Aminata Touré schlägt Asylgrund vor: Verstümmelung als Vorbedingung?
Die Grünen-Politikerin Aminata Touré fordert die Anerkennung weiblicher Genitalverstümmelungen als Asylgrund. Aber das ist der falsche Schritt.
![Frauen, die in die Kamera lächeln Frauen, die in die Kamera lächeln](https://taz.de/picture/6400871/14/33238880-1.jpeg)
W enn sich Politiker:innen bei Debatten über den Schutz von Asylsuchenden zerfleischen, argumentieren sie oft an der eigentlichen Realität der Betroffenen vorbei. So auch die Gleichstellungsministerin von Schleswig-Holstein, die Grünen-Politikerin Aminata Touré.
Nachdem der CDU-Politiker Thorsten Frei am Dienstag das Ende des Asylrechts der Einzelnen in der EU gefordert hatte, sprach sich Touré am Mittwoch für die uneingeschränkte Anerkennung von Betroffenen von weiblicher Genitalverstümmelung als Asylgrund in Deutschland aus.
Weibliche Genitalverstümmelung, kurz FGM aus dem Englischen „Female Genital Mutilation“, ist ein weltweit praktiziertes Beschneidungsritual an Mädchen und Frauen, vermutlich auch trans Jungen und trans Männern. Meistens werden Mädchen im Alter zwischen 4 und 14 Jahren die Klitoris und Vulvalippen ohne medizinische Begründung beschnitten oder vollständig entfernt, manchmal unter hygienisch riskanten Bedingungen etwa mit nicht sterilen Rasierklingen. Die verbliebenen Hautfetzen werden anschließend zugenäht, sodass nur noch eine kleine Öffnung für Ausscheidungen von Urin und Menstruationsblut bleibt.
Die Konsequenzen für Betroffene reichen von psychologischem Trauma, Entzündungen, extremen Schmerzen beim Wasserlassen und beim Zyklus sowie bei penetrativem Geschlechtsverkehr. Drei bis sieben Prozent der Betroffenen sterben jährlich unmittelbar durch den Eingriff, in den Jahren danach erhöht sich die Zahl auf bis zu 30 Prozent durch Komplikationen bei der Geburt oder durch Infektionen.
Engagierter Vorschlag – aber wie umsetzen?
Betroffen von dieser patriarchalen Brutalität – in den praktizierten Gesellschaften werden die Beschnittenen als „rein“ und „qualifiziert als Heiratsmaterial“ gesehen – sind etwa 200 Millionen Mädchen und Frauen. In Europa sollen laut Schätzungen 700.000 Frauen beschnitten sein, in Deutschland könnten 100.000 zu den Betroffenen gehören, mit steigender Tendenz. Dabei gilt FGM in Deutschland als schwere Körperverletzung nach §226a StGB.
Die Initiative der Grünen-Politikerin Aminata Touré ist deshalb ein engagierter Vorschlag. Wer vor einer anstehenden Genitalverstümmelung flieht, flieht auch um ihr eigenes Leben. Allerdings stellt sich die Frage nach der Umsetzung. Wie sollen Betroffene, die vor einer anstehenden FGM fliehen, ihre Situation nachweisen? Werden nur bereits praktizierte FGM als Asylgrund anerkannt? Werden Anträge von unbeschnittenen Frauen weniger schwer gewichtet, weil ihre Körper einer Menschenrechtsverletzung entkommen konnten?
Für Betroffene, die FGM erlebt haben, ist das Thema oft Tabu. Viele trauen sich nicht, darüber zu sprechen – wenn ihnen denn überhaupt bewusst ist, dass das, was ihnen angetan wurde, Gewalt war. Touré sagt selbst, dass Betroffene „sich nicht trauen, das Thema offen anzusprechen“. Der Grünen-Politikerin zufolge sollen Behörden besser sensibilisiert werden, um Betroffene über ihre Rechte aufzuklären, da FGM „ihre Chancen im Asylverfahren verringern“ kann.
Abgelehnt, wenn nicht beschnitten?
Müssen Betroffene vor jedem Asylantrag, der ohnehin schon nervenaufreibend ist, wochenlang auf einen ärztlichen Termin warten, um gegebenenfalls von einem unsensiblen Arzt untersucht zu werden? Werden flüchtende Mädchen und Frauen dann abgelehnt, wenn sie nicht beschnitten sind?
So schrecklich das Ritual auch ist: Die Mütter, Tanten und Großmütter fügen den Kindern nicht mit böser Absicht Schaden zu, im Gegenteil. Ihrem Verständnis zufolge entspricht FGM der sozialen Norm und soll dem Kind Vorteile verschaffen. Und wenn FGM anerkannter Asylgrund wird, stellt sich ein neues Problem: Wenn Mütter ihre Töchter eigentlich vor FGM schützen wollen, überlegt sie es sich vielleicht doch anders, wenn die Tochter dadurch mehr Chancen auf Asyl in Deutschland hätte.
Mehr Sensibilisierung für die Situation von flüchtenden Frauen ist wichtig, und dafür ist eine besondere Schulung, wie Touré fordert, unbedingt notwendig. Doch Flucht sollte unabhängig von Körperverletzung als Asylgrund ausreichen. Ein besserer Schritt wäre, die Länder, in denen FGM vor allem verbreitet ist, nicht als sichere Herkunftsstaaten einzustufen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Überraschung bei U18-Wahl
Die Linke ist stärkste Kraft
RTL Quadrell
Klimakrise? War da was?
Absturz der Kryptowährung $LIBRA
Argentiniens Präsident Milei lässt Kryptowährung crashen
Ukraine-Verhandlungen in Saudi-Arabien
Wege und Irrwege aus München