorbild das Wort geredet – sehr zum Missfallen der FDP, für die das das parlamentarische Ende bedeutet hätte.
Eine wütend bekämpfte Zeitenwende
Am Wahlabend blieben Kiesingers Koalitionsaussagen uneindeutig, während Brandt gezielt auf ein sozialliberales Bündnis zusteuerte. In der Union hoffte man offenbar auf eine Fortsetzung der Großen Koalition mit der SPD oder ein Bündnis mit der arg gerupften FDP, die nur noch 5,8 Prozent erreicht hatte. 46,1 Prozent hatten CDU und CSU erhalten, 42,7 Prozent die SPD. „Wir sind absolut der Gewinner der Wahlen“, gab sich Kiesinger selbstbewusst.
Tatsächlich musste der reformorientierte FDP-Chef Walter Scheel nach dieser Wahlpleite aber auch weniger Rücksicht auf seine konservative Klientel nehmen, denn die war größtenteils schon zur Union gewechselt. Stärker noch war der anfängliche Widerstand gegen die „kleine Koalition“ mit nur 12 Stimmen Mehrheit bei den Sozialdemokraten. Der spätere Kanzler Helmut Schmidt und Fraktionschef Herbert Wehner plädierten anfangs für eine Fortsetzung des Bündnisses mit der Union. Doch Brandt setzte sich durch.
„Wir wollen mehr Demokratie wagen.“ Mit diesem Satz umriss Brandt in seiner ersten Regierungserklärung die künftige Politik. Mit dabei: der damals 42-jährige Erhard Eppler, der seinen Posten als Entwicklungshilfeminister, den er seit 1968 innehatte, behielt.
Für die Bundesrepublik war die sozialliberale Koalition eine von den Konservativen wütend bekämpfte Zeitenwende. Mit der neuen Ostpolitik anerkannte das Land nun endlich die Folgen von NS-Herrschaft und Weltkrieg. Die Oder-Neiße-Grenze zu Polen wurde faktisch anerkannt, Gespräche mit Vertretern der DDR für eine bessere deutsch-deutsche Kooperation geführt. Und Willy Brandt, der Exilant, der gegen die Nazis von Norwegen aus angeschrieben hatte, besuchte im Dezember 1970 Warschau – und kniete dort am Ehrenmal für die Opfer des Warschauer Ghettos in einer Geste der Versöhnung.
Leser*innenkommentare
Martin_25
Warum schreibt hier eigentlich keiner etwas über die erfolgreiche Innen-, Wirtschafts- und Sozialpolitik unter Brandt. .Die Verbesserungen einer einzigen Legislaturperiode schafft heutzutage die GroKo nicht in 3 Legislaturperioden
Joachim Petrick
Teil II
Auf diesem Hintergrund wirft Willy Brandts Kniefall vor dem Warschauer Ghetto Mahnmal statt wie im polnischen Protokoll vorgesehenem Mahnmal an Unbekannten Soldaten in Warschau ein anderes Licht, nicht der Versöhnung, wie sollte das gehen, Brandt als Tätervolk Vertreter bietet ohne demütiges Schuldbekenntnis Versöhnung an?, sondern im Zentrum seiner persönlichen Erschütterung stand das Signal eines gezielten Affronts gegen die polnische Staatsführung zu setzen, angesichts polnischer Pogromstimmung seit 1968 gegen polnische Bürger*nnen mit jüdischem Background, die 68er Bewegung in Polen als jüdisch-zionistisch getrieben zu denunzieren.
28. Oktober 1938 war es Polen, dass 50 000 polnische Bürger*nnen mit jüdischen Wurzen, wohnhaft im Deutschen Reich, androhte, wer seinen Pass nicht bis zum 31.10.1938 in Polen vorstellig erneuert, wird ausgebürgert. Worauf das NS Regime diese armen Menschen ins Niemandsland zwischen beiden Staaten deportierte, wo viele durch Durst, Hunger, Kälte, Nässe zugrunde gingen, weil Polen die Einreise verweigerte.
Die stumme Hinnahme, Reaktion ohne Aufschrei der Weltöffentlichkeit auf diese NS Polenabschiebung 28. Oktober 1938, angeschoben durch das faschistisch polnische Militärregime, gilt nicht wenigen Historikern als „verheißungsvoller“ Auftakt zum NS-Pogrom 9. November 1938 im gesamten Großdeutschen Reich
joachimpetrick.wor...m-deutschen-reich/
www.freitag.de/aut...bruder-hueter-sein
Kain: "Soll ich meines Bruder Hüter sein?
"Polenabschiebung/Ereignisse des 28. Oktober 1938 in Hamburg- Altona
Joachim Petrick
Teil I
Der Epochenwechsel wurde nicht durch Willy Brandts Kanzlerschaft ab 1969 ausgelöst, der fand längst auf der Straße durch die APO, Schüler-, Lehrlings- , Studenten- , Assistentenbewegung für Ende der Ordinarien Unis, gegen Notstandsgesetze, gegen Vietnamkrieg, für Ende Kalten Krieges, Kolonialismus, für Solidarisierung mit Prager Frühling als block- und generationsübergreifendens Projekt statt.
„Mehr Demokratie wagen“ war das weichgespült zögerliche Signal Willy Brandt als Kanzler, dem Epochenwechsel in seinem Lauf, anders als die UNION. nicht allzu arg Widerstand entgegen zu setzen. Selbst das ist misslungen, nicht nur mit dem Radikalenrlass, den Helmut Schmidt nicht wollte, den Bahr/Brandt zu verantworten hatten, sondern vor allem die sozialliberal ökonomischen Unterstützung US Präsident Richard Nixon im Vietnamkrieg, u. a. durch den deutschen Rüstungs-, Kampfmittelexport u. a. Agent Orange zur Entlaubung der Urwälder in Laos, Kambodscha, Vietnam mit verheerend anhaltenden Folgen für die Menschen, Neugeborene, die Umwelt. Hinzu kam, dass Brandt mit dem Nimbus des Exildeutschen in Ostblockstaaten seine Entspannungspolitik robust unter der Prämisse kommunizierte, ihm angetragene Reparationsforderungen werde er nicht bedienen, was er biete, sei freier Handel, zinsgünstige Kredite aus dem III. Welt Entwicklungshilfe Minister Erhard Eppler Topf für Großprojekte Stahl, Kohle, AKWs in jeweiligen Ländern durch westdeutsche Systemanbieter wie Mülheimer Kraftwerk Union, Tochter AEG-Telefunken, Siemens zur Ablösung deutscher Schuld.
Sarg Kuss Möder
Na ja, ein bisschen mehr hätte es ja schon sein können: 1. Immerhin währte die sozialliberale Koalition 13 Jahre, um dann von der FPD, Genscher, gekündigt zu werden. 2. Dann folgte die "geistig-moralische Wende" eines gewissen Herrn Kohl, besiegelt durch die Millionen der sog. Schwarzgeldaffäre eben desselben Herrn. 3. Nur zwei mal hat die SPD die CDU überflügelt: 72 unter Brandt und 98 unter Schröder, der allerdings mit dem Slogan "Kohl muss weg" sehr leichtes Spiel hatte. Brandt war der einzige wirklich richtige Sozialdemokrat als Bundeskanzler.
Lowandorder
@Sarg Kuss Möder anschließe mich.
& stimmt schonn -
unterm——& wiedermal zu bewundern
Ein echter Hillenbrand 👻 👻 👻
Lowandorder
kurz - “Mehr Willy wagen.“ •
Lowandorder
@Lowandorder & Däh&Zisch - Mailtütenfrisch -
“ - „Wir sind absolut der Gewinner der Wahlen“, (Häuptling Silberlocke)
Alles ist relativ. Absolut.“
kurz - Die Ohrfeige hatte er sich verdient. Aber Hallo!
& …ich sach noch -
“Und ich sage nur - Kina Kina Kina!“
Ha no. Ooch wieder wahr! Gellewelle.😈
Lowandorder
@Lowandorder Absolut! 😎