Aktuelle Klimapolitik: Zu viel Kalkül, zu wenig Moral
Wer Klimaschutz fordert, muss ansetzen, wo die Bewegung startete: auf dem Boden der Moral. Passiert das nicht, droht der Fall in den Klimazynismus.
E s ist gut, wenn die Grünen darüber nachdenken, was beim Heizungsgesetz schiefgelaufen ist. Es ist ehrenwert, wenn Fridays for Future Selbstzweifel plagen. Alle, die der Klimapolitik Beachtung verschaffen wollen, müssen immer abwägen, wie sie zwischen angemessenem Alarmismus und mutmachendem „Komm es-lohnt sich“ die Balance halten. Sowieso ist gute Kommunikation immer wichtig.
All das ändert aber nichts daran, dass die fossilen Industrien und die sie schützenden Regierungen ihre Märkte erhalten wollen. Die Öl-Gas-Kohle-Lobby hat ihre Gelegenheit genutzt, als Russland die Ukraine überfiel, und hat dann gemerkt, wie weich die Flanken der KlimapolitikerInnen sind. Kurz sah es so aus, als könnte der Wettbewerb darum, wer den Planeten schneller verbrennt, ersetzt werden durch einen Wettbewerb um das nachhaltigste Volkswirtschaftsmodell.
Das ist vorbei, und es lag nicht an ein paar Farbbeuteln aufs Brandenburger Tor. Die schwarz-rote Bundesregierung betrachtet Klimaschutz wieder als etwas Zweitrangiges. In der Zeit nach dem Klimaoptimismus lassen sich alle Nachrichten von der Weltklimakonferenz mit der Brille des neuen Klimazynismus lesen: Karibische Inselstaaten sind vom Klimawandel also am meisten bedroht? Die paar Leute lassen sich doch umsiedeln. Huch, Deutschland ist auch weit oben auf der Liste der betroffenen Staaten? Nun, es wird interessant genug bleiben, um hier weiterhin zu investieren: In Frankreich wird es noch heißer.
Weg von Selbstverleugnung, zurück zu Moral
Dies ist das Kalkül einer Welt ohne klimapolitischen Ehrgeiz: Die Katastrophen sind nicht zu verhindern, also lasst uns nach unserem komparativen Vorteil schauen. China hat seinen darin erkannt, dass es auf erneuerbare Energien setzt. Doch um die deutschen und europäischen Klimaziele zu retten, braucht es mehr als die Erleichterung über China. Es war trügerisch zu glauben, „die Wirtschaft“ setze längst auf Klimaschutz, die unsichtbaren Hände des Marktes würden die Sache schon regeln.
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Der Markt regelt gerade aber nicht, und wer Klimaschutz verlangt, muss wieder dort ansetzen, wo die Bewegung einst startete: auf dem Boden der Moral. Der Wunsch nach Erhalt der Lebensbedingungen ist wieder eine Sache der Solidarität mit kommenden Generationen und Menschen anderswo. Die kühle Abwägung der Interessen der aktuellen Mehrheit fällt zulasten des Klimas aus. Das erschwert den Kampf fürs Klima natürlich wieder, es fühlt sich wie ein Rückfall an. Aber den moralischen Kern der Klimapolitik zu leugnen, war immer mindestens verwegen. Eigentlich war es Selbstverleugnung.
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