Wahlergebnis der AfD: Höchstes Ergebnis für extrem Rechte seit 1945
Vor der Wahl hieß es, alles unter 20 Prozent sei eine Enttäuschung. Nun kommt die AfD knapp auf dieses Ergebnis. Der Wahlkampf lief perfekt.

Der Applaus übertönte nur kurz die Sirene der Gegenproteste vor der Tür. Diese begleitete auch beständig Weidels anschließende Rede. Die AfD-Kandidatin erhöhte sofort den Druck auf die Union, die eine Koalition mit der AfD kategorisch ausschließt. Man sei zweitstärkste Kraft geworden, betonte sie. „Unsere Hand ist immer ausgestreckt: Wir sind bereit, den Willen des Volkes umzusetzen“, sagte sie und sprach vorsorglich von Betrug an den Wählern, sollte die Union mit „den Linken“ koalieren.
In den letzten Bundestag war die autoritär-nationalradikale Partei 2021 noch mit rund 10,4 Prozent eingezogen, 2017 erstmals mit knapp 12,6 Prozent. Seither hat sich die Partei deutlich radikalisiert. Im Wahlkampf trat Spitzenkandidatin Alice Weidel so radikal wie selten zuvor auf.
Geschadet hat ihr das nicht. Koalitionsoptionen hat die zwar AfD keine. Das langfristige Ziel der AfD-Strategen ist aber ohnehin ein anderes: der Abriss der „Brandmauer“ bis 2029. Dafür will die Partei vor allem die CDU marginalisieren.
CDU übernahm ihre Narrative
Im Wahlkampf lief vieles gut für die AfD: Sie instrumentalisierte mehrere Anschläge von Asylbewerbern oder Menschen mit Migrationshintergrund, die sie schamlos auf den Rücken der Opfer für ihre rassistische Agenda ausschlachtete – egal, ob die Fakten tatsächlich in die Erzählung passen oder man sich diese wie in Magdeburg zurecht lügen musste.
Hinzu kam Hilfe von den reichsten und mächtigsten Männern der Welt: Elon Musk palaverte mit einer unterwürfigen Weidel im Twitter-Space geschichtsrevisionistisch über den angeblichen Linken Adolf Hitler. Der amerikanische Vize-Präsident JD Vance kritisierte die politische Isolation der AfD.
Und der Großangriff des russischen Diktators Wladimir Putin bereitete überhaupt erst den Boden für die Unsicherheit und Wirtschaftskrise, aus der die AfD ihre jetzige Kraft speist – die guten AfD-Kontakte nach Russland haben unter dem Angriffskrieg kaum gelitten.
Als wären all dies nicht genug Wahlkampfgeschenke, hat CDU-Chef Merz, dessen Christdemokraten eigentlich das wichtigste Bollwerk gegen den antidemokratischen Umbau sein müssten, in der letzten Legislatur rechte Diskurse und rassistische Narrative hemmungslos übernommen.
Zuletzt hatte er sogar mit den Stimmen der AfD im Bundestag einen populistischen Antrag zu Migration durchgebracht – sehr zur Freude der AfD, die Merz als ihren besten Wahlkämpfer feierte.
Peinliche TV-Auftritte
Weidels Auftritte in TV-Talkshows waren zu einem großen Teil eine Aneinanderreihung von peinlichen Momenten und arroganten Lügen. Die mediale Strategie, Rechtsextreme mit Fakten in Talkshows zu stellen, hat sehr deutlich nicht funktioniert.
Ohnehin stimmen viele AfD-Wähler*innen mit dem neoliberalen Programm der Partei gegen ihre eigenen Interessen. Das störte sie offenbar ebenso wenig wie dubiose, mutmaßlich illegale Großspenden an die Partei.
„Im Moment sind Ressentiments wahlentscheidend“, sagt der Sozialpsychologe Oliver Decker. „Es geht den vom Autoritarismus angesprochenen Menschen nicht um Wirtschaftskompetenz, sozialen Ausgleich oder wirtschaftlichen Aufstieg.“ Decker stellt seit Jahrzehnten in Autoritarismusstudien ein weitgehend konstantes Potenzial für autoritäre Parteien wie die AfD fest. Dieses schöpfe die AfD derzeit sehr weit aus.
Sozialpsychologe Decker empfiehlt Parteien, sich wieder auf soziale Themen zu fokussieren
Parteien wie die AfD speisten sich aus dem Wunsch nach Autorität und Sicherheit. Die zerbrochene Bundesregierung habe das Gegenteil vermittelt. Hinzu komme, dass substantielle Herausforderungen als Krisen wahrgenommen würden.
„Hier verfängt die beständige Krisenrhetorik der Rechten, die mit ihren Parolen von ‚Ausländer raus‘ eine einfache Lösung mit autoritären Mitteln bieten“, so Decker. Dass die Mitte-Parteien auf das Migrationsthema aufgesprungen seien, habe die AfD nicht geschwächt, sondern legitimiert.
Decker hält es für möglich, dass politische Entwicklungen wieder vom Ressentiment wegführten, „sodass andere Themen wieder wichtiger werden als diese Wut im Bauch“, wie er sagt. Dafür empfiehlt der Sozialpsychologe den demokratischen Parteien, sich mit ihrer bisherigen Politik auseinander zu setzen.
SPD, Grünen und Linken rät er, sich auf soziale Themen zu fokussieren. Bei der AfD geht er hingegen davon aus, dass sie ihr Potenzial annähernd ausgereizt hat. Für die meisten Menschen sei das eine Frage der politischen Kultur: Die AfD zu wählen, komme für sie grundsätzlich nicht infrage.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alles zur Bundestagswahl
Linke holt mehrere Wahlkreise in Berlin
Sauerland als Wahlwerbung
Seine Heimat
Pragmatismus in der Krise
Fatalismus ist keine Option
Erstwähler:innen und Klimakrise
Worauf es für die Jugend bei der Bundestagswahl ankommt
Russlands Angriffskrieg in der Ukraine
„Wir sind nur kleine Leute“
Totalausfall von Friedrich Merz
Scharfe Kritik an „Judenfahne“-Äußerungen