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Habeck und die UkraineEin echter Habeck

Barbara Junge
Kommentar von Barbara Junge

Der Co-Chef der Grünen will der Ukraine Abwehrwaffen liefern. Er entfernt sich damit von Parteigrundsätzen – öffnet aber eine notwendige Debatte.

Lieferung von Abwehrwaffen in die Ukraine: Robert Habeck widerspricht damit der Linie seiner Partei Foto: Kay Nietfeld/dpa

D er Ukraine könne man angesichts der russischen Militärintervention im Osten des Landes Abwehrwaffen nur schwer verwehren und die Nato-Mitgliedschaft bleibe eine Option – diese Aussagen sind, im Positiven wie Negativen, ein echter Habeck. Der grüne Parteichef widerspricht damit der Linie seiner Partei. „Keine deutschen Waffen in Krisengebiete und Diktaturen“, heißt es im Entwurf zum grünen Wahlprogramm. „Exporte von Waffen und Rüstungsgütern an Diktatoren, menschenverachtende Regime und in Kriegsgebiete verbieten sich“, steht im grünen Grundsatzprogramm.

Im Osten der Ukraine herrscht Krieg. Das ein Krisengebiet nennen ist schon Verharmlosung. Hier gibt es wenig Interpretationsspielraum.

Die Äußerung von Habeck ist doppelt pikant. Der Parteitag der Grünen steht bevor. Zusammen mit Annalena Baerbocks Äußerung, die Sicherheitskooperation mit Israel fortsetzen zu wollen, ist das Stoff für Grundsatzdebatten auf dem Parteitag. Um mit Schwung in den Wahlkampf zu gehen, war diese Diskussion nicht vorgesehen.

Das ist die parteitaktische Ebene. Habecks Entfernung von Grundsätzen reicht weiter. Deutschland exportiert in die Ukraine Kleinwaffen und Überwachungssysteme. Berlin ist im Minsk-Prozess Vermittler zwischen Kiew und Moskau. In der Nato liefern nur die USA in größerem Maßstab Kriegsgerät in die Ukraine. Nicht nur Deutschland, auch die anderen Nato-Staaten wollen Russland nicht provozieren. Das ist die realpolitische Ebene.

Weder Defensivwaffenlieferungen noch die wolkige Aussicht auf eine Nato-Mitgliedschaft sind für die Grünen oder für eine deutsche Regierung tragbar. Andererseits hilft das ritualisierte Festhalten an diplomatischen Formaten und fruchtlosen Sanktionen gegen Russland nicht mehr weiter. Diese Politik ist gegen Putins expansive Strategie wirkungslos.

Habeck verlässt nicht zum ersten Mal die Pfade der Parteipolitik. Sein Abweichen führt in diesem Fall zwar in die falsche Richtung. Die offizielle Ukrainepolitik so in Frage zu stellen ist aber ein wohltuendes Signal. Es öffnet eine notwendige Debatte.

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Barbara Junge
Chefredakteurin
taz-Chefredakteurin, Initiatorin der taz-Klima-Offensive und des taz Klimahubs. Ehemals US-Korrespondentin des Tagesspiegel in Washington.
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25 Kommentare

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  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    26.05.2021 - 18:11 h



    Stefan Reinecke hat erfreulicherweise klargestellt, dass Robert Habeck in der Ukraine quasi außenpolitisch unterwegs war/ist. Da sollte er keine Showtänzchen für's eigene Parteivolk und mögliche Wähler*innen veranstalten.



    taz.de/Habecks-Aeu...-Ukraine/!5769960/

  • Die Einstellung eineiger Günen zu Waffen lässt mich im Zwiespalt, ob ich sie wählen soll. Problem: Gibts Alternativen? Sieht schlecht aus!

    • @joaquim:

      Die "ideale" Einstellung zu Waffen ist leider nur für eine ideale Welt geeignet, in der man die Dinger nicht braucht, weil jene Staaten, bzw. Regierungen oder auch Lokalpotentaten, die primär an das Recht des Stärkeren glauben, keine nennenswerte Bedeutung haben. Da unsere Welt kein solches Paradies ist, schlage ich vor, die Einstellung der Grünen - oder auch anderer Parteien - nochmal im (leider deutlich kälteren) Licht der Realität zu betrachten.

  • Meine Güte, in Hessen tragen die Grünen Abschiebungen sogar nach Afghanistan mit und verweigern die Öffnung von NSU-Akten.

    Kein Aufschrei, nirgends. Schon gar nicht innerparteilich.

    Und hier wird noch was von Grundsätzen geschrieben?

    • @Suryo:

      Tjaa ... in den letzten Wochen ist die Attraktivität der PARTEI (zumindest bei mir) wieder massiv gestiegen. Schaun wir mal, wie weit die Verbeugungen der Grünen in Richtung Rechts noch gehen.

  • Selbst für Dreggers Stahlhelmfraktion wären die Grünen wahrscheinlich zu radikal. Wer hätte das mal gedacht.

    • @zio pipo:

      Bei aller Kritik an dem Statement von Habeck: Lesen Sie mal den Wiki-Eintrag von Dregger :-)

  • Er wollte wollte auch schon in der Straße von Hormus intervenieren... so wohltuend der Habeck.



    Mal schön wohltuend aufs UN Mandat verzichten... wohltuend also ehrlich!



    taz.de/Habeck-zum-...Konflikt/!5610981/

  • Danke

    Mutmaßlich hat Habeck alles andere vor, denn Grundsatzdebatten auf grünem Parteitag anzustoßen.

    Im Gegenteil mutmaßlich will Habeck mithilfe Medien bereits im Parteitag Vorfeld bei der Delegierten*nnen Aufstellung Tumult an Grünen Basis und unter Delegierten*nnen auf Parteitag auslösen, damit es nicht zu wirklichen Grundsatzdebatten kommt zu außen-, sicherheitspolitischen Bündnis-, Grundsatzfragen, wie, kann es sich Deutschland als Exportland leisten, ICAN UNO Atomwaffenverbot 2017 von inzwischen über 50 UNO Mitgliedsländern ratifiziert, zuletzt vom Parlament in Honduras, das am 22. Januar 2021 deshalb Völkerrecht wurde , nicht beizutreten, nicht auf atomare Teilhabe innerhalb Nato zu verzichten entgegen deutschem Beitritt zum Atomsperrvertrag 1972, stattdessen beitrittswillige Länder weiterhin unter Druck zu setzen, es nicht zu tun und das, angesichts Fakt Deutschem Bundestag Beschluss 2010 während schwarzgelber Koalition, durch Regierungshandeln dafür zu sorgen, dass alle Atomwaffensysteme vom deutschem Boden auf der US Airbase Büchel/Eifel in der Pfalz abgezogen verschwinden samt atomar strahlend militärisch-zivilem Restmüll. Dass Deutschland auch ohne atomare Teilhabe, ohne Atomwaffensysteme auf seinem Boden Nato Mitgliedsland sei kann, wenn es denn so bleiben soll, zeigen andere Nato Länder u. a. im Baltikum, Finnland, Polen, Dänemark, Norwegen.

    Habecks Devise könnte sein, Tucholskys Aphorismus frei folgend, wer im Bundestagswahlkampf 2021 nicht ganz dicht wirken will, wie er, muss nach allen Seiten offen bleiben, wie eine Drehtür im Turbogang

    • @Joachim Petrick:

      Das ICAN-"Verbot" ist und bleibt ein pazifistisches Luftschloss, das die Rechnung ohne den Wirt zu machen versucht. Ob Deutschland ihm beitritt oder nicht, ändert daran nichts: Solange auch nur EINE aktuelle Atommacht nicht mitzieht, bleibt dieses "Verbot" eine Farce. Denn dann tun es die anderen Atommächte auch nicht, und über deren Atomwaffenarsenale hat der Rest der Welt schlicht nicht die nötige Macht zu entscheiden (wer unbedingt ein neues Kolonialzeitalter heraufbeschwören will, kann's ja mal mit "weltweiten" Sanktionen gegen sie versuchen...).

      Gerhard Schröder hat mal gesagt, das Deutschland zu seinen Verpflichtungen stehe, aber keine sinnlosen Abenteuer mitmache - und dafür sicher seinerzeit auch den Applaus einiger Pazifisten erhalten. Aber sinnlose Abenteuer können auch pazifistischer Natur sein, und ICAN ist ein Beispiel dafür: Letztlich hat es nur einen unnötigen Beweis geliefert, dass die UNO auch weiter ohne die Zustimmung der Atommächte ein Papiertiger ist. Bravo.

      Der Bereitschaft, diesen Beweis mit zu führen, kann man daher wenig Grundsätzliches entnehmen - außer grundsätzlicher weltpolitischer Ahnungslosigkeit. Habeck tut gut daran, so eine Diskussion auf dem Parteitag zu vermeiden - solange er sie nicht gerade durch eine über Globuli erstetzt. Die Grünen sind ja selten um ein realitätsfernes Thema verlegen, das man zur ideologischen Zerreißprobe für die ganze Partei hochjazzen kann...

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Pardon, ich war unaufmerksam: "Exwähler*innen".

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    25.05.2021 - 20:06 h



    Die Resonanz im Forum (nicht nur zu diesem Kommentar von Frau Junge) lässt ahnen, dass viele zukünftige Ex-Wähler von "B90/Die Grünen" stinksauer sind.

  • Geht’s noch?

    “ Habeck verlässt nicht zum ersten Mal die Pfade der Parteipolitik. Sein Abweichen führt in diesem Fall zwar in die falsche Richtung. Die offizielle Ukrainepolitik so in Frage zu stellen ist aber ein wohltuendes Signal.



    Es öffnet eine notwendige Debatte.“

    kurz - So So - So? Abweichen in die falsche Richtung - GESUNDBETEN - dazu



    Bedarf es wohl der taz!



    Alles - Nur kein wohltuendes Signal!



    Mit Verlaub Gnädigste: “Wowenn - lassen‘s - DENKEN?!“

    • @Lowandorder:

      Man fragt sich langsam, ob die Grünen es kaum erwarten können, im nächsten Krieg mitzumischen.



      Und die Taz?



      Gut das Wiglaf Droste das nicht mehr miterleben muss. Aber er hätte das wahrscheinlich vorhergesehen.

      • 0G
        05838 (Profil gelöscht)
        @Nansen:

        Der Pazifismus leckt Blut nach Krieg.

      • @Nansen:

        Wohl wahr

  • Was genau ist eigentlich eine "Defensivwaffe"? Ich verstehe darunter Schutzwaffen oder passive Bewaffnung, also z.B. Helme oder Panzerung. Nicht aber Schußwaffen o.ä.

    • @Toto Barig:

      Im Sprachgebrauch sind da im wesentlichen Panzerabwehr- und Flugabwehrwaffen zu nennen.

  • Na da bin ich mal gespannt wann AKW´s wieder grüntauglich werden....

    • @conny costa:

      Die liebe Greta ist doch schon dafür.

      Nur die reaktionären Deutschen halt noch nicht.

  • Gegenwärtig ist die NATO-Mitgliedschaft für die Ukraine KEINE Option, auch wenn manche Leute das unverdrossen behaupten. Die NATO nimmt, soweit ich weiß, keinen Staat auf, der ungelöste Konflikte mit anderen Staaten hat.



    Im Übrigen konnte sich Russland die Aneignung der Krim nur deshalb erlauben, weil eine wirksame Gegenwehr seitens der desolaten ukrainischen Armee nicht zu befürchten war. Eine wirksame Abwehr der russischen Expansion hätte wirksamere Abwehrwaffen erfordert, die die Ukraine nicht hatte (und wohl bis heute nicht hat). Das brachte R. Habeck vermutlich auf seine eigentlich naheliegende Idee.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    25.05.2021 - 17:39 h



    „Er entfernt sich damit [mal wieder – Einschub vom Kommentator] von den Parteigrundsätzen – öffnet aber eine notwendige Debatte.“ - Wäre ja nicht das erste Mal., dass er sich entfernt: de.wikipedia.org/w...%BCnen_(seit_2018)



    „..[….]da nach den Parteistatuten von Bündnis 90/Die Grünen eine Mitgliedschaft im Bundesvorstand unvereinbar ist mit einem Ministeramt. Dieser Punkt der Satzung wurde auf einem Parteitag der Grünen im Januar 2018 entschärft, um Habeck eine Übergangszeit von bis zu acht Monaten zu ermöglichen.[….]"



    Wurde entschärft… Entschärft. Haha. Habeck hatte eine Änderung der Satzung verlangt und die Partei war ihm brav gefolgt. Der Mann ist eine „Granate“, die dringend entschärft werden muss. Das ist notwendig.

    • @95820 (Profil gelöscht):

      "Der Mann ist eine „Granate“, die dringend entschärft werden muss. Das ist notwendig."

      Man könnte(!) dasselbe über die Trennung von Amt und Mandat in den Parteistatuten sagen. Sie hat die Grünen in der Vergangenheit immer wieder gehindert, effektiv Politik zu machen.

      • 9G
        95820 (Profil gelöscht)
        @Normalo:

        26.05.2021 - 17:52 h



        „Man könnte(!)“.. Bitte, niemand hindert Sie daran.



        Hoffentlich bleibt er aber eine „Übungsgranate“:



        taz.de/Habecks-Aeu...-Ukraine/!5769960/

  • Aah, der alte Reflex der Grünen eines massiven Rechtsrucks im Falle einer Regierungsbeteiligung tritt dieses Mal schon vor der Wahl auf. Das ist gut, weil ehrlich.