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Sexismus bei Fischfest in MemmingenTraditionsverein geht baden

Diskriminierung oder Tradition? Im bayerischen Memmingen wird gestritten, ob Frauen bei dem Ausfischen-Spektakel ausgesperrt bleiben dürfen.

Will reinjucken: Christina Renz versucht die Teilnahme am Ausfischen einzuklagen Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Memmingen taz | „Ich würde auch sehr gerne reinjucken“, sagt Christiane Renz. „Am liebsten mit meinem Bruder und meinem Neffen.“ Jucken – so nennen sie das in Memmingen, wenn Männer und Buben am Fischertag in den Stadtbach springen zum Ausfischen. 30.000 bis 40.000 Besucher sind da in der Stadt und veranstalten ein riesiges Spektakel. Und wer die schwerste Forelle fängt, ist der neue Fischerkönig. So ist das schon seit langer Zeit, eine scheinbar unverrückbare Tradition.

Christiane Renz darf aber nicht reinjucken, jedenfalls bisher nicht. Denn sie ist eine Frau. Den Bach ausfischen, damit er gereinigt werden kann, ist ein Privileg des männlichen Geschlechts. Bis jetzt. So steht es in der Satzung des Fischertagsvereins, der rund 4.800 Mitglieder hat und eine gewaltige Macht in der Allgäuer Stadt darstellt.

Renz klagte dagegen, weil sie darin eine Diskriminierung von Frauen sieht, und erhielt im August 2020 vom Amtsgericht Recht. Einen solchen Ausschluss von Frauen dürfe es in einem Verein nicht geben, der zugleich gemeinnützig ist und Steuervorteile genießt, argumentierte die damalige Richterin. Seitdem treibt das Thema die Stadt um.

Der Fischertagsverein ließ das Urteil nicht auf sich sitzen, am Mittwoch traf man sich zur Berufungsverhandlung. Die Verhandlung leitete Konrad Beß, Vorsitzender des Landgerichts. Für diesen Fall ist Autorität ebenso gefordert wie Fingerspitzengefühl. Hier im bayerischen Allgäu geht es um den größten Traditionsverein der Stadt. Und es geht um Grundsätzliches, das es in der Gesellschaft nicht mehr geben sollte – die Diskriminierung von Frauen. Kann oder darf es da überhaupt einen Kompromiss geben, eine „gütliche Einigung“, wie sie Richter Beß vorschwebt?

„Ein moderner Verein“?

Mit Engelszungen redet er auf die beiden Parteien ein: Dass es teuer wird für die Verlierer, wenn sie bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hoch klagen. Dass dem Verein der Entzug der Gemeinnützigkeit drohe, „wenn sie Frauen für immer und ewig ausschließen“. Und Beß erwähnt, dass schon beim ersten Prozess deutschlandweit über die angebliche Rückständigkeit der Stadt berichtet wurde – teils mit Empörung, teils als skurrile Posse vom Land. Jedenfalls nicht gerade zum Ruhme der Stadt.

Die Vorschläge des Richters stoßen auf Ablehnung. Christiane Renz hält nichts davon, einen eigenen Frauenverein zum Ausfischen zu gründen, oder eine Unterabteilung im Verein, der ein weibliches Ausfischen organisiert. „Ich will ja beim normalen Ausfischen mitmachen“, sagt sie.

Und ihre Anwältin Susann Bräcklein aus Berlin sieht in zwei nach Geschlecht getrennten Veranstaltungen eine „Gender-Apartheid“. Den Vorschlag, in die Vereinssatzung eine Ausnahmeregel aufzunehmen, hält wiederum der Vorsitzende Michael Ruppert für „nicht praktikabel“.

Vor dem ersten Prozess hatte Ruppert, der auch CSU-Stadtrat ist, gesagt: „Dass Frauen nicht mitmachen dürfen, beruht auf einer jahrhundertealten Tradition.“ Nun meint er: „Wir handeln durchaus zeitgemäß, wir sind ein moderner Verein.“

Diskriminierungsverbot vs. Vereinigungsfreiheit

Die 55-jährige Renz, selbst Mitglied im Fischertagsverein, erzählt, dass sie intern versucht habe, für ihre Position zu werben. Dass sie auf zwei Mitgliederversammlungen beantragt hat, Frauen zuzulassen. Doch das wurde mit breiter Mehrheit abgeschmettert. Das Verhalten der Frau sieht Ruppert anders: „Sie hat nie wirklich für ihr Anliegen geworben, es geht ihr um alles oder nichts.“

Rechtlich lautet die Kernfrage, ob das Diskriminierungsverbot oder die Vereinigungsfreiheit mehr wiegen – beides ist im Grundgesetz geschützt. Vor Gericht spielt der Verein die Bedeutung des Ausfischens herunter: Es dauere nur 20 Minuten und sei eher Randaspekt des Fischertags. Bei allem anderen seien am jeweils letzten Samstag im Juli die Frauen mit dabei.

Christiane Renz hingegen meint: „Das Ausfischen ist der zentrale Teil des Festes, da wird der Fischerkönig bestimmt.“ Anwältin Bräcklein sieht es als „Bürgerrecht“. Das Ausschließen von Frauen sei ein „klares Diskriminierungsmerkmal, nackte Willkür“. Am 28. Juli verkündet das Landgericht sein Urteil.

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28 Kommentare

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  • 8G
    83191 (Profil gelöscht)

    Als "Gemeinnütziger" Verein hat dieser Verein keine Menschen auszugrenzen. Punkt Aus Ende. Dieser Verein wird von uns als Steuerzahler gefordert, und erdreistet sich dann einen Teil seiner Förderer auszugrenzen.

    Entweder Gemeinnützig, dann stehen die Veranstaltungen für alle gleichermaßen offen, oder aber Nicht-Gemeinnützig, dann kann er sowas machen.

    • @83191 (Profil gelöscht):

      Das ist in der Konsequenz natürlich Quatsch. Niemand wird einen Frauenchor, Frauenhäuser oder den Frauenfußballclub meiner Tochter dazu zwingen jetzt auch Männer aufzunehmen. Gemeinnützig können solche Vereine natürlich trotzdem sein. Vielleicht gibt es noch so etwas wie einen gesunden Mittelweg?

      • 8G
        83191 (Profil gelöscht)
        @Šarru-kīnu:

        In allen genannten Fällen gibt es theoretisch Äquivalente Angebote für andere Geschlechter (divers mal ausgeklammert).

        Wenn bei dieser Veranstaltung eine gleichwertig beworbene Frauenversion ergänzt wird.. dann okay.

  • Gibt es die Fälle eigentlich auch umgekehrt? Ein Mann, der sich bei den Landfrauen einklagt oder (schon genannt) Weinkönigin werden will?

    Stur scheinen hier beide Seiten zu sein, wegen eine Gaudi, die 1x im Jahr stattfindet, die Gerichte zu bemühen.

    • @Strolch:

      Aus dem Ahrtal und von der Mosel sind mir einige männliche Weinköniginnen bekannt, mit Krönchen und Kleid (ok, ok, römisch inspirierte Tunika, aber hey, keine Hosen!) und allem drum und dran. Schien zumindest von außen betrachtet kein Problem zu sein, von ein paar hässlichen Kommentaren auf Facebook mal abgesehen.

  • www.spektrum.de/ko...g-kaperten/1850917



    Soviel zu "Frauen fischen nicht." Manche "Tradition" ist sehr jung.

    • @Schnetzelschwester:

      Danke für diesen Artikel! Möchte ich so manchem Kommentator hier an Herz legen...vllt ist ja doch noch Hoffnung, manchen Horizont zu erweitern.

    • 3G
      37970 (Profil gelöscht)
      @Schnetzelschwester:

      Vielen Dank für den sehr aufschlussreichen Link - zumindest mir war das nicht bekannt!

  • 1G
    164 (Profil gelöscht)

    Laut Wiki geht die Tradition so; "Zwischen den Zünften wechselnd, durften seit dem 16. Jahrhundert jedes Jahr die [Gerber-/Schlachter-/etc.] Gesellen den Bach leer fischen. Handwerksgesellen sind heute nicht mehr nur Männer, also können da auch Frauen mitmachen. Ganz einfach. Weiß nicht was es da zu diskutieren gibt.

    • @164 (Profil gelöscht):

      Außerdem ist die Berechtigung, am Ausfischen teilzunehmen, laut dem Wikipedia-Artikel gar nicht mehr auf Handwerksgesellen beschränkt und schon gar nicht auf jeweils nur eine Zunft pro Jahr. Von der ursprünglichen Tradition ist also ohnehin nicht mehr viel übrig. Insoweit hat der Verein offenbar kein Problem mit der Anpassung der Tradition an gesellschaftliche Veränderungen.

  • Warum gehen die Frauen nur ein Mal kollektiv nicht zum Fest und lassen den Jungs ihre Geschlechtertrennung? Einmal nicht helfen, putzen, zuschauen, Stimmung machen, konsumieren, den Verein unterstützen? Ich denke im Jahr drauf haben die Jungs kapiert.

    • 3G
      37970 (Profil gelöscht)
      @Weidle Stefan:

      "Ich denke im Jahr drauf haben die Jungs kapiert."



      Na, wenn Sie die intellektuellen Kapazitäten der "Herrschaften" da mal nicht überschätzen ...

    • @Weidle Stefan:

      " ... Einmal nicht helfen, putzen, zuschauen, Stimmung machen, konsumieren, den Verein unterstützen?"



      Was haben Sie denn für ein Frauen- und Männer-Bild?

      • @TazTiz:

        Ich würde sagen, eines, das die Realität bei solchen Veranstaltungen kennt: Pflichten für alle, Rechte nicht. Oder wurden Sie einfach von "putzen" getriggert?

    • @Weidle Stefan:

      Das ist eine gute Idee und würde ein Umdenken bewegen. Ich vermute-nur mal so ins Blaue - dass da außer der Klägerin sich nicht viele Frauen anschließen würden, da es Ihnen vermutlich recht Wurscht ist…

    • @Weidle Stefan:

      Möglicherweise weil die meisten Frauen das schlicht für einen unnötigen Kampf halten?

      Es fällt jedenfalls auf, dass in dem ganzen Artikel keine andere Frau als die Klägerin (samt ihrer Anwältin) auftritt.



      Da sie selbst Vereinsmitglied ist, sind dort offensichtlich Frauen zugelassen, bei denen sie auch keinen sonderlichen Rückhalt zu geniessen scheint.

      Dass hier eine Kampflinie zwischen M und W verläuft, sehe ich jedenfalls nicht als selbstverständlich an.

      • @flip flop:

        Vielleicht auch, weil die meisten Frauen im Verein nicht dazu bereit sind, Streit anzufangen und sich damit unbeliebt zu machen? In solchen Kollektiven herrscht ja oft ein hoher Konformitätsdruck. Das heißt aber noch lange nicht, dass die Frauen im Verein diese Geschlechterapartheid mehrheitlich gut finden. Es sind ja meistens Einzelpersonen, die als erste dafür kämpfen, alte Zöpfe abzuschneiden. Und wenn das erst mal gelungen ist, wird keiner mehr die alten Zustände wiederherstellen wollen.

  • Treibt da nicht die Angst der Männer den gesamten Prozess. Was verlieren die Männer des Fischervereins wenn Frauen ebenfalls ausfischen dürfen - Nichts!



    Im Gegenteil mit den Frauen könnte das noch ein viel lustigeres Spektakel und Wettkampf werden, das dem Verein mehr Zuspruch bringt und der Stadt und den Gewerbetreibenden mehr Umsatz. Zumindest die Werbetrommel ist schon mal gespielt.

    • @Sonnenhaus:

      Der Kommentar wurde entfernt.

      Die Moderation

  • 0G
    02854 (Profil gelöscht)

    Warum gründet die Dame nicht einen eigenen Traditionsverein nur für Frauen?

    • 3G
      37970 (Profil gelöscht)
      @02854 (Profil gelöscht):

      Manche Herren sind offensichtlich ziemlich etwas schwer von Kapé - ich versuche es daher schön langsam:



      Weil sie zahlendes Mitglied in einem Verein für Männer und Frauen ist und als solches selbstverständlich dieselben Rechte hat wie die "Herren".



      Warum sollte sie unter diesen Voraussetzungen einen Verein nur für Frauen gründen? Bloß weil gewisse "Herren" nicht mit gleichberechtigten Frauen klarkommen?



      Dann sollen doch die "Herren" einen Verein nur für ihresgleichen gründen und in Zukunft selber Schnittchen schmieren, aufräumen und abwaschen und sich untereinander rumkommandieren ...

    • @02854 (Profil gelöscht):

      Weil das Problem anscheinend keine andere Frau interessiert.

    • 1G
      164 (Profil gelöscht)
      @02854 (Profil gelöscht):

      Warum lassen diese Seppelhosen die Frau nicht einfach mitmachen und bewerben sich im Gegenzug bei der nächsten Wahl zur Weinkönigin?

      • @164 (Profil gelöscht):

        Coole Idee. Überhaupt sind geschlechterspezifische Merkmale nicht mehr zeitgemäß. Da gehört ein gesellschaftlicher Diskurs her, über eine komplette Planierung von allem was Männlein und Weiblein ausmacht. Es gibt wahrscheinlich viele Männer die würden liebend gerne mal einen Rock anziehen und Frauen die sich gerne jeden Morgen rasieren würden und am Nachmittag einen tiefen Schluck aus der Bierpulle nehmen würden und dabei rülpsen.

        • @chinamen:

          "Es gibt wahrscheinlich viele Männer die würden liebend gerne mal einen Rock anziehen und Frauen die sich gerne jeden Morgen rasieren würden und am Nachmittag einen tiefen Schluck aus der Bierpulle nehmen würden und dabei rülpsen."

          Geht doch alles. Nichts davon ist verboten.

  • Mit Tierwohl hat diese seltsame Tradition wohl soviel zu tun wie der "Knüppeltag" bei den Simpsons.

    de.wikipedia.org/wiki/Das_Schlangennest

    www.youtube.com/watch?v=F8oGRlp26Bc

    Aber der Sexismus ist natürlich hier die entscheidende Kategorie.

  • Ich fass' es nicht. Die gehen auch noch in Berufung =:-o

    • @tomás zerolo:

      Zurecht. Der Frau soll ihren eigenen Verein gründen und gut ist.