Jens Spahn: Da bringt sich einer in Stellung
Jens Spahn gilt als Strippenzieher und Antreiber. Der Ex-Gesundheitsminister möchte in der nächsten Bundesregierung mitmischen. Viele sehen den CDUler als echte Gefahr.
An einem Samstagvormittag Ende Oktober steht Jens Spahn in Halle an der Saale auf einer Bühne. Die Junge Union hat zum „Deutschlandtag“ geladen. Spahn gehört beim alljährlichen Treffen des CDU-Nachwuchses quasi zum Inventar. Die traditionell konservative JU mag den rhetorisch versierten Redner, der gerne mal provoziert. Bei diesem Deutschlandtag aber ist Spahn nur ein Sidekick. Stargast ist Friedrich Merz, der später am Nachmittag auftritt – und so begrüßt wird, als ob er bereits Kanzler wäre. Und weil an diesem Tag auch noch der Vorsitzende der JU neu gewählt wird, spricht viel dafür, dass Spahn in den Medien kaum auftauchen wird.
Aber dann sagt er: „Es ist eine Schande, dass – zum ersten Mal seit Hermann Göring möglicherweise – wir im Deutschen Bundestag wieder tagen, diskutieren und da sitzt jemand und präsidiert, der gegen Israel und gegen Juden hetzt, das ist inakzeptabel.“ Dann fordert er den Rücktritt von Aydan Özoğuz, der Bundestagsvizepräsidentin der SPD.
Özoğuz hatte einen Beitrag der „Jewish Voice for Peace“ zur israelischen Bombardierung von Gaza auf Instagram geteilt, ihn nach heftiger Kritik gelöscht und ihr Bedauern ausgedrückt. Auf den Presseplätzen horcht man auf. Özoğuz und Göring, der in Nürnberg als Nazi-Kriegsverbrecher verurteilt wurde, in einem Atemzug? Die Nachrichtenagenturen schicken eine Meldung raus, bald gibt es aus der SPD erste empörte Reaktionen. In vielen Berichten vom Deutschlandtag taucht Spahn jetzt auf.
Jens Spahn, 44, sitzt seit 22 Jahren im Bundestag, war parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium und Bundesgesundheitsminister. Die Pandemie hat aus dem konservativen Münsterländer mit Negativ-Image kurzzeitig den beliebtesten Politiker Deutschlands gemacht. Seit der Niederlage der Union bei der letzten Bundestagswahl hat er keinen besonders hervorgehobenen Posten mehr. Aber seit Monaten kommt man an Spahn nicht vorbei.
Das liegt nicht nur daran, dass er als einer von zwölf Fraktionsvizes für Wirtschaft, Energie und Klima zuständig und damit ein Gegenspieler zum grünen Minister Robert Habeck ist. Es gibt darüber hinaus auch kaum ein Thema, zu dem der Mann nicht auf Sendung ist.
Mal will er Geflüchtete aus Syrien mit einer Prämie von 1.000 Euro und einem One-Way-Ticket zur Rückkehr bewegen. Dass das Assad-Regime gerade erst gestürzt, die Lage im Land völlig unklar ist? Spielt keine Rolle. Ein anderes Mal reist er zum Parteitag der US-Republikaner in Milwaukee und betont die inhaltlichen Gemeinsamkeiten mit Donald Trump. Dass er damit die CDU-Außenpolitiker vor den Kopf stößt? Nimmt er in Kauf. Hauptsache Aufmerksamkeit.
Da bringt sich einer in Stellung
Für Spahn geht es um die Frage, ob er Teil der neuen Bundesregierung wird. Und damit einer der Player bleibt für die Zeit danach. Wenn Friedrich Merz, der heute 69 ist, aus Altersgründen seine Spitzenposition in der CDU abgeben muss. Dann soll Hendrik Wüst, der smarte Ministerpräsident aus NRW, der so geräuschlos mit den Grünen regiert, nicht der einzige Kandidat für die Nachfolge sein. Es geht also um die Frage, ob Spahn ein Mann mit Kanzlerperspektive bleibt oder ob sein politischer Abstieg bereits begonnen hat. Daher bringt er sich in Stellung. Wenn die Union die Wahl gewinnt, soll Merz an ihm nicht vorbeikommen.
Bei Angela Merkel, die ihn 2018 zum Gesundheitsminister machte, hat das schon mal geklappt, allerdings unter anderen Vorzeichen. Spahn hat Merkel so lange von rechts attackiert, bis sie ihn mit dem Posten einzuhegen versuchte. Gegen Merz hat Spahn einmal allein und einmal im Tandem mit Armin Laschet um den CDU-Vorsitz kandidiert. Aber seit die Machtverhältnisse in der Partei fürs Erste geklärt sind, hat er sich hinter Merz gestellt.
Kurz vor Weihnachten sitzt Jens Spahn in seinem Bundestagsbüro im sechsten Stock des Jakob-Kaiser-Hauses in einem schwarzen Ledersessel, das Jackett hat er abgelegt, vor ihm steht ein Glas Wasser. Dass er immer nach seinem Ehrgeiz gefragt wird, ärgert ihn. Dabei hat er diesen früh unter Beweis gestellt. Mit 22 nahm Spahn einem altgedienten Parteifreund den Wahlkreis im Münsterland ab und hat diesen seitdem stets wieder gewonnen.
Mit 34 machte er gegen den Willen der Parteispitze dem damaligen Gesundheitsminister Hermann Gröhe in einer Kampfabstimmung seinen Platz im CDU-Präsidium abspenstig. „Dieses Ehrgeiz-Ding verfolgt mich seit Jahren“, sagt Spahn und fügt an, dass man selbst ein Seepferdchen ohne Ehrgeiz nicht schaffen könne. Ehrgeiz, soll das wohl heißen, sei etwas ganz Selbstverständliches. „Ich will einen Unterschied machen, etwas verändern“, sagt er. Und Ämter seien eben eine Chance dazu.
Wie stark Spahn die Koordinaten der Republik verschieben will, zeigt sich besonders beim Thema Migration. „Wir müssen die Migrationspolitik grundlegend verändern. Sonst fliegt uns irgendwann die gesellschaftliche Akzeptanz um die Ohren. Auf dem Marktplatz jeder mittelgroßen Stadt kann man ja sehen, dass es nicht funktioniert“, sagt Spahn in seinem Büro. Das Thema beackert er nun schon seit fast zehn Jahren, obwohl er offiziell nie dafür zuständig war.
Als Angela Merkel 2015 die Grenzen nicht schloss, sprach Spahn von „Staatsversagen“. Er forderte die Ausweisung von Hasspredigern, ein Islamgesetz und ein Burkaverbot, obwohl es in Deutschland kaum Burkaträgerinnen gab. Auf dem CDU-Parteitag von 2016 kämpfte er einen Beschluss gegen die doppelte Staatsbürgerschaft durch, den Merkel verhindern wollte. Mal nannte er die Genfer Flüchtlingskonvention nicht mehr zeitgemäß, mal fand er „physische Gewalt“ gegen Migrant*innen an den EU-Außengrenzen legitim.
Die Drift nach rechts
„Wir schlagen vor, konzeptionell anders zu denken“, sagt Spahn. Da sitzt einer, der nicht innerhalb des rechtlich Zulässigen denkt. Gesetzliche Grundlagen lassen sich schließlich verändern, wenn man die politischen Mehrheiten dafür schafft. „Eine Debatte, die ich beginne, will ich auch zu einem Ergebnis führen“, sagt er. „Manchmal dauert es ein paar Jahre, bis das Ergebnis da ist, weil dicke Bretter zu bohren sind.“
Innerhalb seiner Partei hat sich beim Thema Migration bereits vieles in seine Richtung verschoben. „Dass die Debatten, die Thorsten Frei und ich angestoßen haben, mittlerweile Partei-Programmatik sind, ist ein Erfolg“, sagt Spahn und guckt dabei durchaus zufrieden. Thorsten Frei, der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, hatte im Sommer 2023 eine Diskussion über das individuelle Recht auf Asyl angestoßen.
Im Wahlprogramm der Union steht nun, dass man Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückweisen will. Subsidiären Schutz will die Union abschaffen. Und die Asylverfahren in Länder außerhalb der EU verlagern, wo die Geflüchteten auch nach der Anerkennung bleiben sollen. Das Asylrecht, so wie es im Grundgesetz und in internationalen Vereinbarungen geregelt ist, wäre perdu.
Thomas Biebricher, Politikprofessor aus Frankfurt, ist ein Kenner des europäischen Konservatismus, auch die CDU beobachtet er schon lange. Anfang 2023 ist sein Buch „Mitte/rechts“ über die internationale Krise des Konservatismus und dessen Abdriften nach rechts erschienen. „Jens Spahn gehört zu den gefährlichsten Personen im CDU-Orbit“, sagt Biebricher am Telefon. Spahn sei rhetorisch begabt, bereit, sich populistisch zu äußern, habe eine gewisse Skrupellosigkeit – und diesen großen Ehrgeiz. „Von Jens Spahn kann man sich vorstellen, dass er bereit wäre, die Christdemokratie in etwas zu transformieren, was nicht mehr Christdemokratie ist.“
Hört man sich in der CDU um, klingt manches davon an, meist allerdings nur leise und nach der Zusage, ganz sicher nicht zitiert zu werden. Spahn wird einerseits geschätzt für seinen Fleiß und seine Ausdauer, manche bewundern seine gute Vernetzung und die Bereitschaft, auch unbequeme Dinge anzusprechen. Wenn er komme, sei der Saal eben voll. Spahn, das sagen auch Gegner*innen, sei ein politisches Ausnahmetalent.
Aber es gibt eben auch Zweifel an seiner Loyalität. Unbehagen mit seinem starken Ehrgeiz. Damit, dass er sich gerne vor andere schiebt, die dann hinter ihm aufräumen müssen. Damit, dass er sich mit fragwürdigen Personen wie dem Trump-Vertrauten und ehemaligen US-Botschafter Richard Grenell umgibt, dass er 2017 begeistert zur Wahlparty von Sebastian Kurz nach Wien reiste und 2021 bei Bier und Pizza ausgerechnet im Büro des damaligen Bild-Chefredakteurs Julian Reichelt das Kanzlerkandidaten-Triell verfolgte.
Der dritte Mann aus NRW
Ohnehin schleppt Spahn einigen Ballast mit sich rum. Die teuren Maskenkäufe vom Beginn der Pandemie etwa, deretwegen dem Bund nun 2,3 Milliarden Euro Nachzahlungen drohen. Den Kauf seiner Villa in Berlin für mehrere Millionen Euro gemeinsam mit seinem Ehemann, dessen Finanzierung Fragen aufwarf. Beides bezeichnet er inzwischen selbst als Fehler, aus heutiger Perspektive.
Die Grünen nennt Spahn öffentlich wahlweise „ideologisch“, „verblendet“ oder „ahnungslos“. Auch erweckt er gerne den Eindruck, Wirtschaftsminister Habeck sei unfähig und an der aktuellen Misere alleine schuld. Von Habecks Klimapolitik will er vieles rückabwickeln, die drei letzten Atomkraftwerke am liebsten wieder ans Netz nehmen. Mit manchen Grünen aber versteht Spahn sich persönlich gut.
Vor zehn Jahren hat er gemeinsam mit Omid Nouripour die Pizza-Connection wiederbelebt, in der sich einst beim Italiener in Bonn Schwarze und Grüne zum Kennenlernen trafen. „Ich bin weiter dabei“, sagt Spahn in seinem Büro. „Es ergibt ja Sinn, zu verstehen, warum der andere die Dinge anders sieht.“ Sein Ziel sei jedenfalls nicht, mit den Grünen zu regieren.
Regieren will Spahn auf jeden Fall. Zum Problem könnten dabei allerdings zwei Parteifreunde werden. Gewinnt die Union die Wahl, dürfte Merz als Kanzler, Generalsekretär Carsten Linnemann als Minister gesetzt sein. Spahn wäre der dritte Mann aus NRW – und damit möglicherweise einer zu viel. Kein Wunder also, wie sehr er sich in Stellung bringt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Das dritte Geschlecht
Mein Leben als „X“
Migrationsdebatten
Fachkräfte rein
Fracking und Flüssiggas
Gas, eine nötige Übergangsenergie
Spendenrekord im Wahlkampf
CDU bekommt fast zehnmal so viele Großspenden wie SPD
Regierungskrise in Österreich
Keine Koalition zwischen ÖVP und SPÖ
Ende des Assad-Regimes
Bundesamt prüft Schutzstatus von geflüchteten Syrern