Wahl neuer Verfassungsrichter:innen: Zu links für Karlsruhe?
Frauke Brosius-Gersdorf ist die SPD-Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht. Abtreibungsgegner:innen versuchen mithilfe der Union ihre Wahl zu verhindern.

Die 16 Richter:innen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) werden je zur Hälfte im Bundestag und im Bundesrat gewählt. Erforderlich ist jeweils eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Zufälligerweise sind nun gleich drei BVerfG-Posten im Bundestag zu besetzen. Für einen Posten hat die CDU/CSU das Vorschlagsrecht, für zwei Posten die SPD.
Die CDU/CSU schlägt Günter Spinner vor, einen Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht. Die SPD schlägt die beiden Rechtsprofessorinnen Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold vor. Die Position von Brosius-Gersdorf ist herausgehoben, weil sie vermutlich Vorsitzende des Zweiten Senats und ab 2030 auch Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts würde, also Nachfolgerin von Stephan Harbarth, einem Ex-CDU-Abgeordneten.
Wie die Frankfurter Allgemeinen Zeitung berichtet, gibt es in der CDU/CSU nun Widerspruch gegen Brosius-Gersdorf, insbesondere wegen ihrer Position zu Schwangerschaftsabbrüchen. Die Juristin war Mitglied einer Regierungskommission zur Reform des Abtreibungsrechts und verantwortete 2024 im Kommissionsbericht das Kapitel zum „verfassungsrechtlichenRahmen“. Dort kam sie zum Ergebnis, dass eine Entkriminalisierungdurchaus möglich ist. Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts aus den 1970er- und 1990er-Jahren, in denen die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs vorgegeben wurde, seien nicht mehr maßgeblich.
Radikale Abtreibungsgegner mobilisieren
In CDU-Kreisen wird Brosius-Gersdorf nun als „ultralinks“ geschmäht. Auch radikale Abtreibungsgegner machen gegen Brosius-Gersdorf mobil. Unter anderem rufen die Aktionen Lebensrecht für Alle (Alfa) und die Deutsche Vereinigung für eine Christliche Kultur (DVCK) dazu auf, sich per Mail an die Mitglieder des Wahlausschusses zu wenden und besonders die christdemokratischen Abgeordneten unter Druck zu setzen, um die „Pro-Choice-Juristin“ zu verhindern. Dabei hatte die CDU/CSU-Fraktion dem SPD-Vorschlag bereits zugestimmt.
Denn Brosius-Gersdorf, die in Potsdam lehrt, ist eine hoch angesehene Rechtsprofessorin und galt wegen ihrer wirtschaftsliberalen Ansichten bisher nicht als besonders links. Wie groß der Widerstand in der Union tatsächlich ist, kann derzeit schwer abgeschätzt werden. Denn fast alle Kritiker:innen in der Fraktion wollen bisher anonym bleiben.
Nur die Brandenburger Abgeordnete Saskia Ludwig hat offen erklärt, dass sie Brosius-Gersdorf für „unwählbar“ hält. Allerdings steht Ludwig am rechten Rand der CDU und ist damit wohl nicht repräsentativ. Zum anderen ist Ludwigs Hauptkritikpunkt, dass Brosius-Gersdorf in der Corona-Pandemie für eine Impfpflicht eingetreten ist.
Bei der Verfassungsrichterwahl wird das Vorschlagsrecht der Fraktionen und Länder in der Regel akzeptiert. Nur wenn eine Person oder ihre Positionen völlig indiskutabel sind, blockieren die anderen Fraktionen. Es dürfte derzeit ohnehin schwer sein, SPD-nahe Jurist:innen zu finden, die die Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen weiterhin als verfassungsrechtliches Dogma behandeln wollen.
Ende letzten Jahres scheiterte allerdings der CDU/CSU-Vorschlag Robert Seegmüller, Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht, am Veto der Grünen. Die Grünen hatten das Veto jedoch nicht mit Seegmüllers migrationskritischen Positionen begründet, sondern mit seiner „inkonsistenten“ Argumentation bei einem Vorstellungsgespräch.
Entscheidung des Wahlausschusses am Montagabend
Bis Montagabend muss sich nun entscheiden, ob die drei Kandidat:innen Spinner, Brosius-Gersdorf und Kaufhold über eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag verfügen. Dann wird der zwölfköpfige Wahlausschuss des Bundestags die Kandidat:innen offiziell nominieren. Die Wahl im Plenum des Bundestags soll dann am Donnerstag stattfinden.
Die mediale Aufregung um Frauke Brosius-Gersdorf hat allerdings das eigentliche Problem der anstehenden BVerfG-Richterwahlen in den Hintergrund gedrängt, dass die Zwei-Drittel-Mehrheit für die drei Kandidat:innen noch keineswegs gesichert ist.
Denn seit der Bundestagswahl, bei der die FDP ausschied, kommt eine Zwei-Drittel-Mehrheit nur noch mit Stimmen der Linken (oder der AfD) zustande. Die Linken sind grundsätzlich bereit, die drei Kandidat:innen zu wählen, warten aber vor allem darauf, dass die CDU/CSU das Gespräch mit ihnen sucht. Das versucht die Union aber nach Möglichkeit zu vermeiden, weil es gegen ihren Unvereinbarkeitsbeschluss verstoßen könnte.
Bisher zeichnet sich noch keine Lösung ab. Nach Informationen der taz gab es bislang kein Gesprächsangebot der CDU/CSU an die Linken. Wie die Abstimmung am Donnerstag ausgeht, ist deshalb offen. Im schlimmsten Fall könnte erneut die AfD der Union als Mehrheitsbeschafferin dienen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!