Felix Banaszak über das Linkssein: „Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“
Felix Banaszak will Grünen-Chef werden. Ein Gespräch über das Linkssein, Gemeinsamkeiten mit Robert Habeck und Provokationen von Christian Lindner.
taz: Herr Banaszak, in zwei Wochen sind Sie Grünen-Chef. Haben Sie schon Angst?
Felix Banaszak: Angst? Nein. Ich habe Respekt vor der Aufgabe. Aber ich habe auch Bock drauf.
taz: Ihre baldige Vorgängerin Ricarda Lang hat jüngst in einem Interview gesagt, dass sie aus Angst, Angriffsfläche zu bieten, nur noch sehr kontrolliert und glatt gesprochen habe. Am Ende habe sie sich gefühlt wie ein Sprechroboter.
Banaszak: Ich finde diese Reflexion sehr hilfreich. Es ist ja auch ein Appell, sich nicht abschleifen zu lassen. Das ermutigt mich darin, mir treu zu bleiben: zu sagen, was ich denke, und nichts zu sagen, woran ich selbst nicht glaube.
35, Bundestagsabgeordneter aus Duisburg, will die Grünen künftig in einer Doppelspitze mit der Reala Franziska Brantner führen. Der Wirtschaftspolitiker gehört dem linken Flügel an. Von 2018 bis 2022 war er Landesvorsitzender in NRW und 2013 bis 2014 Sprecher der Grünen Jugend.
taz: Seit Ihrer Kandidatur klingen Sie aber auch schon vorsichtiger.
Banaszak: Meine Lokalzeitung hat gerade geschrieben: „Banaszak verspricht: Ich erzähl den Leuten keinen Scheiß.“
taz: Schauen wir mal. Sie verstehen sich als Linker. Was ist überhaupt noch links bei den Grünen?
Banaszak: Links zu sein ist für mich heute etwas anderes als das, was noch vor ein paar Jahren linker Mainstream war. Es ist richtig, sich vor einem imperialen Aggressor wie Wladimir Putin nicht in den Staub zu werfen, um Frieden herzustellen. Dazu gehört gerade auch, das angegriffene Land mit Waffenlieferungen zu unterstützen. Und ich hadere mit einem Teil der Linken, der den islamistischen Terror der Hamas verharmlost. Meine Linke steht klar gegen Antisemitismus – und sieht das entsetzliche Leid, das die Menschen im Nahen Osten erleben müssen.
taz: Und was ist links bei den Grünen?
Banaszak: Armut als ein gesellschaftliches Problem zu begreifen, das man angehen muss. Die wachsende Ungleichheit nicht einfach hinzunehmen. Und zu fragen, ob man in einer Zeit, in der Hallenbäder und Stadtbüchereien geschlossen werden, Menschen mit immer schneller wachsenden Vermögen nicht stärker in die Pflicht nehmen sollte.
taz: Das war auch Ricarda Langs Ansatz – und jetzt hat sie eingeräumt, dass sie damit gescheitert ist.
Banaszak: Ich würde das so hart nicht sagen. In der Ampel liegt es ja nicht an den Grünen, dass wir die Kindergrundsicherung bisher nicht im Bundestag beschlossen haben oder dass nicht schon zu Beginn der Debatte um das Heizungsgesetz eine soziale Förderung vereinbart werden konnte. Jetzt mag man sagen: Da haben die Grünen es nicht geschafft. Stimmt, noch nicht. Aber wir haben mehr geschafft, als sich manchmal abgezeichnet hatte. Wo wir noch einen langen Weg vor uns haben: das falsche Image loszuwerden, dass wir abgehoben seien und uns für diese Fragen nicht interessieren würden.
taz: Ihnen laufen Wähler*innen aus der Mitte weg – und gleichzeitig Stammwähler*innen, denen die Grünen nicht mehr links genug sind. Was tun Sie dagegen?
Banaszak: Ein Problem scheint mir eher, dass uns einige nicht mehr vertrauen, dass wir trotz aller notwendigen Kompromisse eigentlich nach mehr streben. Das liegt daran, dass wir uns stärker als unsere Koalitionspartner mit Kompromissen als notwendigem Teil der Koalitionsarbeit identifizieren und nicht vor allem kommuniziert haben, was wir alles blöd finden. Auch in Zukunft werden die Grünen nicht Opposition in der Regierung sein. Aber die Partei darf sich auch nicht als ausgelagerte Pressestelle der Regierung verstehen. Sie muss klarmachen, wofür sie weiterhin steht und kämpft. Zum Beispiel beim Klima, wo wir so viel erreicht haben wie keine Regierung zuvor – und trotzdem mehr wollen. Weil es noch nicht reicht.
taz: Viele linke Grüne, auch Sie, hatten in den vergangenen Monaten die Sorge, dass die Partei unter Kanzlerkandidat Robert Habeck zu sehr in die Mitte rutscht.
Banaszak: Eine Partei ist dann stark, wenn sie bei klarer Führung gleichzeitig ihre Vielfalt zur Geltung bringt. Wenn wir die Mitte der Gesellschaft erreichen wollen, brauchen wir ein gefestigtes Fundament und auch die Menschen, die seit vielen Jahren an unserer Seite stehen und jetzt gerade hadern. Die Grünen sind eben eine linke, progressive Partei, Punkt. Ich bin mir sicher, dass Robert Habeck das teilt.
taz: Im Juli haben Sie der Rheinischen Post gesagt: „Robert Habeck muss unter Beweis stellen, dass er die Partei in ihrer Breite mitnehmen kann und will.“ Das klingt schon nach Sorge.
Banaszak: Das war meine Empfehlung, damit das Projekt zum Erfolg wird. Und ich bin mir sicher, dass er genau das tun wird.
taz: Wie kommt es, dass Sie das jetzt anders sehen?
Banaszak: Wir sprechen viel miteinander.
taz: Das Politikmodell von Robert Habeck, anschlussfähig in alle Richtungen zu sein, ist gescheitert. Manche Realos meinen, man muss das Ganze nur konsequenter betreiben. Also: mehr Zugeständnisse bei der Migration und vorsichtiger beim Klima, um die Menschen nicht gegen sich aufzubringen.
Banaszak: Die Idee der Bündnispartei ist: Wir machen grüne Politik mit voller Überzeugung. Aber wir werben auch um diejenigen in der Gesellschaft, für die der Weg dahin weiter ist. Diese Idee finde ich weiterhin richtig. Ich kann meiner Partei nicht empfehlen, ihr Programm aus dem Abwehrkampf gegen eine gesellschaftliche Entwicklung heraus zu entwickeln. Wir müssen selbstbewusst die gesellschaftliche Mitte mit definieren. Dass das gelingen kann, haben wir von 2018 bis 2021 schon einmal bewiesen.
taz: Nehmen wir das Beispiel Migration. Da setzen Sie eine Politik durch, gegen die die Grünen vor ein paar Jahren noch auf die Straße gegangen sind. Dennoch stehen Sie als die da, die alles blockieren. Wie wollen Sie die Deutungsmacht darüber, was die Grünen sind, zurückgewinnen?
Banaszak: Viele, die uns eigentlich nahe stehen, finden uns zu kompromissbereit, während wir in der Breite der Gesellschaft als kompromisslose Ideologen gebrandmarkt werden. Das hat leider oftmals damit zu tun, dass wir intern die Vorurteile bestätigen. Wenn ein Teil meiner Partei fordert, wir müssten uns endlich der Realität öffnen, impliziert er, dass wir bisher dafür blind gewesen seien. Und wenn die anderen sagen, die Grünen seien keine Menschenrechtspartei mehr, bestätigen sie umgekehrt die Kritik aus der Zivilgesellschaft. Mein Weg ist, eine Politik der Differenzierung auch offensiv zu vertreten.
taz: Progressive sind weltweit in der Defensive. Was heißt das für die Grünen?
Banaszak: Mit Blick auf die US-Wahl bin ich noch immer zuversichtlich, dass Kamala Harris gewinnt. Die US-Demokraten haben einen Strategiewechsel vollzogen. Sie verkaufen sich weniger als das kleinere Übel zu Trump, sondern stellen ihre eigenen Vorstellungen nach vorne. Selbstkritisch muss man sagen: Grüne und SPD haben zuletzt zu sehr für sich als Bollwerk gegen die AfD geworben. Das ist aber noch keine überzeugende Antwort auf gesellschaftliche Probleme.
taz: Als Vorsitzender sind Sie eine Schlüsselfigur des linken Flügels. Der ist aktuell nicht gut aufgestellt. In der Personaldebatte konnten Sie Sven Giegold, den Wunschkandidaten der Partei-Linken, nicht als Politischen Geschäftsführer durchsetzen. Schwächt es Sie, dass Ihrem Flügel die Schlagkraft fehlt?
Banaszak: Ich möchte Vorsitzender der gesamten Partei werden. Genau wie Franziska Brantner übrigens. Unsere Politik werden wir so ausrichten, dass sich auch mein Flügel darin wiederfindet. Das ist die Aufgabe aller, die sich um Verantwortung bewerben.
taz: Manche aus dem linken Flügel sagen: dass Sven Giegold nicht Geschäftsführer wird, war Ihre erste Niederlage.
Banaszak: Sorry, aber das ist Quatsch. Sven Giegold hat nie gesagt, dass er Geschäftsführer werden will. Er kandidiert jetzt als stellvertretender Parteivorsitzender.
taz: Vier Wochen lang wurde diskutiert, dass er Geschäftsführer werden will. Als Missverständnis hätten Sie das früher aufklären können.
Banaszak: Bei Spekulationen halte ich mich zurück. Er kandidiert für den Bundesvorstand, und ich freue mich darüber. Damit ist die Frage beantwortet. Wir haben jetzt insgesamt eine Konstellation gefunden, die die Breite der Partei abdeckt und starke politische Köpfe miteinander verbindet. Ich bin fein damit.
taz: „Ich bin fein damit“ – das hat auch Markus Söder gesagt, als Friedrich Merz Kanzlerkandidat wurde.
Banaszak: Ich habe mir vorgenommen, weniger über Herrn Söder zu sprechen als er über uns.
taz: Die Ampel ist in der Krise, ein neues Papier von Finanzminister Christian Lindner wird allgemein als Provokation von SPD und Grünen bewertet. Wie sehen Sie das?
Banaszak: Für solche plumpen Spielchen fehlt mir die Langeweile.
taz: Bekommen wir Neuwahlen oder hält die Koalition bis zur Bundestagswahl im nächsten September?
Banaszak: Wenn ich das mal wüsste. Ich werde jedenfalls nicht aktiv zu einem früheren Wahltermin beitragen.
taz: Wenn die Koalition jetzt bricht: Wären die Grünen nach dem Umbruch an der Spitze überhaupt auf einen Wahlkampf vorbereitet?
Banaszak: Natürlich sind wir das. Aber wer seine Entscheidung über den Fortbestand einer Regierung daran bemisst, wann er sich den größten Vorteil für seine Kampagne verspricht, sollte die Politik anderen überlassen.
taz: Noch mal zurück zur sozialen Gerechtigkeit: Für den Parteitag gibt es einen Antrag mit vielen Unterstützer*innen, der eine Vermögenssteuer und 16 Euro Mindestlohn fordert. Gegen beide Punkte gibt es in der Partei auch Widerspruch. Wie werden Sie abstimmen?
Banaszak: Ich nehme meine Verantwortung als Bewerber um den Parteivorsitz ernst. Deswegen werde ich keine Vorfestlegungen treffen. Mein Ziel ist, dass am Ende ein Beschluss steht, auf den sich die große Mehrheit der Partei verständigen kann.
taz: Aber Sie müssen doch eine Position haben.
Banaszak: Die werde ich in der Debatte sicher einbringen.
taz: Jetzt klingen Sie ja doch schon wie ein Sprechroboter.
Banaszak: Wer sich um ein solches Amt bewirbt, hat Verantwortung nicht nur für sich selbst, sondern für die Gesamtpartei. Die nehme ich ernst.
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