Antimilitaristische Impulse: Friedensgutachten für den Krieg
Eine Friedensforscherin ruft zu mehr Waffenlieferungen für die Ukraine auf. Darüber regen sich jetzt Widerstand und irritierte Stimmen.
S ie müssen verzeihen, dass ich an dieser Stelle manchmal Dinge wiederverwerte, die ich anderswo eingesammelt habe. Unsereins kommt ja selten raus, da beschäftigt es einen länger, wenn ExpertInnen Einblicke in ihre Arbeit geben – so geschehen in einem taz-Videotalk, den ich jüngst mit der Friedensforscherin Ursula Schröder hatte.
Schröder ist Direktorin des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Uni Hamburg, und sie sagt, dass die Ukraine mehr Waffen vom Westen braucht. Sie ist damit in ihrer Berufsgruppe nicht allein: Die vier großen deutschen Friedensforschungsinstitute traten bei der Präsentation ihres Friedensgutachtens im vergangenen Juni geschlossen dafür ein, die Ukraine militärisch zu unterstützen.
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Ich fragte, ob dadurch nicht Menschen enttäuscht würden, die denken, dass die Friedensforschungsinstitute zur Erforschung des Friedens und nicht für Waffenforderungen da sind. Schröder antwortete: „Es ist mein Job, Dinge zu verkomplizieren, wenn sie nicht einfach sind.“ Angriffskriege könnten es nötig machen, Frieden mit Waffengewalt herzustellen. „Wir haben nicht die gleiche Situation wie in den 80ern, als sich zwei hochgerüstete Blöcke gegenüberstanden, bei denen dann gefordert wurde, beide abzurüsten“ – was ja bis heute unterschreibbar sei, ergänzte sie.
Doch regt sich innerhalb der Friedensforschung Widerspruch dagegen, dass die Institute den Zeitenwende-Kurs der Bundesregierung so deutlich mittragen. In der Zeitschrift „Wissenschaft und Frieden“ versammelten sich jüngst irritierte Stimmen. Den HerausgeberInnen fiel dazu leider kein anderer Titel als „Quo vadis, Friedensforschung?“ ein, doch die Texte zeigen gut, wie es dem Antimilitarismus gerade geht.
Antimilitaristische Impulse
„Eine kritische Friedensforschung stellt die Kriegslogik und ihre vernunftwidrigen Konsequenzen in Frage“, schreibt Jürgen Scheffran. Das Dossier bietet viel Theorie über Krieg und Frieden anderswo und in der Vergangenheit – hat aber auch für den akuten Fall der Ukraine eine Idee: das Konzept der sozialen Verteidigung, gemeint sind zivile Widerstandsformen, Streik, Verweigerung, Untergrundorganisationen.
Olaf L. Müller formuliert rückwirkend: „Wenn sich die Ukraine bereits unmittelbar nach der Annexion der Krim im Jahr 2014 entschieden auf eine zivile Verteidigung gegen einen weitergehenden Überfall vorbereitet hätte“, wenn sie nicht in die Nato gewollt hätte, „wenn sie ihren Widerwillen gegen Fremdherrschaft aus Moskau durch millionenfache Demonstrationen mit Slogans wie ‚Ihr seid nicht willkommen‘ gezeigt hätte“ und der Westen all das auch finanziell unterstützt hätte, „dann hätte Putin seinen Truppen vielleicht keinen Einmarsch befohlen“.
Hm, vielleicht. Sehr vielleicht.
Es ist nun kein Vorrecht des pazifistischen Flügels der Friedensforschung, die Dinge stets nachher besser zu wissen. Die Welt produziert ihre Konflikte immer so neu und anders, dass es selten möglich scheint, aus Vergangenem zu lernen. Das treibt auch manche pazifistisch geprägte ForscherInnen um, die früher selbst die Friedensgutachten mitgeschrieben haben.
Zum 2022er Gutachten ihrer NachfolgerInnen befragt, sagen sie Dinge wie „mehr Abwägung gewünscht“ oder „hätte kritische Abnäher gesetzt“. Natürlich habe Putins Angriffskrieg es nötig gemacht, dass die Ukraine sich wehren könne, auch mit Hilfe vom Westen. Dennoch müsse der antimilitaristische Impuls in der Öffentlichkeit bleiben, sagen sie sinngemäß.
Noch besser wäre, er würde auch praktisch wirksam, dieser Impuls – am besten zur Beendigung des Krieges. Wie, das bleibt auch in kritischen Friedensforschungskreisen erkennbar eine offene Frage.
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