Abschottungspolitik: Union will Zusagen an Afghan*innen zurückziehen
Die CDU will gefährdete Menschen aus Afghanistan nun doch nicht mehr nach Deutschland zu holen. Aber ist das rechtlich überhaupt möglich?

Damit ist zum ersten Mal ausgesprochen, was Menschenrechtsorganisationen schon länger befürchten: CDU und CSU wollen auch solche Personen zurücklassen, denen die Rettung über das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan schon fest versprochen war. Das Programm richtet sich an afghanische Aktivist*innen, Journalist*innen, Homosexuelle oder auch einfach Frauen, denen in ihrem Herkunftsland Verfolgung durch das Taliban-Regime droht.
Nach Angaben des Auswärtigen Amtes warten derzeit rund 2.600 Personen, die eine Aufnahmezusage haben, noch auf die Evakuierung. Die meisten von ihnen befinden sich im an Afghanistan angrenzen Pakistan. Eingeflogen wurden über das Programm bislang nur rund 1.400 Menschen, vor allem Frauen und Kinder. Ursprünglich geplant waren viel höhere Aufnahmezahlen.
Die Union dringt schon länger auf ein Ende der Evakuierungen. In den Koalitionsverhandlungen mit der SPD setzte sie durch, dass alle Aufnahmeprogramme beendet werden sollen, „so weit wie möglich“. In den letzten Monaten hatte die Union keine Chance ausgelassen, gegen die Evakuierung der Afghan*innen zu ätzen. Frei betonte am Dienstag erneut, dass Afghan*innen, die bereits in Pakistan sind und auf Zusagen warten, „keine mehr bekommen“. Die humanitäre Migration nach Deutschland habe ein Maß erreicht, das „jede Integrationskraft der Gesellschaft“ übersteige, sagte der CDU-Politiker.
Haltung der SPD unklar
Es ist unklar, wie die SPD zu den Plänen der Union steht, über das Ende des Aufnahmeprogramms hinaus auch bereits ausgesprochene Aufnahmezusagen zurückzunehmen. Der SPD-Parteiführung dürfte das Thema ungelegen kommen, droht es doch vor dem Mitgliederentscheid über die Koalition für weitere Unzufriedenheit zu sorgen. Aziz Bozkurt, Vorsitzender der AG Migration und Vielfalt in der SPD, sagte der taz jedenfalls: „Ich hoffe, dass Torsten Frei nur eine freidrehende Einzelstimme in der Union ist.“ Die Zusagen müssten eingehalten werden.
Offen ist aber auch, ob der Widerruf der Aufnahmezusagen rechtlich überhaupt möglich ist. Nach Aussage des Bundesinnenministeriums handelt es sich bei den bereits erteilten individuellen Aufnahmezusagen um Verwaltungsakte. Solche begünstigenden Verwaltungsakte können nach den allgemeinen Regeln nicht ohne Weiteres widerrufen werden, wenn sie rechtmäßig sind.
Möglich ist ein Widerruf unter anderem, wenn er in der Zusage ausdrücklich vorbehalten war oder um schwere Nachteile für das „Gemeinwohl“ zu verhüten. Laut Faeser-Ministerium enthalten die Zusagen für die Afghanen einen „Widerrufsvorbehalt“. Die Zusagen können danach widerrufen werden, wenn etwa Sicherheitsbedenken bestehen. Es käme dabei aber auf Bedenken im Einzelfall an. Ein Widerruf aller Zusagen aufgrund allgemeiner Sicherheitsbedenken dürfte nicht genügen. Das scheint auch Frei bewusst zu sein, nicht ohne Grund spricht er von Prüfungen jedes einzelnen Falls.
Auch Menschenrechtsorganisation verwiesen am Dienstag auf die hohen rechtlichen Hürden für einen Widerruf. Eine Sprecherin der Luftbrücke Kabul sagte am Donnerstag der taz: Wir werden diese Menschen weiter unterstützen, wenn nötig mit Klageverfahren gegen die Bundesregierung.“ Allein über einen Entzug der Zusagen nachzudenken, sei „eine moralische und rechtsstaatliche Bankrotterklärung“. Wiebke Judith, Rechtsexpertin bei Pro Asyl, sagte der taz: „Das ist billiger Populismus auf dem Rücken von Menschen, die damit weiterhin in Lebensgefahr bleiben.“ Deutschland habe sich den Menschen gegenüber „rechtlich zur Aufnahme verpflichtet“.
Mitarbeit: Christian Rath
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