Änderung des Infektionsschutzgesetzes: Protest gegen Bundesnotbremse
In Berlin demonstrieren Tausende gegen das Bundesgesetz für die Corona-Notbremse. „Freie Linke“ und AfDler reichen sich das Mikro weiter.
Gegen 10.30 Uhr, eine halbe Stunde danach, droht die Polizei den Demonstrant*innen „aufgrund Ihres Fehlverhaltens“ bereits mit der Auflösung. Mehr als 2.000 Beamt*innen sind im Einsatz, viele streifen durch die Menge und sprechen Menschen ohne Maske an, einige werden abgeführt. Gleichzeitig erweitert sich die Versammlungsfläche sukzessive vom Brandenburger Tor bis zur Siegessäule, um Mindestabstände zu ermöglichen. Laut der Polizei haben sich 8.000 Menschen den Protesten angeschlossen.
Während von zwei Bühnen selbst ernannte „Freie Linke“, ein Zusammenschluss linker Corona-Demonstrant*innen, das Mikrofon an AfDler weiterreichen, brechen andere Teilnehmer*innen aus der abgegitterten Versammlungsfläche aus. Der Berliner Protest-Performer Captain Future führt am Vormittag eine größere Gruppe an, um durch den Tiergarten Richtung Reichstag vorzustoßen, scheitert aber an der Polizei. Kurz darauf bewegen sich etwa 600 Menschen mit einem Spontanaufzug durchs Botschaftsviertel im Tiergarten.
Die ganz große Dynamik, um das Gesetz im Bundestag zu stoppen, ihn also zu stürmen, bleibt dennoch aus. Viele Teilnehmer*innen tanzen zu christlicher Popmusik oder Helene Fischer und suchen keine Konfrontation. Für einige Führungspersonen der Szene, wie den Anwalt Markus Haintz, führt der Weg dennoch in den Bundestag – als Gast des AfD-Abgeordneten Hansjörg Müller.
Gegen 12.30 Uhr kündigt die Polizei an, die Demonstration wegen Verstößen gegen die Schutzmaßnahmen aufzulösen. Wasserwerfer stehen schon bereit.
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Nach der offiziellen Auflösung zieht ein großer Teil der Demonstrierenden zum Brandenburger Tor. In den ersten Reihen sammeln sich viele erkennbare Rechtsextremisten. Als die Polizei einzelne herauszieht, kommt es immer wieder zur Eskalation. Flaschen fliegen, Polizisten werden zu Boden gebracht und müssen sich teilweise zurückziehen. Es kommt zum Einsatz von Pfefferspray. Die Menschen singen die deutsche Nationalhymne.
Eine „dynamische Situation“ wird vorbereitet
In der Mobilisierung hervorgetan hatte sich insbesondere die Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand um Anselm Lenz, die vor mehr als einem Jahr mit den sogenannten „Hygienedemos“ die Coronaproteste begonnen hatte. Schon vergangenen Dienstag, als die Bundesregierung den Gesetzentwurf für eine Bundes-Notbremse beschlossen hatte, organisierte die Gruppe spontane Proteste mit wenigen Hundert Teilnehmer*innen.
Seitdem trommelte das gesamte Spektrum der Coronaleugner*innen, um die Verabschiedung des veränderten Infektionsschutzgesetzes, das, wie schon bei den Protesten im November, nur als „Ermächtigungsgesetz“ bezeichnet wird, zu verhindern. Anders als damals bekannte sich diesmal auch Ober-Querdenker Michael Ballweg, ebenso wie Verschwörungserzähler Ken Jebsen oder das rechtsextreme Compact-Magazin um Jürgen Elsässer.
Mit Forderungen nach Inhaftierung des „Merkel-Regimes“, auch mittels in mehreren Städten verbreiteten Fahndungsplakaten, wurde eine gewaltvolle Atmosphäre regelrecht heraufbeschworen. In einem Newsletter der Kommunikationsstelle wurden die Demonstrant*innen auf eine „dynamische Situation“ vorbereitet. In vielen Querdenker-Gruppen auf Telegram waren die Gewaltaufrufe deutlich expliziter. Auch rechtsextreme Gruppen, wie die neue Partei „Freie Sachsen“, hatten nach Berlin mobilisiert.
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