Markus Völker
Front Sportif
: Mann, Frau? Hautsache, es zofft

Foto: privat

Die intersexuelle Boxerin Imane Khelif hat erfolgreich bei diesen Spielen gekämpft. Das ist die Nachricht. Das heißt: Das hätte die Nachricht sein können, aber die Faustkämpfe der 25-jährigen Algerierin sind seit Tagen zu einem Politikum geworden, zu einer Causa. Und diese Causa Khelif illustriert pars pro toto eines: Eine wieder mal dysfunktionale Debattenkultur, die zum erbitterten Streit der Lager ausartet. Der Kern des Problems wird zwischen den Mahlsteinen der Extreme zerrieben, und so wird schon längst nicht mehr darüber diskutiert, wie denn nun die Chancengleichheit im Frauenboxen aufrecht erhalten werden kann, wenn zwar aufs Gramm genau das Körpergewicht gemessen wird, aber nicht der chromosomale und hormonelle Status einer Athletin, nein, in fetten Lettern wird von der einen Seite geplärrt: „Mann verprügelt Frauen!“

Auf der anderen Seite werden kritische IOC-Beobachter schon mal zu Parteigängern des Olympiakomitees, weil sie deren Position gut und progressiv finden: Eine Frau ist dann eine Frau, wenn das so im Pass steht, sagt das IOC. Wer das unterkomplex und dem Niveau der bisherigen Debatte in Sachen DSD (Disorder of Sex Development) unwürdig findet, dem wird zu verstehen gegeben, dass er oder sie damit nicht nur rassistisch sein und LGBTQ-Rechte verletzen könnte, der macht sich irgendwie auch mit dem sinistren Umar Nasarowitsch Kremlew gemein, seines Zeichens Präsident des skandal­trächtigen internationalen Boxverbands IBA. Der wurde vom IOC suspendiert, die olympischen Boxkämpfe stehen unter der Hoheit des Olympiakomitees. Die IBA, das hat sie auch auf einer in Paris abgehaltenen Pressekonferenz verdeutlicht, hätte Imane Khelif nicht zugelassen, weil in Laboruntersuchungen das Y-Chromosom nachgewiesen worden sein soll.

Mittlerweile sind die Fronten derart verhärtet und die Protagonisten so stur auf ihrem Pfad unterwegs, dass diverse Verschwörungstheorien die Runde machen. Das IOC des Thomas Bach sieht sich systematisch von russischer Seite attackiert, das Pro-Khelif-Lager schwurbelt von einer „zionistischen“ Weltverschwörung, in rechten Kreisen wittert man einen woken Coup. Alle rhetorischen Waffen aus dem Arsenal der Vernebelung werden gezückt: Whataboutism (Aber sie hat ja schon verloren!), Derailing (Im Sport gibt es doch immer Stärkere und Schwächere!) oder Bagatellisierung (So hart sind die Schläge nicht!). Mit jedem Tag, den der Fall köchelt, wird die Position des Sprechers wichtiger. Das Ringen um Inhalte und Lösungsansätze degeneriert indessen, die empathische Zugewandtheit sowieso. Nun gilt: Kremlev oder Bach.

Inmitten dieses übersteigerten Kulturkampfs ist man froh, wenn sich eine Stimme wie die von Sebastian Coe erhebt, Präsident des internationalen Leichtathletikverbands World Athletic. „It’s simple: have a policy“, gibt er dem IOC mit auf den Weg: Es ist ganz einfach, findet eine vernünftige Regelung für den Fall der Integration intersexueller Athletinnen. Auch Coe weiß, dass der Umgang mit DSD-Athletinnen schwierig bleibt, egal ob man nun der Fairness und dem Schutz des Frauensports das Primat gibt – oder der Eingliederung von inter­sexuel­len Sportlerinnen. Man könnte den Testosteronlevel messen. Es ist das Mittel der Wahl. Warum das nicht gemacht worden ist, bleibt ein großes Rätsel; unter dem Laissez-faire des IOC hat Imane Khelif seit den Tokio-Spielen im Jahr 2021 sechs Kilo Muskelmasse zulegen können und startet nun, sichtlich androgenisiert, in einer höheren Gewichtsklasse.

Der Fall der Boxerin Imane Khelif wird zwischen den Mahlsteinen der Extreme zerrieben

Diese durchaus gelungenen Olympischen Sommerspiele von Paris hätten Funktionäre verdient gehabt, die wissen, wovon sie in diesem Fall reden. So ist das IOC nicht unschuldig an der Eskalation der Ereignisse, an der Verunsachlichung der Debatte.