Aktivistin verteidigt Waldbesetzer: „Klimaschutz wird kriminalisiert“
Marjolein Schlüter von der Wuppertaler Waldschutz-Initiative „Osterholz bleibt“ über martialische Polizisten, Kettensägen und Politiker.
taz: Frau Schlüter, um Platz für die Abraumhalde eines Kalksteinbruchs zu schaffen, hat die Polizei am Dienstag im Osterholz in Wuppertal mit der Räumung von 5,5 Hektar Wald begonnen. Wie sieht es gerade vor Ort aus?
Marjolein Schlüter: Hier kreischen die Kettensägen, fahren schwerste Maschinen, sogenannte Harvester. Zwar ist unsere Mahnwache abgedrängt worden. Aber auch aus der Entfernung ist sichtbar, wie der Wald lichter wird. Allerdings hat die Räumung der Aktivist:innen, die das Osterholz seit 2019 besetzt hielten, ziemlich lange gedauert.
Bis wann?
Die letzten haben bis Donnerstag durchgehalten. Ihre Baumhäuser wurden ihnen aber noch am späten Mittwochabend unter den Füßen weggerissen. Das war eine reine Machtdemonstration: Sie sollten die Nacht in Kälte und Nässe verbringen müssen. Oder aufgeben.
geboren 1964 in den Niederlanden, ist eine der Sprecher:innen der Bürgerinitiative „Osterholz bleibt“. Im Kampf um den Erhalt von 5,5 Hektar Wald versteht sie sich seit Ende 2019 als Berufsaktivistin. Davor hat sie sich um ihre drei Kinder gekümmert. Unzufrieden mit der Politik war sie schon seit Jahren – machtlos fühlt sie sich jetzt nicht mehr.
Wie geht es den Besetzer:innen jetzt?
Manche konnten wegen Unterkühlung nicht mehr laufen, mussten aus dem Wald getragen werden. Vier Leute sind direkt ins Krankenhaus gebracht worden – und die anderen wanderten erst einmal für einen Tag in Gefangenen-Sammelstellen. Klimaschutz wird kriminalisiert.
Inwiefern?
Den Aktivist:innen wird von den Besitzern des Steinbruchs, der Familie Iseke, Hausfriedensbruch vorgeworfen – und das nur, weil sie den Wald nicht sofort verlassen haben, nachdem er am Dienstag zur Abholzung eingezäunt wurde. Ohne die Besetzung aber wären die Bäume schon vor zweieinhalb Jahren gefällt worden. Das Osterholz sichert unsere Lebensgrundlagen, die wir in der Klimakatastrophe dringend brauchen. Sein jetzt gerodeter Teil war ein CO2-Speicher, hat Sauerstoff und Kühle gespendet. Trotzdem hat der Wald keine Stimme – und die, die ihm eine geben, wandern in den Knast. Für mich symbolisiert das die völlige Unverhältnismäßigkeit dieses Polizeieinsatzes.
Warum unverhältnismäßig?
Die Polizei war mit Hundertschaften, der Reiterstaffel, mit Hubschraubern hier. Im Osterholz stand sogar ein Räumpanzer. Ein Panzer! Und das alles, um Tausende Bäume zu fällen, an deren Stelle Millionen Tonnen Müll, Abraum, Lehm und Sand aus dem Steinbruch abgekippt werden sollen. Dabei haben wir schon vor einem Jahr Alternativen aufgezeigt – doch Wuppertals grüner Oberbürgermeister Uwe Schneidewind hat viel zu spät reagiert.
Was werfen Sie ihm vor?
Wir haben schon im Januar 2021 vorgeschlagen, den Abraum in andere, wenige Kilometer entfernte Gruben zu bringen. Trotzdem hat er erst im Juli einen runden Tisch einberufen – dabei hatte die Bezirksregierung Düsseldorf die Rodung schon im Mai genehmigt.
Schneidewind sagt, die Stadt sei eben nicht für die Genehmigung zuständig – und verspricht, sich auf Bundesebene für eine Änderung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes und damit für mehr Waldschutz stark zu machen …
Ich bin gespannt, ob er das schafft. Die Zerstörung von 5,5 Hektar Wald im Osterholz hat er jedenfalls nicht verhindert.
Aber Verwaltungsgerichte haben die Rodung doch auch für rechtmäßig erklärt?
Ja, weil das Waldstück für den weltweiten Klimawandel angeblich nicht relevant ist. Wir als Bürgerinitiative halten das für einen Freibrief für Waldzerstörung überall: Im ostwestfälischen Halle lässt die Süßwarenfirma Storck gerade 7 Hektar abholzen. Im Dannenröder Wald in Hessen frisst die Autobahn 49 sogar 85 Hektar. Und bei Vlotho will die bundeseigene Autobahn GmbH einen Wald roden lassen, nur um zu verhindern, dass Wildschweine auf die Fahrbahn laufen. Das Osterholz ist überall.
Was machen Sie jetzt?
Wir sind vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. Wir versuchen damit, das bahnbrechende Urteil des höchsten Gerichts von April 2021, nach dem zu wenig Klimaschutz heute nicht die Freiheitsrechte künftiger Generationen verletzen darf, auf lokaler Ebene und gegen ein relativ kleines Unternehmen wie den Kalksteinbruch wirksam werden zu lassen.
Dessen Besitzerfamilie deutet an, dass es künftig keine weiteren Rodungen geben könnte …
Davon glaube ich kein Wort. Dass es keine weitere Waldzerstörung geben soll, wird uns schon seit Jahrzehnten immer wieder versprochen. Trotzdem wird dann doch gerodet. Schon heute sind weitere 20 Hektar Osterholz als Abgrabungsgebiet ausgewiesen. Wenn wir uns nicht wehren, ist die Zerstörung auch dieses Walds nur eine Frage der Zeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Fortschrittsinfluencer über Zuversicht
„Es setzt sich durch, wer die bessere Geschichte hat“