Aktuelle Lage in Israel: Tunnelstrategie sorgt für Wut
Geiselangehörige äußern scharfe Kritik an Netanjahu. Israel genehmigt den Bau von 1.700 neuen Wohnungen in Ostjerusalem.
Netanjahu betonte zudem erneut, dass Israel noch lange nach dem Ende des Krieges die Kontrolle über die Sicherheit im Gazastreifen behalten müsse. Eine Kontrolle durch internationale Kräfte lehnte er ab. Israel werde außerdem alles unternehmen, um die von der Hamas verschleppten Geiseln zurückzubringen.
Nur wenige Stunden zuvor war es jedoch bei einem Treffen des Kriegskabinetts mit Familienangehörigen von Hamas-Geiseln und inzwischen freigelassenen Geiseln laut geworden. Die Familien und die Freigelassenen äußerten Wut über die Regierung und extreme Sorge um die sich noch im Gazastreifen befindenden Israelis. Sie forderten die Regierung auf, sofort alles zu unternehmen, um sämtliche Geiseln zurückzubringen.
Bei dem Treffen sprachen die freigelassenen Geiseln laut Medienberichten auch davon, wie die Bombardierungen Geiseln unmittelbar bedroht hätten: „Ihr behauptet, es gebe Geheimdienstinformationen, aber Tatsache ist, dass wir bombardiert wurden“, wird eine der freigelassenen Geiseln zitiert. Zu den zuletzt bekannt gewordenen Überlegungen Israels, die Hamas-Tunnel mit Meerwasser zu fluten, sagte eine der freigelassenen Frauen laut israelischen Medien über ihren noch im Gazastreifen gefangengehaltenen Mann: „Er wurde in die Tunnel gebracht, und ihr sprecht darüber, die Tunnel mit Meerwasser zu fluten. Für euch ist Politik wichtiger als die Geiseln.“
Die freigelassenen Geiseln berichteten demzufolge außerdem von sexualisierter Gewalt während ihrer Gefangenschaft. Eine Ärztin, die die Freigelassenen behandelt, sagte unabhängig von dem Treffen, dass mindestens 10 der 120 freigelassenen Geiseln sexuell missbraucht worden seien.
Ein Vertreter des Gesundheitsministeriums sagte zudem, dass die Geiseln vor ihrer Freilassung von der Hamas Beruhigungspillen verabreicht bekommen hätten. Es wird davon ausgegangen, dass dies den Zweck hatte, die Menschen nach ihrer mehr als 50-tägigen Geiselhaft ruhig und glücklich erscheinen zu lassen.
Währenddessen rückte das israelische Militär am Mittwoch weiter Richtung Chan Junis im Süden des Gazastreifens vor und liefert sich dort schwere Gefechte mit Hamas-Kämpfern. Die Gegend um die Großstadt werde von israelischen Einheiten umzingelt, sagte Israels Generalstabschef Herzi Halevi. Tausende Bewohner*innen flohen vor dem Beschuss der Stadt und den Kämpfen, die zu den intensivsten seit Kriegsbeginn zählten. Die Armee hatte sie zur Flucht in westliche Viertel der Stadt sowie nach Rafah an der Grenze zu Ägypten aufgefordert. Medienberichten zufolge lebten Zehntausende Menschen in Zelten in den Straßen der Stadt Chan Junis, es fehle an Nahrungsmitteln, Wasser und Unterkünften.
In diese Lage platzte am Mittwochnachmittag die Nachricht, dass Israel 1.700 neue Wohneinheiten in einer Siedlung in Ostjerusalem genehmigt hat. Dies berichtete die israelische Organisation Peace Now und kommentierte: „Die israelische Regierung unterminiert damit weiterhin jegliche realisierbare Zweistaatenlösung.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind