Offener Brief an #Aufstehen: Derzeit funktionsunfähig
Die linke Sammlungsbewegung Aufstehen kommt nicht in Schwung. Ihre Webseite wurde abgeschaltet. Mitglieder fordern mehr Mitsprache und Transparenz.
Sie bezeichnen es als „Warnung“ und als „Hilferuf“: Mehrere Mitglieder der Sammlungsbewegung Aufstehen haben sich per offenem Brief an die InitiatorInnen und den provisorisch als Vorstand eingesetzten Arbeitsausschuss gewandt. „Jetzt stellt sich bei Vielen das Gefühl ein, dass sich so gut wie nichts mehr bewegt“, schreiben die acht VerfasserInnen. „Dies führt bereits zu Resignation und Abspaltungstendenzen Einzelner und ganzer Gruppen“, warnen sie.
In dem Brief, der zunächst intern und seit Freitag auf aufgestanden.org veröffentlicht ist, fordern sie mehr Transparenz, Mitsprache und Kommunikation ein. „Nur zu einer Ansammlung von E-Mail-Adressen zu gehören, um innerparteilichen Druck auszuüben, reicht uns nicht aus“, schreiben die acht, die laut Selbstbeschreibung seit Anfang dabei sind. Die Basis verfüge über viel Know-how: „Dieses Potential verpufft ungenutzt!“
Die Sammlungsbewegung Aufstehen haben Sahra Wagenknecht, Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, der Dramaturg Bernd Stegemann sowie PolitikerInnen von SPD und Grünen im September offiziell in der Berliner Bundespressekonferenz gegründet. Ziel ist es laut Gründungsaufruf, Politik zurück zu den Menschen zu bringen, indem man Diskussionen organisiere und die Forderungen, die die Menschen bewegen, auf die Straße und in die Politik trage. Jeder könne sich einbringen. Ein detailliertes Programm wolle sich Aufstehen in einem transparenten Diskussionsprozess selbst erarbeiten.
Doch diesen selbst gesteckten Ansprüchen werden die Köpfe von Aufstehen derzeit nicht gerecht. Nicht nur, dass niemand so genau weiß, wer eigentlich bei Aufstehen im Führungsstab die Entscheidungen trifft und welche das sind; es gibt offenbar auch kaum Signale, dass Mitsprache tatsächlich gewünscht ist.
Keine Reaktion auf den offenen Brief
„Die Bewegung ist da, man könnte richtig was machen. Aber derzeit sind viele von den Entscheidungen einiger weniger abhängig“, berichtet Cedric H. Er ist einer der Aktivisten, die den Brief verfasst haben. So seien Aufrufe von Aufstehen-Gruppen zur Teilnahme an Demonstrationen, etwa für den Erhalt des Hambacher Forsts, nie über den Verteiler mit derzeit 167.000 registrierten Mailadressen gegangen.
Eine offizielle Reaktion der Aufstehen-GründerInnen oder aus dem Arbeitsausschuss, dem viele Erstunterzeichner angehören, haben die VerfasserInnen des Briefes bisher nicht erhalten. Stattdessen wurde der Brief aus vielen Facebookgruppen von Aufstehen prompt gelöscht. „Das wird offenbar als Angriff gewertet, obwohl es uns wirklich nicht darum geht, Aufstehen zu schaden“, meint H.
Der Brief hat im Ausschuss, der sich vergangene Woche zum ersten Mal sei zwei Monaten traf, jedenfalls für Wirbel gesorgt – war es doch nicht der erste Appell dieser Art, der an die rund 20 Mitglieder herangetragen wurde. Ausschussmitglied Marco Bülow, Ex-SPD-Mitglied und Bundestagsabgeordneter aus Dortmund, teilt die Forderungen des Briefes. „Ich werde mich sehr bemühen, dass Aufstehen als Bewegung endlich auf die Straße kommt, mit Strukturen, die transparent und demokratisch sind“, sagte er der taz.
Unbezahlte Rechnungen
Auch auf technischer Ebene ist die Kommunikation mit der Basis derzeit gestört. Wer sich der Sammlungsbewegung unter aufstehen.de anschließen möchte, landet seit dem Wochenende im schwarzen Loch. In einer Rundmail an alle Registrierten informierte das Aufstehen-Team, dass man umgezogen sei, vorläufig auf die Domain aufstehenbewegung.de.
Hintergrund ist ein Streit um unbezahlte Rechnungen mit der Marketingfirma Dreiwerk, die die Kampagne für Aufstehen produziert und die Webseite betrieben hat. Zwei der Geschäftsführer sind selbst bei der Bewegung aktiv. Die Geschäftsführerin des Aufstehen-Trägervereins, Ida Schillen, erklärte am Sonntag in einer Pressemitteilung, die Firma habe 31.000 Euro erhalten und die Domain dennoch abgeschaltet.
Demnach gehe es darum, die noch junge Sammlungsbewegung zu beschädigen. Dreiwerk-Geschäftsführer Thomas Schmid wehrt sich dagegen, in die Ecke des „gierigen und unlauteren Unternehmers“ gestellt zu werden. Der Bild sagte er, er und sein Partner hätten ehrenamtlich gearbeitet. In Rechnung gestellt worden seien aber reale Kosten für die Dreharbeiten.
Die Mailadressen @aufstehen.de sind derzeit funktionsunfähig. Das Problem war seit Längerem bekannt – die Basis erfuhr aber auch davon erst, als es so weit war.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wissings Verkehrsprognose 2040
Auto bleibt wichtigstes Verkehrsmittel
+++ Nachrichten im Nahost-Konflikt +++
Libanon-Konferenz sagt eine Milliarde Dollar zu
Urteil im Diesel-Skandal
Erstmals ist hierzulande die Natur im Recht
Cem Özdemir will nach Baden-Württemberg
’S kann losgange
Bauhauskritik der AfD
Widersprüchlich und gerade deshalb modern
Lecks in der Gas-Infrastruktur
Jede Menge unkontrolliert entweichendes Methan