piwik no script img

Dietmar Bartsch über offene Grenzen„Die Debatte langweilt mich“

Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Linkspartei, warnt vor einem rhetorischen Überbietungswettbewerb und allzu lautem Poltern gegen die AfD.

Dietmar Bartsch verfolgt Sahra Wagenknechts „Aufstehen!“-Bewegung mit Interesse Foto: Britta Pedersen

taz: Herr Bartsch, die AfD hat bei der Bundestagswahl im Osten mehr als 20 Prozent bekommen. Warum?

Dietmar Bartsch: Das hat vielfältige Ursachen. Verunsicherungen und Enttäuschungen sind am größten, wo die Hoffnungen besonders groß waren. Die blühenden Landschaften, die Kohl versprochen hatte, wie die Chefsache Ost von Schröder gab es so nicht. Der Protest im Osten hat mit der AfD teilweise eine neue Adresse gefunden.

Früher hat die PDS Frustrierte an sich gebunden. Warum gelingt das nicht mehr?

Es gibt mindestens drei Gründe. Wir tragen in Thüringen, Berlin und Brandenburg Regierungsverantwortung. Manche sagen: „Ich habe euch gewählt, weil ihr gesagt habt, Hartz IV muss weg. Aber Hartz IV gibt es immer noch.“ Die sind enttäuscht. Da kann ich tausendmal sagen, dass Hartz IV Bundesangelegenheit ist. Das interessiert diese Menschen nicht. Zweitens sind wir in der Fläche nicht mehr stark genug, um als Partei, die sich um alles kümmert, wahrgenommen zu werden.

Weil die Partei überaltert und geschrumpft ist.

Na ja, wir haben im Osten mehr Mitglieder unter 30 Jahren als andere Parteien. Aber wir haben auf dem Land, nicht in den großen Städten, Probleme. Ich war unlängst in einem Seniorenclub eingeladen. Da stand ein Schild vor dem Raum: „Wegen Überfüllung geschlossen“. Das ist schön und sagt gleichzeitig etwas. Drittens sind wir eine gesamtdeutsche Partei geworden und werden nicht mehr automatisch als die Interessenvertretung des Ostens wahrgenommen.

Was jetzt?

Der Einwurf von Martin Schulz zur AfD war in der Sache richtig, aber politisch nicht klug

Zeigen, dass wir in neuer Weise Ostinteressen wahrnehmen, etwa die Chancen von Digitalisierung anzunehmen. Dazu plädiere ich für konsequenten Realismus: Nicht mehr versprechen, als man halten kann. In der Opposition neigt man dazu, fast alles zu versprechen. Das meine ich rückblickend auch selbstkritisch. 1998 in Mecklenburg-Vorpommern haben wir angekündigt, in der Regierung die Arbeitslosenzahl relevant zu senken. Das haben wir nicht geschafft und konnten es in der wirtschaftlichen Situation auch nicht. Wenn wir in Landtagswahlprogrammen den Nato-Austritt beschließen, dann ist das nun mal absurd.

Ist es falsch, wenn die Linkspartei im Wahlprogramm offene Grenzen fordert?

Das ist Programmlage. Aber diese Diskussion langweilt mich inzwischen, denn sie dreht sich im Kreis. Das ist eine ideologisch aufgeheizte Debatte, die unendlich viele Themen vermischt. Es ist inzwischen alles von vielen gesagt worden. Erkenntniszuwachs ist nicht zu erwarten.

Sie machen es sich zu einfach. Die Frage beschäftigt viele.

Trotzdem ist es eine absurde Diskussion. Erstens: Wir haben größtenteils gemeinsame Positionen. Zweitens: Als Linke können wir das meiste kaum beeinflussen. Wir können beschließen, gegen jegliche Abschiebung zu sein. Wir verlieren dann aber Glaubwürdigkeit, weil wir in den Landesregierungen abschieben, weil die Gesetzeslage so ist, wie sie ist. Wir können, wo wir regieren, auch nicht die Hartz-IV-Regelsätze auszahlen, die wir für angemessen halten.

Halten Sie alle Abschiebungen prinzipiell für falsch?

Die Position meiner Partei ist, Abschiebungen grundsätzlich abzulehnen. Wir müssen uns aber fragen, ob diese Forderung durchzuhalten ist. Die derzeitige Abschiebepraxis ist häufig willkürlich und unmenschlich. Wir müssen deutlicher machen, dass diese Bundesregierung immer neue Fluchtursachen schafft …

Zuwanderung regulieren zu wollen, aber gegen ein Einwanderungsgesetz zu sein, erscheint mir unlogisch. Wenn man offene Grenzen für alle fordert und für ein Einwanderungsgesetz ist, scheint mir das auch widersprüchlich

Ist das nicht zu simpel? Wenn die Linkspartei regieren würde, könnte sie ja nicht sagen: Flüchtlinge, Obergrenzen – egal, wir reden über Fluchtursachen …

Moment. Wir haben eine klare Programmlage. Die muss nicht dauernd neu debattiert werden. In der Partei und mit allen Fraktionsvorsitzenden unserer Partei haben wir über ein Einwanderungsgesetz diskutiert. Meines Erachtens brauchen wir das. Zuwanderung regulieren zu wollen, aber gegen ein Einwanderungsgesetz zu sein, erscheint mir unlogisch. Wenn man offene Grenzen für alle fordert und für ein Einwanderungsgesetz ist, scheint mir das auch widersprüchlich.

Das sind die Positionen von Wagenknecht und Kipping …

Beide Standpunkte gibt es in der Partei, und beide scheinen mir nicht stringent. Ihre Bemerkung zeigt, wie kontaminiert das Thema ist und wie persönlich die Debatte verläuft. Das schadet am Ende den Menschen, die als Geflüchtete hier versuchen, ein Leben aufzubauen, weil wir dazu beitragen, dass das Thema weiter emotionalisiert wird. Also Ende der abstrakten Debatte.

Die AfD scheint, egal was sie tut, zu gewinnen …

Das wird sich ändern. Es gibt Risse. Die AfD-Fraktion in Mecklenburg-Vorpommern hat sich gespalten. Manche, die ihr Kreuz bei der AfD gemacht haben, erkennen, dass die jetzt zwar Dienstwagen haben, aber sich für ihr Leben nichts geändert hat …

Im Interview: Dietmar Bartsch

Jahrgang 1958, ist gebürtiger Stralsunder. Er war Mitglied der SED bevor diese zur PDS und schließlich zur Linken wurde. Er hatte unterschiedliche Parteiämter inne, unter anderem leitete er 2002 und 2009 den Bundestagswahlkampf seiner Partei. Seit 2019 hat er zusammen mit Amira Mohamed Ali den Fraktionsvorsitz inne. Bei der Bundestagswahl 2021 tritt er als Co-Spitzenkandidat zusammen mit Janine Wissler an.

Ein Effekt, unter dem die Linkspartei im Osten leidet …

Dieser Vergleich ist völlig unzulässig. Die AfD hat keine Konzepte. Nicht für die Rente, nicht für Klimaschutz, nicht für Digitalisierung. Gauland hat das im Sommerinterview beim ZDF bewiesen. Sie sprechen Menschen nur mit Gebrüll an.

Martin Schulz hat die AfD im Bundestag in die Nähe des Faschismus gerückt. War das klug?

Die AfD arbeitet mit Pegida und Rechtsradikalen zusammen. Das ist ein ernstes Gefährdungspotenzial für die Demokratie. Der Einwurf von Martin Schulz war in der Sache richtig, aber politisch nicht klug.

Warum?

Die Rede von Gauland war übel – keine Frage. Aber das laute Poltern führt schnell zum Überbietungswettbewerb der politischen Parteien. Der SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs hat alle AfD-Abgeordnete als rechtsradikal bezeichnet. Und jetzt? Die AfD jedenfalls sitzt noch im Parlament.

Aber muss man als Demokrat nicht mal klare Kante zeigen?

Ja. Aber ich fände es angemessener, wenn sich die Fraktionen besser koordinieren, wie sie mit der AfD umgehen. So ist es jedenfalls gelungen, die NPD in Mecklenburg-Vorpommern im Parlament zu marginalisieren, ohne sie zu Märtyrern zu machen. Lieber weniger Lautstärke, mehr Besonnenheit.

Sahra Wagenknecht hat die Bewegung „Aufstehen“ gegründet. Beunruhigt Sie das?

Ich habe mit Interesse gelesen, dass das Ziel ist, neue linke Mehrheiten zu schaffen. Das finde ich unterstützenswert. Ansonsten bleibt abzuwarten, was aus dem Projekt wird.

Ist „Aufstehen“ eine Konkurrenz zur Linkspartei?

Nein. Im Gründungsaufruf steht: Wir wollen keine neue Partei werden. Das ist klar formuliert.

Wenn „Aufstehen“ floppt, schadet das der Linkspartei?

Fragen Sie das ernsthaft?

Klar.

Die Menschen, besonders die nicht so stark politisierten, würden wahrnehmen, dass es linke Projekte mal wieder nicht bringen. Und eine der populärsten Personen der Linken würde beschädigt.

„Aufstehen“ muss ein Erfolg werden, damit Wagenknecht nicht beschädigt wird?

Viele Bürgerinnen und Bürger nehmen es so wahr, dass dieses Projekt mit der Linkspartei verknüpft ist. Deshalb wäre ein Scheitern nicht gut für die Partei. Es wäre auch schädlich für die Ziele, die im Kern sozialdemokratische sind und für die es häufig gesellschaftliche Mehrheiten gibt. Außerdem gibt es im Umfeld der Initiative durchaus interessante Leute, die wir vielleicht enger an unsere Partei binden können.

Knapp 150.000 unterstützten im Internet „Aufstehen“. Beeindruckt Sie das?

Es ist beeindruckend, wenn so viele Menschen sagen: „Ja, ich will mich engagieren!“ Aber es ist auch nicht so, dass die Konzernchefs jetzt zittern. Es gibt keine „Soko Aufstehen“ im Kanzleramt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

34 Kommentare

 / 
  • "Die neoliberale Pseudolinke soll sich erstmal zu der unleugbaren Unvereinbarkeit von Sozialstaat und offenen Grenzen äußern, (...)" (Zitat: El-Ahraira)



    Es ist wohl eher nicht zu erwarten, dass sich Neoliberale auf eine Diskussion über den Sozialstaat und den damit verbundenen Scherbenhaufen, den sie da angerichtet haben, ein lassen werden. Die sind stattdessen damit beschäftigt ihre Schande unter den Teppich zu kehren und abzulenken - gerne auch mit Kriegspropaganda (Syrien).

    • @LittleRedRooster:

      Richtig.

  • 9G
    99663 (Profil gelöscht)

    Beitrag gelöscht. Bitte bleiben Sie sachlich und beachten Sie unsere Netiquette.

    Die Moderation

    • 9G
      99663 (Profil gelöscht)
      @99663 (Profil gelöscht):

      das war als antwort am @jim hawkins vom 17.9. um 20.01 h gedacht und bezieht sich auf den von ihn verlinkten jungle world-kommentar.

  • Und dabei liegen die richtigen Rezepte in den Schubladen. Man darf die Hoffnung nicht aufgeben, dass sie die "Putzfrau" ausversehen auf den richtigen Schreibtisch legt.

    • @Gerhard Krause:

      Und was sind Ihre "richtigen Rezepte"?

      • @rero:

        Selbstverständlich Lohnerhöhungen, ein größerer öff. Beschäftigungssektor, Mindestlohnanhebung, "Märchensteuer"senkung und und und.

  • „Die AfD hat bei der Bundestagswahl im Osten mehr als 20 Prozent bekommen."

    Ist das wirklich so schlimm. Oder vielleicht ist es viel schlimmer, dass 68% aller AfD-Wähler sollen aus dem Westen stammen. Alle Stimmen aus dem Osten allein würden der AfD nicht für den Einzug in den Bundestag reichen; die Stimmen aus dem Westen hingegen schon!

    deutsch.rt.com/inl...en-aus-dem-westen/

    Für die Linkspartei, die SPD und die Grünen ist es viel leichter, im Westen Wähler von der AfD zurück zu gewinnen als im Osten.

    Politik ala Kipping & Gysi bringt der Linkspartei viel mehr, als die Vorschläge seitens Frau Wagenknecht oder Herrn Lafontaine.

  • „Wir können, wo wir regieren, auch nicht die Hartz-IV-Regelsätze auszahlen, die wir für angemessen halten.“

    Man kann aber versuchen, die Kürzungen auszusetzen oder kritischer zu überprüfen. Mehr als ein Drittel aller Sanktionen wird gerichtlich gekippt. Es stimmt also an der Praxis vieles nicht. Und diese Gerichte verschwenden zudem das Geld der Steuerzahler. Das ist ein Anhaltspunkt mehr, etwas dagegen zu unternehmen, auch auf der Landesebene.

    Selbst die SPD kommt dem immer näher, das HARTZ IV System an heutige Zeit anzupassen bzw. die weiterzuentwickeln.

    "Ich bin dafür, das Arbeitslosengeld nach Lebensarbeitszeit deutlich länger bis zu drei Jahre zu gewähren", so Müller weiter. "Und wir wären gut beraten, das gesamte Sanktionssystem kritisch zu überprüfen."

    www.rbb24.de/polit...onen-unter-25.html

    Nach der Einführung der Agenda 2010 hat die SPD kumuliert ca. 18 Prozentpunkte bei den Wahlen verloren. Der SPD schadet dieses System am stärksten.

    Ein Richter vom Bundesverfassungsgericht sprach öffentlich davon, dass das Existenzminimum eine Konkretisierung der Menschenwürde ist.

  • Im SVR-Integrationsbarometer 2018 wurde festgestellt, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung offen gegenüber den Flüchtlingen und Migranten steht und beide Bevölkerungsgruppe für eine kulturelle und wirtschaftliche Bereicherung der Bundesrepublik Deutschland hält.

    www.youtube.com/watch?v=46h_NhluB2k

    Von den Befragten ohne Migrationshintergrund sind rund 60 Prozent dafür, weiterhin Flüchtlinge aufzunehmen, selbst wenn Deutschland das einzige EU-Land sein sollte, das dazu bereit ist.

    web.de/magazine/po...vergiftet-33168002

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Nach mehrmaligem Lesen des Interviews mit Dietmar Bartsch sowie der vorliegenden Kommentare meine Frage:

    Muss eine einzige Person ALLES können? Es gibt gute und kluge Diagnostiker. Nicht nur bei Ärzten. Und es gibt Menschen, die haben ihre Stärke in klugen Handlungs-und Therapieansätzen.

    Bartsch steht für Erstere. Seine Unaufgeregtheit und Kühle befähigt ihn zum Vermitteln. In Zeiten großer Aufgeregtheit ist dies nicht zu unterschätzen.

  • Bartsch. Der perfekte Politiker.



    Ist nicht als Kompliment gedacht

  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Es würde schon nützen, wenn die liebe Sahra nicht beinah jeden Tag eine neue rassistische Aussage tätigen, bzw. eine neue braune Sau durchs Dorf jagen würde. Ausländer sind nicht unser Problem, weder als Flüchtlinge noch als sog. Arbeitsmigranten. Einfach mal um echte Probleme kümmern und das ganze rechte Zeugs der AfD überlassen ...

    • @60440 (Profil gelöscht):

      "neue rassistische Aussage"

      Können Sie das belegen oder "wissen" Sie das nur vom Hörensagen?

      • 8G
        88181 (Profil gelöscht)
        @Rolf B.:

        Vielleicht hilft dieser Artikel aus der Jungle World weiter:

        jungle.world/artik...er-nation?page=all

        • @88181 (Profil gelöscht):

          Hilft leider nicht weiter.

          Da sind am Ende einige Andeutungen, die man als antisemitisch von ihr verstehen könnte, aber leider keine Belege für rassistische Äußerungen.

        • @88181 (Profil gelöscht):

          Das meinen Sie doch nicht ernst. Oder? Da kleistert jemand ein paar Sätze aus dem Zusammenhang aneinander und interpretiert das nach Gusto genau so, wie er es haben will. Furchterregend dieses antideutsche Geschwurbel. Und das sind Ihre "Beweise"?

          Wenn Sie mir einen halben Tag Zeit geben, schreibe ich einen Artikel in gleicher Qualität über S.W., warum sie der Meinung ist, dass die Erde eine Scheibe ist.

          • @Rolf B.:

            Nuja, sooo wenige Superreiche und Spekulanten gibt es jetzt auch wieder nicht. Eine kluge Frau, die gefühlt kein unüberlegtes Wort rausbringt, müsste keineswegs ausgerechnet die Rothschilds, den schon seit lange vor der Nazi-Zeit gängigen Inbegriff speziell jüdischer Finanz-Macht, als Beispiel dafür herauspicken. Unverfänglichere Alternativen wären Legion - Warren Buffett, die Quandts, irgendwelche arabischen Feudalherrscher etc.. Aber nein, Sarah findet den Fettnapf - nur dass "Fettnapf" eigentlich ein versehentliches Reintreten suggeriert, Genau das ist gerade ihr aber nur SEHR schwer abzunehmen.

    • @60440 (Profil gelöscht):

      "(...) das ganze rechte Zeugs der AfD überlassen (...)" (Zitat: Kreibig)



      Wen oder was verstehen Sie unter "das ganze rechte Zeugs"? Könnten Sie das bitte etwas näher ausführen?

  • Was soll man von den Antworten halten? Bartsch ist von Allem etwas. Das macht ihn zum Vermittler zwischen den Flügeln mit allen Widersprüchen. Im Gegensatz zum Parteivorstand, der mit geradezu tumber Besessenheit die Meinung vertritt, dass Parteitagsbeschlüsse quasi Gesetzescharakter haben, weiß Bartsch zu differenzieren. Das ist auch gut so. Parteien sind niemals Zwangsvereinigung gleichgeschalteter Mitglieder. Zumindest seit der NSDAP nicht mehr. Das soll ja selbst bei der SED nicht so gewesen sein. Parteitagsbeschlüsse als demokratischen Prozess zu akzeptieren ist eine Sache, Teile davon für falsch zu halten eine andere. Auch das wäre in einer demokratischen Partei normal.

    Die Linke hat das Problem, dass sie letztendlich für zwei unterschiedliche Wählergruppen interessant ist und eine Wählergruppe nicht wirklich interessiert ist an soziale Fragen. Warum diese nicht die Grünen wählen, ist mir ein Rätsel. Nach einer Umfrage hielten 35% der Wähler eine Linke a la Wagenknecht für durchaus wählbar. Mich würde interessieren, wie bei einer solchen Umfrage der No-border-Flügel wegkäme.

    • 7G
      74450 (Profil gelöscht)
      @Rolf B.:

      "Nach einer Umfrage hielten 35% der Wähler eine Linke a la Wagenknecht für durchaus wählbar."

      Selbst durchgeführte Umfrage, oder haben Sie dazu eine Quelle?

  • Bartsch analysiert richtig und gibt leider keinen einzigen Lösungsansatz.



    Dass eine Landesregierung ziemlich hilflos bei einer Frage wie HartzIV agieren muss, ist eine Folge des Systems, dass die konkurrierende Gesetzgebung nur von oben nach unten zulässt. Hier ist schon eine Systemfrage zu stellen, die auch alle Kritiker, die der LINKEN eine zu starke nationale Orientierung unterstellen, zum Schweigen bringen würde. Man muss sich also kreative Lösungen überlegen, wie auch ein Land oder eine Kommune ihre Vorstellungen durchsetzen kann. Insbesondere in der Einnahmefrage braucht sie dafür Lösungen.

    Desweiteren ist interessant, dass immer auf die Überalterung von Parteien wie der LINKEN eingegangen wird, aber gleichzeitig wir zu hören bekommen, dass unsere Renten nicht stabil seien wegen des demographischen Wandels. Es ist absolut nicht bedenklich, wenn die LINKE sich z.B. auch auf die Bedürfnisse älterer Menschen stärker konzentrieren würde. Parteien, die gegen Diskriminierungen wegen Hautfarbe und Herkunft angehen, haben wir schon. Gegen die Altersdiskriminierung gibt es keine.

    • @Age Krüger:

      "Parteien, die gegen Diskriminierungen wegen Hautfarbe und Herkunft angehen, haben wir schon. Gegen die Altersdiskriminierung gibt es keine."

      Alterskriminierung ist Folge des Kosten-Nutzen-Denkens in unserer Gesellschaft, das alles Parteien durchdringt. Alter und die finanziellen Folgen lässt sich immer noch leicht "biologisch" lösen.



      Das Kosten-Nutzen-Denkens beeinflusst z.B. auch die Migrationsfrage. Diese "Menschengeschenke" (Göring-Eckardt) sind billige Dienstleister wie z.B. Spargelstecher (Kipping), sie machen sich also bezahlt. Und drücken ganz nebenbei das ohnehin schon niedrige Lohnniveau (doppelter Nutzeneffekt).

      Ich finde es absolut nicht verwerflich, wenn eine Partei für die Interessen derjenigen eintritt, die hier leben und die sie wählen. Das schließt ja automatisch Migranten mit ein und schließt internationale Solidarität absolut nicht aus.

      • @Rolf B.:

        "Ich finde es absolut nicht verwerflich, wenn eine Partei für die Interessen derjenigen eintritt, die hier leben und die sie wählen. Das schließt ja automatisch Migranten mit ein und schließt internationale Solidarität absolut nicht aus."

        Habe ich auch nicht gesagt bzw geschrieben, aber es schließt eben auch nicht aus, dass man sich auch für eine Bevölkerungsgruppe 50+ einsetzen kann, die außer Pflegeheimplätze eventuell noch andere Interessen hat. Z.B. nicht schon mit 50 als unverwertbar für den Arbeitsmarkt zu gelten. Da sind viele Baustellen zu beackern, die sich aus dem kapitalistischen System ergeben.

        • @Age Krüger:

          Das war nur als Ergänzung und nicht als Widerspruch gedacht. Sorry, wenn ich mich missverständlich ausgedrückt habe.

  • Zitat: „Es ist inzwischen alles von vielen gesagt worden. Erkenntniszuwachs ist nicht zu erwarten.“

    Wie bitte? Ich kann ja verstehen, dass Dietmar Bartsch Nerven zeigt, aber solche Behauptungen sind kein „konsequenter Realismus“ sondern ausgemachter Blödsinn.

    Ja, (zu) viele Linke denken nicht nach, bevor sie vollmundig Forderungen aufmachen. Aber jedem den Mund verbieten zu wollen, von dem man sich keinen „Erkenntniszuwachs“ erwartet, ist keine besonders gute Idee. Schon deswegen nicht, weil die nächste Eskalationsstufe auf diesem Weg auch bloß ein Gebrüll wäre und darunter die Glaubwürdigkeit leiden würde, wenn man kurz zuvor der AfD selbiges vorgeworfen hat

    Es stimmt: Wer „nicht mehr versprechen“ will, als er „halten kann“, der sollte besser über seine Wortwahl nachdenken. Aber auch Linke-Abgeordnete sind Volksvertreter. Und eine Demokratie bringt es nun mal mit sich, dass Volksvertreter nicht sehr viel klüger reden dürfen als die, die sie wählen sollen, denken können. Wer Menschen vertreten will, die nie Verantwortung getragen haben und das auch gar nicht wollen, braucht sich nicht wundern, wenn diese Leute solche Menschen wählen, die auch keine Verantwortung erkennen lassen.

    Mag ja sein, dass Bartsch und seine Linken „das meiste kaum beeinflussen [können]“ derzeit. Auf eins aber haben sie immer und überall einen Einfluss: Auf das eigene Denken und das eigene Sprechen. Womöglich also sollten sie mit ihrem „konsequenten Realismus“ nicht erst an der Tür zum Plenarsaal ansetzen, sondern ein ganzes Stück davor. Es gibt schließlich immer noch genug gut besuchte Wahlkampfveranstaltungen, auf denen man den Leuten den Unterschied zwischen gut gemeint und gut gemacht erklären kann - und die Verantwortung, die man als Wähler hat. Auch auf die Gefahr hin, dass dann irgendwer aufsteht und eine von den Platzhirschen als eher unpassend empfundene Debatte vom Zaun bricht.

  • "Lieber weniger Lautstärke, mehr Besonnenheit." (Bartsch)

    Ja, das finde ich auch!

  • Bartsch findet keine Worte für die Notwendigkeit von "Aufstehen", wohl aber für einen Erfolg der Bewegung. Und als Zugabe konstruiert er noch eine Schwächung der Linken für den Fall eines Scheiterns des Wagenknecht- Projekts. Das Ganze mit der Attitüde eines interessierten Beobachters darzubieten ist nicht sehr glaubwürdig, in Wirklichkeit ist Bartsch eher ein Scharnier zwischen Partei und Bewegung und keineswegs neutral.

  • Die neoliberale Pseudolinke soll sich erstmal zu der unleugbaren Unvereinbarkeit von Sozialstaat und offenen Grenzen äußern, bevor sie ehrlichen und realistischen Politikkonzepten gegenüber die Gro§inquisition spielt.

  • Genau, dass ist die Ignoranz der Politiker! Sie sind so Volksfern.



    Genau das macht der Bevölkerung Angst. Die offenen Grenze, bzw. Grenzschutz, Zuwanderung, Sicherheit genau das beschäftig die Bevölkerung.

    • @Antoinette Mopser:

      Wenn Sie denken sollten, dass mit "Grenzen zu" sich globale Migrationskrisen lösen lassen, dann sind eher Sie diejenige im realitätsfernen Paralleluniversum.

      Das ist ha mit ein Hautproblem an den populistischen Dauerjammerern über "die da oben" - dass sie sich als Vertreter des wahren Volkes sowie angeblich realitätsnahem "telling it as it is" wähnen, während sie in Wahrheit in einem Wolkenkuckucksheim der Sehnsucht nach fantasmagorischen 30er-50er-Jahre-Idyllen hinter hasserfüllten Projektionen auf billige Sündenböcke wie "die Ausländer" absolut nichts zu bieten haben, was auch nur ansatzweise mit den echten komplexen Realitäten unserer Zeit geschweige denn echten Lösungsansätzen zu tun hätte.

      • @kami:

        "(...) Sehnsucht nach fantasmagorischen 30er-50er-Jahre-Idyllen (...)" (Zitat: Kami)



        Was bitte verstehen Sie unter "30er-50er-Jahre-Idyllen"?



        Ausgerechnet die 30er als Idylle zu bezeichnen ist für mich unbegreiflich. Und die erzkonservativen Adenauer-50er, mit Wiederaufrüstung und kaltem Krieg, waren auch keine Kuschelecke der deutschen Geschichte.



        Ääähhh... Wer ist da wohl jetzt in einem "realitätsfernen Paralleluniversum" unterwegs?

  • Das Unaufgeregte und das Anerkennen von politischen und gesellschaftlichen Realitäten ist für mich sehr wohltuend.



    Mit Schrillheit und Maximalforderungen ist heute kein Staat mehr zu machen, außer auf der rechten Seite. Zeigt dann aber welche "Großdenker" dort unterwegs sind und das wird auch dazu führen, dass das früher oder sapäter bröckeln wird.

  • Wenn es richtig ist muss man es auch sagen. Klar sitzt die AFD auch weiterhin im Bundestag aber sie sind was sie sind und wer sie gewählt hat, der hat sie gewählt. Zu schweigen wäre eine ausgesprochen merkwürdige Form von Rücksichtnahme. Es hilft natürlich wenn man das Pack immer schön Pack genannt hat, dann gerät man auch nicht in den Verdacht bei der neuen "sie haben die Maske fallen gelassen"- Aufregung mitzumachen.