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Studie über Talkshow-GästeImmer dieselben

In Talkshows sitzen zu viele Menschen aus der Politik und zu wenig aus der Zivilgesellschaft. So funktionieren keine konstruktiven Debatten.

Von den Fehlern der anderen gelernt: Jo Schück und Salwa Houmsi mit dem Talk-Format „13 Fragen“ Foto: Gabriel Rufatto/ZDF

Sie sind die „Big 4“ der deutschen Talkshow-Landschaft: Anne Will, „Hart aber fair“, Maischberger und Maybrit Illner. 1,2 bis 3,3 Millionen Zuschauer*innen erreichten sie 2019 jeweils im Schnitt. Lässt man den Anstieg der Konsument*innen in der Coronapandemie außer Acht, sinkt die Nachfrage jedoch seit Jahren.

Ihren Namen verdanken die Big 4 Paulina Fröhlich und Johannes Hillje, den Autor*innen der Studie „Die Talkshow-Gesellschaft“ vom Berliner Thinktank „Das progressive Zentrum“. Drei Jahre lang untersuchten sie 1.208 Sendungen. Das Ergebnis: Talkshows repräsentieren unsere Gesellschaft nicht realitätsgetreu. In Bezug auf Geschlecht und Herkunft ohnehin nicht, wie man dank anderer Studien längst weiß. Aber auch in Bezug auf die verschiedenen gesellschaftlichen Kräfte und politischen Ebenen nicht.

Nach dem Brand in Moria diskutierten bei Anne Will zwar neben je zwei Po­litiker*innen und Journalist*innen auch Marie von Manteuffel von Ärzte ohne Grenzen und Forscher Gerald Knaus über Europas gescheiterte Migrationspolitik. Die Kritik, die Hillje sonst an den Mainstreamformaten übt, treffe hier ein Stück weit nicht zu, sagt der Politik- und Kommunikationsberater. „Mit Ärzte ohne Grenzen ist in dieser Einzelsendung die organisierte Zivilgesellschaft vertreten.“

Eine Seltenheit. Denn zwei Drittel aller Gäste kommen aus Politik und Medien. Und gut zwei Drittel dieser Po­litiker*innen agieren auf Bundesebene – Kommunal- und Europapolitik sind damit deutlich unterrepräsentiert. „Das wird nicht der politischen Realität gerecht, wenn man bedenkt, dass über die Hälfte der Gesetzes­initiativen aus Brüssel kommen“, sagt Hillje.

Gäste aus Wirtschaft sprechen für Unternehmen

Wenn Gäste aus der Wirtschaft kommen, sprechen acht von zehn von ihnen für die Unternehmensseite; die Positionen von Verbraucherschutz und Gewerkschaften sind selten vertreten. Dabei vertraut die Gesellschaft gerade ihnen, so Hillje. Genau wie NGOs. Doch wenn die organisierte Zivilgesellschaft mal eingeladen ist – sie stellen nur knapp 3 Prozent –, reden überwiegend Aktivist*innen.

Anne Wills Sprecherin weist darauf hin, dass die untersuchten Formate inhaltlich verschieden ausgerichtet sind. „Wir möchten explizit politische Entscheiderinnen und Entscheider miteinander in ein öffentliches Gespräch bringen.“

„Wir glauben, dass an der Lösung der diskutierten Probleme nicht nur Politiker arbeiten“, sagt dagegen Autor Hillje. Außerdem seien die vertretenen Akteure nicht vorrangig lösungsorientiert: „Politiker sind da, um ihre Botschaften zu setzen, und Journalisten beobachten.“ Jene, die fachlich an Lösungen arbeiten – Gewerkschaften, Wissenschaft, NGOs –, könnten eine konstruktivere Perspektive mitbringen. Aktuell, so glaubt Hillje, wirke am Ende einer Sendung die Lage für viele eher aussichtslos als hoffnungsvoll.

Auf die von Frank Plasberg moderierte Sendung „Hart aber fair“ treffen die Zahlen nicht ganz zu: Politik und Journalismus stellen hier gut die Hälfte der Gäste, betont man auf Nachfrage. „Wir bilden ein sehr breites gesellschaftliches Spektrum ab.“ Eine Herausforderung sehen die Redak­tionen von „Hart aber fair“ und auch Maischberger aber: „In vielen Bereichen sind bestimmte Positionen selbst nicht so divers besetzt, wie es wünschenswert wäre.“ Und das könnten Polit-Talks nicht alleine lösen.

Hier geht es eher um Diversität in Bezug auf persönliche Merkmale – nicht Kern der Studie, aber ebenso problematisch. Um den Mainstream in beiderlei Hinsicht zu durchbrechen, braucht es daher auch auf anderen gesellschaftlichen Ebenen einen Wandel. Und neue Talkformate.

Wie den „Karakaya Talk“ von Funk, der im Herbst 2019 – kurz nachdem die Big 4 den Negativpreis „Goldene Kartoffel“ abgestaubt hatten – gestartet war und nach einer Staffel wieder abgesetzt wurde. Oder wie „13 Fragen“ von ZDF-Kultur, das letzten Dienstag anlief. „Politiker wird man bei uns weniger sehen“, heißt es aus der Redaktion; „Frauen und People of Color aber möglichst oft.“ Neue Folgen gibt es wöchentlich bei Youtube, wie auch schon den Karakaya Talk. Hillje bedauert die Fernseh-Monokultur: „Es braucht nicht nur Gäste-, sondern auch Formatvielfalt.“ Das Konzept von 13 Fragen scheine aber aus den Mängeln der etablierten Shows gelernt zu haben.

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13 Kommentare

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  • Abschalten einfach abschalten. Wer talkt denn, der Macher, der Entscheider, der Wissende. Nein. Der Schwätzer und nur der. Am besten sind Schauspieler geeignet sich über geopolitische Dinge zu unterhalten, die haben nix zu sagen, aber man sieht sie so gerne



    Abschalten

  • Ich finde, dass es generell viel zu viele Klüngeleien gibt, wenn es um Angelegenheiten des öffentlichen Interesses geht. Auch innerhalb der Parteien scheinen viel zu oft die Wege der einzelnen Protagonisten vorgezeichnet zu sein, gerade Union und SPD glänzen mit ihren Kaderschmieden, Zirkeln und Interessenskreisen. Die Talkshows diskutieren dann eifrig, ob Laschet Spahn Merz oder Röttgen Kanzlerkandidat werden soll oder ob Merkel es noch einmal probieren sollte. Sie Interessieren sich aber kaum dafür, welchen Kanzlerkandidat zum Beispiel die Linke stellen wird. So wird echte Vielfalt in der Politik strukturell unterbunden. Besonders bezeichnend war das letzte Kanzler-TV-Duell mit nur 2 Kandidaten. Das ist echt manipulativ.

    Danke für diesen gelungenen Artikel, es geht in die richtige Richtung!

  • Wer schaut denn bitte Talkshows? Das ist doch zumeist reine Lebenszeitverschwendung

  • Mit immer den gleichen Studien, die immer die gleichen Ergebnisse präsentieren.

    Das alles war schon in den 60er-Jahren vielfach zu lesen...

  • Immer...

    Immer die gleichen Leute, die immer die gleichen Sttatements in immer den gleichen Sendungen in immer der gleichen Weise abgeben zu immer der gleichen Zeit.



    Das ist Medienvielfalt!

  • Erfreulich, daß Alina Götz das ins Zentrum stellt, was Diversität in den Hauptsache ausmacht: Diversität der politischen Meinungen - diese ist NICHT gegeben durch Diversität der Hautfarben oder Geschlechter: Es gibt progressive und konservative Frauen, dasselbe gilt auch Menschen mit Migrationshintergrund.

    Auch ist es kein Naturgesetz, daß Menschen über das Geschlecht hinweg, über die Hautfarbe oder Ethnie hinweg nicht empathisch sein könnten.



    Menschen sind sogar in der Lage, über die Artengrenze hinweg empathisch zu sein, mit Tieren in Not, mit leidenden und gequälten Tieren und für die Besserung und Behebung deren Nöte politisch einzustehen.

    Menschen sind sehr wohl in der Lage, mitzufühlen mit denen, die bedrängt oder in Not sind, Menschen sind sehr wohl in der Lage, auch die Interessen derjenigen in ihre Agenda aufzunehmen, die nicht ihr Geschlecht oder ihre Hautfarbe haben.

    Das heißt nicht, daß diese nicht auch als solche repräsentiert sein sollten - es heißt, aber keinen Fetisch daraus zu machen, und sich klar darüber zu sein, daß äußerliche Diversität zusammen gehen kann mit politischer Homogenität, Homogenität der politischen Meinungen - und diese ist immer unproduktiv.

  • "So funktionieren keine konstruktiven Debatten."



    Seit wann sind Talkshows für konstruktive Debatten gedacht???

  • Das Problem ist, es sind ja keine Debatten, keine Diskussionen... es sind immer serielle Monologe. Egal ob sich gestern im DLF CDUler und Grüne mehr oder minder anschreien oder im Parlament reden geschwunden werden. alles nutzloses Geschwafel ohne Wert.

  • Sorry. Aber dafür brauchter ne Untersuchung? Mach Bosse!

    The show must go on.



    Marshall McLuhan & Wir amüsieren uns zu Tode & Co.



    &



    Das verschwendete Geld - wär als Spende für Umwelthilfe prima eingesetzt & auch die tazler könnten stattdessen was sinnvolles vom Homeoffice in die Welt bröckeln! Gelle.



    Normal.

    • @Lowandorder:

      Wollt grade sagen:

      "Talkshows repräsentieren unsere Gesellschaft nicht realitätsgetreu. "

      Jetzt falle ich aber vom Glauben ab.

      • @Jim Hawkins:

        Sorry. Aber doch immer wieder gewinnbringend - nen Schritt mehr - von der Bahnsteigkante zurückzutreten.



        …servíce & Gern&Dannichfür - 😎 -

  • Das ist wahr, aber wen wählt man als Vertreter der Zivilgesellschaft aus? Parteien und Politiker spiegeln einigermaßen eine politische Idee und Haltung. Einigermaßen wohlgemerkt. Aber ein Mensch einer Subkultur, Ethnie, Sexualität und sexueller Orientierung spiegelt gewiss nicht den Rest jener, die das gleiche eher zufällige Merkmal wie er haben.



    Man könnte sozial engagierte Menschen, ehrenamtliche usw. zu manchen Themen einladen, passt aber auch nicht immer.

    • @Hampelstielz:

      Die Formate sind der Punkt, d.h. sie befördern die von Ihnen gezeigte relative Ratlosigkeit.