Klimaproteste in Corona-Zeiten: Wir verstummen nicht!
Konzerne, die fossile Projekte wie Datteln 4 fördern, können auch in Zeiten abgesagter Klima-Demonstrationen nicht sicher vor Protesten sein.
E igentlich sollten wir in Helsinki sein. Wir sollten auf der Aktionärsversammlung des finnischen Energiekonzerns Fortum sprechen. Fortum ist Hauptanteilseigner an der Firma Uniper, die im Sommer das Kohlekraftwerk Datteln 4 in Betrieb nehmen will. Wir hatten Fortum deshalb einiges zu sagen. Aber statt in den Zug zu steigen, sind wir zu Hause geblieben. Wie so viele, die diese Tage eine Welt im Stillstand erleben. Das Problemkraftwerk Datteln 4 ist allerdings trotzdem nicht aus der Welt.
In einer Krise ist es entscheidend, Verantwortung zu übernehmen, auf die Expert*innen zu hören und alles daran zu setzen, das Leid und Schäden zu mindern. Das gilt für eine Corona-Pandemie genauso wie für die Klimakrise. Dass das im Falle eines gefährlichen Virus geht, wird diese Tage von allen Seiten, von jedem Ministerium, von (fast) jeder Partei, von Bürgermeister*innen genauso wie der Privatwirtschaft bewiesen. Bei der Klimakrise verhält es sich offensichtlich anders. Dieser Tage wird noch einmal ganz anders sichtbar, wie bizarr die Mutlosigkeit und Tatenlosigkeit politischer Instanzen gegenüber der Klimakrise ist. Es wird sehr deutlich, was alles machbar wäre, um die Klimakrise einzudämmen. Wenn man denn will.
Nicht mehr zu übersehen ist ebenfalls, wie künstlich gleichzeitig die Angst ist, die fossile Industrie in die Schranken zu weisen. Die Politik handelt nicht, weil sie nicht kann. Sie handelt deshalb nicht, weil es ihr an Visionen einer Gesellschaft fehlt, die auf Solidarität und nicht auf Ausbeutung beruht.
Die globale Durchschnittstemperatur hat sich im Vergleich zur vorindustriellen Zeit bereits um mehr als ein Grad erhitzt. Angesichts der Auswirkungen der Klimakrise ein weiteres Kohlekraftwerk neu in Betrieb zu nehmen, ist unverantwortlich. Es ist längst klar, dass wir weltweit dringend Kohlekraftwerke abschalten müssen, statt neue ans Netz zu nehmen. Die Steinkohle, die in Datteln 4 verfeuert wird, stammt zudem aus Abbauregionen in Sibirien und Nordkolumbien. Für die Tagebaue dort werden indigenen Gemeinschaften ihre Landrechte geraubt. Sie und andere Menschenrechts- und Umweltaktivistinnen werden bedroht, sogar getötet. Für uns steht das Steinkohlekraftwerk Datteln 4 gleichermaßen für die gescheiterte Klimapolitik der Bundesregierung und für die globale Ausbeutung, gegen die wir als Klimaaktivistinnen kämpfen.
Es geht schon lange nicht mehr um eine abgesagte Reise
Aber wie kann verhindert werden, dass das Kohlekraftwerk Datteln 4 im Sommer ans Netz geht, wenn durch Ansteckungsgefahr keine Demonstrationen stattfinden können? Wenn wir keine öffentlichen Aktionen nutzen können, um auf diesen finnisch-deutschen Kraftwerkskandal hinzuweisen? Wenn neue Herausforderungen an allen Ecken und Enden der Gesellschaft erwachsen, die alten Probleme aber noch nicht gelöst sind? Schon lange geht es nicht mehr nur um eine abgesagte Reise nach Helsinki.
Es wird kompliziert werden. Und es wird allen Beteiligten einiges abverlangen, angemessen auf Corona zu reagieren und dennoch in unserem Kampf für Klimagerechtigkeit nicht locker zu lassen. Nur eins ist sicher: Unser Ruf nach „Climate Justice“ bedeutet auch, unsere Gesellschaft sozial gerecht zu machen, den Zusammenhalt zwischen den Menschen zu stärken und jegliche Form der Ausgrenzung zu bekämpfen. Nur eine solidarische Gesellschaft ist in der Lage, die größten Krisen zu meistern. Das gilt für Pandemien genauso wie für die Folgen der Klimakrise.
Konzerne, die nur auf ihre kurzfristigen Profitinteressen schauen und nicht auf die ökologischen und sozialen Auswirkungen ihres Wirtschaftens, sollten sich auch in Zeiten wie diesen nicht sicher vor Protest fühlen. Das ist unsere Botschaft an den Energiekonzern Fortum. Angesicht der Klimakrise verantwortungsvoll zu handeln, bedeutet, Datteln 4 niemals ans Netz gehen zu lassen und jetzt das Zeitalter der Fossilen zu beenden.
Was Corona für unsere Gesellschaft bedeutet, ist noch nicht abzusehen. Und es gilt, mit voller Kraft gegen die Pandemie anzugehen. Kein Kohlekonzern sollte jedoch daraus Profit schlagen dürfen, dass Menschen ihre Empörung nicht in Form von Demonstrationen zum Ausdruck bringen können. Wir werden weiter kämpfen und Datteln 4 verhindern. Unsere Stimmen werden nicht verstummen. Eine andere, solidarische Gesellschaft ist möglich, auch und besonders in Zeiten von Krisen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
Serpil Temiz-Unvar
„Seine Angriffe werden weitergehen“