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Politischer Analyst zur Weltordnung„Europas Soft Power ist ramponiert“

Die Ausnahmesituation, in der die Hypermacht USA die liberale Weltordnung garantierte, ist Geschichte. Wie soll Europa auf die neue Lage reagieren?

Geopolitik muss neu gedacht werden – die Welt ist aus den Fugen geraten Foto: Mathias Gösswein/plainpicture
Stefan Reinecke
Interview von Stefan Reinecke

taz: Herr Saxer, gibt es eine Renaissance der Geopolitik?

Marc Saxer: Für Europa ja. Europa lebte nach dem Ende des Kalten Krieges in einer historischen Ausnahmesituation, in der die Hypermacht USA die liberale Weltordnung garantierte. Das ist jetzt beendet. Damit kommt die Geopolitik zurück, ob wir das wollen oder nicht. Außerhalb von Europa hat Geopolitik allerdings nie aufgehört. In Asien gibt es keine Zeitenwende. Hier hat man immer geopolitisch gedacht und gehandelt.

taz: Muss die politische Klasse in Deutschland geopolitisches Denken neu lernen?

Saxer: In Deutschland hat der Begriff eine nationalistische, teilweise faschistische Konnotation. Deswegen war er lange verpönt. Aber man kann keinen Politikbereich streichen, weil man die Konnotation nicht mag. Die deutsche Politik denkt noch zu stark in der Logik der liberalen Weltordnung. Man wähnt sich noch immer in einem Systemwettbewerb zwischen Demokratie und Autokratie. Dieses System ist mit dem Machtverlust des Westens und dem Aufstieg von China und Indien obsolet geworden.

wochentaz

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taz: Und wegen Trump?

Saxer: Natürlich. Trump hat die liberale Weltordnung, die die USA gegründet und 80 Jahre garantiert haben, für beendet erklärt. Deren Abstieg hat aber viel früher begonnen.

taz: Handelt Trump irrational?

Saxer: Kühl betrachtet, repräsentiert er Kontinuität und Bruch der US-Politik. Die Abwendung von Europa und die Hinwendung zur Konkurrenz mit China gibt es schon seit Obama. Die USA wollen ihre Ressourcen auf den Wettbewerb mit China konzentrieren, der einzigen Macht, die ihnen gefährlich werden kann. Die USA haben lange versucht, die Europäer dazu zu bewegen, mehr Geld für Militär auszugeben und die USA bei der Eindämmung Chinas zu unterstützen. Das wollten auch Obama, und Biden. Trump hat jetzt einen Cut gemacht – Wenn Europa uns nicht in Asien unterstützt, dann müssen die Europäer eben die Hauptlast der Sicherung Europas tragen. Obama und Biden haben das von den USA gegründete Weltsystem aufrechterhalten, mit den USA als Hegemon. Trump hat sich mit einer multipolaren Welt arrangiert, in der die USA zwar die stärkste Macht sind, aber eine unter mehreren Großmächten. Trump verkörpert also Kontinuität und Disruption. Die eigentliche Disruption ist die Aufgabe der liberalen Weltordnung.

taz: Kehrt damit das 19. Jahrhundert wieder – eine Ordnung mit Regionalmächten, die Einflusszonen kontrollieren?

Saxer: Die neue Ordnung, die sich abzeichnet, hat viel gemein mit dem europäischen Weltsystem des 19. Jahrhunderts. Das bedeutet nicht unbedingt Anarchie. Im Konzert der großen Mächte wird versucht, durch permanenten Interessenausgleich Gleichgewichte herzustellen, um Kriege zwischen den Großmächten zu verhindern. Die entscheidenden Fragen lauten: Wo verlaufen die Grenzen der Einflusszonen? Und wer gilt als Großmacht? Die zentrale Frage ist, ob die EU künftig eine Großmacht sein wird oder zur Einflusssphäre anderer Großmächte degradiert wird.

taz: Henry Kissinger hat gesagt: „Wen rufe ich an, wenn ich mit Europa sprechen will?“ Braucht die EU also militärisch, ökonomisch, politisch eine Zentralisierung von Macht, um in einer multipolaren Welt als Akteur auftreten zu können?

Saxer: Die EU verfügt über enorme ökonomische Macht, aber über wenig hard power, wenig militärische und diplomatisch-politische Macht.

taz: Will sagen: Europa benötigt gemeinsame Atomwaffen?

Saxer: Perspektivisch ja. Keine der europäischen Mittelmächte ist konventionell auf sich gestellt stark genug, auch Großbritannien und Frankreich sind dies nicht. Ob die britischen und französischen Atomwaffen vergemeinschaftet werden können, bezweifle ich. Es geht eher darum, sie in ein gesamteuropäisches Verteidigungsbündnis ohne die USA zu integrieren. In der Außen- und Sicherheitspolitik sind dramatische Integrationsschritte nötig.

Im Interview: Marc Saxer

ist Mitglied der SPD-Grundwertekommission und politischer Analyst. Er leitet derzeit das Regionalbüro der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Bangkok. Zuvor war er zehn Jahre lang Chef der FES-Büros in Indien und Thailand. 2021 erschien von ihm die Studie „Transformativer Realismus. Zur Überwindung der Systemkrise“ im Dietz Verlag.

taz: Auch eine europäische Armee? Bislang war die Debatte darum immer ein sicheres Indiz, dass nichts passieren wird. Dass Frankreich seine Atomwaffen unter europäischen Oberbefehl stellt und dass Deutschland auf den Parlamentsvorbehalt bei Militäreinsätzen verzichtet, ist schwer vorstellbar …

Saxer: Ein Grund, warum diese Integrationsschritte bisher immer gescheitert sind, war, dass Deutschland stark auf den Schutz der USA gesetzt hat. Das ändert sich gerade abrupt. Wenn dieses fragile Geschöpf EU ohne verlässlichen US-Schutzschirm in einer Wolfswelt überleben will, in der das Recht des Stärkeren die Stärke des Rechts bricht, muss es einen Integrationsschritt Richtung Vereinheitlichung gehen. Dabei kann es neue Dynamiken geben.

taz: Welche?

Saxer: Wenn der US-Schutzschild fehlt, dann brechen auch die Rivalitäten zwischen den kleinen europäischen Mächten wieder auf. Wenn Deutschland massiv aufrüstet, wird das auch bei jenen Ängste auslösen, die diese Aufrüstung derzeit fordern. Der Vorteil einer europäischen Armee wäre daher nicht nur Machtprojektion nach außen, sondern auch eine Befriedung über eine Vergemeinschaftung nach innen. Das ist nicht unrealistisch. Das war auch die Logik des Euro. Ein Motiv war damals, das wiedervereinigte Deutschland in eine neue Machtbalance in der EU einzubinden.

taz: Rechtspopulismus und Neonationalismus wachsen in Europa. Ist mehr Macht für die EU, die ja das Hassobjekt aller Rechten ist, angesichts dessen durchsetzbar?

Saxer: Das schlechte Image der EU hat mit deren neoliberaler Verfasstheit zu tun. Viele nehmen Brüssel als Macht war, die Sicherheiten aufgelöst hat. Die EU muss nun als Schutzmacht nach außen und nach innen auftreten. Es wäre klug, mehr Vergemeinschaftung bei der Außen- und Sicherheitspolitik mit weniger Regelungen aus Brüssel in anderen Bereichen zu verknüpfen und Kompetenzen an Staaten und Regionen zurück zu übertragen.

taz: Die EU will bis zu 800 Milliarden Euro in Verteidigung investieren. Deutschland hat für die Verteidigung die Schuldenbremse aufgelöst. Dabei sind die Verteidigungsausgaben der EU jetzt schon höher als die Russlands. Ist diese massive Aufrüstung nötig?

Saxer: Ja. Der entscheidende Punkt ist die strategische Unabhängigkeit Europas. Nur Summen gegenzurechnen reicht dafür nicht. Die europäischen Nato-Streitkräfte sind bewusst und gewollt integriert in US-Strukturen. Viele Fähigkeiten haben nur die Amerikaner. Es geht um Aufklärung, Satelliten-Fähigkeiten, Logistik, Rettungsketten, Rüstungsindustrie und vieles mehr. Deshalb hätten die Europäer auch nicht alleine in Afghanistan bleiben können. Strategische Autonomie bedeutet, dass die Europäer all das selbst können. Diese Emanzipation von den USA und der Aufbau dieser Fähigkeiten wird, wenn man jetzt sofort beginnt, 10 bis 15 Jahre dauern. Europa wird in dieser Zeit enorm verwundbar sein.

taz: Durch wen?

Saxer: Durch die russische Bedrohung und auch durch Erpressungsversuche aus Washington. Es gibt den US-Schutzschirm gegenüber Russland nicht mehr vorbehaltslos. Dieser Realitätsschock ist noch nicht bei allen angekommen. Das zeigen die Illusionen, die es in Europa nach wie vor in Sachen Ukraine gibt.

taz: Inwiefern?

Saxer: Die Europäer sind von den Verhandlungen zwischen USA und Russland ausgeschlossen. Das zeigt mit brutaler Deutlichkeit, dass sie in der Kernfrage ihres Kontinents unwichtig sind. Bei den Verhandlungen geht es um drei Punkte. Trump will eine schnelle Einstellung der Kampfhandlungen in der Ukraine. Zweitens: Wird Russland eine Pufferzone zugestanden, die die Ukraine und Weißrussland und den Kaukasus umfasst? Drittens: Gelingt den USA ein „Kissinger in reverse“? Das bedeutet, dass Russland sich von China ab- und den USA zuwendet. Die beiden letzten Fragen sind völlig offen. Dass Europa nicht am Tisch sitzt, zeigt, wie schwach es ist. Das ist nur der Vorgeschmack dessen, was kommt. So wird es auch in Sachen Grönland zugehen. Das ist die Zukunft, wenn Europa zum Spielball anderer Mächte wird.

taz: Frankreich und Großbritannien und eine Koalition der Willigen wollen einen möglichen Waffenstillstand in der Ukraine mit eigenen Truppen absichern. Ist das ein vernünftiger Schritt, um die Rolle des machtlosen Zuschauers zu überwinden?

Saxer: Nein. Ich halte es für ausgeschlossen, dass europäische Kampftruppen auf ukrainischem Territorium stationiert werden. Das ist Hybris. Auch das britische Militär hält das Szenario „boots on the ground, planes on the air“ für politisches Theater. Das ist ein untauglicher Versuch, Stärke zu simulieren, um wieder ernst genommen zu werden.

taz: Wie soll Europa dann auf den russischen Imperialismus antworten?

Saxer: Europa verfügt auf sich alleine gestellt nicht über die Mittel, Putin militärisch einzuhegen. Deshalb muss es eine politische Lösung anstreben. Dafür muss Europa Russlands Sicherheitsinteressen als legitim anerkennen. Auch wenn wir keine Bedrohung durch das Vorrücken der Nato erkennen, muss Europa die russischen Ängste als legitim anerkennen. Zudem will Russland wieder als Großmacht gelten. Europa muss diese beiden Punkte akzeptieren. Nur so kann ein Gleichgewicht der Kräfte und ein Austarieren der Interessen gelingen.

taz: Aber was, wenn nach dem Ukrainekrieg Angriffe aus Georgien und Moldawien folgen? Oder auf Estland und Lettland, wo ein Viertel der Bevölkerung russisch ist? Ist es nicht nötig, Russland in der Ukraine zu stoppen?

Saxer: Das hat Europa drei Jahre lang mit den USA versucht. Dass das jetzt ohne die USA funktionieren soll, was mit Unterstützung der USA nicht gelang, ist nicht Geopolitik, sondern gefährliches Wunschdenken. Europa muss die Ukraine finanziell und mit Waffen unterstützen. Es ist im Interesse Europas, den Zusammenbruch der Ukraine zu verhindern und sie als souveränen Staat zu erhalten. Das heißt aber, sich von maximalistischen Zielen wie die Rückeroberung der Krim zu verabschieden und einen Interessensausgleich mit Russland zu verhandeln.

taz: Unterschätzen Sie die russische Aggression?

Saxer: Es gibt in Europa zwei bizarre, widersprüchliche Vorstellungen in Bezug auf Russland. In der einen ist Russland so schwach, dass es, wenn Europa nur entschlossen handelt, zusammenbrechen wird. Auf der anderen Seite gibt es die Vorstellung, dass Russland so mächtig ist, dass es, wenn man es jetzt nicht stoppt, durch das Baltikum und Polen bis an den Rhein marschieren wird. Beide Vorstellungen sind falsch.

taz: Das sieht man im Baltikum anders. Dort hält man verstärkte hybride russische Angriffe für möglich …

Saxer: Das ist ein Szenario, auf das man sich vorbereiten sollte. Russische Provokationen und ein Vorstoß auf baltisches Gebiet sind denkbar. Wenn die Nato darauf nicht reagiert, wäre das der triumphale Beweis, dass das westliche Bündnis am Ende ist. Unrealistisch erscheint mir die Vorstellung, dass russische Panzerverbände Riga einnehmen oder einen Eroberungsfeldzug gen Westen starten können.

taz: Europas Macht definiert sich nicht nur über Militär. Reden wir zu wenig über Soft Power?

Saxer: Die Soft Power Europas ist durch seine Doppelstandards ramponiert …

taz: Wegen des egoistischen Umgangs mit Impfstoffen bei Corona, der Unterstützung Israels trotz des Gazakrieges und des dröhnenden Schweigens zur Situation der Palästinenser.

Saxer: Das sind die jüngsten Beispiele. Im Blick des globalen Südens reicht die europäische Doppelmoral bis zum Kolonialismus zurück.

taz: Der geopolitische Diskurs kreist oft um die fünf Großmächte – aber kaum um Lateinamerika, Afrika oder Indonesien. Wenn die kommende Welt aus temporären Bündnissen unterschiedlicher Partner besteht – ist es dann nicht im vitalen Interesse Europas, Koalitionen mit Ländern zu suchen, die keine Großmächte sind?

Saxer: Ja, richtig. Denn trotz der Kritik an westlichen Doppelstandards schauen viele Staaten des globalen Südens ähnlich wie die Europäer auf die Welt. Kleinere und mittlere Staaten wollen keine neoimperiale Ordnung, in denen sie als Einflusszone gelten. Sie haben, wie Europa, ein Interesse an funktionsfähigen multilateralen Institutionen, die die zentralen Probleme – Klimaschutz, Pandemien und wirtschaftliche Entwicklung – gemeinsam bearbeiten. Es ist ja noch offen, ob eine Wolfswelt entstehen wird oder ob eine regelbasierte Ordnung bleibt. Viele Staaten im globalen Süden, auch solche, die nicht als Demokratien gelten, haben Interesse an einer regelbasierten Ordnung, in der nicht das Recht des Stärkeren gilt. Allerdings haben sie kein Interesse an der liberalen Ordnung …

taz: Wo ist der Unterschied zwischen der liberalen und der regelbasierten Ordnung?

Saxer: Die liberal-westliche hegemoniale Ordnung schließt – oder schloss – auch die gewaltsame Missionierung der Welt für Demokratie und Menschenrechte ein. Die Zeit der humanitären Interventionen, des erhobenen Zeigefingers und durch den IWF erzwungener Strukturanpassungsprojekte ist vorbei. Der Gipfel dieses Denkens war die „responsibility to protect“, die im Notfall mehr zählen sollte als staatliche Souveränität. Dieses Modell war global nie mehrheitsfähig. Das ist bei der regelbasierten Ordnung anders. Dieses westfälische Modell …

taz: … benannt nach dem westfälischen Frieden 1648 …

Saxer: … umfasst Souveränität, territoriale Integrität und ganz zentral: Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten. Europa muss sich Verbündete suchen, um dieses System zu schützen. Auch wenn das kompliziert wird.

taz: Warum ist das kompliziert?

Saxer: Weil Europa dafür auf Macht in den internationalen Institutionen verzichten und die Kräfteverhältnisse im 21. Jahrhundert akzeptieren muss. Europa verliert Einfluss beim IWF, bei Weltbank und UN-Sicherheitsrat, um diese langfristig zu schützen. Es muss aus übergeordnetem Interesse an einer funktionsfähigen, regelbasierten Ordnung Machtverzicht üben. Das ist politisch eine schwierige Operation.

taz: Die globale Vorherrschaft des Westens hat den Universalismus befördert. Wird diese Idee mit der Hegemonie des Westens untergehen?

Saxer: Das ist ein zentrales Problem. Wir dürfen den Universalismus nicht aufgeben, weil die Welt sonst in rivalisierende Stämme zerfällt, die permanent untereinander kämpfen. Wir brauchen eine Art globales Helsinki 2.0. Helsinki war 1975 im Kalten Krieg ein Kompromiss zwischen West und Ost. Beide Seiten erkannten die Menschenrechte an – und die bestehenden Grenzen. Damit verzichteten beide Seiten auf Interventionen in dem jeweils anderen Einflussbereich. Wir brauchen 50 Jahre nach Helsinki ein neues globales Ordnungsmodell. Das wird keine Siegermacht oktroyieren. Es wird von Mächten mit sehr unterschiedlichen zivilisatorischen Hintergründen, chinesischen, indischen, westlichen, ausgehandelt. Universalismus ohne Einmischung – das wäre das positivste denkbare Szenario.

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28 Kommentare

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  • Ersatzhandlungen

    Zitat: „Europas Soft Power ist ramponiert“

    Deswegen muß sie auch jetzt schleunigst durch Hard Power ersetzt werden...

    • @Reinhardt Gutsche:

      Ist das jetzt Sarkasmus oder Zynismus? Musste auf jeden Fall lachen! Thanx!

  • Die Menschenrechte universell vertreten als Punkt, heisst ja nicht, dass mensch sie in China durchsetzt, sondern, dass mensch zunächst mal in der EU die realisiert, was ja auch noch ne Strecke ist und auch Geflüchteten aus politischen Gründen, solche zuerkennt. Dann kann mensch ohne Hybris solidarisch mit den Menschen in China sein, die sie für sich einfordern....Immerhin wäre das dann eine nicht einfach nur autoritäre Weltordnung, was ja die Furcht ist, dass die über die rechten digital Grosskonzerne, ob Chinesische oder US Amerikanische und durch die hiesigen Politiker über uns gebracht wird.....Europa hat den Schritt zu einer liberaleren digitalwelt gemacht, das wäre weiter zu gehen, es würde abfärben.

  • Liberale Ordnungen brauchen wohlwollende wie kräftige Hegemone und sozialen Ausgleich, der jedem Akteur eine grundsätzliche Handlungsfreiheit auch faktisch ermöglicht.



    Neoliberale Staaten und -systeme sind in unverhohlenen Kurzfrist-Egoismus entartet.



    Es bleibt aber der starke Anreiz zur Kooperation auch im Internationalen: Handel, Frieden, Menschenschutz ökologisch.

  • Nebenpunkt: Der Globus ist zwar angenehm korrekt bei der Westsahara, aber könnte es sein, dass er noch die "Sowjetunion" bzw. den Ostblock anzeigt? Die Zeit ist 35 Jahre vorbei.

    • @Janix:

      Könnte Absicht sein.

      Das "positivste denkbare Szenario" knüpft ja am Helsinki-Abkommen von 1975 an.

      Da passt der Globus.

  • „Europa lebte nach dem Ende des Kalten Krieges in einer historischen Ausnahmesituation, in der die Hypermacht USA die liberale Weltordnung garantierte. "



    Und die sogenannte Friedensdividende wurde versoffen, statt sie in Frieden(spolitik) zu reinvestieren.

  • Dumme Frage vielleicht: Aber was ist Universalismus, in dem es Unterschiede gibt? Verstehe ich da etwas falsch? Mein erster Gedanke sind universelle Menschenrechte. Wenn wir anerkennen, dass China und andere Autokratien (und die, die es noch werden wollen) mit ihren Bürgern umgehen können, wie sie wollen, aber nominell die Menschenrechte befürworten, sehe ich keinen Universalismus. Das ist eigentlich schon immer der faktische Status Quo.

  • „Dafür muss Europa Russlands Sicherheitsinteressen als legitim anerkennen.“ Das Sicherheitsinteresse, Großrussland zu schaffen, die Krim zu annektieren oder eine international-autoritäre Achse zu schaffen, auch und gerade in Europa?

    • @Ibrahimo:

      Das sehe ich ähnlich wie sie. Mir ist es ein absolutes Rätsel was genau russische Sicherheitsinteressen bzw. russische Ängste sein sollen. Wir sprechen hier von dem Land mit der größten Landesfläche, gigantischen Mengen an Kohlenwasserstoffen, der zweit- oder drittstärksten Armee der Welt und v.a. von dem Land mit den meisten Atomsprengköpfen. Ich kann kann nur zu dem Schluss kommen, dass "russischen Ängste und Sicherheitsinteressen" ein euphemistischer Ausdruck für russisches Großmachtstreben sind.

  • "Unrealistisch erscheint mir die Vorstellung, dass russische Panzerverbände Riga einnehmen oder einen Eroberungsfeldzug gen Westen starten können."

    In der Vita Herrn Saxers sehe ich nichts, was die Annahme stützt, er kenne sich besonders gut mit Russland im Allgemeinen und mit Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Besonderen aus. Vielleicht sollte man eher Experten fragen, wie unrealistisch eine Eroberung des Baltikums ist. Tatsache ist: auch einen Angriff auf die Ukraine hielten viele noch Anfang februar 2022 für "unrealistisch".

    • @Suryo:

      Nun, als unrealistisch hat sich die Vorstellung erwiesen, Russland könne die Ukraine seinem Reich erneut einverleiben. Dass das nicht funktioniert, ist in den vergangenen drei Jahren vor allen Augen sichtbar geworden und wird übrigens nicht bloß in der westlichen Welt so registriert. Vermutlich weiß es Putin auch und er kämpft jetzt um seinen schieren Machterhalt.



      Es wäre auch zu einfach, der geopolitischen Schule zu unterstellen, ihre Prämisse, der Westen müsse die sicherheitspolitischen Interessen Russlands (inklusive seinem Bedürfnis, Regionalmacht zu sein) anerkennen, mit der Anerkennung russischen Grossmachstrebens und dessen aggressiver Durchsetzung gleichzusetzen. Letzteres ist eben genau NICHT das Ziel geopolitischen Handelns, auch nicht die Legitimation von Krieg und autoritärer Herrschaft, sondern das Erreichen des Gegenteils davon, unter Respektierung der jeweils souveränen Interessen auch der schwächeren Staaten.



      So weit die Theorie. Aber NIEMAND würde heute doch sagen, der Helsinki-Prozess sei falsch gewesen, weil er der Sowjetunion für mehr als ein weiteres Jahrzehnt das Überleben sicherte. Oder Putin später den Überfall auf die Ukraine ermöglichte.

      • @Abdurchdiemitte:

        Der Helsinki-Prozess war aus unserer Sicht natürlich nicht falsch.

        Aber aus der von Russland.

        Erkennen Sie das Problem?

  • ""Im Konzert der großen Mächte wird versucht, durch permanenten Interessenausgleich Gleichgewichte herzustellen, um Kriege zwischen den Großmächten zu verhindern.""

    ===



    Genau das haben europäische Nationalstaaten in den vergangenen Jahrhunderten probiert - mit dem Erfolg das ein Krieg nach dem anderen folgte.

    Bereits in den 20ziger Jahren wurde dieses Übel der Unmöglichkeit erkannt - worauf Aristide Briand mit der Idee der



    Europäischen Union antwortete.

    Geopolitik war gestern - und deshalb sollte die EU alles an Waffen an die Ukraine schicken um deutlich zu machen das Geopolitik nie wieder Europa zerstört.

  • Zu suggerieren, Trump wüsste, was er tut, oder hätte gar eine Strategie, führt zu nichts. Dass seine Handlungen manchmal grob in die Landschaft passen, braucht dennoch nicht zu überraschen, denn schließlich hat er seine Ideen auch irgendwo aufgeschnappt. Ansonsten hat Saxer überall Recht.

    Der größte Hemmschuh auf dem Weg zu einer europäischen Strategie ist das Wunschdenken:



    Die Bedrohung ist mit Sicherheit angekommen - doch man hofft lieber, dass es nicht ganz so schlimm kommt. Für diese Haltung steht beispielhaft Mützenich mit seiner Opposition gegen die Wiederherstellung der Verteidigungsbereitschaft.

    Und die Scheu, mit der Bedrohung umzugehen, hat mit dem zweiten Grund zu tun (mit dem das Interview beginnt):



    Die europäischen Länder sind es nicht mehr gewohnt, strategisch zu denken. Und das ist ein großes Problem, selbst wenn eine gute Strategie eingeschlagen wird:



    Wer hat den langen Atem, ein Programm für zehn oder mehr Jahre durchzuhalten?

  • "Deshalb muss es eine politische Lösung anstreben. Dafür muss Europa Russlands Sicherheitsinteressen als legitim anerkennen. Auch wenn wir keine Bedrohung durch das Vorrücken der Nato erkennen, muss Europa die russischen Ängste als legitim anerkennen. Zudem will Russland wieder als Großmacht gelten. Europa muss diese beiden Punkte akzeptieren. Nur so kann ein Gleichgewicht der Kräfte und ein Austarieren der Interessen gelingen."

    Der letzte Satz widerspricht dem ganzen Absatz. Russland hat bereits die Hegemonie ÜBER Europa als Ziel angegeben. Diesen Großmachtstatus anzuerkennen hieße z.B. eine AfD-Regierung in Berlin als legitimes russisches Interesse zu akzeptieren. Wir haben übrigens auch einige Millionen Russischstämmige in Deutschland. Für diese könnte Moskau Rechte als Schutzmacht geltend machen.

    Wenn die Europäer die Ukraine schon fallenlassen sollen, müsste dies mit belastbaren Garantien Russlands verbunden sein, dass es die Finger von der EU lässt. Dummerweise ist die Abwicklung der EU und die Eingliederung deren Staaten in ein von Moskau dominiertes System, eines der geopolitischen Ziele Russlands...

    • @Chris McZott:

      „Russland hat bereits die Hegemonie ÜBER Europa als Ziel angegeben.“



      Die es im übrigen nie erreichen wird. Die es auch nach drei Jahren blutigen, verlustreichen konventionellen Krieges nicht mal über die Ukraine erlangen konnte. Nicht, wie Putin sich das vorgestellt hat.



      Dass das so bleibt - und dauerhaft gewährleistet werden kann -, hat auch mit der anderen zentralen Überlegung Saxers zur Geopolitik zu tun: Aufbau einer eigenständigen europäischen Sicherheitsarchitektur unter Emanzipation vom bisherigen amerikanischen Schutzschirm. Und ja, auch unter Aufbau einer eigenen europäischen Nuklearverteidigung.



      Dann ist es auch möglich, die russischen Sicherheitsinteressen anzuerkennen, ohne dass seine Nachbarn beständig zittern müssen. Das nennt sich regelbasierte Ordnung, die freilich nur über ein gegenseitiges Geben und Nehmen funktionieren kann.



      Und es ist so, wie Saxer sagt: ein Prozess von etwa 10 bis 15 Jahren, in dem Europa extrem verwundbar sein wird, in dem möglicherweise gegensätzliche Interessenlagen zwischen West- und Osteuropa austariert werden müssen, an dessen Ende aber Stabilität und Sicherheit für alle beteiligten Staaten stehen werden.

    • @Chris McZott:

      Eben.

      Herr Saxer verkennt, dass die Russische Föderation unter anderem in ihrer offiziellen Sicherheitsdoktrin die Demokratisierung von Nachbarländern als direkte Bedrohung der Sicherheit Russlands definiert. „Russische Sicherheitsinteressen berücksichtigen“ hieße also, Russland zuzugestehen, seine Nachbarn zu beherrschen und ihren Bürgern autokratische, Russland zu Willen seiende Regierungen aufzuoktroyieren.

      Ist das wirklich eine Position, die ein Mitglied einer Grundwertekommission haben sollte? Welchem Grundwert entspringt sie denn?

  • Ok, Europa soll und Russland könnte. Ach und der sogenannte Globale Süden fühlt sich nicht ernst genommen. Naja, die glauben auch, dass sie bestimmen, wann die Musik aufhört, wenn sie mit dem Teufel tanzen.

    Jetzt machen wir es ganz einfach: Wie pumpen Geld in unser Militär, in die EU nach innen leben wir die liberale Demokratie und nach außen gibt es nur noch Interessen…

    • @Andi S:

      Europa soll, weil es in diesem Interview um die Handlungsmöglichkeiten Europas in einer Welt geht, die nicht mehr vom Westen dominiert wird. Zum Textverständnis gehört auch zu berücksichtigen, wer zu wem über welches Thema spricht.



      Die Vorstellung, man könnte Interessen nur mit Militär vertreten, ist grundsätzlich naiv, im Falle der EU aber noch mehr: Drohen Sie doch einmal den USA oder China...

  • Das ist ein -an den meisten Stellen- richtig gutes Interview. Danke dafür! Es scheint, dass langsam aber sicher der Realismus Einzug hält.



    Ich hätte nur zwei Anmerkungen: Saxer widerspricht sich, wenn er auf der einen Seite einsieht, dass die Softpower "Europas" (das er wohl zum "Westen" zählen wird) durch das Anlegen von Doppelstandards stark gelitten hat, auf der anderen Seite aber meint, dass "der Westen" den Universalismus befördert habe. Ich finde da wäre schonungslose Ehrlichkeit geboten. Und zweitens bin ich der Ansicht, dass das was Saxer eine "Wolfswelt" nennt, nicht erst gegen eine "regelbasierte Weltordnung" droht zu entstehen, sondern genau so immer bestand. Großmächte haben immer geopolitisch und machtpolitisch agiert. Das tun sie und können sie, weil es keine "Weltregierung" gibt, die Großmächte im Falle von Zuwiderhandlungen (gegen die "regelbasierte" Weltordnung) zur Rechenschaft ziehen könnten (in diesem Sinne ist der UN-Generalsekretär doch nicht mehr als ein "Grüßaugust" - echte Macht hat er nicht). Wer hätte z.B. die USA für den Irakkrieg (zur Erinnerung: 1 Mio. Tote und zwar gegen jede internationale Ordnung!) zur Rechenschaft gezogen? Eben. Niemand.

  • Vor Jahren hätten die Grünen das Ende der liberalen Weltordnung noch als Gewinn gefeiert und es wird Zeit, wenn im Interesse von Frieden und nachhaltigem Leben auf der Erde jeder Versuch mit imperialer Macht eine Weltordnung durchzusetzen endet. Herr Saxer sagt es ja auch: Nicht Konfrontation und Aufrüstung bringen die Lösung, sondern nur beständiges (neu-)Verhandeln einer internationalen Ordnung die den Interessen der anderen und auch der schwächeren Saaten berücksichtigt. Das heißt auch, dass Deutschland und Partnerländer sich davon verabschieden müssen, vor allem ihre eigenen Interessen zu verfolgen. Der größtmögliche Konsens der vielen hat am Ende mehr Gewicht als der kleinste Konsens der wenigen, egal wie stark diese sein mögen. Dafür gibt es ein altes afrikanisches(?) Sprichwort: Ein Stock lässt sich leicht brechen; ein Bündel vieler Stöcken lässt sich nicht brechen.

    • @DemokratischeZelleEins:

      Voraussetzung wäre aber (als kleinster gemeinsamer Nenner), dass die Staaten des globalen Südens ebenfalls die Interessen der anderen (ggf. "schwächeren") Staaten (die jeweils anderen des globalen Südens sowie die des "Westens") berücksichtigen und akzeptieren. Im Augenblick sind sie noch nicht stark genug, um eigene Interessen "offensiv" durchzusetzen. Die "Nagelprobe" müssen sie noch bestehen. Und da ahne ich nichts Gutes...



      Das BRICS-Format gibt da schon mal einen kleinen Vorgeschmack.

      • @Vigoleis:

        BRICS ist eine Chimäre. Speziell Indien und Brasilien stellen mittlerweile fest, dass dieses Format nicht viel mehr ist als ein Vehikel Chinas zur Umsetzung seiner Belt-and-Road-Initiative und zur Projektion chinesischer Macht.

    • @DemokratischeZelleEins:

      Man nennt so ein Bündel Stöcke auf lateinisch fasces, es war ein Erkennungszeichen der römischen Liktoren und Namensgeber des Faschismus.

      • @Suryo:

        Aber nur mit viel Unterstellung lässt sich die Linie von @DemokratischeZelleEins afrikanischen Stöckchenbündel hin zu den fasces der römischen Liktoren und damit zum Faschismus ziehen - zugegeben, der Vergleich drängt sich geradezu auf, aber richtig wird er damit nicht..

      • @Suryo:

        Dann wissen sie bestimmt auch, dass die fasces der Liktoren meist mit einem Beil oder einer Axt versehen und ein Symbol der Macht waren, dass die italienischen Faschisten übernommen haben.

        In dem Sprichwort geht es natürlich um den Vorteil von Einheit, was durchaus problematisch sein kann, wenn diese von oben erzwungen und/oder gegen andere gerichtet wird. Im von mit gesetzten Zusammenhang geht es aber um freiwillige Kooperation zur Stärkung der Resilienz.

        • @DemokratischeZelleEins:

          Naja, Sie schrieben hier neulich auch das hier:

          "Wenn liberale Freiheiten, repräsentative Demokratie und Marktwirtschaft einmal akzeptiert wurden, gibt es keine solidarische Gesellschaft mehr."

          "Solidarität", die Freiheit und Demokratie ausschließt, geht politisch in keine gute Richtung...