Antisemitismus an der FU Berlin: Rauswurf löst kein Problem
Viele fordern, die Freie Universität solle einen mutmaßlich antisemitischen Angreifer exmatrikulieren. Doch diese Möglichkeit hat die Uni gar nicht.
Shapira war in der Nacht zu Samstag mit mehrfachen Frakturen im Gesicht ins Krankenhaus gebracht worden. Laut Polizei soll ein 23-jähriger Tatverdächtiger ihn in der Brunnenstraße in Mitte „unvermittelt mehrmals in Gesicht geschlagen“ und ihm dabei die Verletzungen zugefügt haben. Der Staatsschutz ermittelt aufgrund einer antisemitisch motivierten Tat.
Noch bis vor drei Jahren hatten Berliner Universitäten das Recht, Student*innen aus „ordnungsrechtlichen“ Gründen auszuschließen. Diese Befugnis hatte der damalige rot-rot-grünen Senat mit der Novelle des Hochschulgesetzes 2021 abgeschafft.
Das bis dahin geltende Ordnungsrecht sei „rechtlich nicht sicher und nicht präzise formuliert“ gewesen, begründet das Tobias Schulze, hochschulpolitischer Sprecher der Linken. Es habe sich um einen „Gummiparagrafen“ gehandelt, der theoretisch dazu geeignet gewesen wäre, Studierende für das Kleben von Plakaten von der Uni zu verweisen.
Noch nie angewendet
Praktisch aber sei der Paragraf nie zur Anwendung gekommen. Die Durchsetzung war kompliziert, auch das sei ein Grund gewesen, ihn zu streichen. Die Einschätzung damals, die für Schulze auch heute noch gilt: „Das Hausrecht ist das schärfere Schwert.“ Unileitungen können Studierende damit für drei Monate aus den Räumen der Universität verweisen und diese Maßnahme auch für weitere drei Monate verlängern.
Die heutige Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra hatte sich damals als SPD-Abgeordnete ebenfalls für die Abschaffung stark gemacht. Am Mittwoch bekräftigte sie, dass sie Exmatrikulationen aufgrund politischer Meinungen weiterhin ablehne. Stattdessen solle die Uni umgehend ein Hausverbot durchsetzen. „Das ist dringend erforderlich, um Opfer vor Gewalttätern zu schützen und auf dem Universitätsgelände einen sicheren Raum für die Studierenden zu schaffen“, sagte sie.
Es müsse grundsätzlich unterschieden werden zwischen Gewalttaten, Antisemitismus und Volksverhetzung auf der einen und politischen Meinungsäußerungen auf der anderen Seite, sagte Czyborra. „Eine Demokratie muss innerhalb dieses Rahmens unterschiedliche politische Meinungen aushalten.“ Sowohl einem Hausverbot als auch einer Exmatrikulation stehe das Grundrecht auf freie Berufswahl entgegen. „Bevor über schärfere Maßnahmen diskutiert wird, müssen die bisherigen Mittel ausgeschöpft werden“, so die Senatorin.
Was die Forderungen nach Exmatrikulation bisher außer Acht lassen: Auch mit dem damals gültigen Gesetz wäre es wohl nicht möglich gewesen, den mutmaßlichen Angreifer von der Uni auszuschließen. Denn ein „Widerruf der Einschreibung“ war im Hochschulgesetz ausdrücklich vorgesehen für gewalttätige Störaktionen des Hochschulbetriebs oder für Versuche, Hochschulmitglieder mit Gewalt oder Gewaltandrohungen von ihren Aufgaben abzuhalten – nicht für Vorfälle außerhalb der Uni.
Uni prüft weiter Hausverbot
Von der FU selbst hieß es, dass man ein Hausverbot prüfen wolle, „wenn sich bestätigt, dass der Täter Student der Freien Universität Berlin ist“.
Exmatrikulation Die Freie Universität exmatrikuliert Student*innen, wenn diese ihr Studium trotz schriftlicher Aufforderung nicht aufgenommen haben, wenn die Immatrikulation vorläufig und zeitlich begrenzt erfolgte, wenn sie endgültig durch vorgeschriebene Prüfungen gefallen sind oder wenn sie das Studium beendet haben.
Aktionsplan Mit einem
hebt die Kultusministerkonferenz die Unis als Orte von Austausch hervor und betont ihre Verpflichtung im Kampf gegen Antisemitismus. (usch)Die jüdische Studierendenunion (JSUD) kritisierte nicht nur die FU scharf. An den Berliner Unis seien jüdische Student*innen „einem antisemitischen Klima und einer konstanten Bedrohungslage“ ausgesetzt, sagte JSUD-Präsidentin Hanna Veiler. Diese gingen von antisemitischen Gruppierungen und antisemitischen Vorfällen aus, gegen die die Unis nicht entschieden genug vorgingen. „Das war schon vor der Terrorattacke der Hamas so, und das haben wir auch konstant angemerkt“, sagt sie. „Doch seit dem 7. Oktober sehen wir ein Ausmaß an Antisemitismus, das wir nicht für möglich gehalten haben.“ Und niemand müsse Angst vor Konsequenzen haben: „Man muss dazu nur das Wort Jude durch Zionist ersetzen“, sagt sie. „Wir sind wütend, die Unileitungen hätten dem längst begegnen müssen.“
„Jetzt wäre es das Mindeste, dass die Unis sich eingestehen, dass sie ein Antisemitismusproblem haben – und dass sie keine Mechanismen haben, um dagegen vorzugehen“, sagt Veiler. Kurzfristig sei es das Hauptinteresse, dass jüdische Student*innen nicht mit antisemitischen Straftäter*innen in einem Hörsaal sitzen. Langfristig müssten die Unis sich mit strukturellem Antisemitismus auseinandersetzen, fordert Veiler. Auch die JSUD fordert Exmatrikulation „von Antisemiten“, von Student*innen mit „extremen Positionierungen und menschenverachtenden Ideologien, die zu Gewalt führen“. „Denn Antisemitismus ist keine politische Meinung“, so Veiler.
Tobias Schulze verweist auf die Möglichkeit der Unis, Opfer über das Hausrecht davor zu schützen, mit Tätern in einem Seminar zu sitzen. Dies könnten sie über das Anmeldesystem für Kurse einfach ausschließen.
Besetzungen, Demos, Performances
In den vergangenen Monaten hatte es mehrfach Auseinandersetzungen an den Unis mit Bezug zum Nahostkonflikt gegeben. Etwa als Student*innen für eine propalästinensische Protestaktion Mitte Dezember einen Hörsaal der FU über Stunden besetzt hatten, ohne dass die Unileitung eingeschritten war. An der Universität der Künste waren Gruppen mit propalästinensischen Performances aufgefallen. Am Mittwoch sprach der Asta der FU von einer „aufgeheizten Stimmung voll verbaler und physischer antisemitischer Gewalt“.
Die Grünen fordern konkrete Maßnahmen gegen Antisemitismus an Hochschulen. Dazu gehöre es, die Betroffenheit jüdischer Student*innen sichtbar zu machen und ernst zu nehmen, Schutzräume und Ansprechpersonen zu schaffen und sich Expert*innen zu holen, um sich mit strukturellem Antisemitismus auseinanderzusetzen. Wie und ob Exmatrikulationen überhaupt möglich sind, sei bisher gar nicht klar, sagt deren Sprecherin für Wissenschaft und Forschung, Laura Neugebauer. „Klar ist: Die Unis müssen endlich aufhören, sich wegzuducken“, sagt sie.
Das Opfer Lahav Shapira, Bruder des Comedians Shahak Shapira, war bereits in der Vergangenheit in Auseinandersetzungen mit Bezug zum Israel-Palästina-Konflikt verwickelt. Bei der Hörsaalbesetzung propalästinensischer Aktivist:innen im Dezember versuchte Shapira vor Ort ein Plakat anzubringen, das an einen von der Hamas Entführten erinnert, und riss wohl auch Plakate der politischen Opponenten herunter.
Öffentlich markiert
Dabei war es zu verbalen und leichten körperlichen Auseinandersetzungen gekommen. Im Anschluss wurde Shapira öffentlich markiert. So veröffentlichte beispielsweise ein anonymer, sich als marxistisch bezeichnender Account auf der Plattform X ein Bild von Shapira mit dem Text: „Merkt euch das Gesicht“. Shapira, so hieß es weiter, würde durch „aggressives und gewalttätiges Verhalten“ bei Palästina-Veranstaltungen auffallen.
Seit dem Angriff auf ihn versuchen linke propalästinensische Kreise weiterhin Deutungshoheit über den Fall zu erlangen. So twitterte die „Jüdische Stimme für gerechten Frieden“: „Es war nicht eine antisemitisch motivierte Tat, da das Opfer ein bekannter Provokateur ist.“ Shahak Shapira antwortete auf diverse ähnliche Posts, die auch nahelegten, sein Bruder sei ein politisch Rechter: Wer nun nichts anderes tue, „als Antisemitismus pauschal auszuschließen, Gewalt zu relativieren und den Betroffenen zu diffamieren“, sei „vielleicht einfach nicht links sondern halt selbst ein Fascho-Schwein“.
Bereits am Donnerstag könnte sich die aufgeladene Stimmung an der FU erneut entladen. Angekündigt ist eine propalästinensische Kundgebung vor der Mensa II mit dem Titel „Schluss mit den Lügen und der Heuchelei“. Dabei gehe es gegen „die Hetze und Repression, mit denen Staat und Universität jede palästinasolidarische Stimme zu unterdrücken suchen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr