Antisemitismus und Wissenschaftsfreiheit: Uni verbietet jüdische Stimme
Iris Hefets durfte nicht in den Räumen der Uni Bremen sprechen, weil der Verfassungsschutz ihren Verein „Jüdische Stimme“ als extremistisch einstuft.

Hefets ist Vorstandsmitglied des Vereins „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ und sollte am vergangenen Samstag im Rahmen einer Veranstaltung mit dem Titel „Schweigen und Schuld – Psychologische Mechanismen im Umgang mit dem Genozid in Gaza“ an der Uni auftreten. Eingeladen hatten der AStA, die linke Studierendengruppe Kralle, die Gruppe „Uni(te) for Pali“ sowie die Gruppe „Seeds for Palestine“. Ihren Vortrag hielt Hefets stattdessen in Räumen der Zionskirche in der Bremer Neustadt. Ein Video des Vortrags ist online zu sehen.
Die Uni-Leitung begründete ihre Entscheidung damit, dass der Bundesverfassungsschutz die „Jüdische Stimme“ im Bericht für 2024 als „gesichert extremistisch“ bewertet. Damit bestehe „die konkrete Gefahr, dass Inhalte der Veranstaltung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes verstoßen“, schreibt Uni-Rektorin Jutta Günther in einer E-Mail an den AStA, die das Bremer Friedensforum am Freitag dokumentierte.
Die Entscheidung sei „nach sorgfältiger Abwägung der mit der Durchführung der Veranstaltung insgesamt einhergehenden Risiken“ und angesichts der Tatsache erfolgt, „dass die Uni-Leitung für die Sicherheit aller Mitglieder, im gegebenen Kontext vor allem auch der jüdischen Mitglieder der Universität, verantwortlich ist“, schreibt die Uni der taz. Das Rektorat rekurriere dabei „auf die gegenwärtig polarisierte Stimmung auf dem Campus“ und „die Notwendigkeit, dass die vom AStA durchgeführten allgemeinpolitischen Bildungsangebote ausgewogen und pluralistisch bleiben müssen“. Mit dem AStA werde erneut das Gespräch gesucht.
„Jüdische Stimme“ als extremistisch eingestuft
Grundlage der Entscheidung des Verfassungsschutzes, die „Jüdische Stimme“ erstmals als „säkular pro-palästinensisch extremistisch“ einzustufen, ist deren Unterstützung der Boykott-, Desinvestitions- und Sanktionskampagne (BDS) sowie die Kritik des Vereins an Israel, die der Verfassungsschutz als israelfeindlich und antisemitisch einstuft. Israel werde „dämonisiert und delegitimiert“. Der Verein wird im Bericht unter „Linksextremismus“ und „auslandsbezogener Extremismus“ geführt, insbesondere wegen der Teilnahme an pro-palästinensischen Demos nach dem Angriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023.
Während die Uni die Absage mit dem Schutz vor extremistischem Gedankengut begründet, sieht die emeritierte Professorin Sabine Broeck darin eine Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit. Broeck hatte an der Uni Bremen (Afro-)Amerikanistik, Gender Studies und Black Diaspora Studies gelehrt.
In einem Brief an Rektorin Günther kritisierte Broeck am Donnerstag vergangener Woche, die Uni-Leitung habe sich „vorauseilend loyal zu einem deutschen Staatsorgan verhalten, das einer jüdischen Intellektuellen, und der Organisation, für die sie sich engagiert, den öffentlichen Raum für eine Diskussion ihrer Arbeit entzieht und diese kriminalisiert“. Das sei „geradezu moralisch degoutant“ und „auch direkt antisemitisch“. Der „Eifer des selbsternannten Anti-Antisemitismus deutscher Staatsorgane und Institutionen selbst“ führe „wiederum zu antisemitischen Handlungen“, so Broeck.
Auch die emeritierten Professoren Johannes Feest, Susanne Schunter-Kleemann, Rudolph Bauer und Lorenz Böllinger beklagen laut Weser-Kurier in einer gemeinsamen E-Mail einen „Eingriff in die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit“, die „auch die extremsten Meinungen“ schütze.
Konkret wird der „Jüdischen Stimme“ im Verfassungsschutzbericht 2024 vorgeworfen, dass der Verein durch die Unterstützung von BDS und die Bezeichnung Israels als „Apartheidstaat“ gegen das Existenzrecht Israels agitiere und antisemitische Narrative fördere. Angeblich unterscheide er nicht zwischen staatlichem Handeln Israels und der jüdischen Gemeinschaft. Konkret werden Aussagen problematisiert, die den Zionismus als „rassistische, kolonialistische und militaristische Ideologie“ bezeichnen oder den Hamas-Angriff relativieren, indem die Täter als „Guerillakämpfer“ dargestellt werden. Diese Rhetorik wird von Kritiker:innen wie dem Zentralrat der Juden als antisemitisch gewertet. Sie delegitimiere den jüdischen Staat einseitig.
Die „Jüdische Stimme“ wehrt sich gegen die Einstufung durch den Verfassungsschutz als extremistisch. Diese mache deutlich, dass in Deutschland „von den Behörden verfolgt“ werde, wer „für die Rechte der Palästinenser:innen kämpft, für Gerechtigkeit und Gleichheit“: „In einem Staat, der den Genozid in Gaza und das ganze System der Apartheid, Unterdrückung und Vertreibung im gesamten Gebiet des historischen Palästina materiell und politisch mitträgt, ist es per definitionem staatsfeindlich, eine solche Position einzunehmen“, so der Verein.
Iris Hefets selbst hat in den vergangenen Jahren für Kontroversen gesorgt. In einem Interview mit der Jungen Welt bezeichnete sie den Zionismus im Mai dieses Jahres als „kolonialistische Bewegung“, die das Judentum von einem Volk zu einer Nation umgeformt habe. Kritiker:innen wie die Amadeu Antonio Stiftung werten das als Delegitimierung der jüdischen Selbstbestimmung.
Kritik an Äußerungen von iris Hefets
Auch Hefets’ Äußerungen zur Instrumentalisierung des Holocausts durch die israelische Politik, etwa in ihrem 2010 in der taz erschienenen Text „Pilgerfahrt nach Auschwitz“, wurden kritisiert. In dem Text kritisierte Hefets, dass der Holocaust von Teilen der israelischen Regierung für politische Zwecke missbraucht werde, etwa um die Bedrohung durch den Iran als „zweiten Holocaust“ darzustellen.
Hintergrund der aktuellen Debatte über Antisemitismus-Bekämpfung und Wissenschaftsfreiheit sind die pro-palästinensischen Proteste und antisemitischen Vorfälle an Universitäten und Hochschulen sowie die drei Bundestagsresolutionen, die sowohl die BDS-Bewegung verurteilen als auch die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) als maßgeblich etablieren sollen.
Vor allem in der Bewertung des antiisraelischen Antisemitismus, der sich unter dem Deckmantel der Kritik an der Politik des Staates Israel verbirgt, konkurriert diese mit der Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus. Diese betont, dass Antisemitismus sich durch Handlungen wie Stereotypisierung, Diskriminierung oder Gewalt äußert, und vermeidet es, politische Positionen automatisch als antisemitisch zu werten. Beide Definitionen weisen nach Einschätzung des Antisemitismus-Forschers Klaus Holz in einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung „an zentraler Stelle begriffliche Unklarheiten“ auf.
Erhebliche rechtliche Eingriffe
Die Bundestagsresolutionen sind zwar nicht rechtsverbindlich, sprechen aber doch erhebliche rechtliche Eingriffe an – darunter auch die Exmatrikulation für antisemitisches Verhalten. Wissenschaftler:innen wie die Allianz für Kritische und Solidarische Wissenschaft (KriSol) werten das als Angriff auf die Wissenschafts- und Meinungsfreiheit: Zumal die Resolution von 2025 Gesinnungsprüfungen in der Forschung fördere und den Diskurs über den Nahostkonflikt unterdrücke, insbesondere pro-palästinensische Perspektiven.
Im Vortrag, den Hefets am Samstag hielt, gibt es mehrere Stellen, die nach der IHRA-Definition als antisemitisch gewertet werden könnten. So hat sie die israelische Politik ausdrücklich mit „dem Nazi-Projekt“ verglichen. Laut IHRA-Definition wäre das eine klare Dämonisierung Israels. Durch sie würden historische Verbrechen unverhältnismäßig auf einen modernen Staat übertragen.
Auch Hefets' Kritik am jüdischen Leben in Deutschland als „Luftgeschäft“ und die Infragestellung der Authentizität jüdischer Gemeinschaften könnten als antisemitisch interpretiert werden, da sie jüdische Identität herabwürdigen. Schließlich könnte die einseitige Darstellung des Nahostkonflikts, ohne die terroristischen Handlungen der Hamas klar zu verurteilen, als Verharmlosung von Gewalt gegen Juden gewertet werden, was laut IHRA-Definition ebenfalls antisemitisch ist.
Strafrechtlich relevant sind Hefets' Aussagen nicht, sie stellen etwa keine direkte Volksverhetzung gemäß Paragraf 130 Strafgesetzbuch dar, sondern bewegen sich im Bereich der politischen und gesellschaftlichen Kontroverse. Gerade deshalb wirft das Verbot der Veranstaltung durch die Uni-Leitung Fragen zur Wissenschaftsfreiheit auf. Sie basiert auf Vermutungen über mögliche Inhalte und nicht auf konkreten strafrechtlichen Verstößen.
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