Neue ARD-Serie #unterAlmans: Ein neues Deutschsein

Die Serie #unterAlmans erzählt Migrationsgeschichte aus vielen Teilen Deutschlands. Und fragt: Was kann man aus verschiedenen Etappen lernen?

Eine Frau mit traditionellen vietnamesischen Gewand lächelt in die Kamera

Huong Trute lebte bereits zu DDR-Zeiten in Wernigerode, wo sie ein Restaurant betreibt Foto: Kristin Siebert/Radio Bremen/MDR

„Auch wenn wir in Solingen verbrannt werden, Deutschland ist auch unsere Heimat, wir sind ein Teil von Deutschland und wir sind eine kulturelle Bereicherung für Deutschland“, singt Ata Canani bei einem kleinen Konzert zur Pressevorführung der neuen Serie #unterAlmans – migrantische Geschichte(n).

Die Vorstellung findet in dem freien Kunsthaus Acud in Berlin-Mitte statt. Die Gäste stehen vor der Theke, an der Sekt und Weißwein ausgeschenkt wird. Auch einige der Prot­ago­nis­t*in­nen aus der Serie sind da, der Musiker Ata Canani ist einer von ihnen. Mit seiner Bağlama bespielte er schon vor 40 Jahren die Anliegen der Gast­ar­bei­te­r*in­nen in Deutschland.

Ali Aslan, der Moderator für den Abend, beginnt mit einem Zusammenschnitt der Serie. Canani und andere sprechen in dem fünfteiligem Format von Yasemin Ergin, Kristin Siebert, Sebastian Bellwinkel und Marlene Wynants über Deutschland als Einwanderungsland und ihre Sicht auf die Mehrheitsgesellschaft.

Und das „erstmalig aus migrantischer Per­spek­tive“, wie selbstbewusst im Beschreibungstext zur Serie verkündet wird. Die Erzählerin vor und hinter der Kamera – Salwa Houmsi – besucht Menschen in allen Teilen Deutschlands, ob Leipzig, Hanau oder Wernigerode und wühlt sich durch rund 70 Jahre Migrationsgeschichte.

Was ist Deutschsein?

Im Acud-Saal verfolgen die Gäste den Zusammenschnitt gespannt. Ist eine Person aus dem Publikum auf der Leinwand zu sehen, drehen sich andere zu ihr um und lächeln. Lacher gibt es für die Antworten auf die Frage: Was ist Deutschsein? „Morgens erst mal duschen und ein Müsli zum Frühstück“ oder „eine Hausordnung“.

„#unterAlmans – Migrantische Geschichte(n)“, fünf Folgen, in der ARD-Mediathek

Erzählerin Salwa Houmsi stellt Fragen: Ist Deutschland Heimat? Fühlen sich (Post-)Migrant*innen der zweiten oder dritten Generation hier zu Hause? Was ist ihre Sicht auf Deutschsein? Unter den Prot­ago­nis­t*in­nen sind bekannte Gesichter wie Aminata Touré, Ministerin unter anderem für Soziales und Gleichstellung aus Schleswig-Holstein, oder die Journalistin Melina Borčak.

„Bei der Auswahl war uns eine Balance zwischen den unterschiedlichen Migrationserzählungen wichtig. Da gibt es die Geschichte der türkischen Gastarbeiter*innen, über die man schon vermeintlich viel weiß. Auf der anderen Seite gibt es zum Beispiel die koreanischen Krankenschwestern, die in den 70ern zu Tausenden nach Deutschland kamen. Über sie hat man bisher noch nicht so viel gehört“, erklärt Yasemin Ergin, eine Autorin der Serie, in der Diskussionsrunde nach der Serienpräsentation.

Die Balance ist gelungen, die Antworten der Prot­ago­nis­t*in­nen auf Houmsis Fragen könnten nicht unterschiedlicher sein und zeigen zumindest einen Teil der Veränderungen von Deutschsein, als „klares Signum der Zeit“, wie die Integrationsforscherin Naika Foroutan in der Serie resümiert. Hilfreich für diese vielschichtigen Erzählungen ist der Aufbau der Serie, die keiner Chronologie folgt. Anhand von Oberthemen, die jeweils eine Folge ausfüllen, werden die Geschichten erzählt: Hoffnung, Enttäuschung, Wut, Heimat und Deutschsein.

Laute (post)migrantische Stimmen

So spricht der aus Afghanistan stammende Edris Bahrami, der in Leipzig einen migrantischen Fußballverein gegründet hat, in der gleichen Folge wie die Krankenschwester Haeng-Ja Fischer mit südkoreanischen Wurzeln, die 2015 einen Geflüchteten aus Eritrea aufgenommen hat. Beide formulieren ähnliche Hoffnungen an Deutschland.

Die Serie geht auch der Frage nach, was man aus den verschiedenen Etappen der Einwanderungsgeschichte lernen kann. Und wie Deutschland in Zukunft mit Stolz behaupten kann, ein Einwanderungsland zu sein. Antworten sucht die Erzählerin Houmsi bei Ex­per­t*in­nen wie der Psychologin Marina Weisband und dem Politikwissenschaftler Ozan Zakariya Keskinkılıç.

Das alles ist in ein modernes Format gepackt und mit aufgeregter Musik unterlegt. Der Hashtag im Titel verrät bereits, dass die Serie sich an online-affine Zu­schaue­r*in­nen richtet. Wer deshalb eine kurzlebige Feel-Good-Serie erwartet, irrt sich. Denn es geht um Rassismuserfahrungen, Wut und Enttäuschung. Und darum, dass so viele Stimmen in der deutschen Mehrheitsgesellschaft nicht gehört werden.

Aber es gibt sie, die lauten (post)migrantischen Stimmen, die selbstbewusst ihren Platz in der Gesellschaft suchen. Und die eine Serie auch #unterAlmans nennen, obwohl sie wissen, dass das zu Aufregern führen kann. „Aber am Ende kommt es nicht darauf an, dass Einzelne es schaffen, sondern dass viele die Kraft in sich selbst sehen und dann gemeinsam gestalten“, sagt Aminata Touré im Interview für #unterAlmans.

Dass die Geschichten zu vielschichtig sind, um sie in einer fünfteiligen Serie mit rund 25 Minuten pro Folge auszuerzählen, ist auch an der Diskussion im Acud bemerkbar: „Wir sind noch nicht fertig, wir fangen gerade erst an“, sagt Salwa Houmsi dazu. Sich diese Serie als Anfang anzuschauen, kann vor allem für Deutsche ohne Migrationsgeschichte hilfreich sein. Sie macht schließlich deutlich: Letztendlich geht es hier nicht um eine Frage der Migrationspolitik, sondern darum, wie wir als Gesellschaft zusammenleben wollen.

Am Ende des Vorstellungsabends klappt dieses Zusammenleben ganz gut: Ata Canani singt seinen neuen Song: „Vom Bosporus bis zum Rhein, scheint die Sonne überall“. Und alle stimmen mit ein.

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