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Rabbis in der BundeswehrMilitärgeheimnis jüdische Soldaten

Die Bundeswehr wäre gern divers und weltoffen. Dazu verbreitet das Verteidigungsministerium offenbar falsche Zahlen über jüdische Soldaten.

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) mit Zentralratspräsident Josef Schuster Foto: Christian Ditsch/imago

Berlin taz | Das Verteidigungsministerium möchte die Bundeswehr gern als Spiegelbild der Gesellschaft inszenieren. Da stören Skandale um verschwundene Munition und rechtsextreme Verdachtsfälle. Ein paar Militärrabbiner und eine hohe Zahl jüdischer Soldaten dagegen kommt ihr gelegen.

Anfang des kommenden Jahres sollen deshalb die ersten von zehn Militärrabbinern ihren Dienst bei der Bundeswehr antreten. Dafür wird ein Militärrabbinat – eine eigene religiöse Behörde – errichtet, mit fast 50 Dienstposten in einem 1000 qm großen Büro in Berlin. Knapp viereinhalb Millionen Euro soll das Ganze jährlich kosten, 900.000 Euro kommen im ersten Jahr oben drauf. Die Behörde soll sich primär um die religiöse Bedürfnisse von jüdischen Soldaten kümmern: Dazu gehören etwa die Einhaltung der Tora-Gebote und die Gewährleistung der koscheren Verpflegung. Nur: Wie viele Juden gibt es in der Bundeswehr überhaupt, die diesen Aufwand berechtigen würden?

Das Verteidigungsministerium behauptet, dass etwa 300 jüdische Soldaten ihren Dienst tun. Damit gäbe es prozentual mehr Juden in der Bundeswehr als in der Gesamtbevölkerung. Selbst wenn diese Zahl stimmen würde, käme somit ein Rabbiner auf 30 jüdische Soldaten. Laut dem Staatsvertrag mit der evangelischen und der katholischen Kirche soll ein christlicher Militärseelsorger für jeweils 1.500 gläubige Soldaten eingesetzt werden.

Recherchen der taz haben aber bereits gezeigt, dass die Zahl von 300 jüdischen Soldaten jedoch weit übertrieben sein dürfte – und, dass jüdische Soldaten offenbar nicht gefragt wurden, ob sie religiösem Beistand überhaupt wollen. Der Ehrenvorsitzende des Bunds Jüdischer Soldaten, Michael Fürst, sagte der taz, er kenne nur sechs Juden im aktiven Militärdienst. Und religiös seien die meisten nicht. Nun wird deutlich: Auch das Verteidigungsministerium wusste, dass die Zahl 300 viel zu hoch ist – und verbreitete sie trotzdem.

Auf Nachfrage: Schweigen

Doch woher kommt diese Zahl? Gegenüber der taz hatte das Verteidigungsministerium eingeräumt, die Zahl sei eine „Hochrechnung“. Grundlage dafür ist eine Studie des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaft, ein wissenschaftliches Institut, das zur Bundeswehr gehört. Im Jahr 2013 hatte das Institut 7.744 Soldaten im Intranet der Bundeswehr befragt, unter anderem zum religiösen Bekenntnis.

Anruf bei einer der Autorinnen der Studie: Gibt es 300 Juden in der Bundeswehr? „Das kann man daraus nicht ableiten“, sagt sie. „Aus der Perspektive der Sozialwissenschaftlerin kann ich sagen: Wir haben keine validen Zahlen“.

Die Wissenschaftlerin betont, dass sie bei der Umfrage bewusst nicht nach Konfession gefragt hätten, sondern danach, welcher Glaubensrichtung sich ein Soldat verbunden fühle. Auf dieser Grundlage die Zahl der Juden in der Bundeswehr zu bestimmen, sei nicht möglich.

Auf die Bitte, die Studie der taz zu schicken, sagt die Autorin erst zu. Dann antwortet sie nur noch mit einem Verweis auf die Pressestelle. Kurze Zeit später heißt es aus dem Verteidigungsministerium, die Studie sei ein internes Gutachten. Andere Teile der Studie, etwa zum Thema Innere Führung, sind für die Öffentlichkeit in zahlreichen Bibliotheken zugänglich.

300 jüdische Soldaten? Oder doch eher 50?

Ein Teil der Ergebnisse, die das Ministerium nicht öffentlich machen will, liegt der taz nun vor. Die statistische Hochrechnung auf die gesamte Bundeswehr ergab demnach jedoch nicht 300 Soldaten, sondern einen Wert zwischen 51 und 294. Das ist etwas niedriger als die mögliche Zahl von Anhängern heidnisch-germanischer Religionen oder des Buddhismus.

Am 5. April 2013 stellten die AutorInnen die Ergebnisse im Verteidigungsministerium vor. Dass die Zahl der Soldaten, die sich dem Judentum verbunden fühlen, genauso gut nur 50 sein könnte, dass gar nicht nach Religiosität oder Zugehörigkeit zu einer Gemeinde gefragt wurde, all das war der Bundeswehr also bekannt – und wurde offenbar ignoriert, um eine deutlich zu hohe Zahl verbreiten zu können.

Dabei müsste die Bundeswehr gar nicht auf irgendwelche Studien und zweifelhafte Hochrechnungen zurückgreifen, um die Zahl der jüdischen Soldaten zu erfassen. Anders als muslimische Gemeinden sind jüdische Gemeinden rechtlich den beiden großen Kirchen gleichgestellt. Für sie treibt der Staat in der Regel die Kirchensteuer bzw. Kultussteuer ein. Dadurch müsste der Staat auch wissen, wie viele seiner Soldaten jüdischen Gemeinden angehören.

So konnte die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion aus diesem Jahr genau sagen, wie viele evangelische (53.451) und wie viele katholische Soldaten (40.889) aktuell im Dienst sind.

Falsche Angaben auch gegenüber Abgeordneten?

Auf taz-Anfrage weigert sich das Verteidigungsministerium aber, die Zahl der kultussteuerpflichtigen Juden in der Bundeswehr zu nennen. Es verweist auf das Bundesverwaltungsamt, eine Behörde des Innenministeriums, und an das Bundeszentralamt für Steuern. Beide Behörden antworten der taz, dass diese Daten nicht bei ihnen, sondern nur der Personalverwaltung der Bundeswehr vorliegen.

Ein letzter Versuch, diesmal beim Bundesamt für Personalmanagement der Bundeswehr. Dort heißt es zunächst, dass man der taz die Zahl gern zur Verfügung stelle, aufgeschlüsselt nach Geschlecht und Dienstgrad. Ein Offizier ist redselig: Er glaube, es gebe überhaupt keine Juden in der Bundeswehr, oder nur sehr wenige. Einen Tag später heißt es, die Zahlen würden zwar vorliegen, seien aber „nicht valide“ und könnten deshalb nicht herausgegeben werden: „Das ist nicht das richtige Ergebnis“, sagt eine Sprecherin. Nur: Wer entscheidet das?

Laut Auskunft der Personalverwaltung existiert in der Datenbank der Bundeswehr neben dem Vermerk zur Kultussteuer noch eine weitere, freiwillige Angabe zur Religionszugehörigkeit. Auch diese will die Sprecherin der taz nicht nennen.

Der Verdacht, dass die Abgeordneten des Bundestags falsch über die zahl der jüdischen Soldaten informiert wurden, wiegt schwer: Als das Gesetz zur jüdischen Militärseelsorge im Mai im Bundestag debattiert wurde, hatten Abgeordnete der SPD, CDU, AfD und FDP die Zahl von 300 jüdischen Soldaten wiederholt. Der Gesetzentwurf wurde von allen Fraktionen einstimmig angenommen. Das passiert äußerst selten.

Mehrere Abgeordnete aus dem Verteidigungsausschuss bestätigen der taz, dass die Zahl 300 immer wieder zur Begründung genannt wurde. „Wäre das in der Form bekannt gewesen, dass es möglicherweise kaum mehr jüdische Soldaten gibt als die zehn geplanten Militärrabbiner, hätte das Gesetz keine Mehrheit gefunden,“ sagte ein Mitglied des Verteidigungsausschusses der taz.

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22 Kommentare

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  • Wie sieht eigentlich die Vertretung für LGBT*-Personen bei der Bundeswhehr aus?



    Der Verein QueerBw e.V. hat ebenfalls 300 Mitglieder, entspräche also mengenmäßig den Soldaten jüdischen Glaubens. Allein schon um dem Vorwurf der Diskriminierung oder gar des gegeneinander Ausspielens verschiedener Identitätsgruppen zu entgehen, sollten in ähnlicher Größenordnung die entsprechenden Vertretungen geschaffen werden.

    Ist die Vertretung von POC bei der BW adäquat? Dürfen Muslima ihr Kopftuch behalten?

    Hier tun sich wunderbare Möglichkeiten zur Erhöhung des Rüstungsetats und damit zur Erfüllung der US-Vorgaben auf, ohne auch nur eine einzige Waffe zu kaufen, ist das nicht großartig? Scholz und AKK sollten diesbezüglich so schnell wie möglich Fakten schaffen, bevor Corona auch den BW-Etat zusammenschrumpft.

  • 9G
    97760 (Profil gelöscht)

    Warum muss man überhaupt irgendeiner Religion zugeordnet werden. Jeder glaubt und lebt doch multiple Sachen gleichzeitig im Leben. Bißchen Ehebruch hier, bißchen Gott oder Alah für alle dort, bißchen Alkohol hier, bißchen Betrug dort, usw.

  • Der Bund Jüdischer Soldaten als Kronzeuge.

    Keine Website, nur ein FB-Profil. Letzter Eintrag von 2016.

    Na gut, wenn das so wenige sind...

  • Gottchen, da ist ja jemand dünnhäutig...

    Es ist doch Usus dass die Politiker angelogen werden.

    Behörden, Gemeinden, Initiativen ... jeder meldet doch auf Nachfrage entweder nach oben oder nach unten geschönte Zahlen "hoch".

    Man schaue sich nur die Baukosten für irgendwelche "Leuchtturmprojekte" an.

    Und da das jeder weiß, muss man die filosofische Frage stellen: Ist eine Lüge noch eine Lüge wenn jeder weiß dass es eine Lüge ist ?

    Ich sage "Ja! -Denn zu wissen dass es eine Lüge ist, bedeutet ja noch lange nicht die Wahrheit zu kennen."

  • Ich finde, das ist etwas zu viel, ja viel zu viel Aufwand für die „geistige Betreuung“.



    Ob die jüdischen Jungs/Mädels/Diverse gefragt werden oder nicht tut nix zu Sache. Protestanten oder Katholiken werden auch nicht gefragt. Wer den seelischen Beistand in Anspruch nimmt gut, aber man muss ja nicht, keine Pflicht.

  • Religion sollte privatisiert werden. Ha in der Bundeswehr und im öffentlichen Leben nichts zu suchen...

    • @Behrendt :

      Wieso? Wenn ich dazu ausgebildet werde, im Kriegsfall andere Menschen zu töten und ich religiösen/seelischen Beistand wünsche oder das mit meiner Religion nicht vereinbaren kann, dann sollte ich schon die Möglichkeit haben, beim Rabbi, Pfarrer oder Iman nachzufragen, was der liebe Gott dazu sagt, oder? Klar, man kann als Pazifist auch gleich den Dienst an der Waffe verweigern, dennoch... Religion mag Privatsache sein, betrifft aber religiöse Menschen, egal, wo sie arbeiten oder sind, nicht wahr?

    • @Behrendt :

      Das sollte man denen überlassen, die davon betroffen sind. Nach einer jahrzehntelangen Alibi-Nummer haben sich die Militärgeistlichen seit Mitte der 90er immer mehr bewährt - weil sie dahin gehen, wo es weh tut, in die Einsätze. Und dort sind sie mittleweile erstklassige Ansprechpartner für SoldatInnen jeder Konfession und auch für Bekenntnislose. Übrigens sind bei uns in der Bundeswehr zumindest einige nicht "kultussteuerpflichtige" Menschen jüdischen Glaubens. Und schon haut das mal wieder nicht hin mit der schönen Statistik.

      • @Markus Wendt:

        Einfach religös Handeln und das Gebot "Du sollst nicht töten" befolgen. Dann hat sich das mit den Militärgeistlichen erledigt.

      • @Markus Wendt:

        "...weil sie dahin gehen, wo es weh tut, in die Einsätze."

        Diese "Einsätze" bestehen darin, Weltmacht zu spielen. Sie sind also völlig unnötig. Genau so wie staatlich organisierte Religiosität.

  • Der Skandal des Jahres! Jüdische Soldaten erfunden! Ausgaben für überflüssige Militär-Rabbiner in Höhe eines Panzers!

    • @Jim Hawkins:

      Bedenkt man, dass die Soldaten jüdischen Glaubens über die ganze BW verstreut sind, hat es ein Rabbi echt schwer, seine Klienten zu finden :-)

    • @Jim Hawkins:

      Der Skandal besteht nicht in der Höhe der überflüssigen Ausgaben (inwiefern ein Panzer mehr oder weniger wirklich kriegsentscheidend wäre, ließe sich wahrscheinlich wirklich diskutieren bei Bedarf). Der Skandal ist, dass der kreative Umgang der Bundesregierung mit der Wahrheit den Propagandisten antisemitischer Verschwörungstheoretiker in die Hände spielt. Und zwar ausgerechnet in einer Zeit, in der Antisemitismus so problematisch ist wie lange nicht. Oder soll ich vielleicht annehmen, der Umfang des Antisemitismus-Problems wäre auch nur (ganz grob) geschätzt?

    • @Jim Hawkins:

      Die Bundesregierung hätte ja argumentieren können, dass sie nicht wissen wie viele jüdische Bundis es gibt, dass sie die Zahlen aber steigern wollen und deshalb die Rabbis einstellen wollen. Das hätte ich als akzeptables Argument empfunden. Ich denke, dass da aber das verstockte Verhältnis der deutschen Konservativen zum Judentum und verwaltungstechnische Argumente (finanziert wird nur das, wofür es Bedarf gibt) dazwischen gekommen sind. Und jetzt hat man den Salat.

    • @Jim Hawkins:

      Der 2 A7+ kostet etwas mehr als 3 Mio EUR, also eher Kosten für anderthalb Panzer.

      Aber darum geht es nicht, wenn der Bendlerblock, absichtlich mit unrichtigen Zahlen hantiert hat, dann ist das zu sanktionieren. Man denkt sich doch bitte nicht für PR Zwecke, so etwas aus.

      Und was ist das bitte für ein Vorbild, der Dienstherr fordert von seinen Angehörigen der Streitkräfte in § 13 SG.

      "Der Soldat muss in dienstlichen Angelegenheiten die Wahrheit sagen."

      www.gesetze-im-internet.de/sg/__13.html

      • 8G
        83379 (Profil gelöscht)
        @Sven Günther:

        Weil die Berater der Verteidigungsministerin ihr erklärt habe PR ist wichtiger als Realität und wenn die Bundeswehr als Hashtag auf Twitter trendet wer braucht dann noch Fähigkeiten?

      • @Sven Günther:

        Dann eben ein gebrauchter Panzer.

        Nehmen wir das ganze doch als eine etwas teure Geste.

        In Deutschland kostet doch alles mehr, als man ursprünglich dachte.

        Es ist wohl auch der Einsatz muslimischer Seelsorger geplant:

        augengeradeaus.net...eistliche-geplant/

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @Jim Hawkins:

      Ja aber funktionierdene Panzer hat die Bundeswehr auch nicht.

      • @83379 (Profil gelöscht):

        Naja die Panzer funktionieren schon - sind auch ein Exportschlager. Aber anderthalb Panzer sind jetzt auch nicht so viel Ausgaben. Generell kostet uns das deutsche Militär zu 50% Personalkosten und auch da ist das dann nur das kleinste Sümmchen.



        Vielleicht schrecken ja überdurchschnittlich viel BW-Rabbiner in Zukunft mehr Rechtsextreme ab ?

        • @BlackHeroe:

          @Machiavelli Naja die Panzer funktionieren schon - sind auch ein Exportschlager.

          wenn sieneu sind un d ins Ausland verkauft werden schon.

          Wenn sie zu unseren Mädels un d Jungs kommen, dann.... wahrscheinlich meistens zuerst (wenn nicht noch einige fehlende Ausrüstungsteile nachgerüstet werden müssen, weil sie gerade nicht verfügbar waren) oder die die schon länger da sind, wenn sie nicht gerade zur Inspektion sind (Klammer wie oben und deshalb laaange da bleiben müssen) oder Teile ausgebaut werden müssen um wenigstens die anderen benutzbar zu halten....

          Es ist ein Trauerspiel.



          Es sei denn man schliesst sich der Meinung von Christine Rölke-Sommer weiter unten an.....

        • @BlackHeroe:

          Ähm die Rabbis stehen nicht vorm Kasernentor und gucken die neuen Rekruten böse an.



          Das mit dem Abschrecken wird nix.

      • @83379 (Profil gelöscht):

        dafür jetzt rabbinerinnen für soldaten, die's nicht gibt.



        obwohl: besser geld für rabbinerinnen als für panzer!