Abtreibungen legalisieren: Beschwörung eines „Kulturkampfes“, den es nicht gibt
Die gesellschaftliche Mehrheit will legale Abtreibungen. Eine konservative Blockade im Bundestag wäre zutiefst undemokratisch. Und ein böses Omen.
D er Paragraf, der es Frauen verbietet, über ihren Körper selbst zu bestimmen, ist 153 Jahre alt. Rund dreißig Jahre ist es her, seit zuletzt am hiesigen Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen gerüttelt wurde. Nun wagen einige Parlamentarier*innen den nächsten – moderaten – Versuch:
In den ersten drei Monaten einer Schwangerschaft soll der Abbruch grundsätzlich rechtmäßig sein. Nach dieser Zeit sollen Abbrüche im Schwangerschaftskonfliktgesetz, aber nicht mehr kurz hinter Mord und Totschlag im Strafgesetzbuch geregelt werden.
Der dort verbleibende Paragraf 218 würde Frauenrechte nicht mehr drastisch einschränken, sondern sogar schützen: Er würde fremdbestimmte Abbrüche unter Strafe stellen, wie sie etwa im Nationalsozialismus praktiziert wurden.
Am Donnerstagnachmittag debattierte der Bundestag erstmals über diesen Vorschlag. Die Debatte bestätigte: Die Versorgungslage ungewollt Schwangerer hierzulande ist oft prekär.
Das grundsätzliche Verbot von Abbrüchen in der Frühphase einer Schwangerschaft ist aus verfassungs-, völker- und europarechtlicher Perspektive nicht haltbar. Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung halten es laut einer repräsentativen aktuellen Umfrage für falsch, dass eine Abtreibung, zu der sich eine Person nach Beratung entscheidet, rechtswidrig ist.
Damit ist die Gesellschaft deutlich weiter als einige in den Fraktionen des Bundestags. Das gilt insbesondere für die Spitzen von Union und FDP, die die eigenen Leute zur Ordnung riefen und das leise Aufbegehren der liberalen Frauen deckelten.
Union und FDP blockierten das Vorhaben monatelang
Nun beschwört die Union mit Schaum vorm Mund einen „Kulturkampf“, den es nicht gibt. Und die FDP, die einen Gesetzentwurf aus dem Kabinett zur Legalisierung von Abbrüchen monatelang blockiert hatte, behauptet jetzt, die Zeit sei zu knapp: „Durchpeitschen“ dürfe man den Vorschlag keinesfalls. So unverfroren muss man erst mal sein.
Zwar schrumpfte die Chance auf eine Mehrheit für den Vorschlag in den vergangenen Tagen im selben Maß, in dem der Druck aus Union und FDP auf die eigenen Abgeordneten stieg.
Dennoch herrscht dort offenbar Angst vor einer finalen Abstimmung – zurecht. Fast die Hälfte der Abgeordneten im Bundestag hat den Gruppenantrag unterschrieben, das BWS bekannte sich nun auch dazu. Es braucht wenige Konservative und Liberale, die entgegen der Fraktionslinie den Mut aufbringen, der eigenen Position nach zu stimmen. Dann ginge der Vorschlag durch.
Deswegen werden Union und FDP wohl mithilfe der AfD versuchen, den Antrag im Rechtsausschuss zu versenken, damit er gar nicht erst zur Abstimmung ins Parlament gelangt. Offen bezweifelt der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, ob der Antrag „jemals wieder aus dem Ausschuss rauskommt.“
Schlussabstimmung steht unter Druck
Von „Geschäftsordnungstricks“ und „Schieberei“ war bei der Debatte am Donnerstag entsprechend die Rede. „Ermöglichen Sie eine Schlussabstimmung!“, appellierte der Grünen-Abgeordnete Helge Limburg an die Mitglieder des Rechtsausschusses.
Eine Blockade der Abstimmung würde sich gegen die Überzeugung der gesellschaftlichen Mehrheit richten. Damit konterkarierte man aus parteitaktischem Kalkül das Selbstverständnis des Bundestags, Gesetze zu beraten und abzustimmen. Es wäre ein legaler Winkelzug, der doch zutiefst undemokratisch ist.
Zugleich wäre es nur eines von vielen Warnzeichen, wohin die Reise mit einer konservativen Mehrheit in der nächsten Legislaturperiode ginge.
AfD argumentiert menschenrechtsfeindlich
Was die Debatte am Donnerstag auch aufzeigte: Die Argumentation von AfD, teilweise auch der Union, ist menschenrechts- und wissenschaftsfeindlich. Da werden die Grundrechte Schwangerer ignoriert. Da wird die „natürliche“ Bestimmung der Frau als Mutter eigener Kinder aka des deutschen Volkes beschworen.
Und da wird die hochkarätig besetzte Expert*innenkommission in Frage gestellt, die geprüft hatte, inwiefern Abbrüche außerhalb des Strafgesetzbuchs geregelt werden können. Sie war zu eindeutigen Empfehlungen gekommen, denen der jetzige Gesetzesvorschlag folgt.
„Wir werden alles dafür tun“, versicherte demgegenüber eine Rednerin der AfD, eine „Willkommenskultur für deutsche Kinder“ zu schaffen. Es war eine unverhohlene Drohung, die im Wahlprogramm der AfD ausformuliert wird: ein faktisches Verbot von Abbrüchen.
Eine Aufschiebung der Entscheidung wäre fatal
In einer nach rechts driftenden Gesellschaft gehören Frauenrechte zu den ersten, die eingeschränkt werden. Kommt in dieser Legislaturperiode kein Recht auf legale Abtreibung in den ersten drei Monaten, kommt es in der nächsten mit noch größerer Sicherheit nicht.
Das Recht auf den eigenen Körper ist ein Menschenrecht. Doch klappt der jetzige Versuch nicht, es entsprechend auszugestalten, wird er fatalerweise auf Jahre, vielleicht auf Jahrzehnte der letzte bleiben.
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