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Comeback von Xavier NaidooDer Weg zur Entschwörung kann kein leichter sein

Donata Künßberg
Kommentar von Donata Künßberg

Xavier Naidoo will wieder auftreten. Das weckt Proteste, aber auch Interesse. Unsere Autorin denkt nicht an Musik – sondern an verlorene Lebensjahre.

Xavier Naidoo Live in Giessen, 31. August 2019 Foto: Kadir Caliskan/imago

Bei meiner Seele“ steht über der Konzertwerbung von Sänger Xavier Naidoo. Eine dunkle Sonnenbrille verbirgt seinen Blick, sein Mund formt sich zu einem kleinen Schmunzeln. Naidoo trägt eine tweedartige Mütze, genau wie 2022, als ich ihn zuletzt gesehen habe, in dem Video, in dem er sich zum Entschwörten erklärte und sich entschuldigte. Im Dezember will er wieder auftreten, die zwei Konzerttermine in Köln sind nahezu ausverkauft.

„Selbstverständlich können sich Menschen, können sich Haltungen ändern. Doch nach jahrelangem Verbreiten von gefährlichen demokratie- und menschenfeindlichen Ideen und Positionen reicht ein generisches Statement gefolgt von dreijährigem Schweigen und Nichtstun nicht aus“, sagt Elio Adler, Vorsitzender von WerteInitiative e. V., der taz. Der Verein fordert eine Absage der Konzerte.

Schon als Naidoo sein Entschwörungsvideo veröffentlichte, stellte der Rechts­extre­mis­mus­experte und taz-Kolumnist Andreas Speit fest, dass ein bloßes Sorry nicht ausreiche, um sich glaubhaft von Verschwörungstheorien zu dis­tan­zie­ren. Auch Jenny Winkler von der Beratungsstelle veritas spricht lieber von einem andauernden Distanzierungsprozess statt einem klassischen Ausstieg, „weil beim Verschwörungsglauben oft keine formelle Zugehörigkeit zu einer Gruppe vorliegt“.

Ich möchte nicht spekulieren, ob Naidoo sich im Stillen dieser Aufgabe gestellt hat. Aber jetzt, wo er wieder die Öffentlichkeit sucht, wäre wichtig zu wissen, wie das aussehen könnte: eine glaubhafte Distanzierung. Ich frage mich das auch für mich selbst. Denn ich habe Jahre meines Lebens mit Verschwörungstheorien vergeudet.

Erleuchtung im Handumdrehen

Als Kind sah ich meinen Großvater mit dem Edding Barcodes auf Lebensmittelverpackungen durchstreichen und Kristalle zur Entstörung von Räumen ablegen. Später las ich Bücher über den angeblich mittels Hypnose erbrachten Beweis der Reinkarnation und Erich von Dänikens Spekulationen über die Spuren Außerirdischer in frühen Hochkulturen. Ich inspizierte die Dorfkirche und suchte nach verdeckten Hinweisen auf geheim gehaltenes Wissen.

Die Vorstellung, Erleuchtung sei im Handumdrehen zu haben, statt ein vages Ziel auf einem tatsächlich steinigen Weg der fortdauernden Bildung zu sein, ist typisch für Verschwörungsdenken. So einfach wie „Aufwachen“ soll alles sein.

Was tatsächlich im Handumdrehen zu haben ist, ist ein Trauma. Mit 17 stieß ich auf völlig zu Recht auf dem Index der jugendgefährdenden Schriften stehende Literatur rechtsextremistischer Esoteriker. Diese Lektüre erfüllte mich mit einer rauschhaften Panik, die für Jahre anhalten sollte. Ich betrauerte die Verdorbenheit der Bösen, ihre Brutalität und Gleichgültigkeit uns Menschen gegenüber. Trost spendete mir die Annahme, dass wir alle, auch die Bösen, nur noch zehn Jahre bis zum Weltuntergang im Jahr 2012 haben würden.

„Donata, du klingst wie eine Rechtsradikale.“ Meine Deutschlehrerin, die Ehrenfrau, reagierte sehr klar auf meine eth­no­plu­ra­lis­ti­schen Ausführungen im Unterricht. Sie war enttäuscht von mir, das traf mich. Ein innerer Wertekonflikt kann für Verschwörungsgläubige der Ausgangspunkt einer Entschwörung sein. So weit war ich aber noch nicht. Solche ersten Risse können auch von außen aufgemacht werden, etwa, indem Strafe droht. Die Sorge über Konsequenzen setzt dann bisweilen eine Verhaltensänderung in Gang. Gegen Naidoo hat die Staatsanwaltschaft Mannheim wegen Volksverhetzung Anklage erhoben. Seine Anwälte weisen die Vorwürfe zurück.

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Mir kamen zwar gelegentlich Zweifel, denn je mehr Verschwörungsliteratur ich las, desto mehr Quark begegnete mir: Widersprüche, Plagiate, Fantastereien. Ein Mensch in meinem Umfeld fing an, sich wegen 2012 mit Prepping zu beschäftigen. Meiner Ansicht nach war das Quatsch. Nur Menschen, die die Kunst des kugelförmigen Atmens beherrschten, würden die Frequenzerhöhung des Planeten überleben, erklärte ich ihm.

Irgendwie machte ich Abi­tur, aber die dröhnende Angst in meinem Kopf, dass alles, was nicht zu meiner spirituellen Entwicklung beitrage, Zeitverschwendung sei, betäubte mich weiter. Im Nachhinein erkenne ich die Gefährlichkeit der Si­tua­tion. Ich war „lost“, ein Teenager mit immer schwerem Herz, machtlos in einer emotional belastenden Familiensituation und mit einem Hausarzt gesegnet, der sagte, ich bräuchte keine Therapie, ich sei ja schlau, das würde ich schon allein schaffen. Und, ganz wichtig, ich war jung und dumm.

Echokammer verlassen

Der Ortswechsel nach der Schule war meine Rettung. „Distanzierung und kritische Reflexion der extremistischen Ideologie, vor allem von menschenfeindlichen Aussagen und Feindbildern“ – laut Jenny Winkler ein Kriterium einer Distanzierung – fällt leichter, wenn man sein Kaff oder seine Echokammer verlässt und an der Welt teilnimmt.

Am 1. Januar 2013 war endgültig klar, dass ich Jahre meines Lebens mit Schrott vergeudet hatte. Da schämte ich mich schon ein paar Jahre für all die Missionierungsversuche, die mein Umfeld sich hatte anhören müssen, schämte mich für meine Naivität und Überheblichkeit.

Ab diesem Zeitpunkt hielt ich mich für ganz sicher entschwört und las lieber über die Gefahren, die von Verschwörungstheorien ausgehen. Und worauf sie hinaus­laufen können: „Wenn ich nicht mitdenke, wem ich geschadet habe, ist der Distanzierungsprozess unvollständig“, sagt Jenny Winkler dazu.

Artefakte des alten Denkens fand ich aber weiter in mir, zum Beispiel eine Neigung zur emotionalen Beweisführung: Mein Gefühl sagt mir, dass hier etwas nicht stimmen kann. Dann ist da wahrscheinlich wirklich etwas faul, ich suche mir mal einen Beweis. „Kognitive Muster“ nennt das Jenny Winkler. „Ich glaube nicht, dass es ein Leben lang dauert, sich zu entschwören, aber das Hinterfragen dieser kognitiven Muster kann ein Leben lang dauern.“

Also quasi ein langer, steiniger Weg, aber auch ein guter und richtiger Weg. Ich hoffe, Xavier Naidoo will ihn gehen. Eine glaubhafte und nachhaltige öffentliche Distanzierung eines so bekannten Menschen würde auch anderen helfen, den ersten, peinlich empfundenen Schritt der Umkehr zu machen.

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Donata Künßberg
Social Redakteurin
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3 Kommentare

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  • Ich vergaß:



    www.youtube.com/watch?v=QkjlsUL5fio



    Über die Machart kann man sich streiten, die Zitate sind dennoch interessant in der Chronologie...

  • Donata Künßbergs Kommentar ist ein seltener Glücksfall in der Debatte über Verschwörungsglauben. Statt von außen auf Xavier Naidoo zu zeigen, spricht sie aus eigener Erfahrung – und genau das macht ihren Text so glaubwürdig. Sie verklärt nichts, beschönigt nichts, sondern zeigt, wie mühsam und widersprüchlich der Weg aus verschwörungsideologischen Denkmustern sein kann.

    Was sie beschreibt, ist kein klarer Ausstieg, sondern ein Prozess – mit Rückschlägen, Scham und bleibenden Spuren. Das ist wichtig, weil es hilft zu verstehen, warum ein bloßes „Sorry“ wie das von Naidoo vielen nicht reicht. Wer jahrelang öffentlich radikale Thesen verbreitet hat, muss mehr tun als schweigen – er muss zeigen, dass er verstanden hat.

  • Danke für den Mut und die Aufrichtigkeit in der taz, also auch in der Öffentlichkeit. Das hilft auch!