Die Zukunft der SPD: Der mit dem Plan
Kronprinz und Kanzlermacher: Lars Klingbeil ist jetzt der mächtigste Sozialdemokrat hinter Olaf Scholz. Kann er die SPD wieder stark machen?
Am Abend vor dem Tag der Deutschen Einheit sitzt Lars Klingbeil am Gate F4b des Flughafen Istanbul. Er hat gerade die türkischen Schwesterparteien besucht, die taz begleitete ihn. Und fragt den SPD-Vorsitzenden kurz vor dem Rückflug auch nach Kevin Kühnert. War es vielleicht ein Fehler, ihn zum Generalsekretär zu machen? Hätte Kühnert nicht an anderer Stelle mehr für die SPD erreichen können?
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Klingbeil holt Luft. „Ich bin froh, dass Kevin unser Generalsekretär ist.“ Gemeinsam werde man jetzt den Wahlkampf organisieren. Ahnt Klingbeil bereits, dass es anders kommen wird? Er hat in den letzten Wochen viel mit seinem Freund Kevin Kühnert gesprochen. Dass es ihm nicht gut geht, weiß Klingbeil.
Wenige Tage später steigt Kühnert aus. Er informiert am Wochenende die Parteiführung, am Montag verschickt er einen Brief an Freunde und Genossinnen: Rücktritt von allen Ämtern. Er brauche seine Energie, um wieder gesund zu werden. Am Tag darauf präsentieren die Parteivorsitzenden bereits den Nachfolger: Matthias Miersch, Fraktionsvize im Bundestag, wird neuer Generalsekretär. Dass Kühnert abtritt, hat viele schockiert. Klingbeil, der ihn drei Jahre zuvor als Generalsekretär vorgeschlagen hatte, ist sichtlich getroffen. Aber unvorbereitet ist er nicht.
Schon nach der für die SPD missglückten Europawahl im Juni, für die Kevin Kühnert den Wahlkampf orchestrierte, wurde die Machtbalance im Willy-Brandt-Haus verschoben. Klingbeil schaltete sich stärker in die Planung der Kampagne für die Bundestagswahl ein, eigentlich eine klassische Generalsekretärsaufgabe.
Nach dem Rückzug von Kevin Kühnert
Auch nach dem Wechsel auf dem Posten bleibt es dabei – Klingbeil gibt die Marschrichtung vor, Miersch setzt sie um. An diesem Wochenende fällt der Startschuss, dann trifft sich der Parteivorstand zur Klausur, schwört sich ein auf die Mission 2025: Alles auf Kanzler. Damit ist Lars Klingbeil nun der mächtigste Sozialdemokrat hinter dem Kanzler, derjenige, in dessen Hand es liegt, die Macht für die SPD zu sichern.
Saskia Esken ist als gleichberechtigte Parteichefin gewählt, aber sie ist angezählt, die Zahl ihrer Unterstützer schwindet. Im Wahlkampf soll sie sich vor allem um Kontakte zu gesellschaftlichen Akteuren kümmern. Klingbeil spricht weiterhin stets von gleichberechtigter Arbeitsteilung. Man kann es aber auch Degradierung nennen.
Klingbeil ist 17 Jahre jünger als Esken, doch breiter in der Partei vernetzt und anerkannter. Erst Mitte 40, aber schon ein SPD-Urgestein. Seit 2009 sitzt er im Bundestag, sein Förderer war Frank-Walter Steinmeier, sein Mentor Franz Müntefering, mit dem er sich bis heute regelmäßig austauscht. Martin Schulz schlug ihn 2017 als Generalsekretär vor, kaum im Amt verhandelte Klingbeil die Große Koalition mit der Merkel-Union.
Sein Gegenspieler war Juso-Chef Kevin Kühnert, der die „No-GroKo“-Kampagne lostrat und für den Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag fast 25.000 neue Genoss:innen für die SPD anwarb. Klingbeil bedankte sich bei Kühnert mit einem Toaster aus dem Parteishop.
Versöhnen und die Partei vereinen
Versöhnen und die Partei hinter einer gemeinsamen Strategie versammeln, das kann Klingbeil. Der Erfolg von 2021 geht maßgeblich auf sein Konto. Der SPD gelang es mit 25,7 Prozent stärkste Partei bei der Bundestagswahl zu werden und für Olaf Scholz das Kanzleramt zu sichern. Obwohl die Ausgangslage ein Jahr vor der Wahl ähnlich schlecht wie derzeit war. Die SPD dümpelte in Umfragen, das Rennen um Platz eins spielte sich zwischen Union und Grünen ab. Der Trend drehte sich erst kurz vorm Wahltermin.
Die scheinbar ähnliche Ausgangslage gibt manchem im Kanzleramt die Gewissheit: Genauso wird es wieder klappen, von hinten anschleichen und im Schlussspurt die Spitze übernehmen.
Doch dass sich das Szenario 2021 wiederholt ist zweifelhaft, der Bundestagswahlkampf wird für die SPD wohl zum mühsamen Dauerlauf. Die von Scholz geführte Ampel ist unbeliebter, als es die GroKo unter Merkel je war, seine persönlichen Beliebtheitswerte in einem Keller, den Merkel nie betrat. Die wirtschaftliche Lage ist schlecht, die Menschen ukrainekriegsmüde und migrationsüberfordert, die AfD feiert Höhenflüge und mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht gibt es einen weiteren Akteur, der das Bewerberfeld populistisch aufmischt.
Nee, glücklich sei er derzeit nicht, sagt Klingbeil. „Wie auch, wenn meine Partei bei 16 Prozent liegt.“ Er glaubt dennoch: „Erfolg kann man organisieren.“ Als er diesen Satz auf dem Rücksitz seines Dienstwagens sagt, der nach Werder in Brandenburg braust, ist eine Bedingung seines Wir-bleiben-Kanzler-Plans gerade erfüllt worden.
Einen Tag zuvor, am 17. September durfte Markus Söder verkünden, wer Kanzlerkandidat der Union wird: „Friedrich Merz macht’s.“ Klingbeil wirkt bei allem SPD-Blues fast vergnügt, hätte er sich jemanden aussuchen dürfen, dann Merz. „Er ist 30 Jahre zu spät dran und hat keine Impulskontrolle.“
Das Gegenteil von Olaf Scholz also, bei dem die Impulskontrolle oft eher zu gut funktioniert.
Ein ungleiches Duo
Auch der Kanzler und Klingbeil sind ein ungleiches Duo – Klingbeil liebt Musik, Sport und Bayern München, Scholz Bücher, Bücher und Britta Ernst. Man könne gut und kontrovers miteinander reden und habe ein offenes Verhältnis, „in dem Wissen, dass wir unterschiedliche Typen sind“.
Scholz profilieren, ihn vom Ampel-Negativtrend lösen, die SPD und ihre Themen platzieren, das sind die nächsten Etappen, die Klingbeil nehmen will. In der SPD gibt es Zweifel, ob Klingbeil dazu die nötige Autorität besitzt. Der sei zwar ein netter Kerl – ein echtes Gegengewicht zu Scholz sei er noch nicht. Die Partei agiere viel zu brav, schwimme zu sehr im Regierungsfahrwasser, hört man.
Öffentlich verschärft Klingbeil nun den Ton und erhöht den Druck auf Scholz. „Auch der Bundeskanzler muss seinen Teil dazu leisten, dass wir erfolgreich sind bei der nächsten Bundestagswahl“, legt er sich in einem Gartenlokal in Werder vor gut 100 Zuhörer:innen ins Zeug. Er erwarte, dass das Rentenpaket durchkomme, das Tariftreuegesetz verabschiedet und Industriearbeitsplätze gesichert werden. Eine klare Ansage: Olaf, Schluss mit dem Moderieren, rein in die Boxhandschuhe.
Vor drei Jahren gewann die SPD die Menschen mit einer Erzählung von Respekt für sich – Respekt für Menschen, die im Niedriglohnsektor schuften – Mindestlohn auf 12 Euro! Respekt für jene, die nach 45 Jahren nicht mehr können – Rente mit 63! Wie könnte eine sozialdemokratische Erzählung heute lauten? Geht es nach Klingbeil, wird sie um die arbeitende Mitte kreisen, „die Anständigen und die Fleißigen“. Und darum, wer die besten Konzepte hat, um Industrie und Arbeitsplätze zu sichern. Nicht gerade nobelpreisverdächtig, aber solide SPD-Kost.
Der neue SPD-Generalsekretär
Die Ernennung des Parteilinken Matthias Miersch zum Generalsekretär passt da gut hinein. Miersch will die SPD deutlicher von der Merz-Union abgrenzen, setzt auf einen starken Staat und hat sich immer wieder für eine Reform der Schuldenbremse und eine Besteuerung von Vermögen ausgesprochen.
Der profilierte Klima- und Energiepolitiker kann auch die Grünen auf Abstand halten. Die SPD sei die Kraft, „die sagt, dass Ökologie, wirtschaftliche Vernunft und sozialer Zusammenhalt zusammen gedacht werden müssen“, lief er sich vergangene Woche schon warm. Dass die Grünen und Robert Habeck aus dem Rennen sind, ist essenziell für den Klingbeil-Plan, in dem alles auf ein Duell Merz gegen Scholz hinausläuft. Aber was, wenn Habeck am Ende den Scholz macht?
Und was, wenn die FDP, die Ampel verlässt und die Union auf vorgezogene Neuwahlen beharrt? Stand heute würde dann Merz Kanzler.
Zudem sind wichtige Themen, wie Frieden und Migration, derzeit von BSW und AfD besetzt. Beide Parteien landeten bei den Wahlen in Sachsen und Thüringen deutlich vor der SPD. Die Lehre daraus sei, „dass wir bei diesen Themen mehr machen müssen“, meint Ralf Stegner. Als einziger prominenter SPD-Politiker sprach er auf der „Friedensdemo“ am 3. Oktober in Berlin. Sein Beweggrund: Die SPD zwischen denen, die nur über Waffen reden, und denen, die lediglich Zugeständnisse an Putin machen wollen, zu positionieren. „Da ist meilenweit Platz für eine linke Volkspartei wie die SPD.“
Die SPD und der Pazifismus
Militärische Unterstützung und Diplomatie gehörten zusammen, hält Klingbeil in Werder einem Mann entgegen, der beklagt, die SPD sei doch mal eine pazifistische Partei gewesen sei. „Und im Übrigen, die SPD war nie eine pazifistische Partei.“ Von jüngeren Gästen erhält Klingbeil Beifall, ältere wiegen skeptisch die Köpfe.
Elf Monate sind es noch bis zur Bundestagswahl. Scholz soll erst im Juni offiziell als Kanzlerkandidat nominiert werden. Aber manchmal überschlagen sich die Ereignisse ja. Sollte sich die SPD entscheiden, den Führungsspieler auszuwechseln – stünde er, Lars Klingbeil, bereit? „Nein“, sagt Klingbeil. „Wir haben einen Bundeskanzler, und ich tue alles, damit er es bleibt.“ Außerdem denke er überhaupt nicht darüber nach, den Parteivorsitz aufzugeben.
„Dass ich als Junge vom Dorf, der Erste in der Familie, der Abi gemacht und studiert hat, Vorsitzender der ältesten Partei Europas sein darf, ist schon eine große Ehre.“ Klar, könne er sich vorstellen noch mal eine andere Verantwortung zu übernehmen. Aber nicht jetzt. „Das Rennen wird hart genug, dafür muss ich 100 Prozent geben.“
Gewinnt Scholz die Wahl, kann Klingbeil abheben. Wird Scholz gestürzt, dann stürzt wohl auch der Kronprinz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Merz stellt Reform in Aussicht
Zarte Bewegung bei der Schuldenbremse
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“