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Streit in AfD Sachsen-Anhalt eskaliertAbgeordneter des Bundestags erhebt Vorwürfe gegen „Pokerrunde“

Dem AfD-Abgeordneten Jan Wenzel Schmidt droht der Parteiausschluss. Jetzt wirft er Gegnern Vetternwirtschaft, Privatreisen auf Steuerkosten und Straftaten vor.

Jan Wenzel Schmidt, Mitglied der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag, rechnet mit seinen Parteifreunden ab Foto: Axel Kammerer/imago

Es kracht in der AfD Sachsen-Anhalt – und zwar so richtig: Der taz liegt eine Mail vor, in welcher der zuletzt stark in der Kritik stehende Bundestagsabgeordnete Jan Wenzel Schmidt zur Generalabrechnung mit seinen „Parteifreunden“ ausholt. Er wirft großen Teilen des Landesvorstands „ein regelrecht krankhaftes Verhalten und einen völlig psychopathischen Fanatismus in der innerparteilich völlig überflüssigen Auseinandersetzung“ vor. Einige der Akteure gehörten auf die „Anklagebank und nicht auf die Regierungsbank!“, so Schmidt. Zuerst hatte der Newsletterdienst Table Media über die Mail berichtet.

Unter Druck stand Schmidt zuletzt unter anderem wegen mutmaßlich fingierter Minijobs in seinem Bundestagsbüro, seinen Unternehmertätigkeiten und Kontakten zum verurteilten chinesischen Spion Jian G. Vor wenigen Tagen wurde ihm in einer geleakten Mitgliederrundmail ein Parteiausschlussverfahren angedroht.

Allerdings haben es auch Schmidts Vorwürfe in sich. Schon im Betreff wirft er dem Landesvorstand „parteischädigendes Verhalten“ vor. „Durch die gezielte Weitergabe interner Sachverhalte an die Presse sowie durch die Schmäh-E-Mail aus dem Umfeld des Landesvorstandes ist eine rote Linie überschritten worden“, schreibt er. Sein Ruf werde öffentlich beschädigt und falsche Tatsachenbehauptungen verbreitet. Welche Punkte er dabei konkret meint, bleibt vorerst unklar.

Seit neun Monaten würde systematisch gegen Schmidt und seine Familie vorgegangen – koordiniert aus einem festen Personenkreis, der innerparteilich als „Pokerrunde“ bekannt sei. Dazu zählten insgesamt 8 Personen, darunter sein Fraktionskollege, der Landesvorsitzende aus Sachsen-Anhalt Martin Reichhardt, ebenso der Fraktionsvorsitzende im Landtag und Vize-Landeschef, Oliver Kirchner, und weitere Personen, darunter mehrere hochrangige AfD-Funktionäre (Jan Moldenhauer, Hans-Thomas Tillschneider, Philipp Anders Rau, Tobias Rausch, Matthias Büttner, Gordon Köhler).

Spitzenkandidat Siegmund soll das Verhalten decken

Besonders brisant: „Politisch mitgetragen und gedeckt wird dieses Vorgehen durch Ulrich Siegmund als Spitzenkandidat und Mitglied des Landesvorstandes.“ Der lasse sich „leider“ von dieser Gruppierung involvieren, bedauert Schmidt in seiner Mail. „Es wäre klüger, sich von solch schädlichen Akteuren und Verhalten zu lösen“, rät er dem Spitzenkandidaten.

Dann hält er dem Landesvorstand diverse Missstände vor. Darunter: „Privatreisen unter dem Deckmantel parlamentarischer Tätigkeit“, „Auslandsreisen mit fehlender oder nachträglich konstruierter Terminlage (Griechenland, Disney Land, New York)“, „Reisen mit rein gesellschaftlichem Charakter, bei denen lediglich einzelne Abendveranstaltungen wahrgenommen wurden“, „Sightseeing-Reisen ohne sachlichen Mandatsbezug“ – und man bekommt auch eine Ahnung, woher der Spitzname „Pokerrunde“ kommt: Es gäbe „Dienstreisen nach Berlin, deren Ziel die dortige Spielbank war“.

Ebenso spricht Schmidt von Vetternwirtschaft und „schwerwiegenden Verquickungen“, die „besonders perfide“ seien, weil ihm selbst „Minijobs“ vorgeworfen würden. Er schreibt: Mindestens fünf Landesvorstandsmitglieder haben oder hatten ihre Ehefrauen über Abgeordnete beschäftigt, mehrere hätten auch Geschwister oder Kinder über Abgeordnete anstellen lassen, ein Landesvorstandsmitglied habe gleich drei Geschwister über Abgeordnetenstellen vergütet. In einem Fall werde ein Landesvorstandsmitglied mit fast 8.000 Euro brutto monatlich aus öffentlichen Mitteln vergütet.

Schmidt schreibt, er könne das alles belegen – „wer vor diesem Hintergrund selektiv moralisiert und gleichzeitig selbst profitiert, handelt nicht glaubwürdig, sondern parteischädigend.“ Und geht dann zu einer Drohung über – „unabhängig davon, ob formell eine Ordnungsmaßnahme eingeleitet wird oder nicht“: „Ab der zweiten Januarwoche werde ich wöchentlich strukturierte Mails an Bundesvorstand und Landesvorstand senden.“ Jede Mail solle konkrete Beweise, Zahlen, Namen und Dokumente enthalten, das Ziel sei „vollständige Transparenz – intern zuerst“.

Schmidt spricht andeutungsweise auch von „unzulässigen unternehmerischen Verquickungen“, „Vorgängen mit Bezug zu falschen Privatinsolvenzen“, „mögliche strafrechtlich relevante Handlungen“ und „nachweisliche Falschangaben zur Kommunalwahl und Aufnahmen im Kreisverband Jerichower Land“ sowie „massive innerparteiliche Einflussnahmen auf wirtschaftliche Beteiligungen“.

Landtagsverwaltung prüft AfD-Fahrtkosten

Schmidt kündigt an, dass er seine Vorwürfe mit Fakten und Beweisen unterlegen will, behauptet sie aber in seiner Mail zunächst pauschal. Was es allerdings schon gibt, sind Prüfungen der Landtagsverwaltung zu Fahrtkosten von AfD-Abgeordneten.

Auf taz-Anfrage heißt es von der Landtagsverwaltung, dass darüber hinausgehende Vorwürfe erst jetzt bekannt geworden seien. Die Landtagsverwaltung habe sich zur Klärung „unverzüglich“ schriftlich an Schmidt gewendet. Aus den vorliegenden Unterlagen ließe sich bislang nicht erkennen, „dass falsche, wahrheitswidrige Angaben mit dem Ziel der Erstattung von Fahrkosten, auf die kein Anspruch besteht, gemacht wurden“. Schmidt sei zur Konkretisierung der von ihm erhobenen Vorwürfe aufgefordert worden.

Der Landesvorstand Sachsen-Anhalt und Spitzenkandidat Ulrich Siegmund hielten sich auch auf taz-Anfrage komplett bedeckt zu den Vorwürfen. Sie antworteten, „dass sich die Landespartei zu laufenden internen Vorgängen öffentlich nicht äußern wird“.

Den Streit intern zu halten, stellt Schmidt dann allerdings auch in Aussicht: Er droht, seine Mail sei die letztmalige Möglichkeit, die Vorgänge intern aufzuarbeiten, bevor sie zwangsläufig parteiöffentlich werden.

Den Landesverband durchzieht ein schon länger schwelender Konflikt. Bereits im Februar war Schmidt als Generalsekretär von Sachsen-Anhalt zurückgetreten und wollte sich auf Berlin konzentrieren. Allerdings ist der Streit offenkundig nicht beigelegt.

China-Connection und Vape-Firma

Allerdings sind auch die Vorwürfe gegen Jan Wenzel Schmidt noch nicht ausgeräumt. Seine „Parteifreunde“ hatten offenbar kompromittierendes Material durchgestochen. Und das sah für ihn nicht gut aus: Das Portal t-online berichtete über eine Reise nach China mit Maximilian Krahs mittlerweile als Spion verurteilten Mitarbeiter Jian G. sowie ein damit zusammenhängendes Unternehmen zum Handel künstlicher Diamanten, in dem auch Schmidts Familienmitlieder beschäftigt sein sollen.

Zudem berichtete der Spiegel noch über Schmidts E-Zigarettenfirma, von der mehrere Mitarbeiter auf Steuerzahlerkosten in Schmidts Bundestagsbüro angestellt worden sein sollen – darunter der Geschäftsführer, mit dem Schmidt sich offenbar überworfen hatte. Der Geschäftsführer versicherte im Spiegel-Bericht, dass er ohne jegliche Leistung angestellt worden sei.

Auf taz-Anfrage kommentierte Schmidt dazu, es handele sich um „eine gezielte Kampagne von einer Klüngelgruppe in der Partei, die bereit sind, jegliche Grenzen zu überschreiten“. Dabei werde keine Rücksicht auf Verluste genommen. Es werde gezielt der Konflikt gesucht und die Partei damit öffentlich beschädigt. „Die mir unterstellten Vorwürfe sind absurd und werden von mir zurückgewiesen“, sagte Schmidt.

Der Landesvorstand Sachsen-Anhalt zeigte sich von Schmidts Dementis bislang unbeeindruckt: Am Montag soll das Parteiausschlussverfahren gegen Schmidt eingeleitet werden. Ob es nun wirklich dazu kommt, scheint nach Schmidts Mail offen. Falls ja, beendete Schmidt seine Mail vorsorglich mit einem PS: „Mir ist völlig bewusst, dass das nur die Spitze des Eisberges ist. Es gibt noch etliche weitere Beispiele. Niemand muss besorgt sein, dass ich jemanden vergesse.“

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