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AbschottungspolitikUnion will Zusagen an Af­gha­n*in­nen zurückziehen

Die CDU will gefährdete Menschen aus Af­gha­nistan nun doch nicht mehr nach Deutschland zu holen. Aber ist das rechtlich überhaupt möglich?

Flüge wie dieser, der Flüchtende nach Halle brachte, gäbe es nach dem Willen der Union nicht mehr Foto: Matthias Gränzdörfer/imago

Berlin taz | Die Union will bereits getroffene Aufnahmezusagen für gefährdete Af­gha­n*in­nen erneut prüfen. „Ein neuer Bundesinnenminister wird im Einzelnen prüfen, inwieweit diese Verwaltungsakte wieder zurückgenommen werden können“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, vor Jour­na­lis­t*in­nen in Berlin. Auf die Nachfrage, ob Ziel der Überprüfung sei, diese Zusagen zu widerrufen, sagte Frei: „Wenn Sie mich persönlich fragen, würde ich das so prüfen.“ Man kann davon ausgehen, dass CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, der wahrscheinlich Innenminister wird, das ähnlich sieht.

Damit ist zum ersten Mal ausgesprochen, was Menschenrechtsorganisationen schon länger befürchten: CDU und CSU wollen auch solche Personen zurücklassen, denen die Rettung über das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan schon fest versprochen war. Das Programm richtet sich an afghanische Aktivist*innen, Journalist*innen, Homosexuelle oder auch einfach Frauen, denen in ihrem Herkunftsland Verfolgung durch das Taliban-Regime droht.

Nach Angaben des Auswärtigen Amtes warten derzeit rund 2.600 Personen, die eine Aufnahmezusage haben, noch auf die Evakuierung. Die meisten von ihnen befinden sich im an Afghanistan angrenzen Pakistan. Eingeflogen wurden über das Programm bislang nur rund 1.400 Menschen, vor allem Frauen und Kinder. Ursprünglich geplant waren viel höhere Aufnahmezahlen.

Die Union dringt schon länger auf ein Ende der Evakuierungen. In den Koalitionsverhandlungen mit der SPD setzte sie durch, dass alle Aufnahmeprogramme beendet werden sollen, „so weit wie möglich“. In den letzten Monaten hatte die Union keine Chance ausgelassen, gegen die Evakuierung der Af­gha­n*in­nen zu ätzen. Frei betonte am Dienstag erneut, dass Afghan*innen, die bereits in Pakistan sind und auf Zusagen warten, „keine mehr bekommen“. Die humanitäre Migration nach Deutschland habe ein Maß erreicht, das „jede Integrationskraft der Gesellschaft“ übersteige, sagte der CDU-Politiker.

Haltung der SPD unklar

Es ist unklar, wie die SPD zu den Plänen der Union steht, über das Ende des Aufnahmeprogramms hinaus auch bereits ausgesprochene Aufnahmezusagen zurückzunehmen. Der SPD-Parteiführung dürfte das Thema ungelegen kommen, droht es doch vor dem Mitgliederentscheid über die Koalition für weitere Unzufriedenheit zu sorgen. Aziz Bozkurt, Vorsitzender der AG Migration und Vielfalt in der SPD, sagte der taz jedenfalls: „Ich hoffe, dass Torsten Frei nur eine freidrehende Einzelstimme in der Union ist.“ Die Zusagen müssten eingehalten werden.

Offen ist aber auch, ob der Widerruf der Aufnahmezusagen rechtlich überhaupt möglich ist. Nach Aussage des Bundesinnenministeriums handelt es sich bei den bereits erteilten individuellen Aufnahmezusagen um Verwaltungsakte. Solche begünstigenden Verwaltungsakte können nach den allgemeinen Regeln nicht ohne Weiteres widerrufen werden, wenn sie rechtmäßig sind.

Möglich ist ein Widerruf unter anderem, wenn er in der Zusage ausdrücklich vorbehalten war oder um schwere Nachteile für das „Gemeinwohl“ zu verhüten. Laut Faeser-Ministerium enthalten die Zusagen für die Afghanen einen „Widerrufsvorbehalt“. Die Zusagen können danach widerrufen werden, wenn etwa Sicherheitsbedenken bestehen. Es käme dabei aber auf Bedenken im Einzelfall an. Ein Widerruf aller Zusagen aufgrund allgemeiner Sicherheitsbedenken dürfte nicht genügen. Das scheint auch Frei bewusst zu sein, nicht ohne Grund spricht er von Prüfungen jedes einzelnen Falls.

Auch Menschenrechtsorganisation verwiesen am Dienstag auf die hohen rechtlichen Hürden für einen Widerruf. Eine Sprecherin der Luftbrücke Kabul sagte am Donnerstag der taz: Wir werden diese Menschen weiter unterstützen, wenn nötig mit Klageverfahren gegen die Bundesregierung.“ Allein über einen Entzug der Zusagen nachzudenken, sei „eine moralische und rechtsstaatliche Bankrotterklärung“. Wiebke Judith, Rechtsexpertin bei Pro Asyl, sagte der taz: „Das ist billiger Populismus auf dem Rücken von Menschen, die damit weiterhin in Lebensgefahr bleiben.“ Deutschland habe sich den Menschen gegenüber „rechtlich zur Aufnahme verpflichtet“.

Mitarbeit: Christian Rath

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21 Kommentare

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  • Moment, jetzt bin ich aber verwirrt: Ich dachte, wir haben die Bundeswehr nach Afghanistan schicken müssen, damit Mädchen in die Schule gehen können und Menschen nicht unter einer brutalen, islamistischen Diktatur leiden müssen? Haben mir die Herren aus ebendieser Partei das nicht fast zwanzig Jahre lang genau so immer wieder erzählt und meine Frage nach der Sinnhaftigkeit des Einsatzes immer wieder mit moralischer Verachtung ("Die Menschen dort sind Ihnen wohl egal!") beantwortet? Und jetzt sträubt man sich, auch nur den allergefährdetsten Menschen aus ebendiesem Land zu helfen?



    Irgendwas passt da nicht zusammen. Fast, als sei die moralinsaure Heiligsprechung des Einsatzes von Anfang an eine zynische Verschleierung schlichter Machtpolitik gewesen.

  • Der Westen und seine Werte mal wieder.

  • 18,3 Milliarden hat der Bundeswehreinsatz in Afghanistan gekostet mindestens, das ist nicht mal alles was man für diesen völlig sinnlosen und gescheiterten Krieg/ Einsatz verballert hat. www.focus.de/polit..._id_260685577.html



    Den Preis für diese politischen Entscheidungen einer CDU/CSU und teils SPD Regierung haben andere bezahlt und manche mit ihrem Leben, dass ihrer Familien und Freunde, Millionen auf der Flucht die alles verloren haben. Und jetzt zieht man sich auch noch aus dem bißchen Verantwortung heraus Menschen zu retten, die uns geholfen haben und vielleicht nicht mal in der Situation wären, wenn unsere Politiker anders gehandelt hätten. 20 Jahre Krieg, ein Land in Schutt und Asche, Tausende tot und man hat nicht mal etwas vorzuweisen. Verantwortung dafür hat keiner übernommen... wie immer. Die Folgen für künftige Bundeswehreinsätze, wo man immer auf Ortskräfte angewiesen ist, werden scheinbar auch völlig ignoriert. CDU/CSU aber auch die SPD sind moralisch und menschlich bankrott.

  • Surprise, surprise! Die CDU macht menschenverachtende Politik und die SPD ist "unklar" (d.h. sie überlegen noch, wann genau sie da mit machen).



    Das Bild Deutschlands in der Welt ist so, dass ich mich inzwischen schäme, mich als Deutscher im Ausland zu erkennen zu geben. Erinnert sich noch jemand an den anmaßenden Schwachsinn á la "ich bin stolz, ein Deutscher zu sein"? Das war schon damals Unfug, aber inzwischen muss man sich nur noch schämen.



    Würde sich heute noch jemand (außer dem rechten Gesocks) für eine "ich bin Deutschland" Kampagne hergeben?

    • @Jalella:

      Für welche Staatsangehörigkeit würden sie sich aktuell nicht schämen?

  • Ablehnende Asylbescheide für Afghanen (Frauen werden zz. noch gnädig nicht abzuschieben versucht) enthalten so zynische Begründungen wie die, dass seit Etablierung der Taliban-Regierung die Stabilität und Sicherheit sich deutlich erhöht habe und man daher keine unmittelbare Bedrohung erkennen könne usw.usf. Und dann müsse man sich als Mann eben ein bisschen anpassen, das könne man wohl schon verlangen, dann wirs man auch nicht gefoltert oder umgebracht wegen Tattoos, Atheismus oder großer Klappe (natürlich in langem Amtsdeutsch, aber sinngemäß stimmt es so).

    Der Rassismus, der v.a. Afghanen hier inzwischen entgegenschlägt aus Politik, Verwaltung und Bevölkerung - macht mich fassungslos.



    Der Zynismus und die Gewissenlosigkeit, mit der Menschen diesem Unterdrückungsregime der Taliban ausgeliefert werden, verschlagen mir die Sprache.

    • @hierbamala:

      Macht mich auch fassungslos, AfD-Agenda pur.



      .



      Die (geschäftsführende) Bundesregierung sollte in Karlsruhe ein Verbotsverfahren gegen die AfD beantragen. Sie ist, neben Bundestag und Bundesrat dazu berechtigt, und meines Erachtens ist jeder, der die AfD für eine verfassungsfeindliche, rechtsextreme Partei hält, auch dazu verpflichtet, alles in seiner Macht stehende zu tun, um Demokratie und Rechtsstaat zu schützen. Die Mittel, die dazu zur Verfügung stehen, ungenutzt zu lassen ist verantwortungslos.



      .



      Die SPD sollte dem Koalitionsvertrag nicht zustimmen, Neuwahlen (während eines anhängigen Verfahrens gegen die AfD, jeder soll das Risiko kennen, sie zu wählen) angestrebt werden und ein Wahlkampf in wirklicher, INHALTLICHER Abgrenzung gegen Rechtsaußen geführt werden.

  • "Offen ist aber auch, ob der Widerruf der Aufnahmezusagen rechtlich überhaupt möglich ist. Nach Aussage des Bundesinnenministeriums handelt es sich bei den bereits erteilten individuellen Aufnahmezusagen um Verwaltungsakte."



    Das wird demnächst so werden: Drohbrindt'scher Aktionismus mit den entsprechenden WählerInnen im Rücken zur Befriedigung des zuvor geschürten "Volkszornes" zum angeblich ausufernden und unkontrollierbaren Asylrecht.



    Die Prüfung der Unterlagen ergab wohl Unstimmigkeiten in einigen Fällen, aber bis jemand in der Maschine nach Deutschland sitzt, wurde sie/er bereits sicherheitstechnisch nach Dokumenten intensiv und komplett durchleuchtet.



    Die Folgen tragen jetzt die Opfer, das ist sicher nicht im Sinne christlich intendierter Asylpolitik, die der verstorbene Papst adressiert hatte.



    www.sueddeutsche.d...-250417-930-447920

  • Ist es rechtlich möglich? Falls nein, dann können Gesetze geändert werden. Die fallen nicht vom Himmel, die werden von Politikern gemacht.

    • @Querbeet:

      Die Frage ist aber, warum sollte das geändert werden?

  • Wer Union wählt bekommt mitunter halt auch konservative Taliban, denen geltendes Recht mal egal ist, Hauptsache sie können ihre neoliberale Scharia durchsetzen.

  • Natürlich ist es eine Sauerei, wenn die CDU sich an die gegebenen Zusagen nicht halten will.



    Aber dass überhaupt nach all den Jahren erst ein so kleiner Teil der Berechtigten ausgeflogen wurde, das geht mit der Ampel heim, nicht zuletzt mit dem Außenministerium, das erst jetzt auf den letzten Drücker hektisch zu agieren beginnt, wo man nicht mehr dafür garantieren kann, dass die Zusagen eingehalten werden.



    Das ist erbärmlich. Die Leute, die in dieses Aufnahmeprogramm passen, müssten längst hier sein.

    • @fritzdecat:

      Das stimmt auch!

  • „Das ist billiger Populismus auf dem Rücken von Menschen, die damit weiterhin in Lebensgefahr bleiben.“

    Da ist er wieder: der hohe moralische Ton...

  • Ein Verwaltungsakt gegenüber wem. gegenüber Afghanen die in Afghanistan oder Zb. Pakistan leben. Wie sollen die denn auf ein Verwaltungsakt klagen. Und hat man im Verwaltungsakt Namen von Berechtigten geschrieben.

    Nein das ganze beruht auf eine Ausnahmegenehmigung des Bundesinennministeriums. und Ausnahmen können widerrufen werden.

  • Man muss sich schämen, ein Deutscher zu sein.



    Das Wort zu brechen, und sadurch Menschen, die Deutschland geholfen haben, in Lebensgefahr zu bringen, ist dermassen erbärmlich. Jedes SPD-Mitgkied, das dafür stimmt, mit dieser CDU zusammen zu regieren, sollte sich schämen.

  • Was unterscheidet die neue Bundesregierung in Fragen der Migration denn noch von Trump?

  • Das war zu erwarten, denn die persönlich genannten Jungs wurden ja bereits als gewissenlose Teilnehmer in der Sondierungsrunde genannt und tragen schon seit Jahren ihr christlich moralisches Päcklein zur Schau, in dem auch wirlich nichts vom Christentum enthalten ist. Haben das wohl zuletzt als Scheinministranten in der Heimatkirche abgelegt. Sorry, aber bei so umfangreicher menschlicher Verachtung von zwei Christen ist das nicht mehr beschämend sondern nur noch verurteilungswürdig. Ob Mr. Frei mit seinem Statement noch gewartet hat bis Franziskus seinen Abgang hingelegt hat? CDSU - haben nicht nur bei den beiden genannten wirklich nichts mehr mit dem christilichen Glauben im Sinn, außer Werbeeinheiten. Wo bleibt der christliche Aufschrei aus diesen rechtsradikaloportunen Partenen?

  • Ach ja, liebe Menschen die jetzt im großen "Kriegstüchtigkeit" Hype erzählen, sie würden für Deutschland sterben: Schaut euch genau an, was die Zusagen dieses Deutschlands wert sind.



    Die Menschen mit denen ihr in Zukunft irgendwo auf der Welt zusammenarbeiten werdet schauen ganz genau hin.

  • Herr Frei gehört übrigens zur Stuttgart-21-CDU in Ba-Wü. Das ist die, die seit Jahren, Jahrzehnten jedes Versprechen bricht wenn es ihr einen Vorteil bringt oder politisch opportun erscheint.

  • Die Trittbrettfahrerei der Christenparteien auf der Hetze aus den Trollfabriken hat ein Maß erreicht, das die Grenze zur schamlosen Lüge übersteigt: 83 Mllionen Menschen können 2600 ehemalige Mitarbeiter nicht integrieren?