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Entscheidung des GesundheitsministeriumsAstraZeneca-Impfungen gestoppt

Überraschend setzt auch Deutschland die Nutzung des Corona-Impfstoffes aus. Das Auftreten von Thrombosen müsse untersucht werden.

Wird gerade nur noch mit spitzen Fingern angefasst: Coronaimpfstoff von Astrazeneca Foto: Fabian Bimmer/dpa

Berlin taz | Neuer Rückschlag bei den Corona-Impfungen: Auch Deutschland setzt die Verwendung des Impfstoffes von AstraZeneca vorübergehend aus. Dies geschehe „aufgrund einer aktuellen Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts“, das für die Zulassung von Medikamenten in Deutschland zuständig ist, teilte das Bundesgesundheitsministerium am Montagnachmittag mit. „Nach neuen Meldungen von Thrombosen der Hirnvenen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung in Deutschland und Europa hält das Paul-Ehrlich-Institut weitere Untersuchungen für notwendig.“

Diese Ankündigung kommt überraschend, denn nachdem in der vergangenen Woche mehrere andere europäische Länder die Impfungen mit AstraZeneca ausgesetzt hatten, hatte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dies am Freitag noch bedauert und erklärt, nach derzeitigem Stand sei der Nutzen des Impfstoffs „bei Weitem höher als das Risiko“.

Am Montag nun erklärte der Gesundheitsminister, neu gemeldete Fälle von Thrombosen in den Hirnvenen im zeitlichen Zusammenhang mit Impfungen hätten zu einer veränderten Einschätzung bei den zuständigen Ex­per­t*in­nen geführt, der sich die Regierung anschließe. Betroffen von der Aussetzung sind sowohl Erst- als auch Zweitimpfungen. Die Bundesländer begannen noch am Montag damit, die Impftermine für die nächsten Tage abzusagen.

„Die Entscheidung heute ist eine reine Vorsichtsmaßnahme“, sagte Spahn. Sie sei nicht leichtgefallen, denn: „Auch Nichtimpfen hat schwere gesundheitliche Folgen“, so der Minister. „Um das Vertrauen in den Impfstoff zu erhalten, müssen wir den Experten die Zeit geben, die jüngsten Vorfälle zu überprüfen.“ Nach seinen Angaben sind 7 Fälle von Thrombosen aufgetreten; durchgeführt wurden in Deutschland bisher 1,5 Millionen Impfungen mit AstraZenaca.

Vor einer möglichen Wiederaufnahmen der Impfungen soll eine Stellungnahme der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA abgewartet werden; diese werde „idealerweise noch im Laufe dieser Woche zu ihrer Entscheidung“ kommen, sagte Spahn. Menschen, die bereits mit Astrazeneca geimpft worden sind, sollten sich in ärztliche Behandlung begeben, wenn sie sich mehr als vier Tage nach der Impfung unwohl fühlten, etwa mit starken Kopfschmerzen oder punktförmigen Hautblutungen, sagte Spahn.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach kritisierte die Entscheidung der Bundesregierung. „Auf der Grundlage der vorliegenden Daten halte ich das für einen Fehler“, schrieb er auf Twitter. „Die Prüfung ohne Aussetzung der Impfung wäre wegen der Seltenheit der Komplikation besser gewesen.“ In der jetzt Fahrt aufnehmenden dritten Welle wären die Erstimpfungen mit dem AstraZeneca Impfstoff ein Lebensretter, so Lauterbach.

Kritik aus SPD und Grünen

Ähnlich äußerte sich Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen. „Die Verimpfung von AstraZeneca auf Basis dieser geringen Fallzahlen komplett zu stoppen ist falsch und angesichts der dritten Welle unverhältnismäßig“, erklärte der Bundestagsabgeordnete, der selbst Mediziner ist. Alternativ hätte man nach ausführlicher Aufklärung weiterhin jene Menschen impfen können, die dies wünschen. Die komplette Aussetzung sei „die nächste Erschütterungswelle für das Vertrauen in die Corona-Politik der Regierung“, so Dahmen.

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte sich noch am Montag gegen einen Stopp der AstraZeneca-Impfungen ausgesprochen. Ihr Beratergremium prüfe Berichte über Nebenwirkungen im Zusammenhang mit der Impfung und werde seine Ergebnisse so bald wie möglich veröffentlichen. Es sei jedoch unwahrscheinlich, dass die Behörde ihre Empfehlung für das Vakzin ändere.

„Bis heute gibt es keine Hinweise darauf, dass die Vorfälle durch den Impfstoff verursacht werden, und es ist wichtig, dass die Impfkampagnen fortgesetzt werden, damit wir Leben retten und schwere Krankheiten durch das Virus eindämmen können“, sagte WHO-Sprecher Christian Lindmeier. Der Hersteller AstraZeneca selbst hatte ebenfalls nach einer Analyse von Impfdaten die Sorgen über die Sicherheit seines Corona-Impfstoffes zurückgewiesen. (mit Agenturen)

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16 Kommentare

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  • Der Stopp der Impfungen ist durch die Datenlage nicht gerechtfertigt. Bei 7 Thrombosefällen auf 1,5 Mio. Impfungen und ohne jeden Nachweis für einen Kausalzusammenhang zwischen Impfung und Thrombose, dürfte die Wahrscheinlichkeit für einen Impfschaden weit niedriger sein als die Wahrscheinlichkeit schwerer Nebenwirkungen zahlreicher gängiger Arzneimittel, die seit Jahrzehnten massenhaft eingenommen werden, beispielsweise Ibuprofen, das in niedriger Dosierung sogar rezeptfrei erhältlich ist.

    Und: Das Paul-Ehrlich-Institut ist als Bundesoberbehörde dem Bundesgesundheitsministerium unterstellt und kann gegen den Willen des Ministers schwerlich offizielle Erklärungen abgeben. Es ist schon merkwürdig, dass das Bundesgesundheitsministerium ausgerechnet am Tage nach den Landtagswahlen einer Empfehlung des ihm unterstellten Instituts folgt und nicht vorher. Hatte die CDU Angst, bei früherer Bekanntgabe des Impfstopps noch weiter abzustürzen (was sie sich redlich verdient hätte)?

    Jedenfalls hat Spahn noch am Freitag - und da waren die Thrombosefälle schon bekannt - noch erklärt, dass in Deutschland der Impfstoff von AstraZeneca weiter eingesetzt werde. Jetzt verzögert sich die Durchimpfung noch länger. Diese Regierung bekommt bei den Impfungen außer immer neuer Hemmnisse nichts auf die Reihe und wechselt ständig ihre Positionen. Bleibt zu hoffen, dass es schon in ein paar Tagen wieder weitergeht mit den AstraZeneca-Impfungen. Wundern würde es mich nicht.

    Man kann nur froh sein, dass Krankheiten wie die Pocken oder Polio schon vor Amtsantritt von Merkel und Spahn (nahezu) ausgerottet waren; mit dieser Regierung hätte das nicht funktioniert.

  • Ich würde mir wünschen, dass den Menschen, die den Impfstoff von AZ nicht wollen (aus welchen Gründen auch immer), eine Alternative angeboten bekommen. Sputnik V könnte eine Alternative sein.

  • Der Chef des Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek, beruhigt im Interview mit WELT, dass die ausgefallenen Zweitimpfungen der laufenden Woche ja nachgeholt werden können, wenn der Impfstoff von AstraZeneca wieder verwendet werden darf.

    Dumm nur, dass wegen der späten Zulassung in der EU solche Zweitimpfungen noch gar nicht anstehen bzw. frühestens in 5 Wochen dran wären.

    Solchen „Experten“ müssen wir also vertrauen?

  • Das Paul Ehrlich Institut kann prüfen und Daten auswerten wie es will, der Impfstoff bleibt der gleiche!



    Wenn die das dann wieder freigeben muss eher gefragt werden wie viel Tote die Pause gekostet hat.



    Schlimm schlimm derlei Haltung, denn wenn man das Argument "Vorsicht" gilt , dann darf das nicht mehr zugelassen werden, eigentlich gar kein Arzneimittel, keine OP... usw.

  • AstraZeneca-Impfungen wurden gestoppt (jetzt auch in Deutschland).



    Halte ich für eine grandiose Fehlentscheidung. Ich bin kein Mediziner, aber mein gesunder Menschenverstand sagt mir, bei 1,7 Millionen Impfungen mit AstraZeneca sind 7 Menschen an Thrombosen erkrankt, davon 3 mit tödlichem Ausgang und bis jetzt konnte nicht geklärt werden, ob es einen kausalen Zusammenhang mit AstraZeneca gibt! Selbst wenn AstraZeneca Ursache wäre, wären es 0,00004 Prozent!



    Es gibt kein Medikament, wo nicht ein riesiger Beipackzettel beigefügt ist, welche Nebenwirkungen auftreten können (der Beipackzettel dient nicht der Information der Patienten), sondern schützt allein die Hersteller vor Regressansprüchen.



    Ich würde mich sofort mit AstraZeneca impfen lassen und ich würde auch unterschreiben, dass ich das Risiko zu tragen, wenn ich daran erkranke.

    • @D-h. Beckmann:

      Wären es nicht 0,0004 Prozent?! ;)

    • @D-h. Beckmann:

      Den Zusammenhang zwischen Spike Proteinen und Thromboseneigung hat das PEI selbst untersucht www.pei.de/DE/news...-spikeprotein.html

      • @Thomas Werner:

        Dass eine Infektion mit SARS-CoV-2 ein mehr als 2000mal höheres Risiko einer tödlichen Thrombose mit sich bringt als eine Impfung mit AZ, ist aber ebenfalls wohlbekannt. Bzw sollte das sein.

        Gut für die 1,7 Millionen AZ-Geimpften, denn die sind schon mit einer Impfung vor diesem Risiko ziemlich gut geschützt, und der Schutz greift bei allen Stämme bis einschließlich B.1.1.7.

        Das Spike-Protein benutzt übrigens JEDER Impfstoff. Die Probleme mit AZ könnten also auch - zumal angesichts der nicht zufälligen Verteilung, wie in Norwegen wo ein regelrechter Cluster auftrat - auf Kontamination zurückgehen. Das wäre für den Hersteller natürlich ein richtig dickes Problem.

  • Ich befürworte den Stopp. Gar nicht mal so sehr, weil ich denke, daß das Risiko nicht tragbar wäre. Mehr weil ich tatsächlich gegen eine Impfpflicht bin. Und ein Impfstoff, den sich keiner spritzen lassen will, der ist nichts wert. Deswegen sollten die Risiken klar aufgeklärt werden.



    Rein rechnerisch ist es sicher besser AstraZeneca zwangsweise zu verimpfen. Sprich: summasummarum weniger Tote. Aber wollen wir das wirklich so machen?

    • @Lars Pohlmann:

      Von welcher Zwangsimpfung oder Impfpflicht sprechen Sie?

      Millionen Deutsch wollen sich nach wie vor gern mit AstraZeneca impfen lassen.

    • @Lars Pohlmann:

      wer will denn zwangsimpfen?

      • @nutzer:

        Es gibt keine Zwangsimpfung. Nur ein EU-Impfpass mit Auswirkung auf die Bewegungsfreiheit und mit Zugangsbestimmungen wird kommen. Egal, man kann ja zu Hause bleiben.

  • Hat Lauterbach recht?

    David Spiegelhalter, chair of the Winton Centre for Risk and Evidence Communication at Cambridge:



    "Call it luck, chance or fate – it’s difficult to incorporate this into our thinking. So when the European Medicines Agency says there have been 30 “thromboembolic events” after around 5m vaccinations, the crucial question to ask is: how many would be expected anyway, in the normal run of things?

    We can try a quick back-of-the-envelope calculation. Deep vein thromboses (DVTs) happen to around one person per 1,000 each year, and probably more in the older population being vaccinated. Working on the basis of these figures, out of 5 million people getting vaccinated, we would expect significantly more than 5,000 DVTs a year, or at least 100 every week. So it is not at all surprising that there have been 30 reports."

    Quelle: "There's no proof the Oxford vaccine causes blood clots. So why are people worried? It’s human nature to spot patterns in data. But we should be careful about finding causal links where none may exist"



    www.theguardian.co...-data-causal-links

  • Medienkritik:



    die ganze letzte Woche wurde für AstraZeneca geworben, v.a. in tagesschau.



    nun Stopp.



    von der Wirksamkeit bei den Mutationen ist nicht mehr die Rede.



    Die Frage ob die Impfstoffe eine symptomlose Weitergabe verhindert, wird auch nicht mehr behandelt.



    sehr schlecht!

    • @nzuli sana:

      Es ist vieles noch unklar. Zum Beispiel: Ist jeder wirklich vor einer Ansteckung nach 2 Impfungen sicher? Wie lange hält die Wirkung an? Wann muss nachgeimpft werden?